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Alcide De Gasperi
Mitbegründer der Democrazia Cristiana, Außenminister, Ministerpräsident, Präsident der Parlamentarischen Versammlung der EGKS, *3. April 1881, Pieve Tesino (Italien), †19. August 1954, Sella di Val Sugana (Italien)
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von Tiziana Di Maio
„Staatsmann“, ,,Schrittmacher Europas“, ,,Ehrlicher Makler und Freund Deutschlands“
De Gasperi war ein entschiedener Verfechter der europäischen Integration als Weg zu Frieden und Stabilität. Seine Außenpolitik basierte auf dem Atlantischen Bündnis und der europäischen Einigung und führte Italien zurück in die internationale Gemeinschaft. Als Gründervater eines vereinten Europas setzte er sich für die Wiedereingliederung Deutschlands in die europäische Staatengemeinschaft ein. Sein Vermächtnis des Friedens und der Zusammenarbeit zeigt sich in seinem Engagement für die Versöhnung und in seiner Vision eines geeinten und demokratischen Europas.
Italienischer Bürger der Österreichisch-Ungarischen Monarchie
Alcide De Gasperi wurde am 3. April 1881 in Pieve Tesino im damals zum Habsburgerreich gehörenden Trentino als Sohn einer tief katholischen Familie in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen geboren. Er war ein loyaler Bürger des Kaiserreichs, musste jedoch als Angehöriger einer als feindlich angesehenen Minderheit die Demütigung ertragen, von den Österreichern als Irredentist und, nachdem er italienischer Staatsbürger geworden war, zunächst von der faschistischen und später von der kommunistischen Propaganda als „Österreich-Treuer“ bezeichnet zu werden. In Wirklichkeit war er immer ein überzeugter Verfechter der italienischen Identität. Eines der Hauptziele der Katholischen Volkspartei des Trentino, zu deren Mitbegründern er gehörte, war die Bewahrung der italienischen Kultur. Die italienische Minderheit in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie verfolgte dieses Ziel durch die Förderung föderaler Staatsstrukturen und regionaler Autonomie (Piccoli, Vadagnini, 2004). 1905 schloss De Gasperi sein Studium der modernen Philologie an der Universität Wien ab und begann dort seine politische Tätigkeit. Von Anfang an konzentrierte er sich auf soziale Fragen, indem er die neue Lehre des päpstlichen Rundschreibens Rerum novarum in Studentenverbindungen und unter Gastarbeitern bekanntmachte. Er näherte sich den österreichischen Christlichsozialen an und arbeitete mit der Tageszeitung „Reichspost“ zusammen. 1912 wurde er als Abgeordneter in den Wiener Landtag gewählt, wo er Kontakte zu seinen christdemokratischen Kollegen anderer Volksgruppen knüpfte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte De Gasperi sich für eine friedliche Lösung der Probleme zwischen Österreich-Ungarn und Italien ein. Als Italien in den Krieg eintrat, setzte er sich für die Rechte der italienischen Minderheit ein und half mit all seinen Kräften den Gefangenen und Flüchtlingen im Trentino, von denen die meisten deportiert und aus ihrer Heimat vertrieben worden waren (wo nun die Kriegsfront zwischen Italien und Österreich verlief) oder aus Sicherheitsgründen ins Exil geschickt worden waren.
Die Erfahrung des Krieges blieb ihm für immer im Gedächtnis und veranlasste ihn, sich durch die Förderung des europäischen Einigungsprozesses unermüdlich für den Frieden zwischen verbrüderten Völkern einzusetzen, die sich lange Zeit in einem von ihm sogenannten „Bürgerkrieg“ bekämpft hatten (Straßburg, 11.12.1951).
