Veranstaltungsberichte
1. Programmübersicht
Mittwoch, 26. Mai, 2010
Eröffnung
Dr. Khaled Al-Awamleh
Visions Center for Strategic
And Development Studies
Amman-Jordanien
Dr. Martin Beck
Landesbeauftragter der
Konrad-Adenauer-Stiftung
Amman Office – Jordanien
Dr. Sultan Abu Oraby
Präsident der Yarmuk Universität
Irbid – Jordanien
Dr. Raed Al-Adwan
Gouverneur, Vorsitzender der
Abteilung für lokale Entwicklung
Innenministerium
Amman – Jordanien
Khaled Abu Zeid
Gouverneur von Irbid
Irbid – Jordanien
Erste Sitzung: Gemeinde-, Frauen- und Jugendbeteiligung und der Beitrag des privaten
Sektors in kommunaler Entwicklung
Dezentralisierung und lokale öffentliche Verwaltung
Dr. Raed Al-Adwan
Gouverneur, Vorsitzender der
Abteilung für lokale Entwicklung
Innenministerium
Aufbau von Gemeinden. Wie man eine gerechte Repräsentanz von Frauen und Männern
in kommunaler Entwicklung fördern kann
Dr. Renate Reiter
Fernuniversität Hagen
Institut für Politikwissenschaft
Deutschland
Die Rolle des privaten Sektors in kommunaler Entwicklung
Dr. Khaled Al-Wazzani
Vorsitzender des Darat Holding, Co.
Moderator: Dr. Izzat Hijab
Leiter der Fakultät für Journalismus
Yarmuk Universität Irbid - Jordanien
Zweite Sitzung: Dezentralisierung und Förderung der Bevölkerung
Überwachung der Zentralgewalt über die Gemeinderäte
Dr. Amjad Al-Shraideh
Richter des Nord-Amman-Gerichts
Die Rolle der Bevölkerung in kommunaler Entwicklung
Dr. Khaled Al-Shogran
ALRAI Institut Irbid
Moderator: Dr. Mohammad Shawqi
Fakultät für Politikwissenschaften
Universität Cairo - Ägypten
Schlussdiskussion
Moderator: Dr. Raed Al-Adwan
Dr. Jihad Abu Al-Sondos
Dr. Martin Beck
Dr. Khaled Al-Awamleh
Dr. Renate Reiter
Abd Arrayaq Attal
Dr. Mohamed Shawqi
2. Zielsetzung
Mit den ersten kompetitiven Wahlen 1989 in
Jordanien ebnete König Hussein den Weg
für eine Verstärkung der politischen Partizipation,
die auch in Jordanien einen - wenn
auch beschränkten - Bestandteil des funktionsfähigen
politischen Systems ausmacht.
König Abdallah II unternahm erste Schritte,
um die politischen, sozialen und ökonomischen
Rahmenbedingungen zur Verbesserung
der politischen Partizipation der jordanischen
Bevölkerung im politischen Prozess
zu schaffen. Vor diesem Hintergrund wurde
2005 eine königliche Kommission zur Erstellung
eines Plans zur Dezentralisierung
des politischen Systems in Jordanien gegründet.
Offizielles Ziel des Dezentralisierungsplans
ist es dabei, die politische Beteiligung
der jordanischen Bürgerinnen und
Bürger insbesondere auf kommunaler Ebene
zu fördern, ein offenes und bürgergerechtes
politisches System zu schaffen und eine Delegierung
der Macht von der stark zentralisierten
Regierungsbürokratie auf die Gouvernements
und Gemeinden voranzutreiben.
Während des am 26. Mai 2010 von dem Büro
der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman
in Zusammenarbeit mit dem Visions Center
for Strategic and Development Studies an
der Yarmuk Universität in Irbid organisierten,
in zwei Sitzungen unterteilten
Workshops standen verschiedene Aspekte
der kommunalen Entwicklung im Mittelpunkt.
Diskutiert wurden Themen wie die
gerechte Repräsentanz zwischen Männern
und Frauen auf kommunaler Ebene, die Rolle
des privaten Sektors und der Bevölkerung
in der kommunalen Entwicklung, das Dezentralisierungsvorhaben
der Regierung und
die Rolle der Zentralgewalt im Dezentralisierungsprozess.
3. Course of the event
Dr. Khaled Awamleh, Leiter des Visions
Centers, eröffnete den ersten Workshoptag.
