Nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla im Jahr 2016, wurde eine Verbesserung der Sicherheit im Land erwartet. Nach den Verhandlungen hatte eine der größten illegalen bewaffneten Gruppen, die auch Kontrolle über weite Teile des Landes ausübte, die Waffen niedergelegt und war zu einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft bereit; dies wurde in den Medien als einer der größten Erfolge für Sicherheit und Verteidigung in Kolumbien gefeiert. Seitdem existiert ein politischer Kampf um die Umsetzung des Friedensabkommens, die zivile Unterstützung und andere Faktoren, die größtenteils die Entscheidungen im Bereich der öffentlichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beeinflussen.
Es gab jedoch strategische Rückschläge, während sich die illegalen bewaffneten Strukturen in Kolumbien neu organisierten, ebenso wie die illegalen Märkte, aus denen sie sich finanzieren. Vor diesem Hintergrund haben die Konrad-Adenauer-Stiftung KAS Kolumbien und das Politikwissenschaftliche Institut ICP eine Expertenrunde zum Thema Nationale Verteidigung organisiert, die am 12. Mai als Ergebnis der Arbeit der Interessengruppe “Nationale Sicherheit und Verteidigung“ GIDESE stattfand.
Zunächst begrüßte der Repräsentant der KAS Kolumbien, Stefan Reith die Experten und dankte ihnen für ihre Teilnahme; dabei betonte er, dass die nationale Sicherheit für die KAS eine unabdingbare Voraussetzung für Frieden und Demokratie in Kolumbien darstelle. Außerdem wolle man die Debatte in dem Bereich fördern, vor allem angesichts des aktuellen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine, der zeige, dass man diese Diskussion ständig aufrechterhalten müsse, auch wenn keine direkte Bedrohung bestehe. Abschließend lobte Reith die Zusammenarbeit mit dem ICP und der Militärakademie ESDEGUE und bezeichnete sie als wichtige Partner und Experten im Bereich Sicherheit und Verteidigung.
Der akademische Direktor des ICP, Carlos Augusto Chacón betonte, dass vor allem in den Tagen vor den Präsidentschaftswahlen die Diskussion über die nationale Sicherheit konsolidiert werden müsse, an der nicht nur Politiker und Aktivisten teilnehmen sollten, sondern auch Akademiker und Angehörige der Streitkräfte, die Experten für dieses Thema seien; gleichzeitig dankte er den Experten für ihre Teilnahme.
Anschließend gab der Berater für Strategische Angelegenheiten, Sicherheit und Verteidigung und Regierung, César A. Restrepo Flórez einen Überblick über wichtige Sicherheitsaspekte in der Zeit nach Unterzeichnung des Friedensabkommens. Zunächst sollten alle Erfolge und Rückschläge im Bereich Sicherheit und Verteidigung in den letzten Jahrzehnten genauestens analysiert werden.
Die Verbesserung der Sicherheitslage im Land sei nach Unterzeichnung des Abkommens zum Stillstand gekommen, so dass der Friedensprozess nicht zur Überwindung der Risiken für die interne Sicherheit geführt habe, sondern im Gegenteil, lediglich die Mechanismen modifiziert habe, mit denen ein beachtlicher Fortschritt beim Kampf gegen die bewaffneten Akteure erreicht worden war. Ein weiteres Problem bestehe in der momentanen chaotischen geopolitischen Lage, durch die Kolumbien die Unterstützung wichtiger Alliierter in Europa und den USA verloren habe, die sich nun um ihre eigenen Sicherheitsprobleme kümmern müssten.
Restrepo führte weiter aus, dass in der Zeit nach dem Abkommen sogar größere Flächen des Kolumbiens für illegale Drogenanpflanzungen genutzt werden. Die Einordnung der bewaffneten Gruppen und deren Stärke aufgrund ihrer finanziellen Ressourcen und territorialen Ausweitung sei nun zu einem Phänomen des transnationalen organisierten Verbrechens geworden. Weiterhin sei der Verteidigungshaushalt gekürzt worden, das Image der Streitkräfte in der Bevölkerung habe sich verschlechtert und es fehle an einer Sicherheitskultur in der Bevölkerung.
Daher sei es notwendig, dass die kolumbianische Bevölkerung verstehe, dass die nationale Sicherheit nicht nur ein Problem der Streitkräfte sei, sondern im Gegenteil, eine gemeinsame Aufgabe aller. Die zuständigen Entscheidungsträger in öffentlichen Institutionen sollten eine strategische Vision entwickeln, die es erlaube (a) die finanziellen, institutionellen und juristischen Kapazitäten der Streitkräfte zu fördern, (b) die kriminellen Wirtschaftszweige in urbanen und ländlichen Bereichen zu schwächen, (c) Präsenz in allen Regionen des Landes zu zeigen und sie zu transformieren, (d) der allgemeinen Gewalttätigkeit vorzubeugen, (e) den Teufelskreis der Straflosigkeit zu durchbrechen und (f) die internationale Zusammenarbeit sowie das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen zu fördern.
Im Anschluss an den Vortrag des Experten, hatten die Zuschauer die Möglichkeit, sich an der Diskussion zu beteiligen; dabei betonte man vor allem die Notwendigkeit einer Sicherheitskultur im Land, damit die Bürger die aktuellen Bedrohungen besser verstehen und sich aktiv an der Aufdeckung krimineller Strukturen auf kolumbianischem Boden beteiligen können. Auch bemerkte man, dass die Streitkräfte sich zwar bemüht hätten, ihre Erfolge der Öffentlichkeit zu präsentieren, sie aber trotzdem noch an einer Kommunikationsstrategie arbeiten müssten, um die Ergebnisse der Verteidigung des Landes besser zu übermitteln und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte zu verbessern und deren Legitimität zu stärken. Weiterhin wurde gefordert, dass sich die Entscheidungsträger auf eine strukturierte strategische Vision konzentrieren sollten, die eine Koordination zwischen den verschiedenen Institutionen erlaube, um dadurch klare gemeinsame Ziele zu verfolgen.
Zum Abschluss dankte Carlos A. Chacón allen Experten und Zuschauern für ihr Interesse und betonte erneut die Bedeutung solcher Diskussionen, die nicht nur innerhalb von Thinktanks geführt werden sollten, sondern auch in anderen Bereichen der Öffentlichen Meinung. Daher forderte er die Teilnehmer auf, die Problematik der nationalen Sicherheit, der sich das Land nach dem Friedensabkommen gegenübersieht, weiter zu analysieren, um dadurch zu einer multidisziplinären Studie beizutragen, die eine Debatte fördern, Resultate hervorbringen und auf die Planung einer öffentlichen Sicherheitspolitik Einfluss nehmen kann.