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Länderberichte

Die Ruhe vor dem Sturm?

von Tinko Weibezahl

Zur Situation in der DR Kongo fünf Monate vor den Wahlen

Kinshasa, einige Tage nach dem 51. Jahrestag der Unabhängigkeit, fünf Monate vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Auf dem Boulevard de 30 juin, der Hauptstrasse im Zentrum Kinshasas, gibt es bewaffnete Zusammenstösse zwischen Anhängern der oppositionellen UDPS, der Partei Etienne Tshisekedis, und der Polizei. Demonstranten hatten gegen die offenbar fehlerhafte Durchführung der Wählerregistrierung protestiert, woraufhin die Polizei das Feuer eröffnete. Bisher war es ruhig in Kinshasa - die Ruhe vor dem Sturm?

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m 28. November 2011 soll in der DR Kongo ein neuer Präsident gewählt werden. Die Popularität von Amtsinhaber Joseph Kabila, der 2006 seine Hochburgen vor allem im Osten des Landes hatte, schwindet zusehends, denn die Lebensumstände der Menschen haben sich in den letzten Jahren kaum gebessert. Das Land ist nicht zur Ruhe gekommen – Korruption und Misswirtschaft bestimmen den Alltag der übergroßen Mehrheit. Die Loyalität der Ostkongolesen gegenüber Joseph Kabila mit Blick auf die Wahlen ist also keineswegs sicher. Gerade deshalb will er in den Provinzen Stärke demonstrieren.

In Lubumbashi, der zweitgrößten Stadt des Landes, wo in diesem Jahr der offizielle Staatsakt zum Unabhängigkeitstag stattfand, sprach er davon, dass die Wahlen 2011 „unumkehrbar“ seien. Seit Monaten gibt es Gerüchte, dass der Wahlkalender nicht zu halten sei. Zuwenig Geld, zu schlecht organisiert, mangelnder politischer Wille. Die Feierlichkeiten zum Unabhängig-keitstag wurden außerdem im ganzen Land begleitet von der Angst vor Anschlägen. In Lubumbashi ereignete sich nach Pressemeldungen ein tödlicher Schusswechsel. Die Polizei lieferte sich offenbar ein ca. einstündiges Gefecht mit bewaffneten Angreifern unklarer Herkunft. Zwei Bewaffnete und drei Zivilisten kamen nach Meldungen der BBC dabei ums Leben. Ziel des Angriffs war offenbar ein Waffenlager der Armee in einem Industriegebiet, die Behörden haben dies aber abgestritten. Ein Regierungs-sprecher sprach hingegen von „Räubern“, die es auf Mineralien in dem benachbarten Bergbau-unternehmen abgesehen hatten.

Die Furcht vor Unruhen ist nicht unbegründet. Bereits vor den jüngsten Schusswechseln in Kinshasa gab es wiederholt Zusammenstöße zwischen der Polizei und Studenten der Universität Kinshasa, bei denen mehrere Tote zu beklagen waren. Auch in Bukavu, der Provinzhauptstadt von Süd-Kivu und in Shabunda kam es in den vergangenen Wochen nach Informationen der deutschen „tageszeitung“ (taz) zu Protestmärschen wütender Bürger. Ein Memorandum geflohener Bewohner Shabundas warf der Regierung vor, die gespannte Sicherheitslage billigend in Kauf zu nehmen, damit sich die Wähler davon abgehalten werden, sich in das Wahlregister eintragen zu lassen. Ohnehin gibt es bei der Registrierung der Wähler offenbar Probleme: Da die internationale Gemeinschaft die Wahlen mit weit weniger finanziellen Mitteln unterstützt als noch 2006, wurden – offiziell ausschließlich aus Kostengründen – weniger Registrierungsbüros eingerichtet, so dass zahlreiche Bürger weitere Wege zurücklegen müssen, um sich in die Listen einzutragen. Außerdem wird den staatlichen Stellen vorgeworfen, Menschen doppelt registriert zu haben und sogar Minderjährigen Wahlaus-weise auszuhändigen.

Für die Opposition böte die politische Lage an sich genügend Angriffspunkte, um gegen Amtsinhaber Kabila in Stellung zu gehen. Jedoch bedürfte es nach den Anfang des Jahres verabschiedeten Verfassungs-änderungen, nach denen der zweite Wahlgang, die Stichwahl also, abgeschafft ist, einer vereinten Anstrengung, will man Kabila bei den Wahlen bezwingen. Es ist der Opposition jedoch nicht gelungen, sich auf einen einzigen Kandidaten zu einigen – so treten mit Etienne Tshisekedi und Vital Kamerhe gleich zwei potentielle Herausforderer an. Diese Spaltung der oppositionellen Kräfte könnte am Ende dann doch Kabila in die Hände spielen, da die Unterstützung der einzelnen Alternativkandidaten eventuell doch nicht ausreichen wird.