In seiner Begrüßungsrede sprach er über
die Schlüsselrolle der Universität im Bereich
regionaler und lokaler Entwicklung. Aufgabe
der Universität sei es nicht nur, neues Wissen
zu schaffen, es zu vermitteln, zu
verbreiten und für seine Anwendung zu sorgen,
sondern insbesondere die Humankapitalbildung als Grundlage gesellschaftlicher
Entwicklung zu fördern. Die Ausbildung von
Fach- und Führungskräften für Wirtschaft,
Politik und Gesellschaft sei einer der wichtigsten
Pfeiler nachhaltiger nationaler und
regionaler Entwicklung.
Dr. Martin Beck, Landesbeauftragter der
Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman, hob
die Initiative König Abdallahs II zur Dezentralisierung
des Entscheidungsfindungsprozess
als Fortschritt hervor. Die Handlungsund
Investitionsfähigkeiten der Gouvernements
und Gemeinden müssten jedoch erheblich
verbessert und die Partizipation auf
lokaler Ebene gefördert werden. Wichtig sei,
dass sich die Regierung dafür einsetze, dass
die jordanischen Bürgerinnen und Bürger
eine wirkliche Chance bekämen, ihre politischen
Ziele auch auf lokaler Ebene durchzusetzen.
Sowohl Dr. Awamleh, als auch Dr. Beck
unterstrichen, dass es sich bei diesem
Workshop um die erste gemeinsame Bemühung
zwischen der Regierung, den Lokalmedien,
den Fachhochschulen und verschiedenen
Lobbygruppen, handele, eine
Veranstaltung zum Thema lokale Entwicklung
und politische und zivile Partizipation in
Gouvernements und Gemeinden in Jordanien
auszurichten.
Dr. Al Adwan stellte in seiner einleitenden
Begrüßungsrede die essentielle Rolle der
Dezentralisierung als wichtigste Komponente
in kommunaler Entwicklung heraus. Die
Zusammenarbeit zwischen privatem und
staatlichem Sektor sei eine wichtige Voraussetzung
für die Implementierung der Dezentralisierungsagenda
der Regierung. Damit
Jordanien zum Vorbild effizienter nachhaltiger
kommunaler Entwicklung heranwachsen
könne, müsse die Verwaltung eine
politische und soziale Umstrukturierung erfahren,
um eine demokratische Regierungsund
Verwaltungsarbeit und eine moderne
Infrastruktur zu schaffen. Prof. Abu Oraby,
Präsident der Yarmuk Universität,
sprach über verschiedene Aspekte des Konzepts
der kommunalen Entwicklung. Während
zu Beginn Entwicklung allein als wirtschaftliche
Entwicklung verstanden worden
sei, würde der Begriff heute die politische,
soziale, kulturelle und menschliche Entwicklung
zusammenfassen. Ein partizipatorischer
Ansatz sei angesichts der Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts und der im
Rahmen der Globalisierung stattfindenden
technologischen, wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Beschleunigungsprozesse
besonders wichtig, um den Aufbau institutioneller
Kapazitäten und die kommunale
Entwicklung zu fördern. Er unterstrich zuletzt
die steigende Bedeutung der Universität
in der Kooperation zwischen der Regierung,
dem privaten Sektor und dem lokalen
Gemeinwesen.
Herr Khaled Abu Zeid, Gouverneur des
Gouvernement Irbid, machte auf die soziale
und ökonomische Kluft zwischen den zwölf
Gouvernements in Jordanien aufmerksam.
Der Dezentralisierungsplan der Regierung
sei jedoch ein erster wichtiger Schritt, um
eine kulturelle, ökonomische und soziale
Basis für effektive demokratische Regierungsarbeit
zu schaffen, die sozioökonomische
Kluft zu überbrücken und konstruktive
Beziehungen zwischen den politischen Institutionen
und einer engagierten und organisierten
Zivilgesellschaft zu unterstützen.
Im Anschluss an die einleitenden Reden
stellte Dr. Al Adwan in seinem Vortrag
über „Dezentralisierung und lokale öffentliche
Verwaltung“ das Dezentralisierungsvorhaben
der jordanischen Regierung vor. Seit
2009 beschäftige sich ein neugegründetes
Komitee mit der Erarbeitung des finanziellen,
rechtlichen, organisatorischen und politischen
Rahmens zur Implementierung des
Dezentralisierungsplans. Die Dezentralisierungsinitiative
sehe eine Verlagerung von
Macht, Kompetenzen und Ressourcen von
der Zentralregierung zu den Gouvernements
und Gemeinden vor.
Damit die Zivilgesellschaft im politischen
Leben auf allen Ebenen des Staates repräsentiert
sei, müssten die Kapazitäten der
zwölf Gouvernements ausgebaut werden. Die große sozioökonomische Kluft zwischen
der Stadt- und Landbevölkerung zeige, dass
die Entscheidungen der Regierung den Bedürfnissen
der Bevölkerung nicht gerecht
werden.
