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Länderberichte

TV-Debatte mit Wirkung

von Claudia Crawford

Wahlen in Großbritannien 2010

Am Donnerstag den 15. April 2010 fand die erste von drei TV-Debatten vor der Wahl in Großbritannien am 6. Mai statt. Statt eines Duells zwischen den beiden Parteiführern von Labour und Tory, Gordon Brown und David Cameron, befand sich Nick Clegg, Vorsitzender der Liberaldemokraten, als Dritter in der Runde. Anschließende Umfragen zeigten ihn als klaren Sieger.

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Es war das erste Mal in der britischen Wahlgeschichte, dass eine Fernsehbegegnung der Kandidaten stattfand. Dementsprechend fand die Debatte hohe Aufmerksamkeit – vor, während und nach der Ausstrahlung. In einem Land, dass aufgrund seines Mehrheitswahlrechts traditionell nur Machtwechsel zwischen zwei Parteien kennt, war es umso erstaunlicher, dass der Liberale Clegg auf gleicher Augenhöhe mit dem Premierminister und dem Oppositionsführer in der Runde vertreten war. Allein dieser Umstand ist schon mehr als ein Achtungserfolg für die bislang kaum wahrgenommenen Liberaldemokraten (Lib Dem). Sie stellen derzeit 62 Abgeordnete im Parlament und noch vor einer Woche wusste kaum jemand in Großbritannien, wer Nick Clegg ist.

Vielleicht ist es vor allem diesem Umstand zu verdanken, dass Clegg die Überraschung des Abends war. Zugegeben, es war ein großer Vorteil für ihn nur sagen zu müssen, dass die anderen beiden Parteien sich seit 65 Jahren die Macht teilten und nichts wirklich anders geworden ist. Wer einen wirklichen Wechsel möchte, der muss die Liberalen wählen. Aber die Art, wie er es sagte, war höchst ansprechend. Er wirkte entspannt, frisch und ehrlich. Er sprach die Fragesteller im Raum persönlich an und schaute direkt in die Kamera, womit er auch die Zuschauer am Bildschirm erreichte. Die Wirkung war phänomenal. Zwei Tage später zeigten die landesweiten Umfragen einen Anstieg für die Lib Dem von 8%. Die Sun/YouGov Umfrage am Samstag zeigte die Tories bei 33% (-4%), die Liberalen bei 30% (+8%) und Labour bei 28% (-3%). Andere Umfragen zeigen ähnliche Werte, die BPIX der Zeitung Mail am Sonntag sah sogar die Libaralen mit 32% an der Spitze.

Die „gute Ordnung“ ist damit durcheinander gebracht. Aufgeschreckt versuchen alle Seiten, die Parteien wie die Medien, diese Ergebnisse zu deuten. Nach Berechnungen des BBC ergäbe die YouGov-Umfrage für die Labour 276 Mandate, für die Tories 245 und für die Lib Dems 100, 29 Mandate würden an kleinere Parteien gehen. Es wäre ein „Hung Parliament“, in dem die Liberalen die Königsmacher wären. Bislang sagte Clegg für solch einen Fall immer nur, er wird denjenigen unterstützen, der das stärkste Mandat von den Wählern bekommt. Ist das David Cameron, dessen Tories die meisten Wählerstimmen bekämen, im Parlament aber nur zweitstärkste Partei wäre? Oder Gordown Braun, dessen Partei die meisten Sitze inne hätte? Er wäre der eigentliche Verlierer der Wahl mit Stimmverlusten von fast einem Viertel der Wähler im Vergleich zu 2005 und ein Politikwechsel eher unwahrscheinlich.

Sicherlich wäre die wichtigste Frage die zählt, zwischen welchen beiden Parteien gibt es die größten inhaltlichen Schnittmengen. Was in Deutschland zum normalen Ablauf nach Wahlen gehört, ist für Großbritannien Neuland – Koalitionsverhandlungen. Rechtzeitig vor der TV-Debatte legten alle drei Parteien ihr Wahlprogramm vor, von Montag bis Mittwoch, abgestimmt beginnend mit Labour. Nach Umfang gemessen liegt das Programm der Tories mit 131 Seiten vorn, gefolgt von Labour mit 78 und Lib Dem mit 57 Seiten. Alle greifen die wichtigsten politischen Felder auf: Wirtschaft/Finanzen, öffentliche Ausgaben für Schulen, Gesundheitssystem und Polizei, Europa und Sicherheitspolitik. Nicht zuletzt sprechen alle davon, verlorenes Vertrauen in die Demokratie zurückzuholen – mit Hilfe strengerer Regeln für Politiker und einer Reform des Wahlrechts. Die Unterschiede liegen wie so häufig in den Details.

