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Verabschiedung der Barmer Theologischen Erklärung

von Stefan Marx
Die Barmer Theologische Erklärung (BTE) gilt als die Gründungsurkunde der Bekennenden Kirche und ist ein Schlüsseldokument des protestantischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Ihre besondere Bedeutung beruht auch darauf, dass in Barmen erstmals seit der Reformation Lutheraner, Reformierte und Unierte zu einem gemeinsamen Bekenntnis zusammenfanden. Die Wirkungsgeschichte der Barmer Erklärung reicht bis in die Gegenwart.

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Der Weg nach Barmen – Kirche zwischen Anpassung und Widerstand

Die nationalsozialistische Machtübernahme in Deutschland mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 blieb auch für die evangelische Kirche nicht folgenlos. Bereits im Frühjahr 1933 verfügten die Nationalsozialisten Maßnahmen, um die evangelische Kirche organisatorisch und ideologisch gleichzuschalten. Dabei bot sich die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“, die in ihrem Programm „die rückhaltlose Bejahung des Nationalsozialismus“ (Friedrich Weber) festgeschrieben hatte, als willfähriger Erfüllungsgehilfe an.

 

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Glaubensbewegung Deutsche Christen – die Kirchenpartei des Nationalsozialismus

Die „Glaubensbewegung Deutschen Christen“ war eine Kirchenpartei, die am 6. Juni 1932 in Berlin von der Reichsorganisationsleitung der NSDAP mit Hilfe nationalsozialistischer Pfarrer gegründet wurde. Ursprünglich als Kirchenparteibewegung für die altpreußischen Kirchenwahlen im November 1932 gedacht, wurde sie doch sogleich nach ihrer Gründung als umfassende Reichsorganisation geplant. Auf ihrer Reichstagung Anfang April 1933 in Berlin ließen die „Deutschen Christen“ keinen Zweifel an ihrem Ziel einer Gleichschaltung von evangelischem Christentum und Nationalsozialismus aufkommen. In ihren zehn „Kirchengrundsätzen“ vom 5. Mai 1933 forderten sie die Errichtung einer Reichskirche lutherischer Prägung unter Eingliederung der reformierten Gemeinden. Dabei sollte es sich aber nicht um eine Staatskirche im üblichen Sinne handeln, sondern um eine „evangelische Reichskirche, die die Hoheit des nationalsozialistischen Staates aus Glauben anerkennt und das Evangelium im Dritten Reich verkündigt“.

Die organisatorischen Voraussetzungen für eine solche Reichskirche schienen mit der Vereinigung von 28 deutschen evangelischen Landeskirchen zur Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) gegeben. Die Verfassung der DEK wurde am 11. Juli 1933 durch einen Pakt der Landeskirchen beschlossen und am 14. Juli 1933 von der Reichsregierung per Reichsgesetz in Kraft gesetzt. Am 23. Juli 1933 fanden erstmals in der Geschichte des deutschen Protestantismus allgemeine Kirchenwahlen statt.

 

Jungreformatorische Bewegung – die theologische und kirchenpolitische Alternative zur Glaubensbewegung Deutsche Christen

Unter dem Namen „Evangelium und Kirche“ trat die Jungreformatorische Bewegung als Alternative zu den „Deutschen Christen“ bei diesen Wahlen an. Das Ziel, das Vordringen der „Deutschen Christen“ in kirchliche Leitungsämter zu verhindern, einte diese theologisch sehr heterogene Gruppe, die sich im Mai 1933 gebildet hatte. Zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufes gehörten Hanns Lilje, der Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigungen, Walter Künneth, der Leiter der Apologetischen Centrale im Evangelischen Johannesstift Berlin-Spandau, und die Theologieprofessoren Friedrich Gogarten (Breslau), Karl Heim (Tübingen) und Wilhelm Stählin (Münster), später schlossen sich Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer ebenfalls dieser Bewegung an. Auch die Jungreformatorische Bewegung strebte eine einheitliche evangelische Kirche an. Im Unterschied zu den „Deutschen Christen“ waren ihre Angehörigen aber darum bemüht, die Kirche aus der Einflusssphäre der NS-Politik herauszuhalten, sie forderten die Neugestaltung der Kirche einzig und allein aus dem „Wesen der Kirche“ heraus. Die Grundlage der Neugestaltung der Kirche könne nur das reformatorische Bekenntnis sein, konkret die Entfaltung der reformatorischen Bekenntnisse lutherischer und reformierter Prägung „als Antwort der Kirche auf die heute an sie gerichteten Fragen, z.B. Ehe, Volk, Rasse, Staat“. Dieses neue Bekennen habe alle im Widerspruch zum Evangelium stehenden Anschauungen und Lehren „als Irrlehren zu verwerfen“.

