Veranstaltungsberichte
1. Programmübersicht
Donnerstag, 27. Mai, 2010
Eröffnung
Dr. Khaled Al Awamleh - Visions Center for StrategicAnd Development Studies, Amman-Jordanien
Dr. Martin Beck - Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-StiftungAmman Jordanien
Ali Al Shora`a - Gouverneur von Karak
Dr. Raad Al Adwan - Gouverneur, Vorsitzender der Abteilung für lokale Entwicklung Innenministerium
Prof. Abdelrahim Al Hunaiti - Präsident der Mu’tah Universität, Karak – Jordanien
Dr. Marouf Al Bakheit Vizepräsident der Mu’tah Universität
Erste Sitzung: Dezentralisierung, Verwaltungsstrukturen und die Zivilbevölkerung in Jordanien
Dezentralisierung und Menschenrechte aus einer juristischen Perspektive
Dr. Mohammad Shawqi -Leiter der Fakultät für Politikwissenschaften Universität Cairo, Ägypten
Dezentralisierung und lokale öffentliche Verwaltung
Dr. Raad Al Adwan - Gouverneur, Vorsitzender der Abteilung für lokale Entwicklung Innenministerium
Moderator:
Dr. Marouf Al Bakheit - Mitglied des Vorstandes Mu’tah Universität Karak
Zweite Sitzung: Gemeinde-, Männer-, Frauenbeteiligung und der Beitrag des pri-vaten Sektors in kommunaler Entwicklung
Städtische Beobachtungszentren und lokale Entwicklung
Dr. Jihad Abu Alsondas - Leiter der Planungs- und Managementfakultät BAU
Die Rolle der Frauen in den Medien und in kommunaler Entwicklung
Sawsan Zaideh
Aufbau von Gemeinden. Wie man eine gerechte Repräsentanz von Frauen und Männern in kommu-naler Entwicklung fördern kann
Dr. Renate Reiter - Fernuniversität Hagen Institut für PolitikwissenschaftDeutschland
Moderator:
Dr. Hussein Mahadeen - Institut für SoziologieMu’tah Universität Karak
Schlussdiskussion
Moderator: Dr. Raed Al Adwan
Gouverneur Ali Al Shara’a, Dr. Jihad Abu Al Sondos, Dr. Martin Beck, Dr. Khaled Al Awamleh, Dr. Renate Reiter, Prof. Mohammad Shouqi, Ms. Sawsan Zaideh, Dr. Amjad Al-Shraideh
2. Zielsetzung
Mit den ersten kompetitiven Wahlen 1989 in Jordanien ebnete König Hussein den Weg für eine Verstärkung der politischen Partizipation, die auch in Jordanien einen - wenn auch beschränkten - Bestandteil des funktionsfähigen politischen Systems ausmacht. König Abdallah II unternahm erste Schritte, um die politischen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen zur Verbesserung der politischen Partizipation der jordanischen Bevölkerung im politischen Prozess zu schaffen. Vor diesem Hintergrund wurde 2005 eine königliche Kommission zur Erstel-lung eines Plans zur Dezentralisierung des politischen Systems in Jordanien gegründet.
Offizielles Ziel des Dezentralisierungsplans ist es dabei, die politische Beteiligung der jordanischen Bürgerinnen und Bürger insbesondere auf kommunaler Ebene zu fördern, ein offenes und bürgergerechtes politisches System zu schaffen und eine Delegierung der Macht von der stark zentralisierten Re-gierungsbürokratie auf die Gouvernements und Gemeinden voranzutreiben. Während des am 27. Mai 2010 von dem Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman in Zusammenarbeit mit dem Visions Center for Strategic and Development Studies an der Mu’tah Universität in Karak organisier-ten, in zwei Sitzungen unterteilten Workshops standen verschiedene Aspekte der kommunalen Entwicklung im Mittelpunkt. Diskutiert wurden Themen wie die gerechte Repräsentanz zwischen Männern und Frauen auf kommunaler Ebene, die Rolle des privaten Sektors und der Bevölke-rung in der kommunalen Entwicklung, das Dezentralisierungsvorhaben der Regierung und die Rolle der Zentralgewalt im Dezent-ralisierungsprozess.
