Angebot der Regierung Kohl
Bereits wenige Tage vor dem Treffen von Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow im Dezember 1989 in Dresden waren im Kreise von Kohl, Wolfgang Schäuble, Rudolf Seiters, Horst Teltschik, Rupert Scholz und einigen anderen Mitarbeitern des Kanzleramts erstmals Gedanken einer Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR diskutiert worden, vorwiegend in der Absicht, die Übersiedlerzahlen einzudämmen. In den Wochen über Weihnachten und Neujahr verfestigten sich die Überlegungen.
Wollte die Bundesregierung die Abwanderung der Menschen aus der DDR zur D-Mark in die Bundesrepublik verhindern, bestand aus Sicht des Kanzlers nur die Möglichkeit, in einem radikalen Schritt die D-Mark in der DDR einzuführen. Im Mittelpunkt der Überlegungen stand der wirtschaftliche Neuaufbau der DDR. Im Januar 1990 wurden im Bundesfinanzministerium Pläne für das Angebot einer Wirtschafts- und Währungsunion an die DDR ausgearbeitet. Es sollte den Übersiedlerstrom unter Kontrolle bringen und den Leuten in der DDR das Zeichen geben, es lohne sich nicht, die Heimat zu verlassen. Auf die DDR-Regierung wurde damit gleichzeitig Entscheidungsdruck ausgeübt. Die Wirtschafts- und Währungsunion war zudem ein erster Schritt zur Entwicklung konföderativer Strukturen in der Perspektive der Einheit. Und schließlich beantwortete die Regierung damit die Forderung der SPD, Maßnahmen zu ergreifen.
Der am 7. Februar 1990 konstituierte Kabinettsausschuss Deutsche Einheit diskutierte in Anwesenheit der Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und FDP und Bundesbankpräsident Pöhl das Angebot einer Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR und die Bereitstellung benötigter Finanzmittel. Drei Wege standen dazu offen. Nach der so genannten „Krönungstheorie“ wäre ein Währungsverbund erst am Ende dieser Entwicklung geschaffen worden, wenn die DDR-Wirtschaft Anschluss an das Niveau der Bundesrepublik gefunden hätte. Dieser Weg brauchte Zeit. Die Menschen in der DDR aber wollten schnelle Lösungen. Der zweite Weg bestand in einer künstlichen Verklammerung von Mark der DDR und D-Mark, so wie ihn die SPD vorschlug. Damit wäre nach Ansicht der Beamten des Kanzleramtes jedoch die Stabilität der D-Mark aufs Spiel gesetzt worden. Der dritte Weg sah die Einführung der D-Mark als gesetzliches Zahlungsmittel in der DDR vor. Das setzte einen partiellen Souveränitätsverzicht der DDR voraus und bedingte die Festlegung eines Umtauschkurses. Eine Entscheidung darüber war erst nach Kenntnis aller Wirtschaftsdaten der DDR ratsam, über die die Bundesregierung aber bis dahin nicht verfügte. Die Währungsunion war allerdings nur im Zusammenhang mit einer grundlegenden Wirtschaftsreform zu bewerkstelligen – also einem direkten Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft.
Aufnahme der Verhandlungen
Unmittelbar nach dem Besuch Hans Modrows in Bonn Mitte Februar 1990 nahmen Staatssekretär Horst Köhler vom Bundesfinanzministerium unter Mitwirkung des Vizepräsidenten der Bundesbank, Helmut Schlesinger, und DDR-Finanzminister Walter Romberg die vorgesehenen Expertengespräche über die Wirtschaftslage der DDR auf. Dabei stellte sich auf Seiten der Bundesregierung eine erste Ernüchterung über das tatsächliche Potential der angeblich weltweit achtstärksten Volkswirtschaft heraus.