Italienischer Staatsbürger: Faschismus und Exil im Vatikan
Nach der Auflösung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde das Trentino Teil des Königreichs Italien und De Gasperi trat der von Don Luigi Sturzo gegründeten Italienischen Volkspartei bei. Als Abgeordneter spielte er eine führende Rolle im kurzen Leben dieser Partei, die geschwächt und verfolgt wurde und schließlich 1926 zusammen mit allen Oppositionsparteien durch ein Dekret des faschistischen Regimes aufgelöst wurde. 1927 wurde er wegen versuchter heimlicher Ausbürgerung verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er sechzehn Monate verbüßte. Nach seiner Freilassung auf Bewährung hatte er mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sozialer Isolation zu kämpfen, da jeder, der sich mit De Gasperi traf, Gefahr lief, vom Regime verfolgt zu werden. Als Anerkennung für seine Hilfe für die Trienter Exilanten während des Krieges und für die guten Taten, die er als junger Mann in Wien vollbracht hatte, erhielt er finanzielle Unterstützung vom Bischof von Trient, Celestino Endrici. Am 3. April 1929 trat De Gasperi eine Stelle in der Vatikanischen Bibliothek an. Dank dieser Tätigkeit und seiner Arbeit als Essayist und Publizist konnte er ein bescheidenes Einkommen für sich und seine Familie erzielen. In dieser privilegierten Informationsstätte, die von der faschistischen Zensur ausgenommen war, hatte De Gasperi Zugang zu seltenen Büchern und nationalen und internationalen Nachrichten und konnte so der Isolation und dem Exil entkommen, in die ihn das Regime gezwungen hatte. Hier begann der „lange Vorabend“ (De Gasperi, 1953) seines Wirkens als Gründer der Christdemokraten und als geistiger und materieller Erneuerer Italiens und Europas. Die rund vierzehn Jahre im Vatikan ermöglichten es ihm, seine Kenntnisse der internationalen Beziehungen zu vertiefen (die er von 1933 bis 1938 in der „Illustrazione vaticana“, einer Beilage des „Osservatore Romano“, kommentierte) und seinen Horizont zu erweitern (Scoppola, 1977), aber auch Kontakte mit katholischen und nichtkatholischen Antifaschisten zu knüpfen, die sich nach der Wiederaufnahme des demokratischen Lebens als wichtig erweisen sollten. In dieser Zeit entwickelte er die Eigenschaft, die die Grundlage seiner proeuropäischen Politik bilden sollte: seine Abneigung gegen aggressiven Nationalismus und Ultranationalismus.
Bereits von den Alliierten als zukünftiger Gesprächspartner erkannt, spielte spielte De Gasperi im Untergrund eine grundlegende Rolle bei der Entstehung der Democrazia Cristiana, deren von ihm geschriebenes Gründungsdokument, die Ideen für den Wiederaufbau der Christdemokratie, viele der Lösungsansätze enthielt, die seine künftige Politik prägen sollten. Im Mittelpunkt steht die Überzeugung, dass der nationale Wiederaufbau parallel zum internationalen Wiederaufbau erfolgen muss. Das Programm vereinte die reiferen Erfahrungen der ehemaligen Mitglieder der Volkspartei mit den frischen Erfahrungen der jüngeren Mitglieder und wurde unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Faschismus veröffentlicht.
Einsatz für den Wiederaufbau Italiens und Europas
1944 wurde er zum Außenminister ernannt. Er erkannte die strategische Bedeutung dieses Amtes in dem sich herausbildenden internationalen Kontext (Canavero, 2003) und bekleidete es bis Oktober 1946 und erneut von 1951 bis 1953. Von Dezember 1945 bis August 1953 stand er ununterbrochen an der Spitze der italienischen Regierung und wurde zum Protagonisten des Wiederaufbaus des besiegten Landes und „eines wahrhaft europäischen Patriotismus“ (Mattarella, 2016). In diesen Rollen versuchte De Gasperi, die Weichen für die künftige Wiedereingliederung des Landes als gleichberechtigter Partner in die internationale Gemeinschaft zu stellen. Dies war keine leichte Aufgabe, nicht zuletzt, weil es bald zu Spannungen zwischen den westlichen Alliierten und der stärksten kommunistischen Partei Westeuropas im eigenen Land kommen sollte. Das erste Ziel, das es zu verfolgen galt, war das eines „gerechten Friedens“ für ein Land, auf dem nicht nur die Niederlage lastete, sondern auch die Verbrechen und Aggressionen des Faschismus. Das von den Italienern im Widerstand vergossene Blut und der gemeinsame Kampf mit den Alliierten milderten die Bedingungen des Friedensvertrages nicht: Italien wurde wie jedes andere besiegte Land behandelt, ohne die Möglichkeit, Änderungen am Friedensvertrag zu fordern. Auf der Friedenskonferenz hielt De Gasperi eine seiner bewegendsten Reden, ein Meisterwerk an Würde, getragen von einer starken politischen Intuition und einer großen Leidenschaft für sein Land und die Politik. Nachdem er die Ungereimtheiten der Vertragsbestimmungen aufgezeigt hatte, betonte er die Bereitschaft Italiens, auch die härtesten Klauseln zu akzeptieren, um im Sinne der Charta der Vereinten Nationen „eine gerechtere Welt zu schaffen“ (Paris, 1946).
