Veranstaltungsberichte
Europa nach dem Vertrag von Lissabon
Europäisches Rundtischgespräch in Wiston House
Wilton Park, West Sussex
Am 15.-17. Oktober 2010 fand das jährliche Europäische Rundtischgespräch auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung statt. Im Mittelpunkt dieses Treffens stand die Entwicklung der Europäischen Union nach der Ratifizierung des Lissabonvertrags. Eingeladen waren wieder Politiker, Akademiker und Journalisten, diesmal aus Großbritannien, Irland, Deutschland, Spanien und Italien.
Der Lissabonvertrag ist seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft, nachdem Irland durch ein zweites Referendum den Weg für eine Ratifizierung durch alle EU-Mitgliedsstaaten freimachte. Es stellt sich die Frage, wie der Vertrag umgesetzt wird und wie sich damit die EU verändert. Inzwischen sind der Präsident des Europäischen Rates Van Rompuy und die Hohe Repräsentantin für EU-Außenpolitik Lady Ashton ernannt. Der Europäische Diplomatische Dienst ist in Vorbereitung. Aber aufgrund der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ruht der eigentliche Fokus auf der weiteren finanz- und wirtschaftspolitischen Entwicklung innerhalb der EU.
Vor diesem Hintergrund fand das diesjährige Europäische Rundtischgespräch statt, an dem sich rund 30 Experten aus Politik, der Wissenschaft und den Medien intensiv beteiligten. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen sowohl die derzeit aktuellen Themen, wie die Überwindung der Wirtschaftskrise und der Umgang mit dem Klimawandel, als auch Strukturfragen, wie zum Beispiel die Beteiligung der nationalen Parlamente beim Entscheidungsfindungsprozess auf europäischer Ebene und die künftige Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Polizei.
Hervorgehoben wurde, dass das fehlende politische Handeln der letzten fünf Jahre Europa weitgehend als globaler Spieler an den Rand geschoben, aber dass der Wille nach langfristigem Denken eingesetzt hat. Die Nachfrage nach einer Richtung und Vision sind wichtig. Vor diesem Hintergrund fanden die Teilnehmer das Strategiepapier „Europa 2020“ enttäuschend. Es wurde kritisch angemerkt, dass die Lissabon-Strategie nicht erfolgreich war und versäumt wurde, eine hinreichende Ursachenanalyse vorzunehmen. Damit läuft auch die neue Strategie Gefahr, die gesetzten Ziele zu verfehlen.
Der Lissabonner Vertrag stärkt die Rolle der nationalen Parlamente. Die Fragen, wie die nationalen Parlamente europapolitische Themen behandeln und die Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der EU verfolgen, fanden in der Diskussion großes Interesse. Die Abläufe und Instrumente dafür unterscheiden sich zwischen den nationalen Parlamenten deutlich.
Viel Raum nahm die Diskussion über die Wirtschaftspolitik innerhalb der EU ein. Zum einen zeigte sich, dass häufig eine Begriffsverwirrung besteht, wenn von einer Wirtschaftsregierung für die EU gesprochen wird. Die Einen verstehen darunter economic government, die Anderen economic governance. Es ist daher eine größere Klarheit nötig, was die einzelnen Länder der EU wirklich meinen. Auch wenn es in Einzelfragen unterschiedliche Standpunkte gab, wie zum Beispiel in der Debatte um den Europäischen Haushalt, so konnte sich darauf geeinigt werden, dass die eigentliche Frage darin liegt, wie die EU ein starkes Wirtschaftswachstum stimulieren kann.
Beim Thema Klimawandel bestand Übereinstimmung, dass Europa eine abgestimmte Politik verfolgen muss, um eine weitere Erderwärmung abzubremsen. Die EU ist die richtige Ebene, um auch Weltweit Standards zu setzten, in dem sie selbst ehrgeizige Ziele setzt und erfüllt. Allerdings wurde auch gemahnt, dass die EU wegen der gegenwärtigen Krise weitere Regulierungen mit Vorsicht betrachten muss. Eine größere Akzeptanz gegenüber klimapolitischen Maßnahmen kann generell dadurch erzeugt werden, dass sie gleichzeitig auch einen wirtschaftlichen Nutzen erzeugen und somit selbst als ein Potential für Wirtschaftswachstum betrachtet werden. Klimaschutz wird weder auf Kosten der Wirtschaft noch auf Kosten der Bürger erreicht.
In der Diskussion um die neuen Kompetenzen im Bereich der Zusammenarbeit von Justiz und Polizei wurde darauf hingewiesen, dass bisher mehr bilaterale Abkommen als gesamteuropäische Abgekommen abgeschlossen wurden und dass letztere eher einen technischen und weniger einen politischen Charakter haben. Die Herausforderungen für die Zusammenarbeit der Polizei und der Justiz in Europa liegen in zukünftig erhöhten Kosten und in der erhöhten Quantität von Konflikten sowie deren Charakter. Dazu zählen beispielsweise Cyber-Angriffe und –Kriminalität. Nötig sind eine bessere Vernetzung, ein besserer Datenzugriff und eine angemessene Datenspeicherung, sowie der Bedarf nach verbessertem Austausch der Nachrichtendienste neben Europol als wichtige Instrumente.
Das Europäische Rundtischgespräch, wie es nun seit den 80er Jahre von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Großbritannien organisiert wird, dient als wichtige Plattform für den Austausch und der Koordinierung verschiedener Initiativen und Politiken der EU-Mitgliedstaaten. Auch in diesem Jahr gelang es, den Meinungsaustausch aufgrund der hochrangigen Beteiligung auf einem sehr professionellen Niveau zu führen. Für die Teilnehmer ergab die Veranstaltung einen hohen Informationsgewinn. Darüber hinaus konnten persönliche Kontakte geknüpft werden, die über das Treffen hinaus von Bestand sein werden. Damit erfüllte das Rundtischgespräch auch in diesem Jahr seinen Anspruch, einen Beitrag zur Vertiefung der europäischen Integration zu leisten. Dabei war die Teilnahme von Vertretern aus mehreren EU-Mitgliedsländern ein großer Gewinn. Deshalb wird diese Reihe auch im nächsten Jahr ihre Fortsetzung finden.