Die Wirtschaftsdaten der DDR waren weit ungünstiger, als dies die Bundesregierung zuvor angenommen hatte. Auf absehbare Zeit würde der Finanzbedarf wachsen, darüber war sich das Bundesfinanzministerium recht schnell im Klaren. Hauptfaktoren waren die niedrige Produktivität der Industrie und in der Landwirtschaft, die hohe Verschuldung der Staatsbetriebe und des Wohnungswesens und die weit größere Verschuldung im Ausland, als man es erwartet hatte. Gleichwohl bekannten sich die Experten in dem am 14. März einvernehmlich verabschiedeten Zwischenbericht zur Schaffung einer „Währungsunion und Wirtschaftsgemeinschaft, gestützt durch einen Sozialverbund“, die sie als „entscheidenden Schritt zur deutschen Einheit“ verstanden. Die zügige Realisierung werde machbar sein, wenn auf beiden Seiten der politische Wille vorhanden sei. Der Zeitpunkt unterliege der politischen Entscheidung.
Für die Bundesregierung gab es zunächst einmal keinen Grund, jenen skeptischen Stimmen in der Öffentlichkeit Gehör zu schenken, die davor warnten, die Bundesrepublik sei für das Unternehmen Wirtschafts- und Währungsunion nicht gerüstet. Seit mehr als sieben Jahren wuchs die bundesdeutsche Wirtschaft mit zunehmender Dynamik. Die Wachstumserwartungen für die Jahre 1990 und 1991 lagen zwischen 3,5 und 4 v. H., der Investitionsmotor lief auf vollen Touren.
Bundeskanzler Helmut Kohl ging es darum, vor den am 6. Mai 1990 stattfindenden Kommunalwahlen in der DDR ein Verhandlungsergebnis vorliegen zu haben. Die Beratungen sollten bis zum 1. Mai weitgehend abgeschlossen sein und ein positives Signal setzen.
Strittige Vertragspunkte
Ausgangspunkt des Vertragsinhalts war die Annahme, die staatliche Einheit Deutschlands würde in absehbarer Zeit nach Artikel 23 Grundgesetz vollendet und die Währungsunion, Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft stelle dazu den ersten Schritt dar. Somit blieben die in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zu lösenden Fragen bewusst ausgeklammert. Zweck des Vertrages war die Schaffung eines einheitlichen deutschen Währungsgebietes mit der Deutschen Bundesbank als Währungs- und Notenbank. Grundlage der angestrebten Wirtschaftsgemeinschaft, ergänzt durch die Sozialunion, war die Errichtung einer gemeinsamen Wirtschaftsordnung beider Vertragsstaaten auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft.
Die DDR sollte sich in diesem Zusammenhang zur Änderung, Ergänzung oder Übernahme umfangreicher Gesetze verpflichten.
Verschiedene Punkte waren allerdings noch offen, weil darüber unter den Ressorts kein Einvernehmen herzustellen war. Dazu gehörten so wichtige Fragen wie die Festlegung der Umstellungsmodalitäten für laufende Zahlungen und für Bestände an Bargeld, Sparguthaben und Verbindlichkeiten, die Klärung der Eigentumsfragen, aber auch Fragen, die für die Bundesrepublik mit hohen finanziellen Anschubfinanzierungen bzw. Sozialleistungen verbunden waren, wie zum Beispiel der Leistungsumfang und die Höhe des Leistungsniveaus in den Sozialversicherungssystemen, die Höhe der Sozialhilfe, die Einbeziehung von Arbeitsförderungsmaßnahmen in die Sozialversicherung, Lohnfortzahlungsregelungen und die Mitfinanzierung durch die bundesdeutsche Rentenversicherung.
Umstritten war vor allem die Eigentumsfrage. Nach der Erklärung der Regierung Hans Modrow vom 1. März hatte das Bundesministerium der Justiz angeregt, von einer formalen Beantwortung des Schreibens abzusehen. Um dem Eindruck einer widerspruchslosen Hinnahme entgegenzuwirken, beabsichtigte die Bundesregierung, in der nächsten Sitzung der inzwischen gebildeten Expertengruppe „Klärung offener Vermögensfragen“ am 29./30. März die DDR-Vertreter auf diese Problematik anzusprechen.
