Zu diesen und weiteren Fragen diskutierten:
- Max Abrahms, Professor, Northeastern University, Vereinigte Staaten
- Rexon Y. Ryu, President, The Asia Group, Vereinigte Staaten
- Theresa Fallon, Founder and Director, Centre for Russia, Europe, Asia Studies, Belgien
- Tilman Kuban MdB, CDU/CSU-Fraktion, Deutscher Bundestag
- Moderatorin: Smita Prakash, Chefredakteurin und stv. Geschäftsführerin, Asian News International, Indien
Auch beim Raisina-Dialog 2024 warf der US-Präsidentschaftswahlkampf seine Schatten voraus. Der Elefant im Raum war eine Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident. Und so war es nur konsequent von den Organisatoren, den US-Präsidentschaftswahlen und ihren globalen Implikationen ein eigenes Diskussionsformat zu widmen. Das dies abseits der Hauptbühne und zu fortgeschrittener Stunde geschah, tat der Diskussionsfreudigkeit der Panelisten und Teilnehmer keinen Abbruch, im Gegenteil, die Intimität des Settings sorgte für einen angeregteren und auch kontroverseren intellektuellen Schlagabtausch als dies auf der Hauptbühne zu beobachten gewesen war.
Denn Einigkeit bestand unter den Panelisten lediglich in der Einschätzung, dass es auf ein Duell Biden vs. Trump hinauslaufen werde und der US-Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2024 damit präzedenzlos sei: noch nie sei ein ehemaliger US-Präsident gegen einen amtierenden US-Präsidenten angetreten, noch nie seien die beiden (voraussichtlichen) Kandidaten so alt gewesen. Dass das Rennen bereits gelaufen sei und Trump zwangsläufig zum neuen, alten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden wird – auf diese Wette wollte sich niemand auf dem Panel einlassen. So wurde auf die makroökonomische Situation in den USA hingewiesen – die Zahlen sind gut und werden sich bis November verstetigen, und wenn die verbesserte gesamtwirtschaftliche Lage auch bei der Bevölkerung ankomme werde sich dies auch in eine optimistischeren Grundstimmung niederschlagen – und auf dem Konto von Amtsinhaber Joe Biden einzahlen, gemäß dem Wahlkampfmotto Clintons: „It’s the economy, stupid“. Bis zum Wahltag im November seien also noch viele (unvorhergesehene) Entwicklungen möglich und das Rennen trotz eines aktuellen deutlichen Umfragevorsprung Trumps noch nicht gelaufen. Und spätestens seit dem Wahlkampf 2016 sollte man auf Umfragen nicht mehr allzu viel geben, so der Tenor des Panels.
Das eine Kandidatur (nicht aber ein Wahlsieg) Trumps nicht mehr abzuwenden sei war Konsensus. Ein rechtlicher Ausschluss von den Wahlen wurde als ganz und gar unwahrscheinlich eingeschätzt und die vielen laufenden strafrechtlichen Verfahren gegen den Ex-Präsidenten als zweischneidiges Schwert bewertet: während Trump diese zu Wahlkampfzwecken nutzen kann, um seinen angeblichen Märtyrerstatus bei seinen Anhängern zu untermauern, würden diese doch einen erheblichen Anteil unabhängiger bzw. zentristischer Wähler abschrecken. Zudem sei auch eine Spaltung der Republikaner in Trumpisten und die eigentliche Grand Old Party nicht auszuschließen. Stimmen wie Romney und Cheney stehen für letzteres Lager und auch die (fortgesetzte) Kandidatur von Haley zeigten ein Unwohlsein in Teilen des republikanischen Lagers mit Trump auf, so eine Einschätzung. Ob allerdings Amtsinhaber Joe Biden letztlich im November zur Wahl stehen würde, wurde von einem Panelisten mit Verweis auf sein Alter und seine Gesundheit in Frage gestellt. Wen die Demokraten beim Nominierungsparteitag im August dann wie Kai aus der Kiste zaubern sollten, darauf blieb das Panel eine Antwort schuldig. Somit schien dann das Duell Biden versus Trump dann doch ausgemacht.
