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Um Mitternacht tritt die DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. Tag der Deutschen Einheit

von Hanns Jürgen Küsters
Mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 erfüllte sich der Auftrag der Präambel, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

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Feiernde Menschen vor dem Brandenburger Tor am 3. Oktober 1990. Ulrich Baumgarten/Süddeutsche Zeitung Photo
Feiernde Menschen vor dem Brandenburger Tor am 3. Oktober 1990.

Verschiedene günstige Faktoren prägten die Auslage und die Strategie zur Krisenbewältigung im Jahre 1989, die Anfang 1990 an Dynamik gewann und in einem plötzlichen Umschwung der Entwicklung zur schnellen inneren und äußeren Wiedervereinigung führte. Es mussten jedoch erhebliche Widerstände aus dem Wege geräumt werden.

 

Ausgangspunkt: Die Friedliche Revolution im Herbst 1989

Der Fall der Mauer am 9. November 1989 war in seinem Ereignisablauf ein glücklicher Zufall und zu diesem Zeitpunkt von niemandem erwartet worden. Alle Regierungen traf die Entwicklung unvorbereitet. Im Mittelpunkt stand allseits das Bestreben, alles unter Kontrolle zu halten. Eine wesentliche Voraussetzung für den friedlichen und unblutigen Verlauf des Zusammenbruchs der DDR war der Verzicht der sowjetischen Führung auf den Einsatz militärischer Mittel. Dem folgte von Seiten des Westens der Verzicht, die Schwäche der Sowjetunion einseitig auszunutzen.

Der Wiedervereinigungsprozess vollzog sich mit größerer Dynamik, als alle Beteiligten erwarten. In der zweiten Januarhälfte 1990 stellten die Regierungen in Bonn, Washington und Moskau die Weichen in Richtung Wiedervereinigung. Verschiedene Gründe waren dafür ausschlaggebend.

 

Weichenstellungen

Die Entwicklung in der DDR war von der Unfähigkeit und dem zunehmenden Machtverfall der Regierung Hans Modrow gekennzeichnet. Sie wurde inzwischen von den Bürgern nicht mehr als Macht im Staate akzeptiert. Die Stasi war nach dem Sturm auf die Normannenstraße desavouiert. Die desolate ökonomische Lage der DDR trieb die Zahl der Übersiedler in die Bundesrepublik weiter in die Höhe. Die DDR stand unmittelbar vor dem Bankrott und benötigte dringend die Finanzhilfe der Bundesrepublik. Der Wille der Bürger, möglichst sofort in den Genuss der Freiheitsrechte und des Lebensstandards der Bundesrepublik zu gelangen, zwang die Bundesregierung, ein neues Konzept vorzulegen.

Bundeskanzler Kohl entschloss sich zum Strategiewechsel, indem er drei Grundsatzentscheidungen traf. Er strebte die Wiedervereinigung in Form einer bundesstaatlichen Lösung so schnell wie möglich an. Zudem wollte er mit dem Vorschlag einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der DDR die innerstaatliche Wiedervereinigung vorantreiben. Darüber hinaus gelang es dem Kanzler, mit der Wahl der parteipolitischen Bündnispartner in der DDR und der Zusammenführung der Allianz für Deutschland eine Wahlkampfplattform für die Volkskammerwahlen zu schaffen und über die Parteigremien Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung in der DDR zu erlangen. Gleichzeitig lehnte die Bundesregierung umfangreiche Wirtschafts- und Finanzhilfen für die Regierung Modrow ab, bis am 18. März 1990 in freien Wahlen die Volkskammer gewählt und eine demokratische Regierung unter Leitung von Lothar de Maizière im Amt sein würde.

 

Strategische Entscheidungen

Ebenfalls im Januar 1990 gab auch die Regierung Bush ihre Strategie der Schritt-für-Schritt-Politik auf und drängte auf die schnelle Wiedervereinigung. In Washington beruhte die veränderte Taktik auf der Überlegung, Deutschland nicht vor die Wahl „Einheit oder Allianz“ zu stellen. Die Hauptsorge war, dass diese Frage überhaupt aufgeworfen wurde – und erst recht nicht die Frage „Einheit oder Allianz mit der Sowjetunion.“

Der Schlüssel zur Wiedervereinigung lag jedoch bei Gorbatschow. Für seine Entscheidung Ende Januar 1990, den Deutschen das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren, spielten die erhebliche finanzpolitische Zwangslage und massive Versorgungsschwierigkeiten der Sowjetunion ebenso eine Rolle wie die Erkenntnis, dass die Entwicklung in Deutschland nicht mehr aufzuhalten war. Die Massendemonstrationen der Bürger in der DDR setzten auch Moskau unter Handlungsdruck.

Die Bundesregierung hatte Anfang Februar 1990 klare Vorstellungen über Ziele, Taktik und Methoden der Wiedervereinigung. Sie strebte die Wiederherstellung der Einheit und Souveränität Deutschlands durch Ablösung sämtlicher Viermächterechte an. Einvernehmen bestand mit der Regierung Bush über die Trennung der inneren und äußeren Aspekte der Wiedervereinigung, verbunden mit einem schnellen Verhandlungstempo. Die Entscheidung, im Zwei-plus-Vier-Rahmen nur über die Ablösung der Viermächterechte zu verhandeln und die Verhandlungen über die innere Wiedervereinigung den Deutschen zu überlassen, schaffte die Ausgangsbasis, um die Sowjetunion unter den Vier Mächten zu isolieren. Voraussetzung war ein zügiger Abschluss der Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion.

