Die schwierige Suche der CDU (West) nach einem Partner
Die Selbstbefreiung der CDU der DDR aus ihrem Dasein als der SED untergeordnete Blockpartei war ein Teilaspekt der Friedlichen Revolution in der DDR. Ausgelöst durch den „Brief aus Weimar“ vom September 1989 führte die Emanzipation der Basis von ihrer SED-hörigen Parteiführung um Gerald Götting schließlich zur Wahl Lothar de Maizières zum neuen Parteivorsitzenden und zum Austritt aus dem „Demokratischen Block“. Bei einem Sonderparteitag im Dezember 1989 wurde eine innerparteiliche Demokratisierung beschlossen und die Delegierten bekannten sich zu einer „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“ sowie zur deutschen Einheit. Diese Entwicklung stellte jedoch auch die CDU in der Bundesrepublik unter ihrem Parteivorsitzenden Helmut Kohl vor die Frage, wie man mit der gleichnamigen DDR-Partei umgehen sollte, mit der man seit 1948 keinerlei offiziellen Kontakt mehr gepflegt hatte. Dies war gerade auch vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass der Zentrale Runde Tisch am 7. Dezember 1989 den 6. Mai 1990 als Termin für die erste freie Volkskammerwahl festgelegt hatte. In der CDU-Parteizentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus in Bonn, machte man sich nun Gedanken darüber, welchen Partner man dabei unterstützen wollte.
Innerhalb der Union gab es zwei grundsätzlich unterschiedliche Positionen. Der Landesverband Hessen unter Ministerpräsident Walter Wallmann, der bereits im Herbst 1989 erste Kontakte nach Thüringen geknüpft hatte, die West-Berliner CDU und die Exil-CDU sprachen sich eindeutig für eine Kontaktaufnahme mit reformbereiten Kräften in der CDU der DDR aus, die besonders an der Basis immer präsent gewesen seien. Auf ihrer Sitzung am 18. Dezember 1989 stimmte auch die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz einer Kooperation mit der CDU der DDR zu. Generalsekretär Volker Rühe lehnte dagegen jede Form der Zusammenarbeit mit der bisherigen Blockpartei strikt ab, da er längerfristig negative Folgen solcher Kontakte für das Ansehen der CDU befürchtete. Kohl blieb insgesamt ebenfalls zurückhaltend, zumal sich eine weitere Option anbot.
Mitte Dezember 1989 hatte sich die Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch“ (DA) unter dem Rostocker Rechtsanwalt Wolfgang Schnur in Leipzig als Partei konstituiert und ein Programm verabschiedet, das sich ebenfalls zur Sozialen Marktwirtschaft und der Herstellung eines wiedervereinigten Deutschlands bekannte. Bereits bei einer Sitzung des CDU-Bundesausschusses am 11. Dezember 1989 in Berlin waren neben Vertretern der CDU der DDR auch Abgesandte des DA vertreten. Ein Problem des DA war jedoch, dass Parteistrukturen erst mühsam hätten aufgebaut werden müssen. Angesichts der knappen Zeit bis zur Volkskammerwahl war dies eine überaus ambitionierte Aufgabe. Dagegen besaß die CDU der DDR ein vorhandenes Organisationsgefüge, das man ohne Schwierigkeiten für den Wahlkampf nutzen konnte.
Nachdem die Landesverbände der westdeutschen CDU am 10. Januar eine Aufteilung der regionalen Zuständigkeiten zur Unterstützung des bevorstehenden Wahlkampfes beschlossen hatten, verstärkte sich Anfang 1990 der Druck auf den Parteivorsitzenden, eine Entscheidung zu treffen. Kohl selbst war davon überzeugt, dass die ehemalige Blockpartei bei einer freien Wahl, die von vielen als Abrechnung mit den ehemals herrschenden Kräften genutzt werden könnte, kein gutes Ergebnis erzielen würde. Hinzu kam eine weitere Belastung, nämlich die Beteiligung der CDU der DDR an der Regierung von Hans Modrow (SED-PDS), in der de Maizière stellvertretender Ministerpräsident war. Kohl sah diese Zusammenarbeit zwischen CDU und SED als einen fundamentalen Fehler an, durch den die Herrschaft der alten Kader nur weiter verlängert würde und er forderte de Maizière öffentlich dazu auf, in die Opposition zu gehen. De Maizière hingegen verteidigte seine Entscheidung zur Zusammenarbeit mit der Begründung, dass die CDU sich aufgrund ihrer Mitverantwortung für die gegenwärtigen Zustände in der DDR nicht abseits stellen könne und dass ein Chaos ausbrechen würde, wenn die CDU und danach wohl auch die anderen Parteien die Regierung verlassen würden. Allerdings teilten innerhalb der CDU der DDR nicht alle diese Auffassung.
