Geschichte der CDU
Der Begriff christlicher Sozialismus war schon vor 1848 gebräuchlich. Franz Joseph von Buß und Johann S. Drey intendierten damit eine sittlich-organische Gesellschaftsauffassung, die Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest als „feudalistischen“ bzw. „reaktionären Sozialismus“ persiflierten. Nach 1918 griffen Heinrich Pesch, Theodor Steinbüchel, Theodor Brauer u.a. das Schlagwort – auch aus parteitaktischen Gründen – wieder auf. Anders als die überwiegend evangelisch „religiösen Sozialisten“ wie Paul Tillich und Georg Wünsch (Bund der religiösen Sozialisten), die den Sozialismus vor allem geschichtlich-theologisch deuteten, verstanden gewerkschaftliche Zentrumspolitiker ihn als Synonym für christliche Sozialreform auf der Grundlage des Naturrechts.•„Staatswirtschaft“ und „reine Marktwirtschaft“ wurden verworfen, Privateigentum und -initiative als „Motor der Volkswirtschaft“ (Heinrich Pesch) anerkannt, jedoch mit genossenschaftlichen und berufsständischen Ideen verwoben: Individuelle, gesellschaftliche und staatliche Verfügungsgewalt sollten gemäß den subsidiären Gliederungsaspekten auf eine gemeinwohldienliche Wirtschafts- und Sozialordnung verpflichtet werden und der Integration der Industriearbeiterschaft in Betrieb und Gemeinwesen dienen. Sozialisierung von Großbetrieben wurde als ultima ratio angesehen. Das in der Folgezeit als christlicher Solidarismus bezeichnete Konzept fand seinen Niederschlag in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ Pius' XI. 1931 (Formulierung des Subsidiaritätsprinzips, Verbindung von Wettbewerb und genossenschaftlichberufsständischen Elementen, Kritik am Sozialismus bei differenzierter Bewertung der Inhalte).
Angesichts des Nachkriegselends erfuhr der christliche Sozialismus nach 1945 in einzelnen CDU-Gründerkreisen erneut eine vorübergehende Blüte. Der Frankfurter Kreis um Walter Dirks und Eugen Kogon plädierte für einen „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“; er sollte in einer Art „Labour Party“ Sozialisten verschiedenster Schattierungen zusammenführen und durch eine Verbindung von „Plan“ und „Demokratie“ die Volkswirtschaft humanisieren. Ähnlich wollte auch der Berliner Kreis um Jakob Kaiser, Otto Heinrich von der Gablentz und Joachim Tiburtius durch eine Synthese staatlicher Planung und wirtschaftsdemokratischer Lenkung der Großbetriebe, durch Mittelstandsförderung, Mitbestimmung und Gemeineigentum die volkswirtschaftliche Bedarfsdeckung sichern. Jakob Kaiser sah im christlichen Sozialismus zudem eine außenpolitische Komponente, eine „Brücke zwischen Ost und West“, von der er hoffte, kommunistischen Bestrebungen der SED und der sowjetischen Besatzungspolitik Einhalt gebieten zu können. Gemeineigentum an Schlüsselbetrieben, Selbstverwaltung der Wirtschaft und staatliche Kontrolle von Banken und Versicherungen waren auch die Programmpunkte des christlichen Sozialismus in den rheinischen Gründerkreisen um Karl Arnold, Johannes Albers und den Dominikaner Eberhard Welty, die Einfluss auf das Ahlener Programm von 1947 nahmen. Durch Initiative Konrad Adenauers wurden jedoch der Begriff christlicher Sozialismus fallen gelassen und deren Programmforderungen erheblich modifiziert. Freie Unternehmerinitiative, politische Rahmenplanung, Kartellgesetzgebung, machtverteilendes Prinzip, breite Vermögensstreuung und betriebliche Mitbestimmung weisen – trotz antikapitalistischem Tenor – prinzipiell bereits einer sozial flankierten Wettbewerbsordnung den Weg, die mit der Sozialen Marktwirtschaft seit den Düsseldorfer Leitsätzen 1949 die Programmatik der Union bestimmt.
Literatur:
B. Uhl: Die Idee des christlichen Sozialismus in Deutschland 1945-1947 (1975); F. Focke: Sozialismus aus christlicher Verantwortung (2. Auflage, 1981); R. Uertz: Christentum und Sozialismus in der frühen CDU. Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union 1945-1949 (1981).
Rudolf Uertz