Veranstaltungsberichte
Veranstaltung: Roundtable Konferenz
Ort/ Datum: 24. Juni 2011, Crowne Plaza Hotel, Beirut, Libanon
Konzept: Mr. Sami Atallah, Lebanese Center for Policy Studies
Dr. Martin Beck, KAS Amman
Programmübersicht
Freitag, 24. Juni 2011
Roundtable Diskussion: Die Arabischen Umbrüche und ihre ökonomischen Implikationen für den Libanon
Begrüßungsworte
Moderator: Herr Sami Atallah
Geschäftführender Direktor
The Lebanese Center for Policy Studies
Beirut – Libanon
Chair: Dr. Martin Beck
Landesbeauftragter
Konrad–Adenauer–Stiftung Amman Office
Amman – Jordan
Diskussionsteilnehmer
Herr Eric Mottu
Landesbeauftragter
Internationaler Währungsfonds
Beirut – Libanon
Dr. Fadi Osseiran
Geschäftsführer
Blominvest Bank
Beirut – Libanon
Dr. Jihad Azour
Ehemaliger Finanzminister
Leitender Regierungsberater
Booz & Company
Beirut – Libanon
Dr. Kamal Hamdan
Geschäftführender Direktor
Consultation and Research Institute
Beirut – Libanon
Dr. Zafiris Tzannatos
Leitender Berater für die arabischen Staaten
ILO Office
Beirut – Libanon
Roundtable Diskussion
Das vierte Roundtable Gespräch in einer Reihe von geschlossenen Diskussionen zum Thema arabische Umbrüche, konzentrierte sich auf die ökonomischen Implikationen der Umbrüche für den Libanon. Sami Atallah moderierte das Treffen und stellte den Teilnehmern folgende Fragen zur Diskussion:
1. Was sind die derzeitigen Konsequenzen der arabischen Umbrüche für die libanesische Ökonomie und seine verschiedenen Sektoren?
2. Welche Herausforderungen und Bedrohungen stellen die Entwicklungen für die ökonomische Rolle des Libanons in der Region dar, und wie kann die libanesische Regierung auf diese Herausforderungen reagieren?
3. Welche ökonomischen Chancen können aus den Umbrüchen resultieren, und wie kann die Regierung diese für die politischen Reformen in der Region nutzen?
Libanon – Ein sicherer Zufluchtsort?
Während der Umbrüche in den 50er und 60er Jahren schien der Libanon wie eine Insel der ökonomischen Freiheit, des Bankgeheimnisses und des Liberalismus. Zudem zeichnete das Land sich durch eine bedeutende Mittelklasse aus. Im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten wie Ägypten, Syrien, Algerien oder dem Irak, in denen zu dieser Zeit Modelle des Staatsinterventionismus implementiert wurden, existierte im Libanon eine Form des Pluralismus. Der Tourismus bildete damals noch keinen bedeutenden Sektor der libanesischen Ökonomie.
In den letzten Jahren profitierte das libanesische Banksystem bedeutend von ausländischen Aufruhen, besonders in der Zeit nach dem 11. September und während der Finanzkrise 2008. Obwohl diese Ereignisse außerhalb der arabischen Welt stattfanden, schien der Libanon wie ein sicherer Zufluchtsort für Kapital. Amerikanische und europäische Banken wurden als krieselnd eingestuft, während libanesische Kreditunternehmen stabil, gut kapitalisiert und bodenständig geführt wurden. Heute jedoch hat sich dieses Bild gewandel; der Libanon wird nicht mehr als ein Ort mit einer einzigartigern liberalen Ökonomie gesehen, vor allem nicht seit der verstärkten Regulierung im Bereich des Bankgeheimnisses.
2011 gab es einen beachtlichen Verlust in der ökonomischen Produktionsleistung, was in einem Wachstumsrückgang von 8-9% (Januar-März 2010) auf 2-3% im ersten Quartal 2011 resultierte. Obwohl der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits vor den Protesten einen Rückgang erwartete, haben die Entwicklungen in der arabischen Welt wirtschaftliches Wachstum noch fragiler werden lassen. Auch die Arbeitslosenquote stieg im letzten Quartal 2010 auf 10,5-11% - eine Zahl, die laut der Central Agency for Statistics voraussichtlich weiter steigen wird.
Aufgrund dieser politischen und sicherheitstechnischen Instabilitäten des Landes wird der Libanon heute kaum noch als attraktives Investmentziel gesehen. Insbesondere die Auswirkungen der arabischen Umbrüche treffen das Land stark, da sie mit innerstaatlichen Instabilitäten zusammentreffen, die zwar in keinem Bezug zu den Umbrüchen stehen, jedoch deren negative ökonomische Effekte noch verstärken. Folglich ist es schwierig, die genauen Auswirkungen der internen und externen Einflüsse auf die libanesische Wirtschaft zu bestimmen.