So begleiteten zehntausende Menschen in Goma, in Nord-Kivu und Bukavu den Wahlkampfauftakt von Kabilas ehemaligem Parlamentspräsidenten Vital Kamerhe, der mit seiner neuen "Union der kongolesischen Nation" (UNC) antritt, was in Kinshasa mit einiger Nervosität zur Kenntnis genommen wird. Daher wird seit Monaten darüber spekuliert, dass Kabila bewusst die Unsicherheit im Osten toleriert, um die dortige Zahl potentieller Oppositionsstimmen zu reduzieren.

Der UN-Sicherheitsrat hat angesichts der dauernden Unsicherheit kürzlich auch die größte Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen um ein weiteres Jahr verlängert. Die 15 Ratsmitglieder, darunter Deutschland, sprachen sich einstimmig für die Fortsetzung des Einsatzes in der Demokratischen Republik Kongo aus. Neben der schlechten Sicherheitslage war eben auch die für November geplante Präsidentschaftswahl ein Grund für die Verlängerung der Friedensmission. Leicht gefallen ist die Entscheidung indes nicht: Seit über einem Jahrzehnt schon sind die Vereinten Nationen vor Ort, mittlerweile mit knapp 20.000 Soldaten und zivilen Experten. Die jährlichen Kosten des Einsatzes belaufen sich auf 1,4 Milliarden US-Dollar. Auch der Deutsche Bundestag hat Anfang Juli in einem fraktionsübergreifenden Antrag „Die demokratische Republik Kongo stabilisieren“ die negativen Tendenzen bei der Entwicklung des Landes und das schlechte politische Klima thematisiert: „Das Vertrauen der Bevölkerung in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist ... in den letzten Jahren gefährlich gesunken. Dazu haben die Einschüchterung, die Verfolgung und auch die Ermordung von Oppositionellen, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten beigetragen. Der Wahlkampf und die Wahlen erfordern jetzt die volle Aufmerksamkeit und eine intensive Begleitung durch die internationale Gemeinschaft, um glaubwürdige Wahlgänge durchführen, Vertrauen

zurückgewinnen zu können und Gewaltausbrüchen wie etwa in der Elfenbeinküste vorzubeugen.“

Folgerichtig ist in der Resolution 1991 des UN-Sicherheitsrates vom 28. Juni die Rede von der Sorge um die „humanitäre Lage und das weiterhin große Ausmaß von Gewalt und Menschen-echtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung“. Außerdem sei „in erster Linie die Regierung der DR Kongo für die Sicherheit verantwortlich“. Die Resolution verlangt ebenfalls Maßnahmen gegen Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen, „Vergewaltigungen in Süd-Kivu eingeschlossen“.

Die Provinzen Nord- und Südkivu sind seit Jahren chronische Unruheherde. Verschiedene Rebellengruppen halten sich in den undurchdringlichen Wäldern versteckt. Fast 90 Prozent der Blauhelmsoldaten sind hier stationiert, bekommen die Situation jedoch nicht unter Kontrolle. Die ortsansässigen Milizen verfügen über bessere Ortskenntnisse, sie sind in sehr unwägbarem Gelände tätig. Weder die UN noch die regulären kongolesischen Streitkräfte haben genügend Fahrzeuge, Personal und Bewaffnung, um wirksam gegen diese Truppen vorzugehen und sie zur Aufgabe zu zwingen. Hinzu kommt, dass in jüngster Zeit wieder vermehrt Soldaten der Regierungstruppen zu den Milizen überlaufen. Zu schlecht sind die Lebensbedingungen und Alternativen gibt es kaum. In Konsequenz der Handlungs-unfähigkeit der kongolesischen Armee ist auch nach wie vor der Einsatz internationaler humanitärer Helfer in den Provinzen bedroht.

Das ganze Ausmaß der humanitären Tragödie in der DR Kongo wurde bereits im vergangenen Jahr durch einen Untersuchungsbericht der VN erstmals umfassend dokumentiert.

Die Menschenrechtssituation im Land bleibt also weiterhin unbefriedigend. Menschenrechts-aktivisten und Journalisten werden zunehmend in ihrer Arbeit eingeschüchtert, mit dem Leben bedroht oder ermordet. Hierfür zeichnen auch die staatliche Polizei und der nur dem Präsidenten unterstellte Geheimdienst Agence

nationale du Renseignements (ANR) verantwortlich.

Auch bleiben weiterhin Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt, die mit der UN-Sicherheits-ratsresolution 1820 als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit besonders geächtet sind, als Einschüchterungs- und Herrschaftsinstrument an der Tagesordnung.

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, seien im jüngsten Fall Einheiten der regulären Streitkräfte (FARDC) in der Nacht zum 11. Juni in die Dörfer Kanguli, Abala und Niakiele eingedrungen und hätten Plünderungen und bis zu 150 Vergewaltigungen begangen. Ein Sprecher der kongolesischen Armee dementierte, dass die Armee verantwortlich sei. Eine Mission aus Vertretern mehrerer UN-Organisationen sammelt nun in der Region Informationen, um die Berichte zu überprüfen.

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