Dr. Renate Reiter warf in ihrem Vortrag
einen Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten,
Partizipation in Gemeinden zu gestalten.
Zu unterscheiden sei zwischen traditionellen
Formen der politischen Repräsentanz
wie in präsidentiellen und parlamentarischen
Regierungssystemen und neuen
Partizipationsformen der direkten Demokratie.
Sie ging dann auf die Partizipation von
Männern und Frauen in Gemeindewahlen
und deren Repräsentanz in Gemeindeinstitutionen
ein.
Im passiven Wahlrecht bestünde kaum ein
Unterschied in der Beteiligung zwischen
Männern und Frauen; beide Geschlechter
seien zurzeit in Deutschland vom deutlichen
Rückgang der Wahlbeteiligung und des politischen
Interesses betroffen. Festzuhalten
sei, dass im Gegensatz zu Frankreich, wo
eine gleichberechtigte Repräsentanz in Gemeinderäten
vorherrsche, in Deutschland
Frauen in Gemeinderäten und hohen Führungspositionen
unterrepräsentiert seien.
Im Folgenden erörterte Dr. Reiter Gründe
für die ungleiche Repräsentanz in Gemeinderäten:
meist sei die Repräsentanz von der
Art des Wahlrechts abhängig. Im Gegensatz
zum Mehrheitswahlrecht begünstige beispielsweise
das Verhältniswahlrecht gerechtere
Partizipationschancen. Außerdem
müssten in Parteien Quoten die Karrierechancen
von Frauen sichern.
Des Weiteren herrsche eine ungleiche Vertretung
von Männern und Frauen in lokalen
sozialen und politischen Netzwerken vor.
Die ungleichen zeitlichen Ressourcen und
die spezifisch geschlechtsbedingten Aufgaben
würden eine Gleichstellung der Geschlechter
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
erschweren. Quoten, Parteienwettbewerb,
Strategien der Parteien und soziale
Netwerke, die Karrierechancen von Frauen
fördern und neue Formen von Basisdemokratie
könnten hingegen für eine geschlechtergerechtere
Repräsentanz auf lokaler und
nationaler Ebene sorgen.
Dr. Al Wazzani ging in seinem Vortrag auf
das Konzept der Unternehmenssozialverantwortung
ein. Das Konzept gehe davon
aus, dass die Leistungsfähigkeit und die Gesamtperformanz
des Unternehmens durch
Übernahme sozialer Verantwortung gesteigert
werden könnten.
Mit sozialen, ökologischen und ökonomischen
Beiträgen, die über die Einhaltung
gesetzlicher Bestimmungen hinausgingen,
würden Unternehmen den wirtschaftlichen
Wohlstand, die Umweltqualität und das Sozialkapital
fördern können. Der private Sektor
spiele daher eine wichtige Rolle in lokaler
Entwicklung, da Unternehmen Arbeitsplätze
und Ausbildungsmöglichkeiten schaffen,
die Infrastruktur verbessern, einen Teil
des Haushaltes für Entwicklungsprojekte
bereitstellen, durch Kooperation mit dem
staatlichen Sektor auch staatliche Leistungen
verbessern, zur Forschung beitragen
und die Beteiligung der Bevölkerung an gemeinschaftlicher
Planung unterstützen würden.
Kommunale Entwicklung sei daher
nicht nur eine zentrale Aufgabe der Regierung,
sondern müsse auch eine vorrangige
Aufgabe des privaten Sektors werden.
In der anschließenden Fragerunde wurde
die Frage aufgeworfen, ob die sozialen Ausgaben
von Unternehmen in einen staatlichen
Fonds eingezahlt werden sollten, um
deren Verwendung besser kontrollieren zu
können.
Dr. Al Wazzani hob in diesem Zusammenhang
hervor, dass Gesetze zur richtigen Allokation
der sozialen Ausgaben von Unternehmen
ein gutes Steuerungsinstrument
sein könnten und dass die Gouvernements
die Allokation dirigieren und beaufsichtigen
müssten.
Dr. Al-Shraideh leitete die zweite Sitzung
des Workshops mit einer Gegenüberstellung
zwischen Zentralismus und Dezentralisierung
ein. Während im Zentralismus alle
Kompetenzen im Staat bei einer zentralen obersten Instanz konzentriert seien, handele
es sich bei der Dezentralisierung um politische
Reformmaßnahmen, die die Verlagerung
von administrativen, politischen und
fiskalischen Funktionen auf regionale und
lokale Ebene der Verwaltung vorsähen. Auf
diese Weise würde in einem dezentralen politischen
System die Beteiligung der Bevölkerung
an allen sie betreffenden Angelegenheiten
gefördert werden.