In einer am 27. März 1990 von der Nachrichtenagentur TASS verbreiteten Erklärung sprach sich die sowjetische Regierung „gegen die Versuche, die Vermögensverhältnisse in der DDR im Falle der Bildung der Währungs- und Wirtschaftsunion“ sowie „im Falle des Entstehens des einheitlichen Deutschlands in Frage zu stellen“ aus. Das setze voraus, hieß es weiter, im Wiedervereinigungsprozess gingen beide deutsche Staaten davon aus, „dass die 1945 bis 1949 von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland verwirklichten Wirtschaftsmaßnahmen gesetzmäßig waren“.
Strittig war zudem die Frage des Umtauschkurses, der zugleich eine Wertbemessung der Güter in der DDR bedeutete. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm wies den Kanzler bereits am 27. März darauf hin, seiner Einschätzung nach müsse die Umstellung im Verhältnis 1:1 erfolgen, weil ansonsten tiefgreifende soziale Veränderungen und destabilisierende Wirkungen zu befürchten seien. Zusätzlich angeheizt wurde die öffentliche Diskussion, als die Presse über die Stellungnahme des Zentralbankrates, die Präsident Karl Otto Pöhl am 30. März dem Bundeskanzler übersendet hat, berichtete. In der Entschließung sprach sich der Zentralbankrat für eine generelle Umstellung aller Schuldverhältnisse im Verhältnis 2:1 aus, mit Ausnahme von Sparguthaben bis 2.000 Mark je Einwohner in der DDR. Das bedeutete für Rentner und Sparer eine reale Aufwertung ihrer Ersparnisse.
Angesichts der Wahlkampfversprechen löste das Bekanntwerden dieser Vorschläge eine Welle des Protestes bei der Bevölkerung in der DDR aus. Vom „Wortbruch“ war sogar die Rede. Überwiegend lehnten die Parteien dort den Vorschlag der Bundesbank ab und forderten ein Umtauschverhältnis von 1:1. Der Bundeskanzler verständigte sich in einem Telefonat mit dem designierten Ministerpräsidenten Lothar de Maizière zunächst darauf, dass noch keine endgültige Entscheidung über den Umtauschkurs getroffen worden sei. Die Modalitäten sollten in Verhandlungen der beiden deutschen Regierungen festgelegt werden. Helmut Kohl bestritt in der Öffentlichkeit nicht zu Unrecht die Festlegung auf einen Umtauschkurs, während de Maizière das Konzept der Bundesbank zurückwies.
Schnelles Verhandlungstempo
Nun drückte der Kanzler weiter auf das Verhandlungstempo. Am 5. April besprach er mit Theo Waigel, Helmut Haussmann, Norbert Blüm, Rudolf Seiters, Helmut Schlesinger und Hans Tietmeyer die Leitlinien über den Entwurf eines Staatsvertrages. Tietmeyer wollte zwei Ziele vertraglich fixieren: zum einen die erforderlichen währungspolitischen Maßnahmen, wie das Umtauschverfahren der Mark der DDR in D-Mark, die Festlegung der Modalitäten zur Währungsumstellung und die Regelung künftiger Befugnisse der Bundesbank; zum anderen möglichst unzweideutige Regelungen für die neue Wirtschaftsordnung der DDR. Dabei ging es um die Übernahme der in der Bundesrepublik geltenden Gesetze, wozu auch – unter Rückgriff auf die Praxis Ludwig Erhards im Jahre 1948 – das vom Bundeswirtschaftsministerium befürwortete Leitsätzegesetz zählte.
Am 7. April erhöhte Kohl den Entscheidungsdruck mit seiner Ankündigung während eines Interviews, noch vor Urlaubsbeginn solle am 1. Juli die D-Mark in der DDR eingeführt werden. Abgefedert wurde das Vorgehen durch ein Gespräch Hans Tietmeyers und Johannes Ludewigs mit Kommissionspräsident Jacques Delors am 9. April in Brüssel, der seine Unterstützung bei der Angleichung des Gemeinschaftsrechts und der EG-Politik in Bezug auf die DDR zusagte.
