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Veranstaltungsberichte

Raum füreinander schaffen

Entwicklung gemeinsamer Räume in geteilten Gesellschaften

In Kooperation mit dem Jerusalem Institute for Policy Research veranstaltete das KAS-Office Jerusalem die vierte Sitzung des gemeinsamen „Kolleg-Adenauer-Programms“ zur Entwicklung gemeinsamer Räume in Jerusalem. Redner des Abends war Prof. Gaffikin von der Queens University in Belfast, der einen Einblick in seine Arbeit zu Stadtplanung für die Entwicklung gemeinsamer Räume in geteilten Städten wie Belfast gab.

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Der Leiter des KAS-Büro Jerusalem, Dr. Michael Borchard, betonte in seinen einleitenden Worten, dass die Namensgeber des Programms selbst engagierte Lokalpolitiker gewesen seien; Konrad Adenauer, während der Weimarer Republik Bürgermeister der Stadt Köln, ebenso wie Teddy Kollek, der berühmte Bürgermeister Jerusalems, der bereits erkannte, dass „Jerusalem der Welt gehöre.“ Dr. Borchardt hob des Weiteren die Wichtigkeit, eine vergleichende Perspektive einzunehmen, hervor, was er am Beispiel des ehemals geteilten Berlin veranschaulichte. Die Wiedervereinigung nach 45 Jahren der Teilung hätte gezeigt, dass eine Lösung möglich sei. Mehr noch zum Vergleich mit Jerusalem tauge womöglich Belfast, angesichts dessen, dass auch die Hauptstadt Nordirlands von einer ethnisch-religiösen Konfliktlinie geteilt werde.

Prof. Gaffikin begann seinen Vortrag mit allgemeinen Anmerkungen zu globalen Entwicklungen, besonders zur Urbanisierung und der wachsenden Vielfalt in Städten weltweit. Mit „fortschreitender Globalisierung des Urbanen“ nehme die Vielfalt in Städten zu und „Verschiedenheit werde in immer mehr Orte getragen.“ Im weiteren Sinne kann jede Stadt als „geteilt“ bezeichnet werden, z.B. durch Wohlstand, Geschlecht oder Ethnizität. Im engeren Sinne jedoch werden mit „geteilten Städten“ meist Städte wie Berlin, Belfast oder Nikosia assoziiert. Ihnen allen ist gemein, dass sich die Teilung aus Disputen um Souvernӓnitӓt ergibt. Des Weiteren gab er eine allgemeine Definition von „Raum,“ der als ein „aktiver Faktor/ eine aktive Kraft“ wahrgenommen werden kӧnne, er sei ein „dynamisches, gesellschaftlich erzeugtes Konzept“.

Anschließend erläuterte er die städtebauliche Situation in Belfast; Stadtplaner ignorierten hier oftmals Teilungen, obwohl Stadtplanung grundlegend für die „Ordnung von Raum“ sei. In der Vergangenheit, so Prof. Gaffikin, hätten Städteplaner unbeabsichtigt sogar die Teilung Belfasts zusätzlich verstärkt.

Prof. Gaffikin setzte seinen Vortrag mit einem Überblick über das konfliktreiche Verhältnis zwischen Irland und Groβbritannien fort, dass zur bis heute anhaltenden Teilung Irlands geführt habe. Nordirland sei nach dem Aufstand von 1916 britisch geblieben, hauptsächlich aufgrund der dort lebenden protestantischen Mehrheit. Nach mehreren Jahrzehnten gewaltsamen Konflikts habe man 1998 eine Einigung zwischen beiden Konfliktparteien erreicht, die jedoch nicht einem echten Friedensvertrag gleichkäme. Auch wenn die Gewalt in der Folge abgenommen habe, so sei die Teilung der Gesellschaft aufrechterhalten worden. Ein wichtiger Faktor, um die Situation heute in Belfast zu verstehen ist demographischer Wandel. Stellten Protestanten vor wenigen Jahrzehnten noch die klare Mehrheit in der Stadt, sind katholische und protestantische Bewohneranteile heute ausgeglichen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass in gesamt Nordirland Katholiken in Zukunft die Mehrheit stellen werden. Stadtplanung in Nordirland und besonders in Belfast ist daher bestrebt, die protestantische Mehrheit künstlich aufrechtzuerhalten.

Prof. Gaffikin sah hierin auch Parallelen zur Situation in Israel; auch hier bestimmt demographischer Wandel maßgeblich die Motivation und die Arbeit von Stadtplanern. Besonders in Jerusalem sei man bestrebt, den jüdischen Charakter der israelischen Hauptstadt zu wahren, gleiches gelte aber auch für Israel insgesamt. Seine Beschreibung der gegenwärtigen Situation in Belfast fortsetzend stellte Prof. Gaffikin fünf räumliche Typen vor, die in Belfast aufzufinden seien; er unterschied zum einen zwischen ethnisch definierten Räumen, welche durch sog. „peace walls“, die katholische von protestantischen Vierteln trennten, bemerkbar seien. Heute stünden paradoxerweise mehr „peace walls“ als vor dem Abkommen von 1998, welche die Segregation noch zusätzlich verstärkten.