Bei der administrativen Dezentralisierung
würden Verwaltungsaufgaben an die regionale
Ebene, d.h. an die ausführenden Organe,
abgegeben werden, während die Entscheidungsbefugnisse
auf nationaler Ebene
bei den Ministerien verblieben.
Dr. Al-Shraideh diskutierte anschließend
die Rolle der Gemeinderäte und ihre Machtbefugnisse.
Wichtig sei, dass im Rahmen
der Dezentralisierungsmaßnahmen transparente
Konkurrenzmechanismen (Checks and
Balances) zwischen den verschiedenen Ebenen
die Rechenschaftspflicht und ein partizipatives
Monitoring ermöglichten.
Dr. Al Shoqran sprach über die Rolle der
Bevölkerung in kommunaler Entwicklung
und über die Hindernisse, die eine aktive
Partizipation am politischen Entscheidungsfindungsprozess
auf lokaler und nationaler
Ebene erschweren. Er benannte eine Reihe
von Kriterien, wie demokratische Regierungsstrukturen,
die von Seiten der Regierung
erfüllt werden müssten, um Mechanismen
der Bürgerbeteiligung zu schaffen
und kommunale Entwicklung zu fördern.
Problematisch sei in Ländern wie Jordanien,
dass zivilgesellschaftliche Organisationen oft
als Gefahr für das politische System und die
gesellschaftliche Stabilität betrachtet würden.
Dennoch spielten diese Organisationen
eine besonders wichtige Rolle in der kommunalen
Entwicklung, da sie für die Rechte
der Bevölkerung eintreten und die Bedürfnisse
der Bürgerinnen und Bürger bündeln
und artikulieren würden. Die allgemeine
Performanz der zivilgesellschaftlichen Organisationen
sei im Nahen Osten jedoch noch
nicht ausreichend, um effektiv mit der Regierung
und den Bürgern zusammenzuarbeiten.
Dr. Beck stellte am Ende des ersten Workshoptages
heraus, dass sich die jordanischen
Gouvernements und Gemeinden für
eine stärkere finanzielle Unterstützung
durch die Regierung einsetzen müssten, um
ihre Handlungsfähigkeiten ausbauen zu
können.
Dr. Al Adwan erklärte, dass die Ergebnisse
des Workshops an das Innenministerium als
wichtiges Feedback zur Dezentralisierungsagenda
weitergeleitet würden. Dr. Al Wazzani
stellte abschließend fest, dass der private
Sektor zukünftig eine noch wichtigere
Rolle in kommunaler Entwicklung spielen
müsse und dass die Allokation der sozialen
Ausgaben der Unternehmen von staatlicher
Seite beaufsichtigt werden müssten.
4. Fazit
Als erste gemeinsame Veranstaltung zwischen
der Regierung, den Lokalmedien, den
Fachhochschulen und verschiedenen Lobbygruppen
hat der Workshop der KAS und des
Visions Centers eine Debatte darüber angestoßen,
wie bürgergesellschaftliche Beteiligung
und kommunale Entwicklung in Jordanien
gefördert werden könnten. Die Teilnahme
des Gouverneurs von Irbid, Herrn
Khaled Abu Zeid, sowie vieler anderer
hochrangiger Experten, verdeutlichte, wie
wichtig den politischen Entscheidungsträgern
und Experten der Austausch über Konzepte
der lokalen Entwicklung, bürgergesellschaftlichen
Partizipation und Dezentralisierung
des politischen Systems ist. Der Workshop
erfüllte die Funktion, Experten aus unterschiedlichen
Bereichen zusammenzuführen
und brisante Themen wie die Dezentralisierung
von Macht und finanziellen Ressourcen
zu diskutieren. Besonders der Beitrag
von Dr. Reiter zu geschlechtergerechten
Repräsentanz im politischen System eröffnete
vielen Teilnehmern eine neue Perspektive
im Hinblick auf Geschlechtersegregation und Genderequality in der politischen
Partizipation.
Das Feedback auf den Workshop war sehr
positiv. Viele Teilnehmer wussten die Möglichkeit
eines freien Meinungsaustausches
zu bisher selten debattierten Problematiken
zu schätzen. Es ging ein deutliches Interesse
an einer Folgeveranstaltung und Intensivierung
der Dezentralisierungsgespräche
aus der aktiven und angeregten Teilnahme
der Experten und Gäste hervor.