Der Koalitionsvertrag sah als Termin für das Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion den 1. Juli 1990 vor. Gefordert wurde die Umstellung des Kurses im Verhältnis 1:1, die Umbewertung der Inlandsschulden und in der Übergangsphase einen innerdeutschen Finanzausgleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR, um die Finanzierung des Staatshaushaltes der DDR „bis zum vollen Greifen der Marktwirtschaft“ sicherzustellen. Eine weitere Forderung war die nach der gleichberechtigten Vertretung der Länder der DDR im Zentralbankrat. Zu den regelungsbedürftigen Punkten im Staatsvertrag, die in einem Anhang zum Koalitionsvertrag festgelegt wurden, zählte die „Anerkennung der Eigentumsformen, einschließlich der Bodenreform und der anderen durch die Siegermächte festgelegten Enteignungen“. Die Regierung wollte also die Enteignungen und die Bodenreform aufgrund der Entscheidungen der sowjetischen Besatzungsmacht zwischen 1945 und 1949 festschreiben. Volksvermögen sollte über eine Treuhandgesellschaft, die der Volkskammer verantwortlich war, entflechtet, verwaltet und privatisiert werden.
Zähe Sachgespräche
Die Sachgespräche über die Wirtschafts- und Währungsunion begannen dann am 14. April. Zwei Tage nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen versuchten Hans Tietmeyer und Johannes Ludewig bei einem Treffen in Ost-Berlin Lothar de Maizière, Klaus Reichenbach und Günther Krause von ihrer angestrebten Umstellung der Geldbestände im Verhältnis 1:1 abzubringen. Tietmeyers Argumentation, diese Relation führe zu einer Aufblähung der Geldmenge und mache extrem hohe Ausgleichsforderungen an den Staat erforderlich, fand bei den Gesprächspartnern Verständnis, zumal zur gleichen Zeit ein weitgehender Erlass der Betriebskredite nicht in Frage kam. Am Ende der Unterredung verspürte er vor allem bei Günther Krause, einem gelernten Wirtschaftsmathematiker, eine gewisse Nachdenklichkeit.
Am 22. April berichtete Hans Tietmeyer in einer Gesprächsrunde mit Mitgliedern des Kabinetts und der Bundesbank unter Vorsitz Helmut Kohls über die Grundzüge des Entwurfs für den Staatsvertrag mit der DDR, bevor am nächsten Tag die Spitzen der Koalition und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Angebot billigten. Die Bundesregierung wollte der Regierung in Ost-Berlin vorschlagen, Löhne und Gehälter in der DDR im Verhältnis 1:1 umzustellen. Sparguthaben und Bargeld sollten bis zu 4.000 DM im Verhältnis 1:1, darüber hinaus im Verhältnis 1:2 ab dem 2. Juli 1990 umgetauscht werden.
Hans Tietmeyer und Wolfgang Schäuble verdeutlichten am 23. April de Maizière und seinen Mitarbeitern die Konsequenzen der Wirtschafts- und Währungsunion für die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Wirtschaft und übergaben das Arbeitspapier über die Vertragsgrundzüge. Vier zentrale Punkte wurden darin festgeschrieben: die Herstellung der deutschen Einheit über Artikel 23 Grundgesetz, die innere Abhängigkeit zwischen der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion und den Verhandlungen im Rahmen der Zwei plus Vier, die Einführung der sozialen Marktwirtschaft und die Ausweitung der Rechte der EG auf das Gebiet der DDR.
In den bisherigen Beratungen über den Staatsvertrag hatte sich schon gezeigt, dass die Wirtschafts- und Währungsunion der erste bedeutsame Schritt zur Einheit Deutschlands über Artikel 23 Grundgesetz war. Kontroversen in der Vertragsverhandlungen drehten sich vor allem um die Bestimmungen über die Währungsunion und die Währungsumstellung, die außenwirtschaftlichen Beziehungen zum RGW, Strukturanpassungen der Unternehmen und die finanzwirtschaftlichen Fragen, die Anpassung des Rentensystems in der DDR und die dafür vorhandenen Möglichkeiten der Finanzierung sowie um Eigentumsfragen.