Die Stärkung der internationalen Institutionen stand im Mittelpunkt seiner politischen Vision: Er war der Ansicht, dass es die fortschreitende Schwächung der politischen und moralischen Kraft des Völkerbundes war, die Nationalismen, Koalitionen, Bündnisse, Armeen und Diktatoren gestärkt hatte (Rom, 15.11.1950). Die Entscheidung für die europäische Integration war das Ergebnis einer klaren Analyse der internationalen Politik, die De Gasperi interpretierte, indem er brillant die Gegenwart analysierte und diese Analyse zusammen mit seinen Werten und bisherigen Erfahrungen in die Zukunft projizierte. Im bipolaren Szenario sah er die Möglichkeit eines neuen Wegs, andere Sicherheitsinstrumente als in der Vergangenheit zu schaffen, den Frieden durch Einheit und die „Ressourcen unserer gemeinsamen Zivilisation“ zu sichern und die europäische Solidarität zu stärken (Sorrento, 15.4.1950). Zu diesem Zweck erklärte er bereits 1948, dass das neue Italien bereit sei, sich „Selbstbeschränkungen hinsichtlich seiner Souveränität“ aufzuerlegen, um würdig mit einem in Freiheit und Demokratie geeinten Europa zusammenzuarbeiten (Brüssel, 20.11.1948). Seine Perspektive eines geeinten Europas war eingebettet in ein „von einer parlamentarischen Demokratie geführtes Programm des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der sozialen Gerechtigkeit, einer parlamentarischen Demokratie, [die] nichts sein kann als ein Element der Verständigung, der Vermittlung und des Friedens“ (Il Popolo, 15.2.1949).
Ein Friedensprojekt auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Ideale
De Gasperi war davon überzeugt, dass die europäischen Länder durch einen Zusammenschluss die kriegsbedingte politische und wirtschaftliche Schwäche überwinden und im bipolaren Wettbewerb eine Rolle spielen könnten. Sein Konzept war jedoch nicht gleichbedeutend mit „Europa als dritte Kraft“, also einem Europa, das mit den beiden Supermächten konkurriert, sondern er sah in Europa eine Brücke, die zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Materialismus vermitteln sollte. Für ihn war die Integration wichtig für die europäischen Staaten, um gegenüber ihrem amerikanischen Verbündeten in einer stärkeren Position zu sein. Europäismus und Atlantizismus waren für De Gasperi „zwei Seiten ein und derselben Politik“ (Il Popolo, 1949). Er trat stets offen dafür ein, die europäische Initiative mit der Bindung an Amerika zu koppeln. Zu diesem Zweck verwies er wiederholt auf den Wert und die Notwendigkeit des atlantischen Bündnisses. 1948 betonte er in Fiuggi auf dem Kongress der Jugenddelegation der Nouvelles Equipes Internationales (NEI) die Notwendigkeit und Bedeutung der atlantischen Partnerschaft, die er nicht nur als wirtschaftlich und strategisch sinnvoll, sondern vor allem als moralisch und ideell bedeutsam darstellte.