Die beharrliche Weigerung verschiedener Oppositionsgruppen, insbesondere der SPD, in die Regierung einzutreten, ließ dann jedoch auch bei de Maizière die Befürchtung aufkommen, dass die CDU bei den Wahlen als ein Anhängsel der SED-PDS angesehen werden könnte. Daher drohte er, dass die CDU die Regierung verlassen würde, wenn die Opposition nicht endlich auch Verantwortung übernähme. Am 29. Januar 1990 konnte in schwierigen Gesprächen am Zentralen Runden Tisch schließlich eine Einigung erzielt werden. Modrow bildete eine neue „Regierung der nationalen Verantwortung“ unter Einschluss der ehemaligen Blockparteien und der bisherigen Opposition, die am 5. Februar von der Volkskammer bestätigt wurde. Im Gegenzug wurde, vor allem auf Betreiben der SPD, der Wahltermin auf den 18. März 1990 vorgezogen. Hintergrund war der überwältigende Wahlsieg Oskar Lafontaines im Saarland und Umfragen, die auf einen Sieg der SPD bei den Volkskammerwahlen hindeuteten, sich allerdings bald als wenig repräsentativ herausstellten. In jedem Fall war damit das größte Hindernis für eine offene Zusammenarbeit von CDU (West) und CDU (Ost) aus dem Weg geräumt.
Die Allianz für Deutschland
Mitte Januar 1990 stellten Helmut Kohl und der CDU-Bundesgeschäftsführer Peter Radunski erste Überlegungen an, eine Sammlungsbewegung nichtsozialistischer Kräfte unter Einschluss der CDU der DDR zu bilden. An ehesten kamen dafür neben dem DA zwei weitere Parteien in Frage: Die Deutsche Soziale Union (DSU) mit ihrem Vorsitzenden Pfarrer Hans-Wilhelm Ebeling, die am 20. Januar in Leipzig gegründet wurde und sich eng an die CSU anlehnte, sowie die Deutsche Forumpartei (DFP), die ihre Wurzeln in der Bürgerbewegung „Neues Forum“ hatte, sich aber erst am 27. Januar in Karl-Marx-Stadt konstituierte. Auf der Sitzung des CDU-Bundesvorstandes am 23. Januar äußerte Kohl seine Überlegungen, ein Wahlbündnis von DSU, DA und DDR-CDU zu bilden. Auf der Sitzung des Präsidiums zwei Tage später wurde beschlossen, für diese drei Parteien eine lose „Allianz der Mitte“ anzustreben, auch gegen weitergehende Vorschläge, einen noch engeren Zusammenschluss unter dem Namen „Demokratische Union Deutschlands“ (DUD) zu erreichen.
Die Vorverlegung des Wahltermins zwang zum Handeln. Während die CDU der DDR dem Vorschlag aus Bonn positiv gegenüberstand und das Präsidium am 30. Januar einen entsprechenden Beschluss fasste, waren Teile von DA und DSU alles andere als glücklich über ein Bündnis mit der ehemaligen Blockpartei, zumal sich im DA auch noch Widerstand gegen eine Beteiligung der DSU regte. Am 1. Februar trafen sich die vier potentiellen Partner erstmals im West-Berliner Gästehaus der Bundesregierung im Beisein von Kohl, Rühe und einigen weiteren Repräsentanten der CDU der Bundesrepublik. Zwei Tage später gab der DA seine reservierte Haltung auf und der Hauptausschuss stimmte mit großer Mehrheit einer „Allianz der Mitte“ selbstständiger Parteien zu. Die Zusage umfangreicher Unterstützungsleistungen finanzieller und politischer Art aus Bonn dürften diesen Entschluss wesentlich beeinflusst haben.