Streit über den Umtauschkurs
Helmut Schlesinger und Hans Tietmeyer setzten sich in internen Gesprächen, bei dem die Staatssekretäre der Bundesministerien für Finanzen, für Wirtschaft und für Arbeit sowie Ministerialrat Johannes Ludewig vom Kanzleramt vertreten waren, für einen Umstellungskurs im Verhältnis 2:1 ein, wie sie der Zentralbankrat vorgeschlagen hatte. Angesichts der Widerstände der DDR-Regierung hielten die Beteiligten eine andere Umstellung als in der Relation 1:1 für politisch nicht durchsetzbar. Überzeugendes Argument Tietmeyers gegenüber Krause war der von DDR-Seite anerkannte Grundsatz, die Stabilität der D-Mark dürfe durch die auszuhandelnden Vereinbarungen nicht gefährdet werden. Nach zahlreichen Besprechungen kristallisierte sich in der dritten Verhandlungsrunde am 30. April eine Lösung heraus, über die in der Koalitionsrunde in Bonn am 1. Mai verhandelt und endlich der Durchbruch über die Währungsumstellung erzielt wurde. Die Umstellung der Geldbestände und Forderungen sollte im Verhältnis 2:1 erfolgen. Für die von der DDR je Einzelperson verlangten Beträge für die Umstellung von Bargeld- und Bankguthaben im Verhältnis 1:1 wurde eine je nach Lebensalter abgestufte Regelung von 2.000 DM bis zu 6.000 DM vereinbart.
Verschiedentlich war bei internen Besprechungen schon die Frage aufgetaucht, inwieweit die zwischen 1945 und 1949 im Zuge der Bodenreform und aufgrund anderer Weisungen von der sowjetischen Besatzungsmacht verfügten Enteignungen in ihrer Besatzungszone rückgängig gemacht werden sollten oder konnten. Dazu gab es am 28. April, einen Tag vor dem Besuch Lothar de Maizières in Moskau, ein eindeutiges Signal. Im sowjetischen Außenministerium wurde Botschafter Klaus Blech ein Aide-mémoire zu dem Arbeitspapier für die Gespräche mit der DDR über eine Wirtschafts- und Währungsunion ausgehändigt. Eduard Schewardnadse persönlich übergab am nächsten Tag DDR-Außenminister Markus Meckel das fast gleichlautende Memorandum. Es zeigte den Rahmen auf, in dem nach sowjetischer Vorstellung die Vermögens- und Bodenfragen zu regeln waren. „Nichts soll im Vertragsentwurf zwischen der BRD und der DDR“, so hieß es wörtlich, „Veranlassung geben, die Legitimität der Maßnahmen und Beschlüsse in Frage zu stellen, die in den Fragen der Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung von den Vier Mächten gemeinsam oder von ihnen jeweils in ihren ehemaligen Besatzungszonen ergriffen wurden“. Und dann kam der aus Sicht der Bundesregierung entscheidende Satz: „Die Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse, insbesondere zu den Vermögens- und Bodenfragen, unterliegt keiner Neuüberprüfung oder Neubewertung durch die deutschen Gerichte oder anderen deutschen Staatsorgane“. Das betreffe auch „diejenigen Verpflichtungen, die die DDR zur Änderung ihrer Verfassung und der Gesetze über das sozialistische Eigentum in Stadt und Land übernehmen soll“.
Hinter der Frage des Währungsumtauschkurses offenbarte sich noch ein weiteres Problem. Die DDR wickelte ihre Außenhandelsgeschäfte mit dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe auf der Grundlage von Transferrubeln ab. So stellte sich für die Sowjets die Frage, zu welchen Umtauschrelationen die Transferrubel demnächst in D-Mark bewertet werden sollten.
