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Länderberichte

Der Libanon steht auf der Kippe

von Michael Däumer, Sebastian Grundberger, Bärbel Reisinger

Bericht des Magazins „SPIEGEL“ stürzt das Land in eine Bürgerkriegsdebatte

Als „Bombe“ bezeichnete die libanesische Zeitung „Daily Star“ den Spiegel-Artikel, wonach die militante schiitische Hizbullah-Miliz nach Erkenntnissen des UN-Sondertribunals den Mord am libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri im Jahr 2004 „geplant und durchgeführt“ haben soll. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts dieser Meldung ist sie politisch brisant, will doch die Hizbullah mit ihren politischen Alliierten am 7. Juni die Parlamentswahlen gewinnen.

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Während in Europa Reaktionen auf den brisanten Bericht der Zeitschrift „Der Spiegel“ weitgehend ausblieben, zeichnet sich eine Eskalation der Reaktionen im Nahen Osten ab. Diese fällt in die letzten zwei Wochen vor den libanesischen Parlamentswahlen, bei denen eine Stärkung der Hizbullah erwartet wird. Wütend reagierte Hizbullah-Chef Hasan Nasrallah auf den Spiegel-Bericht und schob die Verantwortung dafür per Videobotschaft auf seinen Erzfeind Israel. Dieser und die USA hätten sich die Frage gestellt, wie sie „die Wahlen ruinieren und das Ergebnis beeinflussen könnten. Der Spiegel war die Antwort“ , so Nasrallah. Mit dem Bericht sollten Schiiten gegen Sunniten aufgehetzt werden. Er sei deshalb „gefährlicher als der Busanschlag von Ain al-Rummaneh“. Dieser hatte 1975 den 15 Jahre andauernden libanesischen Bürgerkrieg ausgelöst. Jetzt dürften sich die Libanesen nicht provozieren lassen und müssten gemeinsam gegen Israel stehen. Der „jüdische Staat“ wolle einen regionalen Konflikt provozieren. Nasrallah drohte dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak: „Wenn Ihr so dumm seid, in unser Land einzudringen, werden wir Eure Truppen und Eure Armee vernichten.“

Die Hizbullah sieht die Vorwürfe gegen sie als „Phantasiegespinst“ an, welche von den Vorfällen ablenken sollen, die im Zusammenhang mit den jüngst aufgeflogenen israelischen Spionagering stehen. Dabei wurden innerhalb von zwei Monaten mehr als 20 Personen inhaftiert, denen vorgeworfen wird, dem israelischen Geheimdienst Mossad Informationen über die libanesische Armee und sowie die Hizbullah geliefert zu haben.

Einer der innenpolitischen Gegner der Hizbullah, der Vorsitzende der “Progressive Socialist Party” und bekannte Drusenführer, Walid Jumblatt, rief die Libanesen zur Ruhe auf und machte deutlich, dass die vom „Spiegel“ veröffentlichten Informationen „wesentlich gefährlicher sein könnten, als man sich dies vorstellt“. Auch er erinnerte an die Ereignisse, die zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 geführt hatten und warnte, der „Spiegel“-Bericht trage ähnliches Potenzial in sich.

Der Sohn des ermordeten Rafiq Hariri, der Parteivorsitzende des prowestlichen „Future“-Movement, Saad Hariri, lehnte jeglichen Kommentar zur „Spiegel“-Geschichte ab. Er vertraue der Arbeit des UN-Sondertribunals und wolle lediglich zu offiziellen Verlautbarungen des Tribunals Stellung beziehen, so Hariri.

Die libanesische Presse widmete dem „Spiegel“-Bericht seitenlange Kommentare. Diese richteten sich fast alle gegen den „Spiegel“. Die Zeitung „An Nahar“ bezeichnete den Bericht als „Märchen“. Der „Daily Star“ stellte die Echtheit der Dokumente, aus dem der Autor des Berichtes, Erich Follath, seine Informationen zog, in Frage. Wenn Hizbullah einen Anschlag wie den auf Hariri hätte durchführen wollen, hätte sie dies höchstens als Handlanger Syriens und damit des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad tun können. Wenn die Hizbullah am Attentat beteiligt sein soll, dann bestenfalls als Mittäter. Die Hauptschuld hingegen müsse in so einem Fall bei Syrien liegen. In einem anderen Kommentar schrieb der „Daily Star“ zum „Spiegel“: „Diejenigen, die glauben, dass die Presse solche sensationellen ‚Geheimnisse’ aufdecken kann, sollten daran denken, dass das hier kein Watergate ist“ und dass es nicht Woodward und Bernstein seien, die diesen Bericht geschrieben hätten. Es handle sich nicht, wie bei Watergate, um eine Reihe von Artikeln, die über einen längeren Zeitraum veröffentlicht wurden, sondern um einen einzigen Artikel. Deshalb seien mehr Beweise nötig. Harte Worte findet der Kommentar für den „Spiegel“: „An die Deutschen gerichtet: Der Spiegel sollte sich über die Verantwortung klar sein, die er trägt, wenn er solche Anklagen druckt, besonders, wenn es eine Möglichkeit gibt, dass diese falsch sind. Das Verspritzen von Tinte ist nicht dasselbe wie das Verspritzen von Blut.“

Auch das Ausland nahm die neuen Entwicklungen des Falles Hariri unterschiedlich auf. Die iranische Presse sprach im Zusammenhang mit dem Artikel von einer „Schmierenkampagne“ und fragte sich, ob der Bericht des „Spiegel“ möglicherweise in der „israelischen Küche gekocht“ wurde.

Israels Außenminister Avigdor Lieberman dagegen forderte die internationale Gemeinschaft sofort nach der Veröffentlichung des Artikels auf, einen internationalen Haftbefehl gegen Nasrallah auszustellen; sollte dies nicht möglich sein, müsse er „gewaltsam festgenommen werden“.