 

Der Wahlsieg der Glaubensbewegung Deutsche Christen und der Versuch einer Gleichschaltung der evangelischen Kirche in Deutschland

Die Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 sahen die „Deutschen Christen“ als klaren Sieger, 70 Prozent der abgegebenen Stimmen konnten sie auf sich vereinigen. Dieses Ergebnis war nicht allein ein Ergebnis der massiven Wahlhilfe für die „Deutschen Christen“ durch die Nationalsozialisten und der Diffamierung der Jungreformatorischen Bewegung durch die NS-Presse. Im Sommer 1933 gab es unter den evangelischen Christen große Sympathien für den Nationalsozialismus. Weite Teile des deutschen Protestantismus hatten keine echte Bindung an die Weimarer Republik gefunden.

Nach dem Ausgang der Wahl am 23. Juli schien die endgültige Unterwerfung der evangelischen Kirche unter das Regiment der „Deutschen Christen“ und ihre Gleichschaltung mit dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem nichts mehr im Wege zu stehen. Der erste Schritt hierzu war die Entlassung der Leitungsorgane in fast allen Landeskirchen. Lediglich die süddeutschen Landeskirchen Bayern und Württemberg sowie Hannover und die Kirchenprovinz Westfalen, wo die „Deutschen Christen“ über keine Mehrheiten verfügten, blieb unter der Leitung der bisherigen Amtsträger. Die Errichtung einer evangelischen Reichskirche nach dem Führerprinzip schien vollendet, als am 27. September 1933 in Wittenberg die erste deutsche Nationalsynode zusammentrat und den ehemaligen Königsberger Wehrkreispfarrer Ludwig Müller, seit April 1933 Hitlers Bevollmächtigter für Fragen der evangelischen Kirche, per Akklamation zum Reichsbischof ernannte.

Doch bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sich Widerstand gegen das Kirchenregiment der „Deutschen Christen“ organisiert. Als Reaktion auf den Beschluss der altpreußischen Generalsynode vom 5. September 1933 zur Einführung des sogenannten Arierparagrafen in der Kirche hatte sich am 11. September 1933 unter Leitung des Pfarrers Martin Niemöller der Pfarrernotbund gegründet, dessen Mitglieder sich schriftlich verpflichteten, ihr „Amt als Diener des Wortes auszurichten allein in der Bindung an die Heilige Schrift und an die Bekenntnisse der Reformation als die rechte Auslegung der Heiligen Schrift“.

Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 wurde der Zugang zu und der Verbleib in öffentlichen Ämtern für Juden unmöglich gemacht, sodass zunächst vor allem jüdische Professoren, Richter und politische Beamte ihre Stellen verloren. Die Übernahme dieser gesetzlichen Bestimmungen für den kirchlichen Dienst bedeutete, dass Pfarrer und Kirchenbeamte in den Ruhestand versetzt werden mussten, wenn sie jüdische Eltern oder ein jüdisches Großelternteil hatten. Dagegen erhob sich innerkirchlich heftiger Widerspruch. Ein Gutachten der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Marburg, an dem Rudolf Bultmann entscheidend mitgewirkt hatte, kam zu dem Ergebnis, dass ein solcher kirchlicher Arierparagraf unvereinbar mit Schrift und Bekenntnis wäre und daher die Kirche, wolle sie Kirche Jesu Christi bleiben, diese staatlichen Bestimmungen nicht in ihr Beamtenrecht übernehmen dürfe. Der Widerstand gegen einen kirchlichen Arierparagrafen wurde in den folgenden Monaten so stark, dass sich Reichsbischof Müller gezwungen sah, von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen.