Die Vermögens- und Eigentumsfrage
Für die Lösung der Vermögens- und Eigentumsfrage wurden zunächst zwei Modelle in Aussicht genommen. Eine einseitige Erklärung der DDR hinsichtlich gewerblicher Investitionen, die sofort ermöglicht werden sollten, was allerdings eine Änderung des Koalitionsvertrages bedeuten würde, oder eine gemeinsame Erklärung zu den offenen Vermögensfragen. Die FDP neigte zur Verschiebung der Entscheidung und wollte eine endgültige Regelung über die Entschädigungsfrage dem gesamtdeutschen Parlament übertragen, da sich immer deutlicher die katastrophale Finanzlage der DDR abzeichnete. Man rechnete damit, dass sich das Haushaltsdefizit der DDR im zweiten Halbjahr 1990 auf etwa 44 Milliarden DM und im Haushaltsjahr 1991 auf rund 75 Milliarden DM belaufen würde.
Über die konkrete Lösung des Problems, mit dem zunächst Klaus Kinkel und Günther Krause beauftragt wurden, entspannte sich in der Regierungskoalition in Bonn ein heftiger Streit. Otto Graf Lambsdorff wandte sich strikt gegen die Absicht, Enteignungen aus der Zeit zwischen 1945 und 1949 nicht mehr rückgängig zu machen. Und auch in Reihen der CDU und CSU fanden sich viele Befürworter dieser Haltung.
In einem Anhang zum Staatsvertrag verpflichtete sich die DDR nur, Eigentum privater Investoren an Grund und Boden für Investitionen zur Arbeitsplatzbeschaffung zu genehmigen. Folglich blieb die eigentlich heikle Frage, ob Entschädigung oder Rückgabe Vorrang genießen sollte, weiter ungeklärt und damit auch die Frage der Höhe der möglichen Entschädigungen.
Die Regelung hing vor allem mit der Frage nach den Kosten der Einheit zusammen, über die in der Öffentlichkeit spätestens seit dem Angebot des Kanzlers diskutiert wurde. Herrschte anfangs die Einschätzung vor, die Finanzierung der Einheit lasse sich ohne Erhöhung von Steuerabgaben und Schaden für den Kapitalmarkt bewerkstelligen, so zeigte sich ab März, dass viel höhere Kosten auf die Bundesregierung zukommen würden als gedacht. Verschiedene Gründe wurden für den höheren Finanzbedarf angegeben: Zum einen die schnelle Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Juli 1990. Sie bedingte die vollständige Beseitigung der planwirtschaftlichen Unternehmensführung, die eine hauptsächliche Einnahmequelle für den DDR-Staatshaushalt darstellte. Zum anderen dauerte der Neuaufbau der Finanzverwaltung voraussichtlich länger und es würde Zeit brauchen, bis ein funktionierendes Steuersystem nach bundesdeutschem Vorbild eingeführt sein würde.
Beteiligung der Länder und Gemeinden
Auf bundesdeutscher Seite stellte sich die Frage, wie der Bund die Länder und Gemeinden an den Finanzlasten beteiligen könne, wiewohl die Bundesregierung die Länder eigentlich aus den Verhandlungen heraushalten will. In der Besprechung der Chefs der Staats- und Senatskanzleien mit dem Chef des Bundeskanzleramtes am 26. April berichtete Hans Tietmeyer allgemein über die Grundzüge des vorgesehenen Vertrages. Das Bundeskanzleramt kam somit der Forderung der Länder nach eingehender Unterrichtung nach.
Die Länderfinanzminister hatten bereits am 20. April die Beteiligung der Länder an der finanziellen Unterstützung der DDR „als gesamtstaatliche Aufgabe“ im Zuge der bundesstaatlichen Solidaritätspflicht grundsätzlich anerkannt. Auch waren sie damit einverstanden, die von Bund und Ländern zu tragenden „DDR-Lasten“ bei der Umsatzsteuerverteilung ab 1991 einzukalkulieren. Doch lehnten sie eine Berücksichtigung für das laufenden Jahr unter Berufung auf dann erforderliche Nachtragshaushalte in den Landesparlamenten überwiegend ab. Den von Bundesfinanzminister Theo Waigel vertretenen Ansatz, die Länder über eine zeitweise Abtretung zweckgebundener Umsatzsteuerpunkte an den Bund ab 1991 an den Kosten zu beteiligen, wiesen die Länder nicht rundweg zurück. Doch wollten sie weit unter den vorgesehenen Beiträgen bleiben. Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland befürworteten eine vom Bundeshaushalt separierte Fondslösung und wollten darüber ihre Beteiligung an den Entscheidungen über die Verwendung der Gelder in der DDR durchsetzen. Zudem strebten die SPD-geführten Länder Hamburg und das Saarland mit der Lastenteilung zugleich eine Neugestaltung der Finanzverfassung bzw. des Länderfinanzausgleichs an oder sie koppeln daran eine Einschränkung der Mischfinanzierung, wie dies Hessen beabsichtigte. Baden-Württemberg und Hessen forderten nachdrücklich die Abschaffung bzw. Umgestaltung der Strukturhilfe. Schließlich gingen alle Länder von dem Grundsatz aus, der Lastenverteilung werde ein bereinigter Saldo nach Abzug aller von Seiten des Bundes möglicher Einsparungen zugrunde gelegt.