3. Ablauf
Dr. Khaled Awamleh , Leiter des Visions Center, eröffnete den ersten Workshoptag. In seiner Begrüßungsrede sprach er über die Schlüsselrolle der Universität im Bereich regionaler und lokaler Entwicklung. Aufgabe der Universität sei es nicht nur, neues Wissen zu schaffen, es zu vermitteln, zu verbreiten und für seine Anwendung zu sorgen, sondern insbesondere die Humankapi-talbildung als Grundlage gesellschaftlicher Entwicklung zu fördern. Die Ausbildung von Fach- und Führungskräften für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sei einer der wich-tigsten Pfeiler nachhaltiger nationaler und regionaler Entwicklung.
Dr. Martin Beck , Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman, hob die Initiative König Abdallahs II zur Dezentralisierung des Entscheidungsfindungsprozess als Fortschritt hervor. Die Handlungs- und Investitionsfähigkeiten der Gouvernements und Gemeinden müssten jedoch erheblich verbessert und die Partizipation auf lokaler Ebene gefördert werden. Wichtig sei, dass sich die Regierung dafür einsetze, dass die jordanischen Bürgerinnen und Bürger eine wirkliche Chance bekämen, ihre politi-schen Ziele auch auf lokaler Ebene durchzusetzen.
Sowohl Dr. Awamleh, als auch Dr. Beck unterstrichen, dass es sich bei diesem Workshop um die erste gemeinsame Bemühung zwischen der Regierung, den Lokalmedien, den Fachhochschulen und verschiedenen Lobbygruppen handele, eine Veranstaltung zum Thema lokale Entwick-lung und politische und zivile Partizipation in Gouvernements und Gemeinden in Jorda-nien auszurichten.
Der Gouverneur von Karak, Herr Al Shora’a, erinnerte an die Feierlichkeiten vom 25. Mai 2010 zum 64. Jahrestag der Unabhängigkeit Jordaniens. Seit seiner Unabhängigkeit habe sich das Land vielen Herausforderungen gestellt. Heute müsse die Regierung, insbesondere vor dem Hintergrund der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, eine umfassende Entwicklungsstrategie planen und umsetzen, die die Partizipation der Bevölkerung am politischen Entscheidungsfindungsprozess garantiere.
Dr. Shawqi leitete die erste Workshopsitzung mit einem Vortrag über die „Rolle der Dezentralisierung und Menschenrechte aus einer juristischen Perspektive“ ein. Zu Beginn definierte er die Konzepte der Dezentralisierung und der Demokratie. Bei der Dezentralisierung handele es sich um politische Reformmaßnahmen, die die Verlagerung von administrativen, fiskalischen und politischen Funktionen sowie der Ressourcen und Verantwortungen auf regionale und lokale Ebenen der Verwaltung vorsähen. Demokratie definierte er als Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk. Das Volk sei oberster Souverän und oberste Legitimation des politischen Handelns in-nerhalb des Staates. Doch übe das Volk nicht unmittelbar Herrschaft aus. Vielmehr seien moderne Demokratien durch politische und gesellschaftliche Organe wie Parlamente, Parteien etc. geprägt, die die Teilhabe des größten Teils der Bevölkerung auf gesetzlich geregelte Teilhabeverfahren beschränkten. Anschließend diskutierte Dr. Shawqi ob Dezentralisierung und Demokratie zu den Menschenrechten gezählt werden könnten. Seiner Ansicht nach würden Artikel 21 der UN-Menschenrechtscharta von 1948 und Artikel 25 des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte von 1966 deutlich machen, dass es sich bei der Dezentralisierung und der Demokratie um Menschenrechte handele, da all jenes, was Menschenrechte schütze, selbst ein Men-schenrecht sei. Er sehe die beiden Konzepte daher in der UN-Charta und im Pakt verankert. Denn in Artikel 21 der UN-Charta und Artikel 25 des Paktes heiße es, dass ein jeder das Recht auf gleichen Zugang zu öf-fentlichen Ämtern in seinem Land inneha-ben, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitwirken müsse und dass der Wille des Volkes, der durch regelmäßige, unverfälschte, all-gemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe zum Ausdruck gebracht werde, die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt bildete.
