„Ich erinnere daran, dass es selbst in Staaten mit demokratischer Tradition wie Belgien, das ich sehr gut kenne, oder Deutschland über Monate hinweg keine Regierung gab“, sagte der neue kongolesische Präsident, Félix Antoine Tshisekedi, selbstbewusst vor einigen Wochen in einem Interview mit dem französischen Radiosender RFI.1 Am Ende dauerte die Regierungsbildung in der DR Kongo dann doch länger als die 24 Wochen von CDU/CSU und SPD. Und auch mit ihren 65 Ministerposten fällt die neue kongolesische Regierung weit üppiger aus als das deutsche Bundeskabinett – mit dessen 16 Mitgliedern, der Bundeskanzlerin inklusive.
Weißer Rauch in Kinshasa
Doch in den frühen Morgenstunden des Montags, dem 26. August 2019, war es soweit. Noch bevor der Rest des zweitgrößten Landes im Herzen Afrikas erwachte, gab Premierminister Ilunga Inkamba die Regierungsbildung des insgesamt 65-köpfigen neuen Kabinetts bekannt, welches der Präsident, nach zweimaliger Bitte zur Wiedervorlage, nun schließlich gebilligt hatte. „Sobald die Nationalversammlung die Regierung vereidigt hat, machen wir uns an die Arbeit“, verkündete Premierminister Ilunga Inkamba der Hauptstadtpresse von Kinshasa.2
Nach mehr als acht Monaten des Wartens hat die DR Kongo damit eine neue Regierung. Für das flächenmäßig zweitgrößte und enorm rohstoffreiche Land Afrikas mit seinen schätzungsweise über 80 Millionen Einwohnern beginnt damit die nächste Etappe in eine womöglich neue Zeit. Das neue Kabinett stellt keine Zeitenwende dar. Jedoch haben sich die Dinge im Kongo verändert. Dem kleinen Schritt zur Demokratisierung stehen indes tiefgreifende strukturelle Probleme entgegen. Ob der neue Präsident tatsächlich ein Hoffnungsträger ist, muss er erst noch beweisen. Nachdem sie sich lange zur Wahl nicht äußerte, sieht die deutsche Bundesregierung nun, ähnlich wie Amerika, Frankreich und die ehemalige Kolonialmacht Belgien, Tshisekedi als Chance für eine bessere Zukunft.
Wer sind die “Neuen”?
Mit Spannung waren die Namen der neuen Minister erwartet worden. Die Zahl von 65 Mitgliedern stand bereits vorher fest. „76,9 Prozent waren vorher noch nicht Minister“, ließ Premierminister Ilunga Inkamba die Hauptstadtpresse wissen.3 Die neue Regierung – so die Botschaft an das In- und Ausland – eine Zäsur nach der zuletzt stark repressiven Regierung des früheren Präsidenten Joseph Kabila. Tatsächlich?
Klare Machtverteilung zugunsten Joseph Kabilas
Nichtsdestotrotz finden sich auch in der neuen Regierung zahlreiche Vertraute Joseph Kabilas: Der Minister für Dezentralisierung, Azarias Ruberwa, zählt zum engen Kreis Kabilas. Der neue Justizminister, Célestin Tunda Ya Kasende, ist Mitbegründer von Kabilas PPRD- Partei. Das wichtige Bergbau-Ministerium des rohstoffreichen Landes, das allein über 50 Prozent der globalen Kobaltreserven verfügt, welche für die Batterieproduktion und somit z.B. für die deutsche Automobilindustrie wichtig sind, bleibt ebenso in der Hand von Kabila- Vertrauten sowie auch das Verteidigungsministerium. Joseph Kabila hat damit seinen Einfluss auch in der neuen Regierung klar gesichert. Insgesamt stellt sein Parteienbündnis 43 der 65 Minister.
Kabila, der das Land seit der Ermordung seines Vaters, Laurent Désiré, im Jahr 2001 regierte, ging vor allem zum Ende seiner Amtszeit stark repressiv gegen die Opposition vor. Die Einnahmen aus dem Rohstoffsektor kamen nicht Investitionen in Infrastruktur und Gemeinwesen zugute.5 Laut Recherchen soll er sich am Haushalt bereichert und sich und seiner Familie große Firmenanteile im In- und Ausland gesichert haben. 6 Zuletzt scheiterte er mit dem Versuch, die Verfassung für eine dritte Amtszeit zu ändern, wodurch sich die Wahlen im Kongo um zwei Jahre verzögerten und die DR Kongo in eine tiefe, innenpolitische Krise stürzte. Auch wenn Kabila letztlich nicht als Präsidentschaftskandidat antreten konnte, wird er gemäß Verfassung als Senator auf Lebenszeit und als Vorsitzender seines Parteienbündnisses weiterhin eine aktive Rolle in der kongolesischen Tagespolitik spielen können und er kann 2023 abermals als Präsidentschaftskandidat antreten.