Am 30. April fordert Staatssekretär Wolfgang Clement in einem Schreiben an Bundesminister Rudolf Seiters nochmals, dass die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der DDR „unter Beteiligung der in der Sache federführenden Fachministerkonferenzen vorbereitet und durchgeführt“ werden sollten. Außerdem sollten an den Verhandlungen zwei Ländervertreter teilnehmen.
Kompromisse
Am 16. Mai erzielten der Kanzler und die Regierungschefs der Länder in den wichtigsten Finanzierungsfragen Einigkeit. Auf ihrer Konferenz waren die Finanzminister übereingekommen, einen Fonds Deutsche Einheit ins Leben zu rufen, der die Haushaltsdefizite der DDR auf Bund, Länder und Gemeinden angemessen verteilen sollte. Ab 1995 sollte ein neues bundesstaatliches Ausgleichssystem geschaffen werden unter Berücksichtigung der Steuerkraft, der Finanzkraft und der Verschuldung der einzelnen Länder. Die Regierungschefs achteten jedoch streng darauf, wie Ministerpräsident Johannes Rau darlegte, dass die Kreditaufnahme und die folglich steigenden Zinsen und Einsparungen des Bundes nicht zu Lasten der Länder erhöht werden sollten. Berlin wurde sowieso wegen der besonderen Beziehungen von Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Bund freigestellt.
Zunächst sollte der Fonds Deutsche Einheit eine Laufzeit von viereinhalb Jahren haben und Beiträge von insgesamt 115 Milliarden DM für die Jahre 1990 bis 1994 vorsehen. Der Bund übernahm davon 20 Milliarden DM aus Einsparungen, 85 Milliarden DM kamen durch Nettokreditaufnahme zusammen. Die Lasten wurden zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 50:50 verteilt. Die Neuregelung wurde zum Stichtag 1. Januar 1995 in Aussicht genommen. Wichtig für die Länder war, dass die Umsatzsteuerverteilung bis 1992 unverändert blieb.
Kurz vor Unterzeichnung des Staatsvertrages gab es im Wesentlichen noch vier Fragen zu klären: die Eigentumsfragen mit den offenen Vermögensfragen, die Einbeziehung des Umweltschutzes, hier insbesondere die Übernahme bundesdeutschen Umweltrechts auf die DDR, Kreditaufnahme und Schulden der DDR sowie die Aufteilung der Schulden durch ein Treuhandvermögen, da die verbleibende Verschuldung zur Hälfte auf den Bund und auf die sich in der DDR neu bildenden Ländern aufgeteilt werden sollte.
Am 18. Mai unterzeichneten Bundesfinanzminister Theo Waigel und DDR-Finanzminister Walter Romberg im alten Kabinettsaal des Palais Schaumburg in Bonn den Staatsvertrag.
Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR trat dann am 1. Juli 1990 in Kraft. Damit wurde die D-Mark in der DDR eingeführt und die erste wichtige Etappe der inneren Wiedervereinigung erreicht.
Literaturhinweis:
Küsters, Prof. Hanns Jürgen: Das Ringen um die deutsche Einheit. Die Regierung Helmut Kohl im Brennpunkt der Entscheidungen 1989/90. Freiburg/Br.–Basel–Wien 2009.