Veranstaltungsberichte
Veranstaltung: Vortrag
Referent: Dr. Martin Beck
Datum/ Ort: 1. Februar 2012
Salahaddin Universität
Erbil, Irak/ Kurdistan
Organisation: KAS Amman, Salahaddin Universität – Fakultät für Politikwissenschaften
Konzept: Dr. Sabah Sobhi Hayder, Dr. Martin Beck
Referent: Dr. Martin Beck, Repräsentant der Konrad Adenauer Stiftung Amman
Einleitung
Die Konrad Adenauer Stiftung Amman (KAS Amman), vertreten durch Dr. Martin Beck, pflegt gute Beziehungen zu verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Universitäten im Irak. Zu diesen Universitäten zählt auch die Salahaddin Universität in Erbil (Hawler), Kurdistan und insbesondere die Fakultät für Politikwissenschaften unter der Leitung von Dr. Sabah Sobhi Hayder. Aufgrund dieser engen Partnerschaft, der akademischen wie politischen Relevanz des Themas und durch das Fachwissen, das Dr. Beck während seiner vorherigen Arbeit als Experte für moderne Nahost-Studien erworben hat, wurde Martin Beck von der Salahaddin Universität eingeladen, am 01. Februar auf dem Campus der Universität einen Vortrag zu halten zu dem Thema „Chancen, Probleme und Herausforderungen Ölproduzierender Länder: Erkenntnisse der Rententheorie und Empirischer Fallstudien“. Die Vorlesung wurde durch die Fakultät für Politikwissenschaften organisiert und durch den Präsidenten der Salahaddin Universität, Dr. Ahmad Anwar Dezaye, sowie den Dekan des Colleges für Recht und Politik, Dr. Hussein Tawfik, unterstützt. Neben hochrangigen Vertretern und Wissenschaftlern der Universität besuchten circa 200 Studenten den Vortrag.
Vortrag
Der Vortrag mit dem Titel: „Chancen, Probleme und Herausforderungen Ölproduzierender Länder: Erkenntnisse der Rententheorie und Empirischer Fallstudien“ konzentrierte sich auf Themen, die von größter Bedeutung für den (kurdischen Teil des) Irak als Ölproduzierenden Staat sind. Dr. Martin Beck unterteilte seine Präsentation in fünf Abschnitte: Die Präsentation eines „Forschungsrätsels“, gefolgt von einer Einführung in die Rententheorie und einer Diskussion empirischer Erkenntnisse. Im Anschluss präsentierte er entscheidende politische Problematiken Ölproduzierender Staaten und schloss mit Beobachtungen zum richtigen Umgang mit auf Öl basierendem Wohlstand ab.
Das Forschungsrätsel behandelte die Tatsache, dass die meisten Ölproduzierenden Staaten - obwohl sie über eine wertvolle Ressource verfügen, mit der sie ein hohes Einkommen erwirtschaften – häufig politischen wie wirtschaftlichen Problemen gege-nüberstehen: Demnach gibt es kaum „Öl-Demokratien“ und die meisten Öl-Staaten scheitern am Aufbau eines Wirtschaftssystems, das nachhaltiges Wachstum generiert.
Die Rententheorie hilft, das beschriebene Rätsel zu erklären. Der größte Teil des Öl-Einkommens besteht aus Renten. Eine Rente ist ein Einkommen, das nicht durch Investitionen oder Arbeit ausgeglichen wird. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Öl-Preis, dem Kapital und der Arbeit, die investiert werden, um Öl zu produzieren. Wie François Seznec (2008 in Middle East Policy) ausgerechnet hat, liegen die Produktionskosten für ein Barrel in der Golfregion zwischen 1,5 und 8 USD. Die Differenz zum eigentlichen Ölpreis stellt die Rente dar. Warum sind Renten problematisch? Erstens stehen sie dem Bezieher frei zur Verfügung, da keine Investitionen notwendig sind, um zukünftige Renteneinkünfte sicherzustellen. Außerdem gehen Öl-Einkünfte an Staatsapparate. Der Mechanismus „Keine Besteuerung ohne Repräsentation“ (No taxation without representation.) funktioniert nicht.
Zweitens schaffen Renten strukturelle Heterogenität. Da der Öl-Sektor sehr viel produktiver ist als alle anderen, ist der Rest der Wirtschaft in Gefahr, zu verkümmern (Holländische Krankheit/ dutch disease). Dies resultiert in niedrigen Investitionen produktiver Wirtschaftszweige, einer überbewerteten Währung und hohen Arbeitslosenraten. In diesem Kontext zeigte Dr. Martin Beck auf, dass reine Marktwirtschaften keine Heilmittel für die „Holländische Krankheit“ darstellen.
Im Anschluss präsentierte Dr. Beck zwei Zwischenergebnisse, welche er als Herausforderungen für Ölproduzierende Staaten identifiziert: Erstens tendieren hohe Öl-Einkommen dazu, einen Staat zu schaffen, der gleichzeitig zu stark und zu schwach ist. Zu stark ist er vis-à-vis seiner eigenen Gesellschaft und zu schwach, um das sozioökonomische Problem struktureller Heterogenität zu lösen. Er betonte aber auch, dass alles, was bisher über den Rentierstaat gesagt wurde, nur zutrifft, wenn alle anderen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen konstant bleiben (ceteris-paribus-Klausel).