Libanesische Eigenheiten
Der Libanon verfügt über eine offene Wirtschaft, die auf der Zirkulation von Menschen und Kapital beruht – beide werden von der Unsicherheit und den Umbrüchen in der Region beeinflusst. In früheren wirtschaftlich schwierigen Zeiten glich der Libanon fehlendes Vertrauen stets durch das Argument der Stabilität in der Region aus – in der derzeitigen Situation trifft dies aber nicht zu. Um folglich einen Vertrauensverlust zu verhindern, distanziert sich der Libanon von den arabischen Umbrüchen mit dem Argument der bereits fest verankerten libanesischen Demokratie – der Erfolg dieser Strategie ist jedoch als eher gering zu bewerten.
Die politische Unsicherheit führte zu einem signifikanten Anstieg der Öl- und Weizenpreise. Die libanesische Regierung reagierte darauf mit einer Erhöhung der Subventionen für Lebensmittel und Benzin, was sich wiederum negativ auf den Haushalt und die öffentlichen Schulden auswirkte. Zwar macht es das Fehlen eines Konsumerpreisindexes im Libanon schwierig, den tatsächlichen Preisanstieg für Grundnahrungsmittel zu bestimmen, doch schätzen Wirtschaftsexperten ihn als über dem globalen Durchschnitt liegend ein.
Im Bezug auf das Humankapital erfuhr der Libanon seit Beginn der arabischen Umbrüche, durch die sinkende Anzahl von Besuchern, einen stetigen Rückgang im Tourismussektor. Hinzu kommen verschiedene Sicherheitsprobleme im Libanon, welche die Attraktivität des Staates als Reiseland verringern, insbesondere die Entführung von sieben estnischen Touristen im März 2011. Auch die Anzahl von saudischen Besuchern, die im Durchschnitt drei bis viermal mehr Geld in ihren Urlaub ausgeben als der durchschnittliche Tourist, sank von 7,5% in 2010 auf 4% in 2011. Zwar kamen mehr iranische Besucher in den Libanon, doch sind diese für ihre eher unterdurchschnittlichen Ausgaben bekannt. Zusammenfassend gibt es einen 20-30% Rückgang im Touristenstrom, was das wirtschaftliche Wachstum um 0,5-1% senken kann.
Zudem verschlechtern sinkende ausländische Direktinvestitionen und der Anstieg der Rohstoffpreise die Staatsfinanzen. Auch auf dem Arbeitsmarkt sind keine Verbesserungen zu erwarten, da es sowohl einen Konkurrenzkampf zwischen nicht ausgebildeten Arbeitern aus den Nachbarstaaten gibt als auch einen Anstieg von gebildeten Libanesen, welche ins Ausland gehen, um dort bessere Chancen auf eine gute Anstellung zu finden. Ein möglicher Zufluss wohlhabender Flüchtlinge aus Krisenstaaten könnte jedoch, wie z.B. auch in Jordanien während des Irakkrieges, zu einem Wandel führen.
Die Umbrüche haben zudem einen negativen monetären Einfluss auf den Libanon. Zwar versucht die Zentralbank, diesem Einfluss durch niedrige und stabile Zinssätze entgegen zu wirken, musste aber dennoch 2011 eingreifen und amerikanische Dollars auf dem freien Markt verkaufen. Das Bankgeschäft – das Rückgrad der libanesischen Wirtschaft – wird stetig instabiler und belastet das Vertrauen der Bevölkerung in die Kreditinstitute sehr. Der kürzliche Vorwurf der Geldwäsche gegenüber der libanesisch-kanadischen Bank verschärfte das fehlende Vertrauen nochmals.
Externe Akteure
Syrien
In Anbetracht der arabischen Umbrüche und den anhaltenden Protesten im Nahen Osten werden insbesondere die politischen Entwicklungen in Syrien einen Einfluss auf die wirtschaftliche Lage des Libanons haben, da die beiden Staaten sowohl historisch als auch ökonomisch stark verbunden sind. Bereits jetzt haben Investitionen und Handel in Syrien stark nachgelassen. Zwar könnten ausländische Investoren den Libanon als einen angemessenen Investmentersatz für Syrien sehen, doch hat die derzeitige Sicherheitslage zu einer Abschwächung von ausländischen Direktinvestitionen geführt. Auch die ökonomischen Sanktionen, welche Syrien von der internationalen Gemeinschaft auferlegt wurden, könnten negative Folgen für den Libanon haben, da zum einen syrisches Kapital zu libanesischen Banken transferiert wird und der Libanon folglich indirekt von den Sanktionen betroffen wäre. Zum anderen könnte der Libanon ebenfalls Sanktionen von Seiten der internationalen Gemeinschaft auferlegt bekommen. Des Weiteren ist es möglich, dass die Ereignisse in Syrien das politische Gleichgewicht im Libanon verändern, da Parteien, welche von der syrischen Regierung unterstützt werden, zukünftig eventuell ohne diese Unterstützung auskommen müssen.
