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Länderberichte

Timor-Leste am Scheideweg

Alte Herausforderungen für eine neue Regierung

Am 26. Juni kommt der timoresische Präsident und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta nach Deutschland, um sich u.a. mit Bundeskanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier zu treffen. Ramos-Horta reist zu einer für Timor-Leste entscheidenden Zeit: Das kleine Land ist die stabilste Demokratie in Südostasien und läuft gleichzeitig wirtschaftlich auf eine Klippe zu. Zudem droht es aufgrund seiner geografischen Lage zunehmend zwischen die geopolitischen Fronten im Indo-Pazifik zu geraten.

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Aufbruchsstimmung nach der Wahl

In Timor-Leste haben sich die Wählerinnen und Wähler bei der Parlamentswahl am 21. Mai für politische Stabilität entschieden. Der moderate Congresso Nacional de Reconstrução de Timor (CNRT) wurde mit 42% der Stimmen mit Abstand stärkste Kraft im Parlament. Am 22. Juni wurde die neue Regierung mit Mehrheit der Regierungskoalition aus CNRT und der deutlich kleineren Partido Democràtico (PD) ins Amt gewählt. Neuer Ministerpräsident ist der CNRT-Vorsitzende Xanana Gusmao, ein Held des Unabhängigkeitskampfes und erster Präsident des unabhängigen Timor-Leste von 2002 bis 2007. Mit 77 Jahren ist Gusmao genauso wie Präsident Ramos-Horta Teil der alten Generation aus Unabhängigkeitskämpfern, die seit der Unabhängigkeit von Indonesien 2002 die Politik des Landes dominieren.

Dennoch herrscht in Timor-Leste nach dem Wahlsieg Gusmaos Aufbruchsstimmung. Die Zeit seit der letzten Parlamentswahl war gekennzeichnet durch die gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie sowie politischer Instabilität. Politische Grabenkämpfe zwischen den beiden großen Parteien, dem CNRT und der linken Frente Revolucionária de Timor-Leste Independente (FRETILIN), sowie ein abrupter Regierungswechsel 2020 sorgten dafür, dass viel wertvolle Zeit für dringend notwendige politische und wirtschaftliche Reformen verschwendet wurde. Nach dem Sieg des vom CNRT unterstützten Ramos-Horta bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr sowie der neuen CNRT-geführten Regierung erhoffen sich die Menschen in Timor-Leste jetzt die notwendige politische Einigkeit, um die drängenden Probleme des Landes anzugehen.

 

Starke Demokratie, schwache Wirtschaft 

Timor-Leste gilt als mit Abstand stabilste Demokratie in Südostasien. Im weltweiten Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen liegt Timor-Leste sogar auf Rang zehn und damit z. B. deutlich vor Deutschland auf dem 21. Rang[i]. Gleichzeitig ist das Land aber auch eines der ärmsten der Welt. 42 % der rund 1,3 Millionen Menschen in Timor-Leste leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit ist hoch, Jobs auf dem formellen Arbeitsmarkt sind rar und ein großer Teil der Bevölkerung lebt in einer bäuerlichen Subsistenzwirtschaft[ii].

Die Wirtschaft des Landes ist fast vollständig abhängig von Einnahmen aus den eigenen Öl- und Gasvorkommen. Doch die bisher angebohrten Öl- und Gasfelder gehen zur Neige. Timor-Leste droht damit in wenigen Jahren der wirtschaftliche und finanzielle Zusammenbruch. Größtes wirtschaftspolitische Vorhaben der neuen Regierung ist daher die Entwicklung des Greater Sunrise Gasfeldes vor der Küste des Landes. Allerdings blockiert ein Streit im internationalen Joint Venture darüber, wo das geförderte Gas verarbeitet werden soll, seit Jahren die Arbeiten. Während die timoresische Regierung ein neues Onshore LNG Export Terminal bauen will, um das Gas im eigenen Land verarbeiten und exportieren zu können, bevorzugen die australischen Partnerunternehmen aus Kostengründen die Verarbeitung im nahegelegen Darwin in Nordaustralien. Der Bau eines eigenen LNG Terminals wäre für Timor-Leste mit enormen Investitionskosten verbunden und eine riskante Wette auf den Erfolg des Projekts – eine Wette deren Einsatz die gesamte wirtschaftliche Zukunft des Landes sein könnte[iii].