Dr. Al Adwan stellte in seinem Vortrag über „Dezentralisierung und lokale öffentliche Verwaltung“ das Dezentralisierungsvorhaben der jordanischen Regierung vor. Seit 2009 würde sich ein neugegründetes Komitee mit der Erarbeitung des finanziellen, rechtlichen, organisatorischen und politi-schen Rahmens zur Implementierung des Dezentralisierungsplans beschäftigen. Die Dezentralisierungsinitiative sehe eine Verla-gerung von Macht, Kompetenzen und Res-sourcen von der Zentralregierung zu den Gouvernements und Gemeinden vor.
Damit die Zivilgesellschaft im politischen Leben auf allen Ebenen des Staates reprä-sentiert sei, müssten die Kapazitäten der zwölf Gouvernements ausgebaut werden. Die große sozioökonomische Kluft zwischen der Stadt- und Landbevölkerung zeige, dass die Entscheidungen der Regierung den Be-dürfnissen der Bevölkerung nicht gerecht werden.
In der auf die erste Sitzung folgenden Fra-gerunde wurden Möglichkeiten diskutiert, um gegen die Marginalisierung von zivilge-sellschaftlichen Organisationen seitens der Regierung anzugehen. Des Weiteren wurden die Fragen aufgeworfen, ob in der arabi-schen Welt Demokratie vorherrschen könne, ob die Demokratie nicht auch viele negative Seiten habe und ob ein politisches System geprägt von tribalen Strukturen nicht für Jordanien vorteilhafter sei.
Dr. Renate Reiter eröffnete die zweite Sit-zung des Workshops und warf in ihrem Vor-trag einen Blick auf die verschiedenen Mög-lichkeiten, Partizipation in Gemeinden zu gestalten. Zu unterscheiden sei zwischen traditionellen Formen der politischen Reprä-sentanz wie in präsidentiellen und parla-mentarischen Regierungssystemen und neuen Partizipationsformen direkter Demo-kratie. Sie ging dann auf die Partizipation von Männern und Frauen in Gemeindewah-len und deren Repräsentanz in Gemeindein-stitutionen ein.
Im aktiven Wahlrecht bestünde kaum ein Unterschied in der Beteiligung zwischen Männern und Frauen; beide Geschlechter seien zurzeit in Deutschland vom deutlichen Rückgang der Wahlbeteiligung und des politischen Interesses betroffen. Festzuhalten sei, dass im Gegensatz zu Frankreich, wo eine gleichberechtigte Repräsentanz in Ge-meinderäten vorherrsche, in Deutschland Frauen in Gemeinderäten und hohen Füh-rungspositionen unterrepräsentiert seien. Im Folgenden erörterte Dr. Reiter Gründe für die ungleiche Repräsentanz in Gemein-deräten: meist sei die Repräsentanz von der Art des Wahlrechts abhängig. Im Gegensatz zum Mehrheitswahlrecht begünstige bei-spielsweise das Verhältniswahlrecht gerech-tere Partizipationschancen. Außerdem müssten in Parteien Quoten die Karriere-chancen von Frauen sichern. Des Weiteren herrsche eine ungleiche Vertretung von Männern und Frauen in lokalen sozialen und politischen Netzwerken vor. Die ungleichen zeitlichen Ressourcen und die geschlechts-spezifischen Aufgaben erschwerten eine Gleichstellung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Quoten, Partei-enwettbewerb, Strategien der Parteien und soziale Netzwerke, die Karrierechancen von Frauen fördern, und neue Formen von Ba-sisdemokratie könnten hingegen für eine geschlechtergerechtere Repräsentanz auf lokaler und nationaler Ebene sorgen.