De Gasperi konnte bei seinem proeuropäischen Kurs auf die Unterstützung von Adenauer und Schuman zählen, mit denen ihn ein gemeinsames Grundverständnis verband (Craveri, 2012). Alle drei Staatsmänner hatten eine klare Vorstellung von der Zukunft ihrer Länder und Europas im bipolaren Kontext, waren in Grenzregionen aufgewachsen und gehörten katholisch geprägten politischen Kräften an. Doch ihr Projekt war nicht das eines karolingischen Europas. 1950 verteidigte De Gasperi in einer Rede vor dem NEI-Kongress nachdrücklich das Konzept des Laizismus und wandte sich gegen die Idee eines „christlichen Kominform“: Die Zusammenarbeit zwischen christlichen Parteien müsse auf Prinzipien, die die Politik inspirieren, beruhen und nicht auf starren politischen Regeln, und solle ähnliche Lösungen für gemeinsame Probleme anstreben (Sorrento, 1950). Die Zusammenarbeit zwischen den christdemokratischen Parteien spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau Europas: In den geheimen Sitzungen des Genfer Kreises und in den offiziellen Sitzungen des Exekutivkomitees und der NEI-Kongresse diskutierten führende Christdemokraten gemeinsame Strategien für eine demokratische Renaissance Europas. De Gasperi nahm zwar nicht am Genfer Kreis teil, schätzte aber dessen Treffen und ließ sich von den italienischen Delegierten laufend darüber informieren. Für den Trentiner Staatsmann war die parteiübergreifende Zusammenarbeit ein grundlegender Baustein für den Aufbau eines auf gemeinsamen Werten und Idealen beruhenden Friedensprojekts, das seine Wurzeln im Secrétariat International des Partis ou Organisations Politiques Democratiques d'Inspiration Chrétienne hatte, der ersten länderübergreifenden Organisation zwischen europäischen christlich-demokratischen Parteien, die nach dem Ersten Weltkrieg auf Initiative des Partito Popolare Italiano (PPI) gegründet worden war. Eine politische und säkulare Internationale, deren Ziel die Bekräftigung christlich-sozialer Grundsätze war und deren Leitprinzip die Demokratie war (Sturzo, 1924). Um die Verbindung zu festigen und zur Ausarbeitung einer neuen Ordnung beizutragen, initiierte der PPI Treffen mit den europäischen Parteien. Im August 1921 trafen sich Luigi Sturzo, Alcide De Gasperi, Stefano Jacini und Rufo Ruffo della Scaletta in München und Köln mit dem deutschen Reichskanzler Josef Wirth, den Gewerkschaftern Adam Stegerwald und Heinrich Brauns sowie dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer zusammen, um über die Lage in Deutschland und die Gründung einer Internationale der christlichen Parteien zu beraten (Papini, 1995). Nach Ansicht des PPI hatte die französische Politik der Schwächung und Isolierung Deutschlands den deutschen Revanchismus geschürt und weitere Konflikte ausgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Italien das erste Land, das Deutschland die Hand reichte (Neue Zeitung, 1948) und De Gasperi war einer der aktivsten Befürworter der gleichberechtigten Wiedereingliederung Deutschlands in die neu gegründete Europäische Gemeinschaft (Di Maio, 2014).