Am 5. Februar wurde die Bildung der „Allianz für Deutschland“ aus CDU, DA und DSU beschlossen. Die Deutsche Forum Partei (DFP), eine Abspaltung des Neuen Forums, entschied sich gegen eine Teilnahme und schloss sich stattdessen einem Bündnis diverser liberaler Parteien an, das von der FDP gefördert wurde. Der Wahlkampf wurde konzeptionell vor allem von Bonn aus geführt und präsentierte Helmut Kohl als „Kanzler der Deutschen“. Die Allianz beschloss einen Wahlaufruf und ein Sofortprogramm unter der Überschrift „Nie wieder Sozialismus“. Die gute Infrastruktur der CDU der DDR war überaus hilfreich für den gemeinsamen Wahlkampf. Dennoch blieben Reibereien unter den Partnern nicht aus, insbesondere DA und DSU fremdelten noch immer mit der ehemaligen Blockpartei CDU. Kohl selbst sah die Zusammenarbeit in der Allianz als „mühsam“ an. Wenige Tage vor der Wahl wurde dem DA ein schwerer Schlag versetzt, als Wolfgang Schnur als „Inoffizieller Mitarbeiter“ der DDR-Staatssicherheit enttarnt wurde und zurücktreten musste. Sein Nachfolger wurde der evangelische Pfarrer Rainer Eppelmann, der der Bildung eines Bündnisses mit der CDU lange kritisch gegenübergestanden hatte.
Dennoch wurde die Wahl am 18. März 1990 zu einem Triumph für die Allianz. Sie erhielt insgesamt 47,79 Prozent der Stimmen, wobei auf die CDU 40,59 Prozent, auf die DSU 6,3 Prozent und den DA 0,9 Prozent entfielen. Von den 400 Sitzen der Volkskammer erhielt die Allianz 193. Die DSU verweigerte sich jedoch einer gemeinsamen Fraktion, die schließlich nur noch aus CDU und DA gebildet wurde. Allerdings fanden die ehemaligen Partner in einer parlamentarischen Arbeitsgemeinschaft zusammen und blieben auf diese Weise weiterhin miteinander verbunden.
Die Bildung der Allianz für Deutschland, die einer langen Vorbereitungszeit bedurft hatte, war ein wesentlicher Schlüssel für den Wahlsieg bei der Volkskammerwahl. Die CDU der DDR profitierte als ehemalige Blockpartei von der Zusammenarbeit mit zwei Parteien der früheren Opposition, gleichzeitig konnten alle beteiligten Parteien die vorhandenen Parteistrukturen der CDU für die Organisation des Wahlkampfs nutzen. Der Erfolg vom 18. März führte zur Wahl Lothar de Maizières zum Ministerpräsidenten und stellte zugleich ein klares Votum der Menschen in der DDR für die rasche Herstellung der deutschen Einheit dar. Am 3. Oktober 1990 war das Ziel erreicht.
Literatur:
- Jäger, Wolfgang / Walter, Michael (Hg.): Die Allianz für Deutschland. CDU, Demokratischer Aufbruch und Deutsche Soziale Union 1989/90, Köln u.a. 1998.
- Küsters, Hanns Jürgen: Die Vereinigung von CDU (Ost) und CDU (West) 1990, in: Historisch-Politische Mitteilungen 18 (2011), S. 167-192.
- Radunski, Peter: Aus der politischen Kulisse. Mein Beruf zur Politik, Berlin u.a. 2014/15.
- Richter, Michael: Die Bildung der Allianz für Deutschland, in: Historisch-Politische Mitteilungen 15 (2008), S. 335-346.
- Teltschik, Horst: 329 Tage. Innenansichten der Einigung, Berlin 1991.
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