Als reichsweiter Zusammenschluss war der Pfarrernotbund die Nachfolgeorganisation der Jungreformatorischen Bewegung, die sich Ende Juli 1933 aus der Kirchenpolitik zurückgezogen hatte. Im Januar 1934 zählte der Pfarrernotbund mehr als 7.000 Mitglieder und umfasste damit rund 37 Prozent der gesamten Pfarrerschaft Deutschlands. Ereignisse wie der sogenannte Sportpalast-Skandal im November 1933, als auf einer Großkundgebung der „Deutschen Christen“ im Berliner Sportpalast Gauobmann Reinhold Krause eine völkische Umformung des Christentums propagierte, oder die Eingliederung des Evangelischen Jugendwerkes in die Hitlerjugend durch Reichsbischof Müller im Dezember 1933 waren der Nährboden für das Anwachsen der Opposition gegen das Kirchenregiment der „Deutschen Christen“. Ab 1934 fand diese in der Bekennenden Kirche ihren Ausdruck.

 

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Die Bekennende Kirche formiert sich

Wesentliche Wurzeln der Bekennenden Kirche waren der Pfarrernotbund und die „Gemeindetage unter dem Wort“, die auf Einladung von Karl Immer, Pfarrer der reformierten Kirchengemeinde Barmen-Gemarke, erstmals am 24. September 1933 stattfanden. Hieraus entwickelten sich freie Synoden, die den Anspruch erhoben, die wahre Kirche gegen das Kirchenregiment unter Reichsbischof Müller bekennend zu vertreten.

In den ersten Monaten des Jahres 1934 formierte sich die kirchliche Opposition. In Barmen-Gemarke versammelten sich Anfang Januar 1934 320 Älteste und Prediger aus 167 evangelischen Gemeinden Deutschlands zu einer freien reformierten Synode, die die von dem in Bonn lehrenden Schweizer evangelisch-reformierten Theologen Karl Barth zum Jahreswechsel 1933/34 verfasste „Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche der Gegenwart“ annahm. Im März 1934 schlossen sich der Pfarrernotbund, die freien Synoden in den von „Deutschen Christen“ regierten Landeskirchen und die vier sogenannten intakten, nicht-deutschchristlichen Landeskirchen Hannover, Bayern, Württemberg und Westfalen zur Bekenntnisgemeinschaft der DEK zusammen. Ein erster reichsweiter Bekenntnistag fand am 22. April 1934 statt, zu dem der württembergische Landesbischof Theophil Wurm Vertreter aller bekenntnistreuen Gruppen nach Ulm einlud. Im Ulmer Münster feierten mehr als 5.000 Menschen einen Bekenntnisgottesdienst. Nach der Predigt von Bischof Wurm verlas der bayerische Landesbischof Hans Meiser eine „Kundgebung der bekennenden deutschen evangelischen Kirche“, auf die sich die Vertreter der verschiedenen Bekenntnisgruppen am Vorabend verständigt hatten. Darin erklärten sich die in Ulm versammelten bekenntnistreuen Christen als „rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands“.

Was dieser Anspruch, der von den „Deutschen Christen“ als Kriegserklärung aufgefasst wurde, theologisch tatsächlich bedeutete, sollte auf einer Bekenntnissynode für die gesamte DEK geklärt werden. Zur Vorbereitung dieser Synode setzte der Nürnberger Ausschuss, das im April 1934 gebildete Leitungsgremium der Bekenntnisgemeinschaft der DEK, einen Theologischen Ausschuss ein, dem der lutherische Pfarrer Hans Asmussen aus Altona, der reformierte Professor Karl Barth aus Bonn und der lutherische Oberkirchenrat Thomas Breit aus München angehörten. Die drei Theologen kamen am 15./16. Mai 1934 in Frankfurt am Main zusammen und erarbeiteten einen Entwurf für die Theologische Erklärung der Synode.