Die Golfstaaten
Ein zusätzliches Problem dem der Libanon derzeit gegenüber steht, ist die sichere Lage in den Golfstaaten. Dubai wirkt folglich für viele Investoren als sichererer Partner für Finanzgeschäfte und Investitionen als der Libanon. Besonders seitdem sich die Golfregion von der Finanzkrise erholt hat, erhalten die Emirate einen ansteigenden Betrag an Kapital von den arabischen Staaten wie z.B. Ägypten oder Syrien.
Gleicjwohl könnten die Golfstaaten ebenfalls als Gegengewicht zu den wirtschaftlichen Problemen des Libanons wirken. Einige der Staaten profitieren von den hohen Ölpreisen und nutzen die Einkünfte, um auf soziale Forderungen einzugehen. Besonders die saudische Bevölkerung hat bedeutende Unterstützung in Form von Darlehen und Zuschlägen erhalten, welche sie möglicherweise im Libanon ausgeben wird. Allerdings werden Investitionen dieser Art nicht ausreichen, um den negativen Folgen der Krise im Nahen Osten entgegen zu wirken. Eine weitere Sorge ist, dass Saudi-Arabien seine Unterstützung für den Libanon aufgeben wird, sollte die Hisbollah Teil der libanesischen Regierung werden.
Mögliche Reformen
Wirtschaftliche Reformen im Libanon stehen häufig Implementierungsproblemen gegenüber. Das Haushaltsbudget für 2010 beispielsweise wurde zwar aufgelegt, doch nie ratifiziert, und öffentliche Investitionen scheinen unterhalb dessen zu liegen, was zuvor festgelegt wurde, besonders im Bereich Telekommunikation, Infrastruktur und Energie – Sektoren, welche bedeutend auf öffentliche Gelder angewiesen sind. Ein Beispiel ist das staatliche Elektrizitätsunternehmen EDL, welches bereits seit 2004 keine rechtliche Absicherung mehr hat. Auch kürzlich entschiedene Politiken wie die Erhöhung von Subventionen verliefen eher unkoordiniert, waren äußerst kostenintensiv und haben bisher nicht dazu beigetragen, die eigentlichen Probleme zu lösen.
Es scheint zudem notwendig, den privaten Sektor durch das Abschaffen von Monopolen, Privilegien und Lizenzen zu stärken und so den wirtschaftlichen Wettbewerb zu fördern. Das Prinzip der Rechenschaftspflicht sollte gestärkt und Korruption reduziert werden. Solche Änderungen erfordern jedoch klare Reformen, mehr Transparenz und eine bessere Regierungsführung. Der Technologiesektor, welcher in anderen arabischen Staaten einen starken Aufschwung hat, ist im Libanon aufgrund der fehlenden Infrastruktur eher schwach aufgestellt.
Die Teilnehmer stimmten überein, dass eine Agenda mit sozialem Schwerpunkt die Priorität bildet, um eine stabile Ökonomie aufzubauen. So gibt es einen starken Bedarf an verstärkter sozialer Absicherung wie Sozialhilfe, Pensionen und Arbeitslosengeld. Der Libanon ist der reichste Nicht-Erdöl-Staat in der arabischen Welt und verfügt dennoch nur über eine 'End-of-Service- Abfindung' statt einem Rentensystem.
Demnach sollten Reformen insbesondere in den folgenden drei Sektoren vorgenommen werden, um der Nachfrage am Markt gerecht zu werden: in der Informations- & Kommunikationstechnologie, in Dienstleistungssektoren wie der Stromversorgung oder dem Transport und im Bildungsbereich.
Fazit
Das Roundtable Gespräch gab allen Teilnehmern neue Einblicke in die Auswirkungen der arabischen Umbrüche auf die libanesische Wirtschaft. Es wurde deutlich, dass die Umbrüche in der Region ökonomische und soziale Reformen im Libanon wichtiger machen denn zuvor und dass eine strikte und sorgsame Implementierung unabdinglich ist.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung Amman und das Lebanese Center for Policy Studies fühlen sich bestärkt, in der eingeschlagenen Richtung vertieft zusammenzuarbeiten.