Länderberichte
Die zu Beginn des Wahlkampfes noch jeweils mit Spannung erwarteten und nahezu täglich veröffentlichten Umfragen der wichtigsten Meinungsforschungsinstitute in Großbritannien machen die Wahlkampfstrategen der meisten Parteien zunehmend unruhig und den politischen Beobachter ratlos.
Inmitten der heißen Wahlkampfphase mit an Schärfe zunehmenden Attacken der politischen Gegner, einer ganzen Palette von Wahlversprechen ans (Wahl)Volk, permanenten öffentlichen Inszenierungen der Spitzenkandidaten und einer intensiven Presseberichterstattung passiert in den Umfragen…nichts.
Abgesehen von gelegentlichen Ausreißern, die mal die Conservatives, mal Labour ein paar Tage 4-6% vorne sehen (wo dann voreilig von einer Trendwende spekuliert wird ), werden diese Ausreißer dann von der nächsten Umfrage wieder eingeholt und alles ist so, wie es schon Anfang des Jahres war: Conservatives und Labour liegen mit 32-34 % gleichauf, UKIP mit 12-14% dahinter, gefolgt von den Lib Dems und den Greens (mit wechselnder Positionierung) bei 5-8%.
Das wirft die Frage auf, ob sich die Bürger einfach nicht beindrucken lassen wollen oder ob die Parteien und Kandidaten diese nicht beindrucken können?
Ein weiterer Grund könnte auch in dem erweiterten Angebot liegen: Die Zeiten, in denen sich die Wähler am Ende zwischen Labour oder Conservatives entscheiden mussten, scheinen vorläufig vorbei zu sein. Die Atomisierung der Wählergunst scheint konsistent zu sein (zumindest suggerieren dies die Umfragen) und die vermeintlich kleineren Parteien erfreuen sich eines substantiellen Zulaufs. Dass sich dies dann nicht notwendigerweise in der Sitzverteilung im Parlament widerspiegeln wird, ist eine andere Sache und dem Wahlsystem geschuldet.
- Auf seiner neuen Seite "Großbritannien wählt" stellt Ihnen das KAS-Auslandsbüro Großbritannien bis zum Wahltag am 7. Mai regelmäßige Updates zur Verfügung, zu denen eigene Berichte und Veröffentlichungen zum Wahlkampf, Umfrageergebnisse und Vorhersagen, Informationen zu den unterschiedlichen Parteien und deren Wahlprogrammen (sobald diese veröffentlicht werden), interessante Zitate, sowie Links zu den TV-Debatten zählen.
Angriffe und Angebote
Am anschaulichsten wurde diese Atomisierung beim zweiten TV-Duell, bei dem sich die Parteiführer von insgesamt sieben Parteien gegenüberstanden: David Cameron (Conservatives), Ed Milliband (Labour), Nigel Farange (UKIP), Nick Clegg (LibDems), Nicola Sturgeon (SNP), Leanne Wood (Plaid Cymru) und Natalie Bennet (Greens).
Während Milliband und Cameron versuchten sich mit gegenseitigen Attacken als die einzigen „Prime Minister Kandidaten“ zu profilieren und es zeitweise so aussah, dass Cameron es mit 6 Gegnern zu tun hatte (da sein Koalitionspartner Nick Clegg gleich zu Beginn einen Frontalangriff gegen ihn startete), waren am Ende die drei Frauen in der Runde die heimlichen Siegerinnen: Nicola Sturgeon durch ihre Souveränität und weil sie gemeinsam mit Wood und Bennet Ed Milliband von links (für ihn offensichtlich überraschend) attackierten und Natalie Wood, weil sie Nigel Farage mit seiner unsäglichen Aussage zu HIV Patienten „very british“ zurechtstutzte („you should be ashamend !“). Ganze zwei Stunden quälte man sich durch ein Frage-und-Antwort-Spiel, einen eindeutigen Sieger gab es nicht, die nachfolgenden Umfragen hatten für jeden Geschmack etwas dabei.
Bei Erreichen der Halbzeit war sowohl bei Labour, aber v.a. auch bei den Consevatives zu erkennen, dass die ursprüngliche Wahlkampfstrategie nicht zu zünden scheint. Bei Labour hat zwar Milliband durch die TV Auftritte an persönlichem Format gewonnen (verlieren konnte er auch nicht viel) aber das Bemühen von Labour durch eine positive Haltung zur EU Mitgliedschaft bei der Wirtschaft zu punkten und so etwas aus der wirtschaftsfeindlichen Ecke herauszukommen verfing nicht wirklich.