 

Erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen im Mai 1934

Die Erste Bekenntnissynode der DEK fand auf Einladung des westfälischen Präses Karl Koch vom 29. Bis 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen statt. Für Wuppertal als Veranstaltungsort sprachen verkehrstechnische Gründe und das konservativ fromme, stark durch die Erweckungsbewegung beeinflusste Bergische Land, in dem die „Deutschen Christen“ kaum Fuß zu fassen vermochten. In der reformierten Gemarker Kirche versammeln sich 138 Synodale – 83 Pfarrer und Theologen und 55 Laien – aus 18 Landeskirchen. Darunter befand sich als einzige Frau Stephanie Mackensen von Astfeld vom pommerschen Bruderrat. Sie stand repräsentativ für die große Mehrheit der Synodalen, die dem gehobenen Bürgertum angehörten und nationalistisch, wenn nicht gar nationalsozialistisch eingestellt waren. Mackensen war seit 1932 Mitglied der NSDAP, später unterstützte sie Dietrich Bonhoeffers Predigerseminar in Finkenwalde, und sie verhalf Albrecht Schönherr, dem späteren langjährigen Vorsitzenden des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, zu einer Pfarrstelle. Auch in dieser Hinsicht war sie durchaus repräsentativ für die von Eberhard Busch als „Vertreter (der) kirchlichen Mitte“ beschriebenen Synodalen, die bis Barmen „die Verknüpfung des politischen Ja zu Hitler und des Kirchlichen Ja zu Christus vertreten hatten“.

Die Synode stand vor der Herausforderung, ihr Verhältnis zum offiziellen Kirchenregiment unter Reichsbischof Müller zu klären, was ein gemeinsames Bekenntnis von Lutheranern, Reformierten und Unierten erforderte. An eine Verständigung der verschiedenen konfessionellen Gruppen auf ein gemeinsames Wort glaubte die Staatsmacht jedoch nicht, weshalb die Geheime Staatspolizei die Synodalen gewähren ließ. Dass dennoch – freilich nach hartem Ringen – am 31. Mai 1934 die „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche“, allgemein als Barmer Theologische Erklärung bezeichnet, einstimmig verabschiedet wurde, ist mit dem großen äußeren Druck zu erklären, der auf den Synodalen lastet. In seiner Einbringungsrede forderte Hans Asmussen die Synodalen zu Kompromissbereitschaft auf, denn der Angriff auf die christliche Substanz, wie er von Seiten der Deutschen Glaubensbewegung und von Seiten der Deutschen Christen erfolge, liege „restlos außerhalb des Verhältnisses der Konfessionen“.     

 

Aufbau und Inhalt der Barmer Theologischen Erklärung

Die Barmer „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage in der Deutschen Evangelischen Kirche“ vom 31. Mai 1934 besteht aus einer Präambel, sechs Thesen und einem Epilog. Die Verkürzung auf Barmer Theologische Erklärung verkennt, dass bereits die Überschrift dieses Dokuments drei wesentliche Aussagen enthält:

Es lag nicht in der Intention der in Barmen versammelten Kirchenvertreter, eine politische Stellungnahme abzugeben. Vielmehr sollte es sich um „einen exklusiv theologischen Text“ (Friedrich Weber) handeln.

Dieser theologische Text wurde als gemeinsame „Erklärung“ von Vertretern lutherischer, reformierter und unierter Landeskirchen abgegeben. Insbesondere die Synodalen lutherischen Bekenntnisses wollten mit dieser Formulierung zum Ausdruck bringen, dass es sich um keine neue beziehungsweise weitere Bekenntnisschrift handelte.

Es war nicht beabsichtigt, mit dieser gemeinsamen Erklärung ein zeitlos gültiges Dokument zu formulieren, sondern sich „zur gegenwärtigen Lage“ zu äußern, wie sie sich in der evangelischen Kirche im Frühjahr 1934 darstellte.

 

Anlass, Hintergrund und Legitimität der Barmer Bekenntnissynode

In der Präambel legitimierte sich die Synode mit einem Verweis auf die geltende Kirchenverfassung und die Orientierung an den Bekenntnissen der Kirche. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass die in Barmen versammelten Vertreter der verschiedenen Landeskirchen „gemeinsam auf dem Boden der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der deutschen Bekenntniskirchen stehen“. Es ging also in Barmen nicht um die „Gründung einer neuen Kirche“, wie Asmussen unterstrich. Die Betonung der Legalität und Rechtskontinuität war den Synodalen wichtig, weil sie sonst eine Freikirche etabliert hätten.