Kongolesische Kohabitation: Präsident ohne Parlamentsmehrheit
Diese eigentümliche und für das Land völlig neue politische Machtkonstellation gleicht dem französischen Modell der ‚Cohabitation‘, die 1997 letztmalig den republikanischen Präsidenten Chirac mit dem Sozialisten Jospin zusammenbrachte. Sie ergab sich aus den hoch umstrittenen Wahlen am 30. Dezember 2018. Damals war Tshisekedi als Sieger aus der Präsidentschaftswahl hervorgegangen. Kabilas Parteienbündnis, der ‚Front Commun pour le Congo‘ (Gemeinsame Front für den Kongo), erlangte jedoch mit 350 von 500 Sitzen die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung – sowie 501 der insgesamt 700 Sitze in den 26 Provinzialparlamenten und später 90 der 108 Sitze im Senat, der zweiten Parlamentskammer. Auch stellt das Kabila-Bündnis beinah alle der 26 Provinz-Gouverneure. Tshisekedis Parteienbündnis, ‚Cap pour le Changement‘ (Kurs des Wandels), kam in der Nationalversammlung lediglich auf 48 Sitze.
Vermeintlicher Hoffnungsträger: Auch der neue Präsident ist umstritten
Wie diese große Divergenz zwischen Parlament und Präsidentenamt zusammenpasst, welche am gleichen Tag gewählt wurden, zog das Wahlergebnis ebenso in Zweifel wie die Probleme im Vorfeld. Zahlreiche Beobachter, allen voran die wichtige Katholische Kirche in der DR Kongo, mutmaßten daher Wahlfälschung – wie Kabila sie bereits 2011 betrieben habe.
Präsident Tshisekedi ist dabei selbst hoch umstritten. Als „wahrer Sieger“ der Präsidentschaftswahl gilt der Zweitplatzierte Martin Fayulu. Auf diesen hatten sich die größten Oppositionsführer, auch Tshisekedi, bei einem Spitzentreffen in Genf vor den Wahlen geeinigt. Doch nur wenige Stunden später scherte Tshisekedi aus und meldete seine eigene Kandidatur an. Als er als Sieger der Präsidentschaftswahlen bekanntgegeben wurde, glaubten viele an eine geheime Absprache mit Kabila. Dies hat Tshisekedi und seiner UDPS- Partei viel Glaubwürdigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gekostet, welche bis dahin aufgrund seines Vaters, dem großen Oppositionsführer Étienne Tshisekedi, viel Ansehen genoss.
Politischer Kredit für Tshisekedi
Nach kurzem Zögern akzeptierten zunächst Amerika wie später Belgien und Frankreich die Wahl Tshisekedis sowie später die Katholische Kirche. Sie sehen Tshisekedi als Chance für eine bessere Zeit. Sowohl am Wahltag selbst sowie seither blieb die DR Kongo friedlich – was eine neue Erfahrung im instabilen Land ist, das sich 2006 nach Jahren der verlustreichen Kriege eine neue Verfassung gab. Der Frieden kann als Reifung der jungen Demokratie angesehen werden, die am Beginn ihrer dritten Legislaturperiode steht.
Ebenso kann Tshisekedi – trotz des umstrittenen Ergebnisses – politischer Kredit eingeräumt werden: Die Wahlen 2018 fanden von Beginn an nicht auf fairem und demokratischem Boden statt. Die Wahlkommission schloss aussichtsreiche Oppositionsführer aus, führte eine anfällige elektronische Wahlmaschine ein und legte ein fehlerhaftes Wahlverzeichnis vor. Nicht zuletzt hätten die Wahlen verfassungsgemäß 2016, ohne Kabila, stattfinden sollen. In dieser eingeschränkten Lage agierte Tshisekedi machtpolitisch und nutzte die Gunst, als sie sich ihm bot. Ein Wechsel im Präsidentenamt war nicht wahrscheinlich – und ist letztlich vor allem der Erfolg der kongolesischen Zivilgesellschaft, die zwei Jahre für die Abhaltung der Wahlen demonstrierte, sowie der internationalen Gemeinschaft, die enormen Druck auf Kabila ausübte.