Die zwei Säulen der italienischen Außenpolitik
Die erste Säule der Außenpolitik des neuen Italiens wurde 1949 mit dem Beitritt zum Atlantikpakt errichtet, die zweite 1950 mit der aktiven Beteiligung am europäischen Aufbauwerk durch die Mitgliedschaft in der EGKS und der EVG. Trotz der anfänglichen Vorbehalte in Industrie- und Wirtschaftskreisen trat Italien auf Beschluss von De Gasperi der EGKS bei, der darin den Beginn eines tragfähigen europäischen Projekts im Bündnis mit den Vereinigten Staaten sah, die er als notwendigen, aber nicht hinreichenden Bezugspunkt betrachtete. Laut Paolo Emilio Taviani, dem Leiter der italienischen Delegation bei den Verhandlungen über den Schuman-Plan, war De Gasperi zwar der Meinung, dass die Einheit „durch die Armee oder die Währung“ erreicht werden könne, stimmte aber dem Beitritt gerade wegen der potenziellen Impulse zu, die der Plan der Integration geben könnte (Taviani, 2003). Italien spielte eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen, die zur Unterzeichnung des EGKS-Vertrags führten. Ein Treffen mit Pleven und Schuman im Februar 1951 in Santa Margherita Ligure trug zu einer Annäherung bei, die sich als grundlegend erweisen sollte, um die anfängliche Skepsis gegenüber dem Pleven-Plan zur Schaffung einer europäischen Armee zu überwinden, dem französischen Gegenvorschlag zur amerikanischen Linie, die die deutsche Wiederbewaffnung innerhalb der NATO unterstützte. Seinem „klugen Verhandeln auf den zahlreichen europäischen Konferenzen“ (Rede zur Verleihung des Karlspreises an De Gasperi, Aachen 1952) ist auch der Vorschlag einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu verdanken, aus der eine Europäische Politische Gemeinschaft hervorgehen sollte: Ein Vorschlag, der, wenn er verwirklicht worden wäre, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Föderation gewesen wäre. Angesichts der Forderungen und Aktivitäten der Europäischen Föderalistischen Bewegung, deren führender Kopf in Italien Altiero Spinelli war, betonte De Gasperi ab 1950 sein Engagement für eine föderalistische Entwicklung des Integrationsprozesses und trieb den Vorschlag einer politisch-institutionellen Einheit voran. In diesem Kontext konnte er seine kulturelle und politische Erfahrung in ein konkretes Projekt umsetzen, in dem Ideale und Politik zu einer einzigen Vision verschmolzen, die in der Integration einen neuen Weg für die europäischen Staaten sah. Ein Weg des Friedens, der sich in der Föderation der Völker verwirklichen sollte, die sich „im Unglück wieder einmal bewusst geworden sind, dass sie einer gemeinsamen Zivilisation und einem gemeinsamen Schicksal angehören“ (Brüssel, 20.11.1948).
Für De Gasperi war die europäische Föderation ein „sorelianischer Mythos“ mit ethisch-politischem Wert, ein „Mythos des Friedens“ (Rom, 15.11.1950). Auf der Konferenz der Europäischen Armee in Straßburg erklärte er, dass Italien bereit sei, einer Europäischen Gemeinschaft Befugnisse zu übertragen, sofern diese demokratisch sei. Sein Plan beruhte auf einer einfachen Feststellung: „Wenn die gesamte Armee einer europäischen Macht anvertraut wird, müssen die Parlamente und die Völker wissen, wie diese Macht organisiert sein wird, wie sie ihre Befugnisse verwalten und wie sie kontrolliert werden wird“. Aus diesem Grund hielt er es für unerlässlich, in der Europäischen Gemeinschaft eine repräsentative Versammlung zu schaffen, die sich auch aus Delegationen der nationalen Parlamente zusammensetzt. Dies sei „eine Gelegenheit, die sich bietet und die vergehen wird, wenn man sie nicht ergreift“ (Straßburg, 11.12.1951). De Gasperi setzte die Aufnahme des Artikels 38 in den EGKS-Vertrag durch, der die Parlamentarische Versammlung der EGKS beauftragte, die Grundlagen einer föderalen und konföderalen Gemeinschaft zu prüfen, um die neu entstandene Verbindung auf politischer Ebene weiterzuentwickeln und zu stärken. Dieser Artikel ist die Verwirklichung der europäischen Vision De Gasperis, die praktische Umsetzung der Erklärung, die der Staatsmann gegenüber Taviani abgegeben hatte. Die EVG trat nicht in Kraft, da die französische Nationalversammlung dagegen stimmte und Italien sie nicht ratifizierte; veränderte innen- und außenpolitische Bedingungen belasteten beide Länder. Ab 1953 hatte De Gasperi keine Regierungsämter mehr inne. 1954 wurde er zum Präsidenten der EGKS-Versammlung ernannt und appellierte an seine Parteifreunde, die italienische Regierung zur Ratifizierung der EVG zu bewegen: Er war überzeugt, dass eine italienische Ratifizierung die Franzosen dazu bringen würde, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Mit Trauer um die EVG im Herzen starb er am 19. August 1954 in Sella Valsugana, in der Stille seiner Berge, wenige Tage bevor das französische Parlament das Scheitern der EVG beschloss.