 

Aufbau der sechs Barmer Thesen

Die Auseinandersetzung mit den theologischen und kirchenpolitischen Vorstellungen der „Deutschen Christen“ erfolgt in sechs als „evangelische Wahrheiten“ formulierten Thesen. Diese Thesen sind jeweils in drei Absätze gegliedert, beginnend mit einem Bibelwort aus dem Neuen Testament. Das Bibelwort wird in einem Bekenntnissatz (Affirmatio) ausgelegt, dem ein Verwerfungssatz (Damnatio) folgt, in welchem eine „falsche Lehre“ verworfen wird. In den Verwerfungssätzen werden die Vertreter der falschen Lehren ausdrücklich nicht verurteilt, gar ihr Ausschluss aus der Kirche gefordert. Als Vertreter dieser Lehren haben sie sich bereits selbst von der Kirche ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Rückkehr dieser Menschen in die Kirche Christi wird aber dadurch eröffnet, dass sie in den Verwerfungssätzen von ihrer falschen Lehre unterschieden werden.

 

Barmen I: Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einen Wort Gottes

Die zentrale Botschaft der Barmer Theologischen Erklärung wird in der ersten These mit ihren offenbarungstheologischen und christozentrischen Grundaussagen beschrieben, die „eine klare Absage an den vergotteten Führer sowie an jedwede Vermischung von brauner Religion und christlichem Glauben“ (Pinchas Lapide) bedeutet. In Anknüpfung an das reformatorische „solus Christus – sola scriptura“ bekennt diese These den durch die Heilige Schrift bezeugten Jesus Christus „in radikaler Exklusivität“ (Friedrich Weber) als „das eine Wort Gottes“ und verwirft „die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einem Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen“.

 

Barmen II: Die Konsequenzen des solus Christus für das christliche Leben

Die zweite These fragt nach den Konsequenzen, die das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einen Wort Gottes für das christliche Leben hat. Jesus Christus ist „Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden“, zugleich aber auch „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben“. Der Totalitätsanspruch des NS-Regimes ist unvereinbar mit dem Verständnis der Christen, ihr Leben einzig und allein auf Christus auszurichten, durch den allein sie Heiligung als „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt“ erfahren können. Diese „frohe Befreiung“ durch Jesus ermöglicht Christen die Übernahme von gesellschaftlicher und politischer Verantwortung in der Welt, ruft sie also „zu freiem dankbarem Dienst an seinen (Gottes) Geschöpfen auf“. Von daher kann die zweite These auch als „eine Grundlegung christlicher Ethik“ (Eberhard Busch) verstanden werden.

 

Barmen III: Wesen und Gestalt der Kirche

Die dritte These definiert Kirche als „Gemeinde von Brüdern“ (diese Redewendung schloss damals sprachlich üblicherweise die Schwestern ein), in der „Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt“. Diese Kirche habe „mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung“ zu bezeugen, dass sie „allein von seinem (Christus) Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte“. Zu verwerfen sei deshalb „die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“.

 

Barmen IV: Ämterdifferenzierung und Hierarchiefreiheit der Kirche

Die vierte These wendet sich gegen die Übertragung des Führerprinzips auf die Kirche. Sie bekennt sich zur Ämterdifferenzierung und Hierarchiefreiheit der Kirche, in der es „keine Herrschaft der einen über die anderen“ gebe, sondern „die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes“. Die Ansicht, „als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen“, wird als „falsche Lehre“ verworfen. Das „Bild von der Kirche als Dienstgemeinschaft“ (Martin Dutzmann) wird dem Führerprinzip entgegengestellt.

