Chinas wirtschaftliches Wachstum hat die globale Wirtschaft lange Zeit gelenkt, den Handel hochgetrieben und Chinas strategische Interessen innerhalb der internationalen Weltordnung gefestigt. Innerstaatlich haben die wirtschaftlichen Reformen und Entwicklungsstrategien so viele Menschen aus der Armut geholt wie noch nicht zuvor in der Geschichte des Landes und so das Leben der 1,3 Milliarden Chinesen bedeutend verändert.
Wissend, dass aufsteigende Wirtschaftsmächte empfänglich für „Mittlere-Einkommens-Fallen“ sind und in Anbetracht der negativen Auswirkungen von sich rasant entwickelndem Wachstum auf Nachhaltigkeit und Umwelt, hat China seit 2013 eine Strategie der geordneten und kontrollierten Ausbremsung eingeschlagen. Um jenen Kurs sowie dessen Auswirkungen zu untersuchen, beleuchtete das 2. Diskussionsforum über China verschiedene Themen.
In seiner Eröffnungsrede erklärte Botschafter Ashok Kantha, dass das Forum seine Heimat in Goa gefunden hätte. Chinas zunehmender Einfluss in der Region würde Hand in Hand mit der Entstehung neuer Bedenken gehen und müsse daher im Auge behalten werden. Des Weiteren machte er auf die Veränderung der Indien-USA-Beziehungen im letzten Jahr aufmerksam. Pankaj Madan von der KAS ging auf die Hürden deutscher Firmen in Bezug auf den chinesischen Markt ein und erklärte, dass Deutschland angefangen habe, neben der wirtschaftlichen auch die politische Entwicklung Chinas genau zu verfolgen. Der Handelskonflikt zwischen China und den USA wurde als Gefahr mit weltweitem Ausmaß benannt.
In seiner Keynote-Rede beschrieb Professor Ashwani Saith von der Erasmus-Universität in Rotterdam die Fragen, welche in China zwischen 1949 und 1978 gestellt wurden: „Wie geschieht Fortschritt in ländlichen Gebieten? Wie können diese zu industriellem Wachstum beitragen?“ Chinas Bevölkerung sei außerdem homogener als die Indiens. Chinas Entwicklung seit 1978 in Bereichen wie Industrie, Bildung für Landwirte oder dem Gesundheitssystem sei die Grundlage für das rasante Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz dazu hätte die indische Landwirtschaft schwere Verluste aufgrund mangelnder Integration in das Gesamtsystem erlitten. Bezüglich des Seidenstraßen-Projekts fügte Saith hinzu, dass es trotz aller Zweifel ein Paradebeispiel für internationale Zusammenarbeit sei. Auch China würde mit dem Projekt Risiken eingehen; falls es schief ginge, würde die ganze Welt Zeuge des chinesischen Versagens. Professor Varun Sahni, Vize-Präsident der Universität Goas, fügte hinzu, dass die generelle Besorgnis verbunden sei mit den Fragen „Was macht China?“ bzw. „Was sind die Konsequenzen für andere Länder?“ Die Universität Goa würde die Wichtigkeit und das Interesse Chinas in der Region anerkennen und plane dementsprechend einen Studiengang der Chinastudien, wodurch Chinas Einfluss auf internationale Strukturen sowie auf die akademische Welt ebenfalls demonstriert werde.
Während des ersten Panels wurden die von Xi Jinping festgelegten Parameter für eine wirtschaftliche Balance Chinas diskutiert. Im Fokus stand dabei besonders die Verschiebung von externen zu internen Wachstumsfaktoren und von starkem Investmentfokus hin zu mehr innerstaatlichem Konsum. Die chinesische Gesellschaft gehöre außerdem zu den Gesellschaften mit der größten Ungleichheit und einem unausgewogenen Geschlechterverhältnis. Dazu komme, dass China eines der Länder mit den größten Kohlenstoffdioxid-Emissionen sei. Zurzeit liegt Xi Jingpings Intention vor allem auf innerstaatlicher Mobilisierung und steigender Nachfrage im Inland, damit diese anstelle von Auslandsinvestitionen zum größten Wirtschaftsmotor avancierten. Professor Chen Zhiwu, Leiter des Asia Global Institute, fügte hinzu, dass private Haushalte einen sinkenden Anteil am BIP hätten, wobei die Haushaltsausgaben der Regierung ansteigen würden. Dieses Ungleichgewicht bliebe ohne fundamentale Strukturveränderungen auch in Zukunft bestehen.
In der nächsten Session wurde Chinas „Innovation-Driven Development Strategy“ thematisiert und die Frage besprochen, ob der Fortschritt in Wissenschaft und Technologie auf speziellen chinesischen Merkmalen beruhe. Professor für Business Administration an der Harvard Business School, Krishna Palepu, erklärte, dass China dringend Innovation bräuchte, um im gleichen Ausmaß wie zuvor weiterwachsen zu können. In diesem Kontext sollte technologischer Fortschritt nicht allein auf Technologie beruhen, sondern das gesamte Ökosystem wirtschaftlicher Entwicklung mit einbeziehen. Außerdem seien die vielen chinesischen Absolventen von Ivy League Colleges eine Garantie für innovative Ideen innerhalb des Landes, sobald sie nach China zurückkehrten. Botschafter Anil Wadhwa sprach über den Handelskrieg zwischen den USA und China, welcher im Juni 2018 ausgebrochen sei. Lt Gen. Narasimhan, Direktor des Zentrums für vergleichende China-Studien im indischen Außenministerium, adressierte die Integration westlicher Technologien. Dr. Manoj Joshi von der Observer Research Foundation (ORF) erläuterte, auf welche Weise China sein Militär stärke, unter anderem mit dem Ziel, sich den USA entgegenzusetzen, um selber das Zentrum geopolitischer Macht darzustellen. Sogar die Financial Times habe betont, dass Chinas Wirtschaft eine Neugestaltung bräuchte, um einer Stagnation entgegenzuwirken. Die aktuelle Trump-Administration versuche dabei gleichzeitig, China zur Rechenschaft zu ziehen. So wurden neue Exportkontrollen eingeführt, die China schmerzen würden.