Bei den Conservatives waren die permanenten Attacken gegen Labour (im Sinne von „wer Labour wählt, stimmt für den wirtschaftlichen Niedergang Großbritanniens“) und das Fehlen einer eigenen positiven Botschaft bzw. die Beschränkung derselben auf die Wirtschaftskompetenz (we have a long term economic plan) letztlich auch nicht zündend.
Man spürte von daher förmlich, dass mit der Vorstellung der Wahlprogramme beide große Parteien noch einmal einen neuen Schwung in die eigene Strategie bringen wollten (und mussten).
Auffallend ruhig ist es bis dato bei UKIP. Nigel Farange blieb im TV Duell etwas blass, seine eigenen Aussichten in seinem Wahlkreis South Thanet sind alles andere als eindeutig (einige Umfragen prognostizieren dort einen Gleichstand zwischen UKIP, Labour und Conservatives) und als zentrale Themen haben sich im Wahlkampf die sozialen Themen (NHS, Wohnungsbau) und die Wirtschaftsthemen (Steuerpolitik, Wirtschaftskompetenz) durchgesetzt. Migration und Europa, also die zentralen UKIP Themen, sind etwas in den Hintergrund gerückt.
Die Lib Dems, immerhin der shooting star bei der Wahl 2010, scheinen zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Ihre Strategie als Ausgleich zwischen Labour und Conservatives zu fungieren geht offensichtlich nicht auf, die Proteststimmen gehen klar zu Gunsten von UKIP, Greens und den Regionalparteien (v.a. SNP, aber auch Plaid Cymru oder Unionist), so dass nur eine gute persönliche Kandidatenperformance in den Wahlkreisen die Lib Dems vor dem Zerfall retten könnte.
Auftakt zur 2. Halbzeit – die Wahlprogramme
Den Auftakt mit der Vorstellung der Wahlprogramme machte Labour am Montag, dem 13.4., es folgte Conservatives und Greens am 14.4. UKIP, SNP und Lib Dems werden in den nächsten Tagen folgen.
Die Labour Party stellte ihr 86-seitiges Programm unter den Titel „A better plan – a better future“.
Wirtschaft, Steuern, Gesundheit, Erziehung, innere Sicherheit, Sozialversicherung, Umwelt, Verteidigung, Transport und Außenpolitik sind die Schwerpunktthemen. Auffallend hier das Bemühen sich als haushaltspolitisch solide und durchaus wirtschaftsfreundlich zu präsentieren.
Zur Frage der Einheit des Königreichs will Labour einen Verfassungskonvent einberufen, das House of Lords durch einen Senat oder eine Ländervertretung ersetzen und die Dezentralisierung mit einer Stärkung von Städten und Gemeinden vorantreiben. Zur Frage der EU-Mitgliedschaft bekennt sich Labour eindeutig zur EU, allerdings gibt es auch ein klares Nein zum Euro. Ferner pocht auch Labour auf Reformen in der EU (ohne diese im Detail zu präzisieren). Ein Referendum wird nur für den Fall befürwortet, dass ein weiterer Transfer von Befugnissen nach Brüssel ansteht.
Die Conservatives stellten ihr Wahlprogramm unter den Titel „Strong leadership – a clear economic plan – a brighter, more secure future”. Schwerpunkte sind hier Wirtschaft, Job und Migration, Gesundheit und Erziehung, innere Sicherheit, Altersversorgung sowie Außen- und Sicherheitspolitik. Auf insgesamt 83 Seiten werden eine ganze Reihe finanzieller Zusagen und Versprechungen gemacht. Auffallend ist hier das Bemühen nicht nur als wirtschaftsfreundliche Partei dazustehen, die spart und Sozialleistungen kürzt sondern auch der Unter- und Mittelschicht mit finanziellen und steuerlichen Leistungen vor allem im sozialen Wohnungsbau entgegenkommt. Die Parallelen zu Thatchers Wahlkämpfen in den achtziger Jahren sind offensichtlich, der urbritische Mythos des „my home is my castle“ soll offensichtlich wiederbelebt werden.