 

Barmen V: Verhältnis von Kirche und Staat

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist Gegenstand der fünften These. Dem Staat, der als Anordnung Gottes verstanden wird, ist die Aufgabe übertragen, „nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen“. Die Kirche erkennt also den Staat und dessen Ordnung an, spricht ihm in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch das Gewaltmonopol zu. Zugleich erinnert sie aber auch an die Grenzen staatlicher Gewalt, die durch Gottes Reich, Gottes Gebot und Gottes Gerechtigkeit gezogen sind. Dabei „vertraut und gehorcht (die Kirche) der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt“. In dem folgenden Verwerfungssatz wird „die antitotalitäre Ausrichtung der These“ (Wolfgang Huber) deutlich. Er richtet sich gleichermaßen gegen den Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Staates wie die staatlichen Ansprüche des offiziellen Kirchenregimentes unter Reichsbischof Müller. „Wir verwerfen die falsche Lehre“, heißt es in Richtung NS-Regime, „als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden“.

 

Barmen VI: Die Kirche und ihr öffentlicher Auftrag

Die sechste und letzte These betont den „Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums“ (Johanna Haberer) und erinnert deshalb daran, dass der Auftrag der Kirche darin besteht, „an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“. Mit der Forderung nach Verkündigung der frohen Botschaft an alles Volk wird ein Zeichen „gegen eine Nationalisierung der christlichen Verkündigung“ (Johanna Haberer) gesetzt. Zu verwerfen sei deshalb auch „die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen“ – nochmals ein deutliches Wort gegen die theologischen und kirchenpolitischen Vorstellungen der „Deutschen Christen“.

 

Die Barmer Theologische Erklärung und ihre (kirchen-)politische Dimension

Die Nachrichten über die Synode von Barmen und die dort gefassten Beschlüsse gingen „wie ein Lauffeuer durch die bekennenden Gemeinden in Deutschland“ (Klaus Scholder). Die BTE bildete das einigende Band der Bekennenden Kirche, bis sich Anfang 1936 ihre beiden Flügel wieder voneinander trennten. Die „Deutschen Christen“ nannten die Erklärung hingegen eine „die Gemeinden verwirrenden und die Kirche zerstörenden Erklärung.“

Das Kirchenregiment der „Deutschen Christen“ zu kritisieren, war nicht möglich, ohne zugleich auch gegen Hitler zu sprechen, der sich zu diesem Zeitpunkt zur Verwirklichung seiner kirchenpolitischen Ziele der „Deutschen Christen“ bediente. Mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber dem offiziellen Kirchenregiment, wie sie sie mit der BTE zum Ausdruck brachte, setzte die Bekennende Kirche dem totalen Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten konkrete Grenzen.

Im Frühjahr 1934 war Hitler mit seiner Kirchenpolitik gescheitert. Weder gelang es ihm, mit der Errichtung einer einheitlichen Reichskirche unter dem Regiment von Reichsbischof Ludwig Müller die evangelische Kirche organisatorisch wie ideologisch gleichzuschalten, noch vermochte er es, die katholische Kirche nach dem Abschluss des Reichskonkordats, welches das Deutsche Reich mit dem Heiligen Stuhl am 20. Juli 1933 schloss, in sein Herrschaftssystem einzubinden. Hitler vollzog daraufhin einen Kurswechsel: Nicht mehr der Versuch einer Einbindung, sondern Verdrängung und schließlich Zerschlagung kennzeichneten fortan die nationalsozialistische Kirchenpolitik Dies konnte nicht ohne Konsequenzen bleiben für den christlich motivierten Widerstand, der in der Folge auch Formen des aktiven, des gewaltsamen, auf den politischen Umsturz des Regimes hin orientierten Widerstands annahm.

 

Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Barmer Theologischen Erklärung

Die BTE bot für den Widerstand der evangelischen Christen gegen Hitler die Grundlage. Über diese konkrete historische Situation hinaus ist sie als wegweisendes Lehr- und Glaubenszeugnis der Kirche anzusehen, wie die Geschichte des Protestantismus in Deutschland seit 1945 zeigt. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bejahte in ihrer Verfassung von 1948 ausdrücklich die von der Bekenntnissynode in Barmen 1934 getroffenen Entscheidungen und sprach an dieser Stelle von ihrer Verpflichtung, „als bekennende Kirche die Erkenntnisse des Kirchenkampfes über Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche zur Auswirkung zu bringen“. Diesem Auftrag folgten alle Gliedkirchen der EKD in ihrer jeweiligen Grundordnung, in der sie – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung – eine Aussage zur BTE verankert haben.