Zweitens betonte Dr. Beck, dass alle seine Ergebnisse auf der Annahme konsequentem Rationalismus und nicht auf kulturellem Essentialismus beruhen. Aus der analytischen Perspektive ist dies entscheidend, da Strukturen leichter verändert werden können als Kulturen. Aus der normativen Perspektive heraus ist die Forderung nach strukturellem statt kulturellem Wandel weniger herabsetzend für das Zielland.
Im dritten Teil des Vortrags präsentierte Dr. Beck empirische Einblicke Öl-produzierender Staaten, die er entlang sechs Charakteristiken gliederte: schwache demokratische Institutionen, starke Sicherheitsapparate, schwache Zivilgesellschaften, schwache Privatwirtschaft, hohe Korruptionsraten sowie geringe Einhaltung internationaler Regeln und Standards. Dennoch gibt es eine wichtige Ausnahme: Norwegen. Außerdem variieren die durch Öl-Produktion bedingten strukturellen Probleme. Beispielsweise sind die politischen Systeme Venezuelas und des Iran offener als das Saudi-Arabiens. Das gleiche gilt für Kuwait im Vergleich zu Libyen vor 2011. Außerdem ist zum Beispiel der Oman deutlich weniger repressiv als Algerien. Aus diesen Beobachtungen schloss Dr. Beck, dass good governance (gute Regierungsführung) in Ölproduzierenden Staaten durchaus möglich ist.
Dr. Beck präsentierte daraufhin verschiedene politische Empfehlungen für Ölproduzierende Staaten in Bezug auf die bereits genannten sechs Charakteristika:
1.Stärkung demokratischer Institutionen: Durchführung freier Wahlen, Etablierung eines pluralistischen Parteiensystems, das an der sozioökonomischen Stratifizierung der Gesellschaft orientiert ist, sowie die Förderung dezentraler Strukturen mit autonomen finanziellen Ressourcen.
2.Stärkung menschlicher Sicherheit: Verknüpfung des staatlichen Monopols der Gewaltanwendung mit Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung von Milizen, Verhinderung einer Politisierung des Militärs.
3.Stärkung der Zivilgesellschaft: Garantie der Versammlungsfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung, Förderung von Kooperationen zwischen Universitäten und Nicht-Regierungsorganisationen sowie Förderung von transnationalen Kooperationen zivilgesellschaftlicher Akteure.
4.Stärkung der Privatwirtschaft: Förderung privater Firmen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit anstreben, Förderung von Klein- statt Großbetrieben, Eingrenzung von Aktivitäten in nicht produktiven Sektoren (zum Beispiel: Land und Immobilien).
5.Korruptionsbekämpfung: Förderung strikter Gesetze gegen korrupte Praktiken (Kartelle, Nepotismus etc.), Aufrechterhaltung eines unabhängigen Justizwesens und Förderung der Transparenz des Staatshaushaltes.
6.Stärkung internationaler Kooperation: Beitritt zu internationalen und transnationalen Verträgen und Verhaltenskodizes, Förderung regiona-ler Integration, Annahme norwegischer Ratschläge.
Dr. Beck schloss mit der Bemerkung ab, dass die Möglichkeiten, Probleme und Herausforderungen Ölproduzierender Volkswirtschaften einzigartig und im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften sehr komplex sind. Volkswirtschaften, die auf Öl basieren, neigen dazu, stark politisiert zu sein, weshalb good governance (gute Regierungsführung) von größter Bedeutung ist. Öl-Wohlstand ist weder ein Fluch noch ein Segen. Es ist eine Ressource, deren angemessene Nutzung eine Herausforderung ist und eine besonders geschickte Politik sowie institutionelle Umsicht notwendig macht.
Eine lebhafte und produktive Diskussion folgte dem Vortrag. Die Beiträge der Universitätsrepräsentanten und Studenten konzentrierten sich insbesondere auf die kulturellen Herausforderungen, denen die meisten Ölproduzierenden Länder des Nahen Ostens gegenüberstehen. Es wurde betont, dass eine lange Tradition nichtdemokratischer Regierung in den Staaten des Nahe Ostens die Überwindung der durch Öl-Ressourcen hervorgerufenen strukturellen Herausforderungen erschwert.
Fazit
Dr. Becks Vortrag behandelte ein Thema, das von großer Bedeutung für viele Staaten des Nahen Osten ist. Aufgrund der reichen Öl-Vorkommen stehen viele Länder der Region großen strukturellen Herausforderungen gegenüber. Ob sie diese Herausforderungen überwinden und sich effektiv entwickeln können, hängt stark davon ab, wie die Ölproduzierenden Staaten ihre politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systeme gestalten.
Die Zahl und der Inhalt der Fragen, welche Dr. Beck durch die Vertreter und Studenten der Universität gestellt wurden, reflektieren deren Interesse an dem Thema sowie ihre Wertschätzung des Vortrags. Folglich kann der Vortrag als wichtiger Beitrag zur Part-nerschaft zwischen KAS Amman und der Salahaddin Universität angesehen werden.