Tshisekedis Chance liegt in der Außenpolitik
Aufgrund der nachteiligen Machtkonstellation im Parlament ist Tshisekedi für seine Politik auf Kabila angewiesen und schloss mit ihm folglich eine Koalition. Laut Verfassung nominiert der Präsident die Regierungsmitglieder auf Vorschlag des Premierministers, welcher aus der Parlamentsmehrheit kommen muss.
Geschwächt in Parlament und Kabinett liegt Tshisekedis Chance deshalb vor allem in der Unterstützung der internationalen Partner, allen voran Amerikas, Belgiens und Frankreichs, denen Kabila zu einem Dorn im Auge geworden war. Tshisekedi setzte daher gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit der Freilassung politischer Oppositioneller und der Wiedereröffnung der unter Kabila geschlossenen EU-Vertretung erste wichtige Signale gen Westen – der prompt reagierte. Der Internationale Währungsfonds kündigte seine Bereitschaft für eine neue Zusammenarbeit an. Der Afrikabeauftragte von Präsident Donald Trump, Tibor Nagy, besuchte Tshisekedi in Kinshasa; auch Frankreichs Außenminister Le Drian sowie eine belgische Delegation kamen. Sie alle sagten Tshisekedi ihre Unterstützung bei der Reform des Sicherheitssektors zu.
Auch wenn die neue Regierung erwartungsgemäß nicht den großen Durchbruch markiert, gratulierte der amerikanische Botschafter, Mike Hammer, nach Bekanntgabe per Twitter: „Wir sind bereit, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten, um die privilegierte Partnerschaft der USA und DR Kongo für Frieden und Wohlstand voranzubringen.“
Politische Reformen und Spannungen im Kabila-Lager
Nach Bildung der neuen Regierung muss Tshisekedi nun beweisen, inwieweit er tatsächlich eine veritable Veränderung zu Kabila ist und ob er sich trotz seiner relativen innenpolitischen Schwäche durchzusetzen weiß. Neben der wichtigen Sicherheitssektorreform geht es darum, die marode Wirtschaft des Landes anzukurbeln, für die die Lage nach den sinkenden Kobalt- und Kupferpreisen auf dem Weltmarkt nicht einfacher geworden ist. In der kongolesischen Politik ist es nicht unmöglich, dass Unterstützer von einem ins andere Lager wechseln, sobald sich das Machtzentrum verschiebt. Nach dem Verlust der Präsidentschaft zeichneten sich im Kabila-Lager bereits erste Spannungen ab. So trat Modeste Bahati Lukwebo, der Vorsitzende der zweitstärksten Kraft im Parteienbündnis Kabilas, per Kampfkandidatur bei der Wahl zum Senats- Vorsitzenden gegen den Vertrauten Kabilas an. In der neuen Regierung fehlen Bahati und seine Partei.
Mammutkabinett: Alte Denkmuster und Bereicherung am Gemeinwesen
Mit Blick auf die Größe der Regierung mit 65 Mitgliedern bleibt die kongolesische Politik jedoch in alten Denkmustern verhaftet. Bereicherung am Gemeinwesen und eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der öffentlichen Hand ist bis weit in die Bevölkerung verbreitet. Im Land, das kaum schafft, etwas selbst zu produzieren, ist ein Mandat für viele das oberste Karriereziel. Ein Abgeordneter der Nationalversammlung verdient monatlich – ohne Zulagen – rund 4.000 US-Dollar, ein Senator Berichten zufolge 13.000 US-Dollar.
Präsident Kabila soll sich per Gesetz für die Zeit nach seiner Amtszeit monatliche Einkünfte von rund 680.000 US-Dollar gesichert haben. 7 Dabei gehört die DR Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt und steht auf dem Human Development Index (HDI) auf Platz 176 von 189. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 59 Jahren.
Schnelle Demokratisierung: Gedämpfte Hoffnung
Die Größe des Kabinetts hängt nicht zuletzt mit der atomisierten Parteienlandschaft mit über 600 Parteien zusammen. Selbst nicht stark genug um eine Mehrheit im Parlament zu bilden, gehen die Parteien bereits vor der Wahl Parteienbündnisse ein. Kabilas Bündnis umfasst rund 20 Parteien, Tshisekedis rund zehn. So besteht die Regierungskoalition aus rund 30 Parteien, von denen jede berücksichtigt werden möchte. Die Hürde zur Nationalversammlung liegt bei 1 Prozent. Diese auf zumindest drei Prozent anzuheben, scheiterte vor den vergangenen Wahlen am mangelnden Interesse unter den Deputierten.