Unabhängig davon, wer in das Weiße Haus im Januar 2025 einziehen wird: ein unbestrittenes nationales Mandat wird keiner der Beiden erhalten. Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft ist soweit vorangeschritten, dass die Integrität der Wahlen je nach Ausgang von dem einen oder anderen Lager in Frage gestellt werden wird. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität der Demokratie keine gute Aussicht – ganz zu schweigen von der Wahrnehmung im Ausland. „The Shining City upon a Hill“ – diese Ausstrahlungskraft hat zumindest das politische Amerika längst verloren.
Was die zeitgleich stattfindenden Kongresswahlen anbelangt, so sind verlässliche Prognosen noch schwieriger. Eine sogenannte „rote oder blaue Welle“ (also ein Erdrutschsieg der einen oder der anderen Partei) erscheint jedoch unwahrscheinlich, mit dem Resultat, dass ein „divided government“, also eine Kohabitation der politischen Lager realistisch erscheint. Ein Verlust der demokratischen Senatsmehrheit erschien manch einem erwartbar. Für die militärische und finanzielle Unterstützung der US-Partner ist die Zustimmung des Kongresses unerlässlich, und auch hier wirft der Wahlkampf bereits seine Schatten voraus, wie die aktuelle Diskussion über das Unterstützungspaket für die Ukraine verdeutlichte.
Im Hinblick auf die geopolitischen Implikationen der möglichen Szenarien des Wahlausgangs war die abendliche Diskussionsrunde weniger pessimistisch: so wurde darauf verwiesen, dass ein möglicher US-Präsident Trump nicht eigenmächtig aus der NATO aussteigen könnte und dies auch nicht in seinem Interesse sei; vielmehr ginge es ihm um eine (freilich nach eigenen Maßstäben) faire Lastenteilung zwischen den USA und seinen europäischen Partnern. In diesem Kontext seien auch seine jüngsten Einlassungen zur Einschränkung von Artikel 5 NATO-Vertrag für „säumige NATO-Mitglieder“ zu verstehen. Es war freilich nicht erst Trump, der die Europäer mit dem gemeinschaftlich vereinbarten 2-Prozent-Ziel konfrontierte. Dies hätte auch bereits der in Europa noch heute allseits beliebte Präsident Obama getan, allerdings in einer deutlich anderen Tonalität und Konsequenz. Letztendlich hätten es die Europäer somit selbst in der Hand, ihre geopolitische Relevanz für die Vereinigen Staaten unter Beweis zu stellen. Auch bei einer etwaigen Widerwahl Bidens wird der Handlungsdruck hierbei zunehmen, so die allgemeine Erwartungshaltung. Überhaupt müsse den Europäern bewusst sein: jeder Nachfolger Bidens wird weniger transatlantisch gesinnt sein. Somit seien jetzt bereits die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen und eine wirkliche Zeitenwende zu vollziehen.
Egal ob unter Biden oder dem transaktional denkenden (und handelnden) Trump: In jedwedem Szenario werden sich die Verbündeten stärker beweisen müssen und den USA Lasten abnehmen. Dies gilt insbesondere für Europa. Denn zukünftig werden sich die USA primär auf den Indo-Pazifik und den geopolitischen Wettbewerb mit China ausrichten. Die verschärfte China-Strategie kann denn auch bereits jetzt als Trump‘sches Erbe anerkannt werden. Und auch was den Nahen Osten anbelangt wäre unter einer Trump 2.0 Administration eine härtere Gangart gegenüber dem Iran und der sogenannten Achse des Widerstands zu erwarten. Einigkeit bestand dann allerdings auch darin, dass die Relevanz Indiens und die amerikanisch-indische Partnerschaft in Zukunft bei gleichjedem Wahlausgang weiter steigen wird. Dies war natürlich eine Einschätzung, die in Delhi gut aufgenommen wurde. Denn eine neue Bipolarität lehnt man hier ab und sieht sich selbst als aufstrebende Macht des Globalen Südens in einer neuen multipolaren Weltordnung, die freilich erst noch im Entstehen ist.