Syrien, das immer im Mittelpunkt der Anschuldigungen stand, wies den Bericht des „Spiegel“ zurück. Außenminister Walid Moallem bezeichnete den Artikel als „bedeutungslos“ und als „Lüge“.

Die Zeitung „Gulf News“ aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stellt die Glaubwürdigkeit des „Spiegel“ in Frage, da das Magazin eine jahrzehntelange „Erfolgsgeschichte“ vorweisen könne, was das Veröffentlichen von „Sensationsgeschichten“ angehe, die darauf abzielten, die Auflage zu steigern.

Zwei weitere, durchaus widersprüchliche Meldungen sind mit Blick auf die „Spiegel-Affäre“ interessant. So berichteten mehrere arabische Tageszeitungen, der „Spiegel“-Artikel sei zumindest teilweise ein Plagiat eines Artikels, welcher vor fünf Monaten von einem oppositionellen syrischen Journalisten auf der Homepage „al Hakika“ („Die Wahrheit“) veröffentlicht worden sei. Des Weiteren gab ein anonymer Hizbullah-Kommandeur über die Zeitung „Daily Star“ am 25. Mai, also nur zwei Tage nach dem „Spiegel“-Artikel, angebliche Details über den israelischen Rückzug aus dem Südlibanon im Jahr 2000 bekannt. Demnach sei der Rückzug nicht, wie von Israel propagiert, freiwillig erfolgt, sondern es seien die „dauerhaften und effektiven Schläge des Widerstandes“ der Hizbullah gewesen, die Israel „für immer hinausgeschmissen“ hätten.

Fazit

Der Zeitpunkt des Artikels rund zwei Wochen vor den schicksalhaften libanesischen Parlamentswahlen erscheint alles andere als zufällig. Da ein Wahlsieg der von der Hizbullah geführten Opposition allen Prognosen zufolge durchaus möglich ist, befürchten viele eine bewusste Einmischung in den Wahlkampf. Die Hizbullah präsentiert sich nach innen gerne als eine wahre Patriotenorganisation und hat sich vom Image der Terrorgruppe weit entfernen können. Dazu haben auch das Sozialengagement und die parteiähnlichen Strukturen der Hizbullah beigetragen. Ebenso kann die Hizbullah auf ihre parlamentarische Repräsentanz sowie ihre Beteiligung an der Regierung der nationalen Einheit seit dem Frühsommer 2008 verweisen. Dieses hart erarbeitete Image erhält jedoch durch Anschuldigungen eines Mordes am äußerst populären und beliebten „Märtyrer“ Rafiq Hariri deutliche Kratzer. Die Veröffentlichung des Artikels sät erneut großes Misstrauen innerhalb der Wählerschaft im Libanon, die sich Hoffnung gemacht hatte, mit der Beendigung der institutionellen Krise und der Bildung der Regierung der nationalen Einheit im vergangenen Jahr politisch stabile Verhältnisse zu erlangen. Noch haftet dem Land das Emblem eines „gescheiterten Staates“ (Failed State) an, welches aus den tribalen und klerikalen Zuständen des politischen Systems zu entfliehen versucht.

Die Reaktion der Hizbullah auf den Artikel war äußerst heftig. Hasan Nasrallah schiebt die Verantwortung, wie so oft, auf Israel ab. Damit versucht er, die Libanesen gegen den südlichen Nachbarstaat zu vereinen, was ihm in der Vergangenheit immer wieder gelungen ist. Derselben Absicht dürfte auch die Veröffentlichung von angeblichen Details des israelischen Rückzugs aus dem Libanon aus dem Jahr 2000 dienen. Mit diesen will die Hizbullah sicherlich auch innenpolitische Aufmerksamkeit vom „Spiegel“-Artikel ab- und auf Israel lenken.

Es gibt durchaus Ungereimtheiten hinsichtlich des Artikels. Zum einen handelt es sich um einen Exklusivartikel des „Spiegel“. Alle anderen Berichte nehmen nur auf diesen einen Artikel Bezug. Auch die Plagiatsvorwürfe hallen in diesem Zusammenhang wider. Des Weiteren wäre es kein gutes Zeichen für die Arbeit des UN-Sondertribunals, wenn durch ein Sicherheitsleck derart brisante Informationen nach außen dringen würden. Die Gerüchte besagen jedoch, dass das UN-Sondertribunal selbst mit der Preisgabe von Informationen und Erkenntnissen nicht in Verbindung steht.

Politiker verschiedener Parteien haben rhetorisch die schärfst möglichen Register gezogen und an den Ausbruch des Bürgerkrieges erinnert. Einerseits will man damit die Bürger warnen, ruhig zu bleiben, andererseits zeigt sich an diesen Aussagen aber auch, wie fragil die Situation im Libanon weiterhin ist und bleibt. Ein erneuter Bürgerkrieg ist im Libanon nie auszuschließen, solange bewaffnete Milizen der Hizbullah mit Zustimmung des instabilen Staates beinah frei und unkontrolliert in Teilen und Stadteilen des Landes agieren können.

Zwar scheint es eher unwahrscheinlich, dass der „Spiegel“-Artikel massive Wählerwanderungen auslöst, aber da die libanesische Wahl auf Messers Schneide steht, können auch kleine Veränderungen des Wahlverhaltens eine große Wirkung entfalten. Die nun zusätzlich durch den Artikel aufgeheizte Debatte kann den Funken auslösen, der den Libanon wieder ins politische Chaos versetzt, insbesondere wenn die Hizbullah trotz der Mord-Anschuldigungen gestärkt aus den Wahlen hervorgehen sollte.

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