Zur EU Mitgliedschaft (erst auf Seite 72) wird unterstrichen, dass kein Beitritt zur Eurozone geplant ist, dass ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft 2017 versprochen wird, und dass ein Europa als „Familie von Nationalstaaten“ im Kontrast zur „ever closer Union“ angestrebt wird. TTIP wird ausdrücklich befürwortet, ebenso eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit der NATO, sowie einem klaren Nein zur Europäischen Armee.
Bei beiden Partien ist deutlich das Bemühen zu erkennen, aus der jeweiligen „ideologischen Ecke“ herauszukommen und zusätzliche Wählerschichten zu gewinnen. Der Guardian kritisierte dementsprechend, dass sowohl Labour wie auch Tories mit dem Gegenteil von dem paradierten, wofür sie ständen. Die Titelseite des Daily Telegraph vom 14.4. macht dies besonders deutlich: „We are the true party of working people“ in Ankündigung des Tory Wahlprogramms.
Und auch die FAZ kommentierte dementsprechend: „Camerons wundersame Wandlung“ mit Anspielung auf das Wahlprogramm.
Wesentlich distanzierter und entsprechend seriöser kritisierte die Financial Times, dass alle Parteien den Wahlkampf an den wahren großen Problemen des Landes wie dem enormen Haushaltsdefizit, vorbei machen.
Zwar reden alle davon das Defizit kürzen zu wollen, die Ausgabenankündigungen übertreffen jedoch bei allen die dafür notwendigen Kürzungen und Einsparungen um Längen.
SNP in Schottland weiter im Aufwind
Was bleibt, ist die Ungewissheit des Wahlausgangs und die sich verdichtende Ahnung, dass es zu einem „hung parliament” kommen wird.´
Während Tories („It’s the economy, stupid) und Labour (“It’s the NHS, stupid”) um den “richtigen” inhaltlichen Fokus streiten, ist man angesichts der voraussichtlichen fehlenden Mehrheiten in Westminster und dem ungebrochenen Aufstiegstrend der schottischen SNP geneigt beiden entgegenzurufen: „It’s all about Scotland, stupid!“
In Schottland hat die SNP inzwischen mehr als 100.000 aktive Parteimitglieder, die den Straßenwahlkampf hochmotiviert führen und die Wähler direkt und einzeln ansprechen. Hinzu kommt eine positive Führungsfigur: die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon genießt unter den Schotten ein enorm positives Image (62% sind mit ihrer Regierungsführung zufrieden). Kritik und Probleme scheinen an der SNP abzuprallen. Der enorm gesunkene Erdölpreis macht eigentlich das zentrale Referendumsargument der SNP zu Nichte (wirtschaftliche Autarkie dank Nordseeöl) und die alles andere als berauschende Regierungsperformance führt ebenso wenig zu nachlassender Unterstützung.
Wenn es so ausgeht, dass die SNP letztlich der entscheidende Königsmacher (oder Königsverhinderer) im Parlament sein wird, wird klar, wie wichtig die Wahl in Schottland für die Zukunft Großbritanniens sein wird.
Die in der letzten Woche durchgesickerte Indiskretion, dass Sturgeon gegenüber dem französischen Botschafter in London gesagt haben soll, dass sie Cameron als Primeminister bevorzuge, wurde zwar von ihr energisch bestritten. Dahinter stecken aber durchaus plausible und komplexe Überlegungen: Im Falle einer Minderheitsregierung der Tories und eines dann 2017 folgenden EU-Referendums würden die Chancen für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum in Schottland deutlich erhöhen. Und das ist und bleibt das Ziel der SNP: Die Unabhängigkeit Schottlands. Dies hat Sturgeon selbst bei der letzten TV Debatte noch einmal eindeutig klargemacht.
Bis dahin rechnet die SNP damit eine Labour Minderheitsregierung mit maximalen Forderungen für weitere Autonomiezugeständnisse an Schottland vor sich her treiben zu können. Was die SNP allerdings machen würde, falls Labour diese Unterstützung ausschlägt ist unklar und birgt Raum für weitere Spekulationen.
Mit einer so erstarkten Regionalpartei, deren erklärtes Ziel es ist Schottland aus Großbritannien heraus in die Unabhängigkeit zu führen, bekommt diese Unterhauswahl eine Bedeutung, die weit darüber hinaus geht, wer der nächste britische Premierminister wird.
James Forsyth bringt dies im Spectator auf den Punkt: „A Scottish revolution is coming and everyone’s losing their heads“.