Kritiker der Terminalpläne fordern stattdessen höhere Investitionen in anderen Wirtschaftsbereichen. Denn klar ist, Timor-Leste muss seine Wirtschaft diversifizieren, um unabhängiger von Rohstoffeinnahmen zu werden. Nur 23% aller Menschen im arbeitsfähigen Alter sind im formellen Sektor beschäftigt[iv]. Gleichzeitig ist die Bevölkerung mit einem Medianalter von 21 Jahren außergewöhnlich jung. Diese vielen jungen Menschen mit einer guten Ausbildung und entsprechenden Jobs zu versorgen, ist nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch eine Frage der politischen Stabilität.

 

Hoffnung ASEAN

Ein zentraler Baustein der wirtschaftlichen Diversifizierungsstrategie ist eine stärkere regionale Integration des Landes und der damit verbundene Zugang zu den Märkten der Region. Timor-Leste legt deshalb große Hoffnung in einen Betritt zur südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN. Die Staats- und Regierungschefs der ASEAN-Mitgliedsstaaten haben auf ihrem Gipfeltreffen 2022 im kambodschanischen Phnom Penh einem Beitritt Timor-Lestes „im Prinzip“ zugestimmt. Beim darauffolgenden Gipfel im April 2023 in Indonesien haben die Staaten dann eine entsprechende Roadmap verabschiedet. Bis Timor-Leste diese Roadmap abgearbeitet hat, darf es bereits als Beobachter an den ASEAN-Treffen teilnehmen. Die Vorgaben der Roadmap umfassen vor allem die Umsetzung regionaler Regulierung, den Ausbau von Infrastruktur sowie den Aufbau von Kapazitäten, die das Land für eine vollwertige ASEAN-Mitgliedschaft benötigt.

 

Europa muss Timor-Leste im Blick behalten

Um die Vorgaben der ASEAN zu erfüllen sowie die wirtschaftliche Entwicklung jenseits des Rohstoffsektors voranzubringen, ist Timor-Leste massiv auf ausländische Investitionen angewiesen. China, Japan, die USA und Australien haben ihre Präsenz in dem Land in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Aufgrund seiner geografischen Lage zwischen Südostasien und dem Pazifik kommt dem kleinen Land zunehmend eine große geostrategische Bedeutung im Indo-Pazifik zu. Auch mit Blick auf Timor-Leste besteht die Gefahr, dass China durch Investitionen und finanzielle Unterstützung ähnlich wie in den pazifischen Inselstaaten versucht, seinen Einfluss auszubauen. Deutschland und die EU müssen sich dieser Gefahr bewusst sein und sollten Timor-Leste auch im Rahmen der Global Gateway Initiative mit im Blick behalten. Dass die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sich nach einer Entscheidung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) Anfang dieses Jahres aus Timor-Leste zurückgezogen hat, ist ein Schritt in die falsche Richtung.

 

Timor-Lestes „letzte Chance“

Die neue Regierung Timor-Lestes steht vor einer entscheidenden Phase in der noch jungen Geschichte des Landes. Die nächsten fünf Jahre könnten so etwas wie „die letzte Chance“ für die Weichenstellung hin zu einer erfolgreichen Zukunft sein. Die alte Generation der Unabhängigkeitskämpfer, die die Demokratie aufgebaut und trotz aller Streitigkeiten verteidigt hat, wird bei den nächsten Wahlen 2028 wohl nicht mehr antreten. Ob die nachfolgende Generation die politische Autorität ihrer Vorgänger besitzt, um die Demokratie im Land weiter zu stabilisieren, ist offen. Zudem steht Timor-Leste wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Eine junge Bevölkerung, hohe Jugendarbeitslosigkeit, ein schwaches Bildungssystem sowie eine hohe Jugend- und Gangkriminalität bilden eine explosive Mischung. Die Zukunft von Timor-Leste entscheidet sich vor allem daran, ob es Gusmao und seiner Regierung gelingt, jetzt die Grundlagen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu legen.

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Kontakt

Dr. Denis Suarsana

Portrait Denis Suarsana

Leiter des Auslandsbüros Indonesien / Timor Leste

denis.suarsana@kas.de +62 21 7590-9411 / -9414

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