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Der Deutsche Bundestag wählt Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler

von Ulrike Hospes , Hanns Jürgen Küsters
Drei „Adenauer-Stimmen“ entscheiden über Kanzlerwahl.

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„Ja“, antwortet Konrad Adenauer auf die Frage des Bundestagspräsidenten Erich Köhler, ob er die auf ihn gefallene Wahl zum Bundeskanzler annehme. Köhler stellt fest, „daß damit der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt ist.“ Es ist Donnerstag, 15. September 1949, kurz vor 12 Uhr. Eine der vielen ersten Etappen in den Anfangstagen der Bundesrepublik ist geschafft: Adenauer ist Gründungskanzler. 73 Jahre alt, reich an Erfahrung als Kölner Oberbürgermeister, Präsident des Preußischen Staatsrats und zuletzt Präsident des Parlamentarischen Rates – vor allem aber reich an Tatendrang, die Bundesrepublik wirtschaftlich wiederaufzubauen, in die westliche Gemeinschaft zu führen und auf ein stabiles demokratisches Fundament zu stellen.

 

Kanzlermacher Adenauer

Hierfür ergreift er nach der Bundestagswahl am 14. August 1949 die Initiative; er zieht am 20. August den bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (CSU) auf seine Seite, einen Tag später überzeugt Adenauer als Gastgeber in seinem Haus in Rhöndorf bei Kaffee, Kuchen und Wein über zwanzig führende Vertreter der Union von seinen Vorstellungen einer bürgerlichen Koalition mit der FDP unter Ausschluss der SPD – und unter seiner Führung. Nach langer Diskussion in der Runde und in Einzelgesprächen werden in einem Pressekommuniqué die Ergebnisse des Tages verkündet:

„Die Konferenz der CDU/CSU-Politiker in der Wohnung von Dr. Adenauer in Rhöndorf kam am Sonntag nachmittag zu der Auffassung, daß die Wahlen nicht nur ein eindrucksvolles Bekenntnis zu den Grundlinien der christlich-demokratischen Gesellschaftsauffassung, sondern auch eine eindeutige Bejahung der sozialen Marktwirtschaft im Gegensatz zur sozialistischen Planwirtschaft erbracht haben. Es besteht daher die Verpflichtung, diese Gesamtpolitik fortzusetzen und daraus bei der Bildung der Bundesregierung die klaren Konsequenzen zu ziehen.“

Endgültig entschieden wird am 31. August und 1. September. Sowohl beim Treffen der Landesvorsitzenden, Ministerpräsidenten, Minister und Landtagspräsidenten der CDU/CSU in den Westzonen als auch im Rahmen der konstituierenden Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verstummen die Befürworter einer großen Koalition. Die Fraktion benennt Adenauer als Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers und beauftragt den Fraktionsvorstand, die Verhandlungen mit der FDP fortzuführen.

Die Gespräche ziehen sich in die Länge. Noch am Vormittag des 15. September versucht die FDP in ihrem Sinne die Ressortzuweisungen der Bundesministerien zu verändern. In der Fraktionssitzung um 9.30 Uhr ergibt der Namensaufruf drei fehlende Fraktionsmitglieder. Erste Zeichen der Unruhe bei Adenauer: Sollen noch die beiden südschleswigschen Abgeordneten und die Bayernpartei gewonnen werden? Sollte Adenauers Strategie nicht aufgehen? Fast hätte der ersten Abstimmung über den Bundeskanzler eine zweite folgen müssen.