Fazit
„Freund Deutschlands und Europas“ (FAZ, 20. 8. 1954)
1952 erhielt De Gasperi den Karlspreis für seine „beständige Förderung der europäischen Einigung“. In der Preisbegründung wurde der „Realitätssinn“ und die Konkretheit seines Einsatzes für die Einigung Europas hervorgehoben und sein Beitrag zum moralischen Wiederaufbau Europas und zur Stärkung einer Versöhnungsmentalität gewürdigt. 1954 wurde „dem ehemaligen Ministerpräsidenten und ehemaligen Außenminister [...] in Anerkennung seiner besonderen Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ verliehen. Eine Ehrung, aber auch ein starkes Signal der Unterstützung für einen Mann, der trotz seines politischen Niedergangs das volle Vertrauen der Bundesrepublik genoss.
Konrad Adenauer schrieb in seinen Memoiren: „Ich habe nie vergessen, dass die italienische Regierung unter Alcide De Gasperi unmittelbar nach der Gründung der Bundesrepublik entschieden für die Wiedereingliederung Deutschlands in die europäische Staatengemeinschaft eingetreten ist.“ Anlässlich des 100. Geburtstages des italienischen Staatsmannes bekräftigte Helmut Kohl 1981 die aufrichtige und bleibende Wertschätzung der Bundesrepublik für das Wirken des italienischen Staatsmannes zu Beginn der 1950er Jahre: „Wir Deutschen sind ihm dankbar, weil er einer der ersten war, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg darum bemühte, die gegen Deutschland errichteten Barrieren des Misstrauens und der allgemeinen Verachtung abzubauen“ (Union in Deutschland, Nr. 62, 1981).
Tiziana Di Maio ist Professorin für Geschichte der Internationalen Beziehungen an der Libera Università Maria SS. Asunta (LUMSA) in Rom.
Literaturverzeichnis (Auswahl)
Eigene Werke:
Alcide De Gasperi, Edizione nazionale dell’epistolario di Alcide De Gasperi, Trento, (2019- ) (http://www.epistolariodegasperi.it)
Alcide De Gasperi, Scritti e discorsi politici (4 Bände), Bologna, 2006-2009
Biografien:
AA.VV., Alcide De Gasperi, (3 Bände), Soveria Mannelli, 2009
Piero Craveri, De Gasperi, Bologna, 2015
Ausgewählte Studien:
Alfredo Canavero, Alcide De Gasperi. Cristiano, Democratico, Europeo, Soveria Mannelli, 2003
Alfredo Canavero, 2013, Alcide De Gasperi: Il trentino che ricostruì l'Italia e fondò l'Europa, Milano, 2013
Eckart Conze/Gustavo Corni/Paolo Pombeni (Hgg.), Alcide De Gasperi: un percorso europeo, Bologna, 2005
Tiziana Di Maio, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer, Frankfurt am Main, 2014
Francesco Malgeri, La stagione del centrismo, Soveria Mannelli, 2002
Sergio Mattarella, De Gasperi. La visione e il coraggio, in Lectio degasperiana, Trento, 2016
Paolo Piccoli, Armando Vadagnini, De Gasperi. Un trentino nella storia d’Europa, Soveria Mannelli, 2004
Daniela Preda, Alcide De Gasperi federalista europeo, Bologna, 2004
Hans-Peter. Schwarz, Adenauer. Bd. I. Der Aufstieg 1876-1952, Stuttgart, 1986
Pietro Scoppola, La proposta politica di De Gasperi, Bologna, 1977
Paolo Emilio Taviani, Politica a memoria d’uomo, Bologna, 2003
Stefano Trinchese, L’altro De Gasperi. Un italiano nell’impero asburgico. 1881-1918, Roma – Bari, 2006
Antonio Varsori, La Cenerentola d’Europa?, Soveria Mannelli, 2010.