Daran anknüpfend beschrieb Professor Anoop Singh, Mitglied der XV Finanz-Kommission Indiens, dass Chinas Verschuldung zwar langsamer werde, jedoch immer noch viel zu schnell passiere. Außerdem seien staatliche Firmen im Vergleich zu privaten eher ineffizient. Auch die Einkommensverteilung sei nach wie vor schlecht. Der Umweltsektor mache dafür Fortschritte, jedoch noch nicht in einem besonders erfolgreichen Ausmaß. Zusammenfassend müsse China von hoher Geschwindigkeit zu besserer Qualität wechseln. Dr. Jabin Jacob, Mitherausgeber des China Report, wies auf das problematische Renten-Level hin, welches besser auf substaatlicher Ebene gelöst werden sollte. Die ungleiche Entwicklung der verschiedenen Provinzen sei der Beweis für das Verteilungsdefizit chinesischer Innovation. Initiativen der Regierung, Behörden auf Provinzebene und stimulierter Wettbewerb existierten allerdings.
Bei der Besprechung der chinesischen Seidenstraßen-Strategie erklärte Professor Aleksei Maslov, Leiter der World Economy-Fakultät und International Affairs-Professor an der School of Asian Studies in Moskau, wie unterschiedlich die Standpunkte Russlands und Chinas in Bezug auf das Projekt seien. Russland sehe das Projekt als chinesisches Konzept, China als ein globales, so Maslov. Des Weiteren empfände Russland sich als Zentrum eines starken Eurasiens, wohingegen China ein eurasisches Konzept nicht anerkenne. Dr. Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bestätigte, dass China in Europa ebenfalls als wachsende politische und wirtschaftliche Herausforderung gesehen werde. Vor fünf bis sechs Jahren sei China nur als eine wirtschaftliche Chance verstanden worden. Dass Volkswagen mehr Autos in China als in Deutschland verkaufe, zeige jedoch auch die Wichtigkeit Chinas für Deutschland. Innerhalb der neuen EU-Strategie für Indien wolle die EU die Verbindung zu Indien ausbauen. Auch die neue Seidenstraße sei ein Antrieb, die Kooperationen mit den ASEAN-Staaten zu erweitern.
In der darauffolgenden Runde wies Professor Dr. Heribert Dieter von der SWP auf die veränderte Haltung Deutschlands zu China hin. Dennoch würde die Hauptfrage nach wie vor sein, ob Chinas staatlich geführte Wirtschaft mit dem Konzept einer globalen Marktwirtschaft kompatibel sei. Das Kreditwachstum sei ebenfalls immens und könnte aufgrund seiner Pyramiden-ähnlichen Struktur sogar eine Finanzkrise auslösen. Zur gleichen Zeit setzten die USA, die EU und Japan China gemeinsam unter Druck, um Zusammenhalt und gemeinsame Ziele zu demonstrieren.
In der abschließenden Session fasste Dr. Garima Mohan vom Global Public Policy Institute (GPPI) drei Hauptpunkte zusammen: 1. Innenpolitische Hürden Chinas, 2. Außenpolitische Herausforderungen, 3. Lerneffekte für Indien. Innenpolitische Hürde sei vor allem das Aufrechterhalten des Wachstums trotz beschriebener Ungleichheiten. Die Dominanz staatlicher Unternehmen würde eine eher pessimistische Zukunft implizieren. Dabei sei Innovation ausschlaggebend für die weitere Entwicklung Chinas. Außenpolitisch sei es unvermeidbar, ebenfalls die politischen Dimensionen der Seidenstraße mit einzubeziehen. Insgesamt sollten mehr Daten gesammelt und Studien durchgeführt werden, um eine realistische Einschätzung des Projektes zu ermöglichen. Für Indien sei es wichtig, ein „Win-Win-Konzept“ für beide Staaten zu entwickeln. In der nächsten Konferenz dieser Art könnte Indiens Beziehung zu den verschiedenen chinesischen Provinzen einen weiteren Schwerpunkt darstellen. Botschafter Shivshankar Menon, ehemaliger nationaler Sicherheitsberater Indiens, war der Meinung, dass obwohl China weiterhin eine Vormachtstellung anstrebe, insgesamt eine Unsicherheit spürbar sei bezüglich der Frage, ob China auch zukünftig alle Güter bereitstellen könne, an die sich der Weltmarkt gewöhnt habe. Abschließend fügte er hinzu, dass Indien und China im Bereich Konfliktmanagement kooperieren sollten, da beide Staaten abhängig von Importen seien und ein gemeinsames Interesse an freier Navigation hätten. Aus Indiens Sichtweise würden Ideen und Unsicherheiten neue Räume zur Erschließung bedeuten, vor denen man nicht zurückschrecken brauche.