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Regierungserklärung Konrad Adenauers: Geburtsstunde der Hallstein-Doktrin

von Kordula Kühlem
Die Hallstein-Doktrin bewirkte bis in die 1970er Jahre die internationale Nichtanerkennung des ostdeutschen Staates bewirken und untermauerte den Alleinvertretungsanspruch Westdeutschlands.

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Bonner Alleinvertretungsanspruch und Nichtanerkennung der DDR

 
„Ich muß unzweideutig feststellen, daß die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch dritte Staaten, mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen würde, (Beifall bei den Regierungsparteien) da er geeignet wäre, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen.“ (Regierungserklärung Adenauers vom 22.09.1955)
 

Diese wenigen Worte in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 22. September 1955 bildeten die Geburtsstunde der später sogenannten Hallstein-Doktrin. Diese sollte bis in die 1970er Jahre die internationale Nichtanerkennung des ostdeutschen Staates bewirken und den Alleinvertretungsanspruch Westdeutschlands untermauern.

 

Vorgeschichte

Diesen Alleinvertretungsanspruch postulierte Konrad Adenauer bereits in seiner ersten Regierungserklärung nach der Wahl zum Bundeskanzler am 21. Oktober 1949: „Die Bundesrepublik Deutschland ist allein befugt, für das deutsche Volk zu sprechen.“ (Regierungserklärung vom 21.10.1949) Die aus den drei westlichen Besatzungszonen entstandene westdeutsche Republik betrachtete sich als einzigen Nachfolgestaat des 1945 besiegten und aufgeteilten Deutschen Reichs, da der aus der Sowjetischen Besatzungszone hervorgegangenen Deutschen Demokratischen Republik trotz ihres Namens die demokratische Legitimation fehlte. Verbunden war dieser Alleinvertretungsanspruch mit einer Nichtanerkennungspolitik gegenüber dem von westlicher Seite als illegitim angesehenen ostdeutschen Staat, was dazu führte, dass die Bundesrepublik Deutschland bereits Mitte der 1950er Jahre zu vielen Staaten der Welt diplomatische Beziehungen unterhielt, während ostdeutsche diplomatische Vertretungen nur in den Hauptstädten kommunistischer Staaten etabliert werden konnten. Dort war Bonn dafür nicht vertreten, so dass es in keinem Staat zwei deutsche Botschafter gab.

Das änderte sich im Zusammenhang mit Adenauers Staatsbesuch in Moskau vom 9. bis 14. September 1955 mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Da die Bonner Regierung Bedenken hatte, dass dieser Schritt Alleinvertretungsanspruch und Nichtanerkennungspolitik in Frage stellen könnte, sah sich Adenauer mit der zitierten Warnung vom 22. September 1955 veranlasst festzulegen, dass diese Situation eine Ausnahme darstelle, da Moskau die Hauptstadt einer der vier ehemaligen Besatzungsmächte sei. Weiterhin würde es die Bundesrepublik aber „als einen unfreundlichen Akt ansehen“, wenn Staaten, mit denen sie diplomatische Beziehungen unterhielte, diese nun auch mit dem östlichen Deutschland aufnehmen würden. Damit handelte er durchaus im Sinne der westlichen Verbündeten, die sowohl eine Aufwertung der DDR als auch eine Aufweichung des streng westlichen Kurses der Bundesrepublik ablehnten.

 

Inhaltliche Ausgestaltung

In den nächsten Monaten bemühten sich die Bonner Diplomaten nun, die Worte des Bundeskanzlers vom 22. September zu präzisieren. Auf der Botschafterkonferenz in Bonn am 8./9. Dezember 1955 stellte Außenminister Heinrich von Brentano ausdrücklich fest, die Bundesrepublik könne nur mit Staaten diplomatische Beziehungen unterhalten, die der DDR diese weiter vorenthalten würden. Gegenmaßnahmen müssten zur Not bis zum Abbruch der Beziehungen reichen und ohne Ausnahme ergriffen werden. „Wenn wir zulassen“, so schwor Brentano die Diplomaten ein, „daß in irgendeinem Land der Grundsatz durchbrochen wird, den wir uns geben, können wir nicht mehr aufhalten, daß er in anderen Fällen auch durchbrochen wird.“ Der Sprecher des Auswärtigen Amts gab als Ergebnis der Botschafterkonferenz dann auch den Anspruch der Bundesregierung an die Presse weiter, „dass jemand, der mit uns diplomatische Beziehungen unterhält, keine diplomatischen Beziehungen zur DDR unterhält“.