Mit der innerprotestantischen Verständigung von Barmen wurde „eine Brücke zwischen bislang getrennten Kirchen“ (Eberhard Busch) errichtet, die nach 1945 über die EKD und ihre Gliedkirchen hinaus die innerprotestantische Ökumene in Europa beförderte. Von der Barmer Theologischen Erklärung 1934 ist eine Linie zu ziehen bis zur Leuenberger Konkordie 1973, mit der die Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen, reformierten und unierten Kirchen Europas ermöglicht wurde.

 

Fazit

„Wir sind keine Rebellen“, erklärte Hans Asmussen gleich zu Beginn seiner Rede auf der Synode in Barmen, wo denn auch keine politische Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus abgegeben wurde. Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 war, ist und bleibt ein theologisches Dokument, das dadurch politische Wirksamkeit entfaltet, dass die Kirche allein das Wort der Heiligen Schrift und damit unmittelbar das Wort Gottes zum Maßstab allen Handelns und Entscheidens erklärt. Gott allein ist folglich die Instanz, die Orientierung und Halt bietet. Auf dieser Grundlage konnte in Barmen „die falsche Lehre“ verworfen werden, als könne der Staat „die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen“. Damit ist das Wort Gottes „wie ein Fels, an dem sich die Wogen der Ideologien brechen“ (Martin Kriele).

Dies zeigte sich auch in der DDR, in der sich nicht nur die erste Barmer These als „fundamentale Orientierung“ (Heino Falcke) für den Weg der evangelischen Kirche erwies. Sie übernahm gesellschaftliche Verantwortung und ließ sich vom dem SED-Regime nicht in einen privaten Raum religiöser Abgeschiedenheit abdrängen. Im Gegenteil, die öffentlich tagenden Synoden waren in der politisch gleichgeschalteten Gesellschaft der DDR der einzige demokratische Platz, der den regimekritischen Gruppen ein Forum zur Artikulation ihrer alternativen gesellschaftspolitischen Vorstellungen bot. Die revolutionäre Bewegung im Herbst 1989 nahm auch und gerade hier ihren Ausgang.

Über dieses historische Beispiel hinaus bietet die BTE bis in die Gegenwart hinein Orientierung in kirchlich relevanten Diskussionen und Entscheidungsprozessen.

 

Quelle:

  • Martin Heimbucher/ Rudolf Weth (Hrsg.): Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. Neukirchen-Vluyn 2009.

 

Literatur:

  • Barmer Theologische Erklärung und heutiges Staatsverständnis. Symposion aus Anlass des 50. Jahrestages der Barmer Theologischen Erklärung. Dokumentation einer Veranstaltung des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen in Wuppertal am 30. Mai 1984. Köln 1986.
  • Begründete Freiheit – Die Aktualität der Barmer Theologischen Erklärung. Vortragsreihe zum 75. Jahrestag im Berliner Dom. Mit Beiträgen von Petra Bahr, Martin Dutzmann, Heino Falcke, Johanna Haberer, Wolfgang Huber, Margot Käßmann und Michael Welker (Evangelische Impulse 1). Neukirchen-Vluyn 2009.
  • Eberhard Busch: Die Barmer Thesen 1934–2004. Göttingen 2004.
  • Martin Honecker: Die Barmer Theologische Erklärung und ihre Wirkungsgeschichte (Vorträge / Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften Geisteswissenschaften, G 330). Opladen 1995.
  • Pinchas Lapide: Jeder kommt zum Vater. Barmen und die Folgen. Neukirchen-Vluyn 1984.
  • Kurt Meier: Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich, überarbeitete Neuausgabe. München 2001.
  • Thomas Martin Schneider: Wem gehört Barmen? Das Gründungsdokument der Bekennenden Kirche und seine Wirkungen (Christentum und Zeitgeschichte 1). Leipzig 2017.
  • Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich. Band 2: Das Jahr der Ernüchterung 1934. Barmen und Rom. Berlin 1985.
  • Friedrich Weber: Kirche zwischen Staat und Bekenntnis. 75 Jahre Barmer Theologische Erklärung. Wolfenbüttel 2009.

 

 

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