Ein weiterer Typ Raum stellt für Prof. Gaffikin sog. „dead space“ dar, Niemandsland, dass besonders in Nähe der „peace walls“ zu finden ist und sich nicht für Nutzung gleich welcher Art eignet. Des Weiteren ist Prof. Gaffikin zufolge sog. „neutral space“ in Belfast auszumachen; ursprünglich mit der Intention, gemeinsamen Raum zu schaffen, geplant, erwiesen sich die Pläne für mehrere solcher Projekte, wie z.B. Einkaufszentren, etc., tatsächlich eher als neutrale denn ‚echte‘ gemeinsame Räume. Die Universität in Belfast sollte per Definition ‚echten‘ gemeinsamen Raum, offen für beide Gemeinschaften, darstellen. Jedoch entschieden sich auch hier die Studierenden, wo die Möglichkeit bestünde, zusammenzuleben, dafür, in ihren jeweiligen Gemeinschaften zu bleiben. Diese Neigung ist unter anderem Resultat des nordirischen Schulsystems, so Prof. Gaffikin; rund 93% der Schüler in Nordirland gehen auf nach Bekenntnis getrennte Schulen. Die letzte Kategorie Raum sei „cosmopolitan space“, das eine internationalere Atmosphäre aufweise.

Ziel städteplanerischer Projekte sollte demnach sein, „dead space“ möglichst zu minimieren und zur Entwicklung und Ausbreitung von „shared“ und „cosmopolitan space“ beizutragen. Im Falle Nordirlands ist dies sogar im Abkommen von 1998 festgeschrieben. Prof. Gaffikin fuhr daher seinen Vortrag damit fort, seine Forschung zum Stadtwandel in Belfast hinsichtlich der Entstehung von gemeinsamen Räumen vorzustellen. Besonderes Augenmerk widmete er dabei öffentlich finanzierten Großprojekten zur Umwandlung von „dead space“ in gemeinsame Räumen. Ein besonders interessantes Forschungsergebnis, das er vorstellte, war, dass die städtischen Gebäude, die im Rahmen solcher Städteplanerischen Projekte errichtet wurden, anstatt zur Entwicklung gemeinsamen Raumes beizutragen, vielmehr als „symbolische peace walls“ fungieren, damit die nach Konfession getrennte urbane Geographie Belfasts reproduzierend. Er führte zudem weitere Beispiele an, die diesen Befund weiter belegen.

Weiterhin stellte sich im Rahmen seiner Forschung heraus, dass zu Stadtplanung in Belfast befragte Bürger universalen Prinzipien auf einer abstrakten Ebene im Allgemeinen zustimmen, wenn diese Prinzipien jedoch auf konkrete Beispiele heruntergebrochen werden würden und die mit der Entwicklung gemeinsamer Räume verbundenen Auswirkungen zu Tage trӓten, die Befragten sich wesentlich schwerer damit täten, diesen zuzustimmen. Bis hierher ein eher negatives Bild vom Status quo in Belfast zeichnend, stellte Prof. Gaffikin anschließend auch Beispiele gelungener städteplanerischer Projekte vor, so z.B. die Umnutzung und Sanierung einer ehemaligen Mühle in einem konfessionell gemischten Viertel Belfasts.

Zusätzlich äußerte sich Prof. Gaffikin zu verschiedenen Szenarien zukünftiger Entwicklungen in Belfast; so merkte er u.a. an, dass es bei der Entwicklung gemeinsamer Räume nicht allein auf die gebaute Umgebung ankommen; ebenso wichtig sei die „grüne Umgebung.“ Er stellte in diesem Zusammenhang daher Pläne für einen „grünen Korridor“ für Belfast vor, der künftig mehrere Stadtviertel miteinander verbinden solle. Auch könne die Aufgabe, gemeinsame Räume zu schaffen, nicht von Stadtplanern allein bewältigt werden; es sei vielmehr ein interdisziplinärer Ansatz, der Politiker, Pädagogen, Akademiker verschiedener Forschungsfelder und Bauunternehmer, etc. zusammenbringe von Nöten.

Prof. Gaffikin schloss seinen Vortrag mit einigen Anmerkungen zu universalen Prinzipien ab, die seiner Meinung nach die Entstehung solcher Räume erleichtern und schneller voranbringen könnte; diese schließen z.B. das Einwilligungsprinzip – Gewalt vermag es nicht, die Einstellung der Menschen zu ändern, allein durch Überzeugung sei dies möglich. Des Weiteren sei die Achtung der Rechtsstaatlichkeit essentiell in Konfliktgesellschaften. Gleichzeitig sah er die Notwendigkeit Multikulturalismus zu Gunsten eines transkulturellen Ansatzes, der Menschen zusammenbringe, zu überdenken.

Im Anschluss an den Vortrag gab es die Möglichkeit für das Publikum, Fragen an den Redner zu stellen; es kam unter anderem die Frage auf, ob Prof. Gaffikin Erfahrungen aus seiner Arbeit zu Belfast beitragen könnte, die für Graswurzelbewegungen für Community-Relations-Work in Stadtvierteln entlang der Green Line von 1967 in Jerusalem relevant sein könnte. Prof. Gaffikin merkte jedoch an, dass sich bei seiner Forschung gezeigt hätte , dass sich solche Projekte in Belfast eher darauf konzentrierten, den Zusammenhalt in der eigenen als zwischen den verschiedenen Gemeinschaften zu stärken. Auf die Frage hin, ob denn die Menschen in geteilten Städten wie Jerusalem grundsätzlich überhaupt zusammen leben wollten, führte Prof. Gaffikin die „Epidemie des Ghettos“ in Chicago als Beispiel an; die Stadtverwaltung in Chicago wollte seit mehr als zwanzig Jahren dieses Problem angehen. Heute sei tatsächlich ein physischer Wandel ehemaliger Ghettos bemerkbar (durch den Abriss alten Baubestandes und den Bau neuen bezahlbaren Wohnraumes). Das Problem der nach Hautfarbe und gesellschaftlichen Schicht getrennten Wohnviertel ließ sich mit solchen Maßnahmen jedoch nur bedingt angehen. Im Großen und Ganzen geht Prof. Gaffikin daher tatsächlich davon aus, dass Menschen unterschiedlicher Gemeinschaften in einer Stadt im Allgemeinen nicht zusammenleben möchten.

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