So muss bei aller Hoffnung auf Besserung in der DR Kongo auch die Regierungsgröße als wichtiges Zeichen gesehen werden, dass eine fortschreitende Demokratisierung nur langsam und auf lange Sicht vonstattengehen kann. Ganz abgesehen vom unsicheren Szenario, dass sich Tshisekedi gegen Kabila halten kann. Tshisekedis politisches Ziel muss es sein, bis 2023 im Amt zu bleiben, um als Präsidentschaftskandidat ins Rennen zu gehen und bis dahin wichtige Stellen, wie die Wahlkommission, mit neuen Personen zu besetzen.
Deutschland: Ein Marshallplan mit dem Kongo?
Anders als Amerika, Frankreich und Belgien bezog die deutsche Bundesregierung lange keine Stellung zu den Wahlen. Vor wenigen Tagen, Mitte August, besuchte Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller Kinshasa und traf Präsident Tshisekedi. Das BMZ hatte 2017 nach der Überschreitung Kabilas Amtszeit die Regierungskonsultationen ausgesetzt und seine Zusammenarbeit fortan regierungsfern ausgerichtet. Die letzten Regierungsbesuche deutscher Seite fanden 2015 statt.
In Kinshasa sagte Müller Tshisekedi „unmittelbar“ nach Regierungsbildung die Aufnahme eines Dialogs sowie eine Afrika-Initiative der EU für die DR Kongo zu.8 Tatsächlich muss ein „Marshallplan mit Afrika“ den Kongo miteinbeziehen: Aufgrund seiner Größe, zentralen Lage und seines Rohstoffreichtums spielt die DR Kongo eine Schlüsselrolle für den gesamten Kontinent und damit auch für die deutschen Interessen. Geht es dem Kongo schlecht, geht es Afrika schlecht. Ginge es ihm besser, könnte es Afrika besser gehen.
Die veränderte Lage in der DR Kongo bietet keinen Anlass zu überschwänglichem Optimismus. Doch bietet Tshisekedi ein Fenster, das geprüft werden sollte und außenpolitisches Geschick verlangt.
[1] RFI: Félix Tshisekedi sur RFI et France 24: «Je ne pense pas que je suis une marionnette», 29.06.2019, in : http://www.rfi.fr/afrique/20190629-rdc-felix-tshisekedi-interview-exclusive- 2min (27.08.2019).
[2] France 24 : La RD Congo se dote d'un nouveau gouvernement, sept mois après l'investiture
du président, 26.08.2019, in: https://www.france24.com/fr/20190826-sept-mois-apres- investiture-felix-tshisekedi-nouveau-gouvernement (27.08.2019).
[3] ebd.
[4] Jeune Afrique: RDC : 15 proches de Kabila sanctionnés demandent à être entendus devant le Conseil de l’UE, 23.02.2018, in: https://www.jeuneafrique.com/535542/politique/rdc-15- proches-de-kabila-sanctionnes-demandent-a-etre-entendus-devant-le-conseil-de-lue/ (27.08.2019).
[5] World Bank: Overview DR Congo, 27.08.2019, in: https://www.worldbank.org/en/country/drc/overview (27.08.2019). 6 Congo Research Group : All the President’s Wealth, 19.07.2019, in:
http://congoresearchgroup.org/all-the-presidents-wealth/ (27.08.2019).
[6] Congo Research Group : All the President’s Wealth, 19.07.2019, in:
http://congoresearchgroup.org/all-the-presidents-wealth/ (27.08.2019).
[7] Deutsche Welle: L’opacité autour d’une rémunération exorbitante de Joseph Kabila, 05.03.2019, in: https://www.dw.com/fr/lopacit%C3%A9-autour-dune-
r%C3%A9mun%C3%A9ration-exorbitante-de-joseph-kabila/a-47784251 (27.08.2019).
[8] BMZ: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller vereinbart neues Ebola-Programm mit DR Kongo, 16.08.2019, in: http://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2019/august/190816_Bundesentwicklung sminister-Gerd-Mueller-vereinbart-neues-Ebola-Programm-mit-DR-Kongo/index.html (27.08.2019).