 

Eine Stimme, drei Stimmen, 202 Stimmen

11 Uhr.  Der Wahlgang startet. Im Ältestenrat waren Verabredungen zum Wahlmodus getroffen worden: Die Stimmabgabe erfolgt durch das geschriebene Wort „Ja“ oder „Nein“ bzw. bei Stimmenthaltung durch die Abgabe eines leeren Stimmzettels. In der Urne finden die Auszähler jedoch drei Stimmzettel mit dem Namen „Adenauer“ – Zustimmungen oder Enthaltungen? Bundestagspräsident Köhler lässt vor Verkündung des Ergebnisses diese Frage klären. Das Plenum einigt sich unter zustimmendem Gemurmel darauf, diese „Adenauer-Stimmen“ dem Kandidaten zuzusprechen. Hätten die Abgeordneten auch so gelassen reagiert, wenn sie das dann verkündete Ergebnis gekannt hätten? 202 Ja- und 142 Nein-Stimmen, 44 Enthaltungen, eine ungültige Stimme. Absolutes Minimum für die Kanzlermehrheit, aber eben auch absolute Mehrheit der 402 Mitglieder des Bundestags. Adenauer ist Kanzler,  „Gründungskanzler“ der Bundesrepublik Deutschland, wie es später heißt.

Die rheinische Gelassenheit behält wieder einmal Recht. „Et hett noch immer jut jejange!“ sagt der in Köln geborene Adenauer nach der Ergebnisverkündung zu seinem neben ihm sitzenden Freund Robert Pferdmenges. Dass es knapp war, ist im Gedächtnis geblieben. Doch fokussiert sich das Zittern nicht auf die drei fraglichen Stimmen, sondern auf eine einzige, Adenauers eigene Stimme. Die Kanzlerstimme. Der Kanzler selbst schreibt dazu in seinen Erinnerungen: „Ich wurde im ersten Wahlgang von der absoluten Mehrheit aller Mitglieder des Bundestages, und zwar mit einer Stimme Mehrheit gewählt. Später fragte man mich, ob ich mich selbst gewählt hätte. Ich antwortete: Selbstverständlich, etwas anderes wäre mir doch als Heuchelei vorgekommen.“

 

Kanzlerdemokratie

Auf Adenauer warten nun weitere große Aufgaben: Eine wenige Jahre zuvor noch totalitär beherrschte Gesellschaft muss auf dem Weg in die Demokratie mitgenommen werden. In dieser Zeit des Übergangs und der Neuorientierung ist Konrad Adenauer unangefochtene Führungspersönlichkeit. Seine innen- und außenpolitischen Leitlinien wirken bis heute nach.

Bewährte Entscheidungsstrukturen sind noch nicht vorhanden; die Institutionen des Verfassungssystems müssen sich erst etablieren. Der Gründungskanzler nutzt die Spielräume des Grundgesetzes und setzt die Kanzlerdemokratie in Verfassungswirklichkeit um. Die Gewichtsverteilungen zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung, zwischen dem Bundeskanzler und dem Kabinett werden austariert.

Die starke Rolle Adenauers verhindert nicht die Entfaltung der Demokratie, gibt der Bundesrepublik vielmehr Richtung und Dynamik: Eine eindeutige Machtverteilung zwischen Regierung und Opposition, ein starker Kanzler, der die im Grundgesetz zugewiesene Richtlinienkompetenz mit klaren Inhalten und Anweisungen im Kabinett und Bundestag durchsetzt. Adenauer führt die Bundesrepublik zusammen mit seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard in die Soziale Marktwirtschaft, lenkt sie in das westliche Werte- und Bündnissystem, nach Europa, in die NATO, schafft die Aussöhnung mit Frankreich und bemüht sich um Wiedergutmachung mit Israel.

Als Adenauer am 15. Oktober 1963 nach vierzehn Jahren aus dem Amt scheidet, stehen demokratische Stabilität, wirtschaftlicher Wohlstand und außenpolitische Verlässlichkeit in der Leistungsbilanz des ersten Bundeskanzlers.

 

 

Literaturhinweise:

  • Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945–1953, Stuttgart 1965.
  • Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949. Bearb. von Udo Wengst. Düsseldorf 1985. (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Vierte Reihe: Deutschland seit 1945; 3).
  • Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952. Stuttgart 1986.

 

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