Die größte Übereinstimmung zwischen allen drei Parteien liegt im Umgang mit dem NHS – National Health Service. Dieses staatliche Gesundheitssystem hat solch eine Bedeutung für die Briten, dass sie fast den Status der Unantastbarkeit besitzt. Für die Konservativen war es Cameron selbst, der die Unterstützung für die NHS priorisierte, nicht zuletzt, um den Wandel der Tories sichtbar zu machen. Um sich abzusetzen, spricht Brown dezidiert von einer persönlichen Garantie, die jeder Bürger in Großbritannien von Labour erhält, dass immer wenn Hilfe nötig ist, diese zur rechten Zeit zur Verfügung steht. In der TV-Debatte forderte Brown seinen direkten Gegenspieler Cameron auf, dazu Stellung zu nehmen. Der war klug genug, solche Versprechen nicht zu machen. In der Schulpolitik gibt es ebenfalls einige Übereinstimmungen. Die Schulen sollen von Gängelung befreit (so die Tories), schlecht geführte Schulen notfalls von anderen Institutionen übernommen werden (so Labour). Die Lib Dem fordern vor allem kleinere Klassen. Und ähnlich ist es mit der Polizei.

Die Frage nach der Finanzierung dieser öffentlichen Dienstleistungen zeigen die eigentlichen Differenzen – und Schwierigkeiten. Die Aufrechterhaltung des jetzigen Niveaus und die Versprechen, vieles noch ein bisschen besser zu machen, lassen sich schwer mit dem übergroßen Haushaltsdefizit in Einklang bringen. Das ist aber die „Gretchenfrage“ bei dieser Wahl.

Browns Argumentation klingt verlockend: Die Politik darf jetzt keine Entscheidungen fällen, die den spürbar beginnenden Aufschwung gefährdet. Alle Länder in Europa hätten Geld in den Wirtschaftskreislauf gesteckt, da private Investitionen fehlen. Zu früh dieses Geld aus dem System herauszunehmen gefährdet Arbeitsplätze. Deshalb sollen in 2011 die Sozialversicherungsabgaben auf Einkommen über 20.000 £ Jahreseinkommen (das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 25.800 £*) um ein Prozent angehoben werden. Einsparungen sollen nach den Vorstellungen Labours frühestens 2011 beginnen. Gleichzeitig verspricht die Partei eine Halbierung des Haushaltsdefizit in vier Jahren. Cameron will eine schnellere Reduzierung des Defizits und sieht sich dabei von einem großen Teil der Wirtschaft unterstützt. Seine Argumentation lautet: Entscheidend ist nicht, wieviel der Staat an Geld ausgibt, sondern was am Ende für ein Ergebnis erzielt wird, sprich, wie effizient die öffentliche Hand ist. Die schwierige wirtschaftliche Lage kann kein Argument für Verschwendung von Steuergeldern sein. Die Anhebung der Lohnnebenkosten sei Gift für die Erholung der Wirtschaft. Die Liberalen sprechen von der Schaffung eines fairen Steuersystems. Alle Verdienste unter 10.000 £ sollen von der Steuer ganz befreit werden. Auch sie sehen Einsparpotential im Haushalt. Clegg nimmt für seine Partei in Anspruch, die einzige zu sein, die eine solide Gegenfinanzierung für ihre Vorschläge habe. Unter anderem stellt er das teure Trident-Nuklear Programm in Frage, das seiner Meinung nach aus dem kalten Krieg stammt und heute seine Bedeutung verloren hätte.

Den Augen von Wirtschaftswissenschaftlern halten alle drei Programme nicht stand. Sie errechnen eine Kluft von rund 30 Milliarden £ zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Auch wenn es kein Geld kostet, ist das noch kein Grund für Einigkeit: Nimmt man die Europapolitik, so ist die Skepsis bei den Tories nicht zu übersehen. Hier sind es vor allem die Lib Dems, die Europa am offensten gegenüberstehen, was nicht zu letzt mit Nick Clegg selbst zu tun hat, der schon von seinem Werdegang her, sehr europäisch ist. Alle möchten, um ein Thema aufzugreifen, das in diesem Wahlkampf eine größere Rolle als sonst spielt, das Wahlsystem reformieren, aber jeder auf seine Weise. Für das Oberhaus sehen Labour und Lib Dem Wahlen vor, die Tories möchten den größten Teil der Mitglieder wählen lassen. Für das Unterhaus schlägt Brown eine alternative Stimme vor – jeder wählt zwei Kandidaten seines Wahlkreises und gewinnt nicht der mit der Erststimme, dann wird die zweite Stimme gerechnet. Die Tories wollen das Unterhaus verkleinern, halten aber am Wahlsystem fest.

Sie wollen vor allem erreichen, dass die Wahlkreise eine vergleichbare Anzahl an Einwohnern hat, damit die Stimmen ein vergleichbares Gewicht mitbringen, die so genannte „Fair Vote“. Die Liberalen wollen ein Verhältniswahlrecht.

Es gibt also genügend Stoff für Verhandlungen. Und es verbleiben noch zwei TV-Debatten, die Einfluss auf die Wählerstimmung haben können. Wenn die erste Debatte etwas deutlich gemacht hat, dann, dass die Wähler einen Wechsel wollen. Nun liegt es an den Parteien die Wähler zu überzeugen, mit wem sie den erhofften Wechsel auch bekommen. Die nächste TV-Debatte findet am 22. April, 20:00 Uhr auf Sky News Channel statt.

Links zu den Wahlprogrammen:

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