 

Die vertragliche Gestaltung der deutschen Einheit

Der Wahlsieg der Allianz für Deutschland bei den Volkskammerwahlen Mitte März 1990 wurde als Erfolg des Bundeskanzlers gewertet. Damit waren letzte Zweifel an dem Willen der Deutschen zur Einheit ausgeräumt. Das Konzept der Bundesregierung ging auf. Der Abschluss des Staatsvertrages über die deutsche Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Mitte Mai 1990 garantierte der DDR umfangreiche Hilfen. Die Einführung der D-Mark in der DDR zum 1. Juli 1990 war der erste Schritt zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Die Regierungskoalition nutzte diesen Erfolg und strebte nunmehr gesamtdeutsche Wahlen zum Zeitpunkt der fälligen Bundestagswahl Ende 1990 an. Sie ging davon aus, dass ihr die bis dahin erreichte Wiedervereinigung den Wahlsieg bescheren würde.

Hatte die Bundesregierung die Länder bisher aus den Verhandlungen mit der DDR weitgehend heraushalten können, so gelang das bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag nicht mehr. Mit dem Sieg Gerhard Schröders (SPD) bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Mai 1990 verloren die CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat die Stimmenmehrheit. Außerdem benötigte die Bundesregierung für den zweiten Staatsvertrag, der die Einigung besiegeln sollte und ohne Änderungen des Grundgesetzes nicht zu bewerkstelligen war, die Stimmen der SPD für eine Zweidrittelmehrheit. Somit war die Regierung Kohl gezwungen, sich mit den Sozialdemokraten zu arrangieren. Der Schachzug des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, die Verhandlungen über den Einigungsvertrag so weit vorzubereiten, dass alle notwendigen Prüfungen für einen Beitritt vor dem Beginn der eigentlichen Verhandlungen erfolgt sein würden, führte zum Erfolg. Es sollte nur noch darüber gesprochen werden, was die beitrittswillige DDR-Regierung als verhandlungsnotwendig erachtete. Weitreichende Veränderungen an dem politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik waren nicht erforderlich. Mit dem Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes bestätigte die Bundesrepublik ihre seit vierzig Jahren vertretene Kernstaatstheorie.

 

Der Beitrittsbeschluss

Im Juni 1990 wurden die Stimmen in der DDR nach sofortigem Beitritt immer lauter. Die Koalitionskrise der Regierung de Maizière Anfang August sowie die notwendigen Abstimmungen zwischen Bund und Ländern bestimmten die Verhandlungen über den Einigungsvertrag. Während die Bundesregierung nur das Notwendigste an der bestehenden Verfassungs- und Rechtsordnung der Bundesrepublik ändern wollte, sah die Opposition ihre Chance, eine Revision des Grundgesetzes zu verlangen. Zentraler Konflikt waren die Kosten der Einheit, über deren Finanzierung Bund und Länder von Beginn an stritten. Während der Bund sich mit der Beteiligung der Länder an dem Mitte Mai 1990 vereinbarten Fonds Deutsche Einheit nicht zufriedengeben wollte, erkannte die DDR-Regierung zunächst nicht den Vorteil, an dem Länderfinanzausgleich beteiligt zu werden. Der Einbeziehung der in der DDR neu entstehenden Länder in dieses Ausgleichssystem stimmten die Länder der Bundesrepublik nur nach einer Übergangszeit zu. Zugleich setzten sie eine neue Stimmengewichtung im Bundesrat durch, wodurch das politische Gewicht der bevölkerungsstarken und finanzkräftigeren Länder gewahrt blieb.

Am 23. August 1990 stimmte die Volkskammer völlig überraschend dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zu und setzte den 3. Oktober als offizielles Beitrittsdatum fest, nachdem de Maizières Drängen auf vorgezogene gesamtdeutsche Wahlen am 14. Oktober gescheitert war. Am 31. August wurde der Einigungsvertrag unterzeichnet. Zwei Wochen später, am 12. September, fand in Moskau die Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages (eigentlich „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“) statt, nachdem sich Kohl und Gorbatschow bei ihrem Treffen im Kaukasus Mitte Juli über die Modalitäten verständigt hatten.

 

Deutscher Nationalfeiertag: 3. Oktober

Doch warum wurde der 3. Oktober 1990 zum Tag der Deutschen Einheit? Nachdem der Deutsche Bundestag und der Bundesrat sowie die Volkskammer dem Einigungsvertrag zugestimmt hatten, waren die Voraussetzungen für dessen Inkrafttreten am 29. September 1990 erfüllt. Die Regierung der DDR unterrichtete die Bundesregierung darüber offiziell in einer Note vom 1. Oktober 1990.

Die Ergebnisse des Zwei-plus-Vier-Verhandlungen sollten den Außenministern der KSZE-Mitgliedstaaten formell bekannt gegeben werden. Diese traten jedoch erst einen Tag nach Eröffnung der UNO-Vollversammlung am 1. Oktober, also am 2. Oktober, in New York zusammen. Folglich ergabt sich der 3. Oktober als erster Tag im wiedervereinten Deutschland, zu dem die Vier Mächte ihre Vorbehaltsrechte gegenüber Deutschland als Ganzes aufgaben, die sie am 5. Juni 1945 proklamiert hatten. Völkerrechtlich souverän wurde die Bundesrepublik Deutschland nach Ratifikation und mit Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrages am 15. März 1991.

Auf Vorschlag von Bundeskanzler Kohl wurde statt des 17. Juni als Gedenktag für die Ereignisse des Aufstandes 1953 in der DDR nun der 3. Oktober als „Tag der Deutschen Einheit“ zum Nationalfeiertag erklärt.

 

 

 

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Essay
Günter Gueffroy/dpa - Report
28. September 2020
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