Diese Formulierung war für die bundesdeutschen Diplomaten offensichtlich zu deutlich, denn zwei Tage später relativierte Ministerialdirektor Wilhelm Grewe die Presseerklärung in einem Interview im NWDR. Grewe, der auf der Botschafterkonferenz das grundlegende Referat zur „Politik der Nicht-Anerkennung der DDR“ gehalten und darin zu größtmöglicher Flexibilität geraten hatte, betonte als Reaktion auf „unfreundliche Akte anderer Staaten … gibt (es) eine ganze Reihe von Maßnahmen, die noch vor dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen liegen.“ (Interview vom 11.12.1955)

Die Ergebnisse der Botschafterkonferenz fasste schließlich der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Walter Hallstein, am 16. Januar 1956 zusammen. In seinem internen Runderlass an die Botschafter der Bundesrepublik erklärte er die Entschlossenheit der Bundesregierung „die Beziehungen zu solchen Staaten abzubrechen, die die DDR anerkennen“, wobei es sich nicht um eine „Prestigefrage“ handele, sondern um die „Grundlage unserer Politik“. Dieses Dokument gab den Aussagen der vorangegangenen Monate dogmatischen Charakter und durch den Autor des Schriftstücks auch einen Namen: Hallstein-Doktrin.

 

Anwendung

Schon vor der Moskaureise hatte die mögliche Unterhöhlung des Alleinvertretungsanspruchs gedroht, da sich immer mehr Staaten der klaren Aufteilung der Welt in Ost und West widersetzten. Ein Symbol bildete die Konferenz in Bandung im April 1955, auf der sich knapp dreißig blockfreie Staaten, oft ehemalige Kolonien, versammelt hatten. Ein Teilnehmerland, Ägypten, stand von Anfang an unter besonderer Beobachtung der bundesdeutschen Außenpolitik, da eine Anerkennung der DDR durch Kairo durchaus als möglich erachtet wurde. Bonn konnte einen solchen Schritt Anfang 1956 noch einmal verhindern, auch durch finanzielle Unterstützung und Gewährung von Handelsvorteilen. Bereits hier zeigte sich, dass die prinzipielle Verhinderung einer Anerkennung des ostdeutschen Staates Westdeutschland zu einem gewissen Maß erpressbar machte.

Ein Jahr später nutzten jedoch alle Angebote nichts: Jugoslawien, das sich Anfang der 1950er Jahre vom Warschauer Pakt abgewandt und 1953 diplomatische Beziehungen mit Bonn aufgenommen hatte, kündigte im Zuge seiner Wiederannäherung an den Ostblock den Austausch von Botschaftern mit Ost-Berlin an. Die Bundesregierung zog daraus die angekündigten Konsequenzen und brach die Beziehungen zu Belgrad am 19. Oktober 1957 ab; 1963 folgte der Beziehungsabbruch mit Kuba.

Während die westlichen Verbündeten der Bundesrepublik, allen voran die USA, diese Schritte noch guthießen oder sogar unterstützten, wandelte sich in den nächsten Jahren das Klima im Ost-West-Konflikt. Die Amerikaner wollten unter Anerkennung des Status quo die Blockauseinandersetzung entschärfen. Dabei war ihnen die Deutsche Frage zunehmend im Weg. Dies griff die 1966 in Bonn gebildete Große Koalition auf, was auch zu einer Änderung der Haltung zur „Hallstein-Doktrin“ führte. Schon vor seiner Wahl hatte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger im April 1965 öffentlich festgestellt: „Eine Doktrin ist kein Dogma.“ In seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1966 erklärte er dann, Deutschland solle zurückfinden zu einer Politik als „Brücke zwischen West- und Osteuropa“, dafür wäre die Bonner Regierung entschlossen „das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn … zu verbessern und, wo immer dies nach den Umständen möglich ist, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen.“ (Regierungserklärung)

Praktische Anwendung erfuhr diese Ankündigung durch den Austausch diplomatischer Vertretungen mit Rumänien am 31. Januar 1967. Dieser fiel allerdings unter die sogenannte Geburtsfehler-Theorie, die bereits 1955 diskutiert worden war, jetzt aber erst zur Anwendung kam. Diese besagte, dass für Staaten des Ostblocks, die von Anfang, sozusagen von Geburt, an die DDR anerkannt hatten, andere Maßstäbe gelten sollten, als für Staaten, die bereits mit der Bundesrepublik diplomatische Verbindungen pflegten und zusätzlich solche mit der DDR aufnehmen wollten. Genau ein Jahr später, am 31. Januar 1968, erfolgte die Wiederaufnahme der Beziehungen zu Jugoslawien, wo damit ebenfalls zwei deutsche Botschafter akkreditiert waren.