Frau Zaideh sprach über die 2003 einge-führte Frauenquote im Parlament. Proble-matisch sei, dass die Frauenquote aufgrund des jordanischen Wahlrechts Kandidatinnen aus ländlichen und stimmenarmen Gebieten favorisiere. Das neue Wahlgesetz für 2010 sehe vor, die Frauenquote von 6 auf 12 Sit-ze zu erhöhen. Bisher seien Frauen im jor-danischen politischen System jedoch unter-repräsentiert. Grund hierfür sei unter ande-rem die schwachen Parteistrukturen, die die Kandidatur von Frauen nicht ausreichend förderten. Des Weiteren würden auch die Medien den Frauen nicht wirklich helfen, ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft zu verbessern. Zwar würde die Erhöhung der Partizipation von Frauen gelegentlich propa-giert werden, um ein besseres Image Jor-daniens nach außen hin zu vermitteln, hier-bei handele es sich aber lediglich um eine positive Diskriminierung, da die Frauen als gesellschaftlich benachteiligte Gruppe nur vorübergehend begünstigt würden. Zudem würden die Medien die Bedürfnisse von Frauen in Slums oder ländlichen Gebieten nicht widerspiegeln.
Dr. Jihad Abu Alsondas sprach im An-schluss über die Rolle städtischer Beobach-tungszentren zur Messung der Indikatoren der lokalen Entwicklung. Solche Zentren seien notwendig, um eine richtige Imple-mentierung der Entwicklungspläne der Re-gierung zu gewährleisten. Damit die Bevöl-kerung der Gemeinden sich stärker beim Erarbeiten und Umsetzen der kommunalen Entwicklungspläne engagiere, müsste sie die Möglichkeit erhalten, den Projektverlauf und die Projektwirkungen systematisch zu beobachten und auszuwerten.
Dr. Beck stellte am Ende des zweiten Workshoptages heraus, dass sich die jorda-nischen Gouvernements und Gemeinden für eine stärkere finanzielle Unterstützung durch die Regierung einsetzen müssten, um ihre Handlungsfähigkeiten ausbauen zu können.
Dr. Al Adwan erklärte, dass die Ergebnisse des Workshops an das Innenministerium als wichtiges Feedback zur Dezentralisierungs-agenda weitergeleitet würden. Dr. Reiter und Frau Zaideh hoben dich wichtige Rolle der Frauen in kommunaler Entwicklung und bürgergesellschaftlicher Partizipation als Vermittlerinnen genderspezifischer Bedürf-nisse hervor.
4. Fazit
Als erste gemeinsame Veranstaltung zwi-schen der Regierung, den Lokalmedien, den Fachhochschulen und verschiedenen Lobby-gruppen hat der Workshop der KAS und des Visions Center eine Debatte darüber ange-stoßen, wie bürgergesellschaftliche Beteili-gung und kommunale Entwicklung in Jorda-nien gefördert werden könnten. Die Teil-nahme des Gouverneurs von Karak, Herrn Ali Al Shora`a, sowie vieler anderer hoch-rangiger Experten verdeutlichte, wie wichtig den politischen Entscheidungsträgern und Experten der Austausch über Konzepte der lokalen Entwicklung, bürgergesellschaftliche Partizipation und Dezentralisierung des poli-tischen Systems ist. Der Workshop erfüllte die Funktion, Experten aus unterschiedli-chen Bereichen zusammenzuführen und bri-sante Themen wie die Dezentralisierung von Macht und finanziellen Ressourcen zu disku-tieren. Besonders der Beitrag von Dr. Reiter zu geschlechtergerechten Repräsentanz im politischen System eröffnete vielen Teil-nehmern eine neue Perspektive im Hinblick auf Geschlechtersegregation und Gendere-quality in der politischen Partizipation.
Das Feedback auf den Workshop war sehr positiv. Viele Teilnehmer wussten die Mög-lichkeit eines freien Meinungsaustausches zu bisher selten debattierten Problematiken zu schätzen. Es ging ein deutliches Interes-se an einer Folgeveranstaltung und Intensi-vierung der Dezent ralisierungsgespräche aus der aktiven und angeregten Teilnahme der Experten und Gäste hervor.