Veranstaltungsberichte
Am 3. August fand die erste Veranstaltung im Rahmen des Formats “Polas en la KAS” statt, wo bei Bier und Brezeln über aktuelle politische Themen diskutiert werden sollte. Dieses Mal referierte der Stipendiat Nicolás Urbano über das Thema “Agrar-Rechtsprechung und „Erklärung der Bauern als Rechtssubjekt“. Es nahmen insgesamt 9 Personen teil.
Nicolás Urbano eröffnete die Diskussion mit der Frage, wer schon mal versucht hat, eine “Tutela” (eine Art einstweilige Verfügung) zu erwirken, ein Vorgang, der schon in den großen Städten mit Schwierigkeiten verbunden ist; er wollte damit aufzeigen, wie viel problematischer es für einen einfachen Bauern sei, der oft kaum lesen oder schreiben kann und keinen Zugang zu Internet hat, seine Rechte durchzusetzen. Im Anschluss erklärte er worin die spezielle Agrar-Rechtsprechung bestehe:
Organisation der Richter dieser Rechtsprechung
Prozesse, die speziell auf die Bedürfnisse der Friedenskonstruktion und des friedlichen Zusammenlebens auf dem Land zugeschnitten sind.
Befriedigung aller aktuellen juristischen Bedürfnisse der Landbevölkerung
Urbano betonte, dass diese Rechtsprechung bereits seit 1989 bestehe, aber erst durch den Friedensprozess wiederbelebt wurde. Warum ist also eine solche Sonder-Rechtsprechung für die Landbevölkerung notwendig? Eines der größten Probleme ist das Fehlen eines Katasteramts zur Registrierung von Landeigentum. Der Landbesitz ist in den Regionen des Landes sehr informell und traditionell besitzt derjenige das Land, der es bebaut. Es gibt jedoch keine offiziellen Eigentumsurkunden, was vor allem bei der Beantragung von Krediten ein Problem für die Landwirte darstellt; auch Erbschaftsangelegenheiten können sich dadurch über Jahre hinziehen.
In Kolumbien existiert außerdem das Problem der sogenannten “Baldíos”, Ländereien ohne festen Besitzer, die offiziell dem Staat gehören, aber nicht landwirtschaftlich genutzt werden. All diese Besonderheiten werden in einem Jura-Studium nicht berücksichtigt, so dass ein Richter normalerweise nicht darauf vorbereitet ist, solche Fälle zu entscheiden.
Daher sei es also nicht ausreichend, einfach die bereits existierende Rechtsprechung auszuweiten, da diese bereits durch die große Anzahl normaler Fälle, Personalmangel und das Fehlen spezialisierter Richter stark überlastet sei, oder wie es die Landwirtschaftsministerin ausdrückte: „Die Probleme auf dem Land sind so weitreichend und komplex, dass es den Richtern an Kapazitäten und Zeit dafür fehlt“.
Die Herausforderungen für eine Agrar-Rechtsprechung:
Das Fehlen spezialisierten Personals
Das Fehlen von Versöhnungsmechnismen
Das Fehlen einer opferorientierten Justiz
Probleme beim Zugang zur Justiz
Fehlende Inklusion des Umweltrechts
Fehlende Spezialisierung in Agrarkonflikten
Fehlende Koordinierung zwischen den Institutionen
Fehlen eines Katasters zur Registrierung von Landbesitz
Probleme bei der Aktualisierung von Daten
Bezüglich des Strafrechts müsse der immer noch existierende bewaffnete Konflikt berücksichtigt werden, der besonders die Landbevölkerung durch ständige Machtkämpfe zwischen illegalen bewaffneten Gruppierungen, Guerilla und Drogenkartellen belaste. Weiterhin müsse das Vertrauen der Bauern in die Justiz wiederhergestellt und das Problem vieler invalider Personen beachtet werden. Das Programm PONCA soll die Nutzung von Flussläufen regulieren, was aber oft dazu führe, dass Bauern das Land entzogen werde, das sie bebauen. Es herrsche eine allgemeine Kultur der Informalität in den Regionen des Landes. So befinde sich zum Beispiel der Flusslauf des Rio Madalena, der weite Teile Kolumbiens durchzieht, in den Händen von Großgrundbesitzern, die das Land nicht landwirtschaftlich nutzen, aber oft den Bau eines Wasserwerks zur Versorgung eines Dorfes bis zu 10 Jahren verzögern können.