Doch diese diplomatischen Entscheidungen sollten vorerst Einzelfälle und noch kein Signal zu einer Politikänderung sein. Auf die Etablierung ostdeutscher Botschaften in Kambodscha und Südjemen reagierte die Bundesregierung mit dem Einfrieren der diplomatischen Beziehungen, was bald die Bezeichnung „kambodschieren“ erhielt.

Die Akzeptanz der deutschen Zweistaatlichkeit in der Regierungsklärung von Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Oktober 1969 und schließlich die Neue Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung führten zu einer Abwendung von der Politik der Nichtanerkennung. International setzte die gleichberechtigte Teilnahme des ostdeutschen Staates am KSZE-Prozess bereits ein deutliches Zeichen in dieser Richtung. Bis zur endgültigen Klärung des deutsch-deutschen Verhältnisses mit dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 bildete allerdings die „Scheel-Doktrin“ sozusagen einen „Restbestand der Hallstein-Doktrin“ (Booz), in der eine Anerkennung der DDR weiter als störend, diesmal für eine innerdeutsche Regelung, bezeichnet wurde. Diese Warnung konnte allerdings nicht mehr verhindern, dass bereits ab 1969/70 eine Reihe von Staaten diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahm.

 

Hallstein oder Brentano – Maxime oder Doktrin?

Der Name „Hallstein-Doktrin“ setzte sich erst nach und nach durch. Als Namensgeber kamen neben Staatssekretär Hallstein, der dem sehr skeptisch gegenüberstand, auch Wilhelm Grewe und Außenminister von Brentano in Frage. Während auf den Diplomat und Jurist Grewe sicherlich die rechtliche Ausformulierung der Nichtanerkennungspolitik zurückgeht, hat von Brentano im Rückblick selbst einmal darauf gepocht, „von Rechts wegen sei doch er, nicht Professor Hallstein, Vater jener Doktrin“.

Sicherlich war der Bundesaußenminister der 1950er Jahre ein starker Befürworter von Alleinvertretungsanspruch, der Politik der Nichtanerkennung sowie von deren konsequenten Umsetzung. Er selbst verwandte jedoch eher den Begriff „Maxime“ – so im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages am 21. September 1955. Zur „Doktrin“ wurde diese erst zum einen mit dem unbeirrten Beziehungsabbruch zu Jugoslawien 1957, zum anderen durch die lange Geltungsdauer bis in die 1970er Jahre hinein. Zu diesem Zeitpunkt war aus der 1955 gerade souveränen Bundesrepublik ein politisch und diplomatisch einflussreicher sowie wirtschaftlich machtvoller Staat geworden, der nun den Herausforderungen einer deutsch-deutschen Zweistaatlichkeit aus einer souveränen Position begegnen konnte.

 

Literatur:

  • Rüdiger Marco Booz: "Hallsteinzeit“. Deutsche Außenpolitik 1955-1972. Bonn 1995.
  • William Glenn Gray: Die Hallstein-Doktrin: Ein souveräner Fehlgriff? In: APuZ 17/2005, S. 17–23.
  • Werner Kilian: Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955–1973. Aus den Akten der beiden deutschen Außenministerien. Berlin 2001.
  • Daniel Kosthorst: Brentano und die deutsche Einheit. Die Deutschland- und Ostpolitik des Außenministers im Kabinett Adenauer 1955–1961 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 26). Düsseldorf 1993.
  • Joachim Scholtyseck: Im Schatten der Hallstein-Doktrin. Die globale Konkurrenz zwischen Bundesrepublik und DDR, in: Eckart Conze (Hg.): Die Herausforderung des Globalen in der Ära Adenauer (Rhöndorfer Gespräche 24). Bonn 2010.
  • Link: Hanns Jürgen Küsters: Stichwort "Hallstein Doktrin" (http://www.konrad-adenauer.de/).

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