Es folgte eine Diskussion darüber, was ein “Bauer“ ist. Einige Teilnehmer meinten, es seien alle Personen, die auf dem Land lebten, andere bezogen sich mehr auf die wirtschaftliche und produktive Tätigkeit; aber es gibt keine offizielle Definition des “Bauern”. Als die Verfassung von 1991 erstellt wurde, hatten die Bauern keine Vertretung, es gab keine Organisation, die sich für ihre Rechte eingesetzt hätte; nur in den sogenannten “Consejos comunitarios” (Kommunale Räte) mit Lokalpolitikern und manchmal auch mit dem Präsidenten konnten sie ihre Probleme vorbringen.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob es eine Identität der Bauern und Landbevölkerung als Gemeinschaft gebe, etwa vergleichbar mit der Identität der Indigenen, der Afrokolumbianer oder der Gemeinschaft LGTBI+. Obwohl in Kolumbien 70% der Nahrungsmittel von landwirtschaftlichen Familienbetrieben produziert werden, habe die Gesellschaft Vorurteile gegenüber den Bauern; sie hielten sie oft für dumm, Großgrundbesitzer sehen sie sogar als Feinde an. Auf die Frage, warum man sich als Bauer fühle, antworteten die Befragten in einer Meinungsumfrage, erstens weil sie auf dem Land wohnen, weil sie sich mit der Landwirtschaft identifizieren, aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Vorfahren, ihrer Kultur, ihrem Verhältnis zur Natur oder der landwirtschaftlichen Produktion. Manche meinten sogar, dass die Gesellschaft sie ablehne und sie ihre Identität durch diesen Konflikt stärkten.
Die „Erklärung der Bauern als Rechtssubjekt“ bezieht sich auf vier Dimensionen: die kulturelle Dimension, die territoriale, die produktive und die politische, bezüglich der Repräsentation ihrer Bedürfnisse durch bestimmte Organisationen. Durch die große kulturelle, demografische und landschaftliche Vielfalt Kolumbiens, müssten die unterschiedlichen Gegebenheiten in jeder Region berücksichtigt werden. Daher sollten die Bewohner jeder Region das Recht haben, ihre eigene Kultur zu leben und sich zu organisieren, um ihre Interessen zu vertreten und gemeinschaftlich zu verhandeln; auch sollten sie ihr Land, das Wasser und die Natur im Allgemeinen nutzen dürfen.
Warum ist nun eine solche Erklärung ihrer Rechte notwendig? Erstens wegen der Marginalisierung der Landbevölkerung in der Gesellschaft und der Verletzlichkeit der Familienwirtschaft; außerdem müsse die Souveränität ihrer Lebensmittelversorgung gesichert sein und der Staat sei verpflichtet, all diese Rechte zu fördern und den Zugang zur Schulbildung auch in entlegenen Regionen des Landes zu garantieren.
In der folgenden Diskussion wurde auch das Thema der Samen angesprochen, da die Bauern nicht mehr wie früher ihre eignen Samen zur Aussaat wieder verwenden dürfen, sondern gesetzlich dazu verpflichtet seien, Samen und Pestizide von großen internationalen Firmen zu kaufen, was die Produktionskosten erhöhe, während diese Samen oft nicht für das Klima oder die Bodenbeschaffenheit in Kolumbien geeignet seien. Die traditionelle Artenvielfalt werde heute auf einige wenige Pflanzen wie Mais, Soya oder Kartoffeln reduziert.
Man diskutierte auch über die Vorteile moderner Technologien und chemischer Substanzen in der landwirtschaftlichen Produktion, während einige Teilnehmer meinten, traditionelle Methoden brächten resistentere Pflanzen hervor. Weiterhin seine viele landwirtschaftliche Produkte Kolumbiens in erster Linie für den Export bestimmt, wie zum Beispiel Palmöl, Zucker oder Kaffee.
Die Veranstaltung endete mit einer angeregten Diskussion über die Vorteile einer landwirtschaftlichen Großindustrie und den Einsatz moderner chemischer Produkte zur Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft.
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