Länderberichte
Nach offizieller Lesart bestünde am Beginn des neuen Jahres mit Blick auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung zahlreicher afrikanischer Staaten Grund zum Optimismus. Und in der Tat hat das eben vergangene Jahr 2010 vielen Afrikanern und auch ausländischen Beobachtern Mut gemacht – ein trotz eben überstandener Finanzkrise kräftiges Wirtschaftswachstum und auch die erfolgreiche Austragung der ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent bescherten positive Aufmerksamkeit. Die Afrikanische Union hatte dazu passend 2010 zum "Jahr des Friedens" deklariert.
In diesem Jahr – 2011 - sollen nun in nicht weniger als 17 afrikanischen Ländern eine neue Regierung und neue Parlamente gewählt – oder zumindest Wahltermine verbindlich festgesetzt werden. Und hier offenbart sich der Konflikt, denn es sind nach anfänglicher Euphorie einer „ersten demokratischen Wahl“ die darauf folgenden zweiten Legislaturperioden, die darüber Aufschluss geben, inwieweit es in einer Frist von rund einem halben bis einem Jahrzehnt gelungen ist, demokratische Strukturen zu verankern. Jedoch überwiegt der süße Geschmack von Macht und Einfluss, der die herrschenden Eliten zu schmutzigen Tricks verleitet, um ihre Privilegien und ihren Einfluss dauerhaft und meist auf Kosten des Volkes zu sichern. Vielerorts drohen hier alte Konflikte wieder aufzubrechen.
Mit Sorge sehen viele Kongolesen daher die aktuelle Entwicklung in der Elfenbeinküste, wo sich Präsident Laurent Gbagbo völlig unbeeindruckt von der Erklärung der Wahlkommission, dass sein Herausforderer Alassane Ouattara die Stichwahl gewonnen hatte, am 4. Dezember 2010 für eine zweite Amtszeit vereidigen ließ. Die besondere Parallele zur DR Kongo liegt bereits in der Präsenz der Vereinten Nationen, auf deren Hilfe auch in der DR Kongo viele Wähler vertrauen. In der Elfenbeinküste nun hatten die UN das Mandat zur Zertifizierung der Wahlen, sie kannten das tatsächliche Ergebnis und konnten den letztendlichen Betrug dennoch nicht verhindern. Während die Bevölkerung alle demokratischen Spielregeln befolgte, scheiterte das Vorhaben schließlich am Unwillen des Verlierers, seine Niederlage einzugestehen.
Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass 2011 in der DR Kongo Ähnliches geschehen könnte.
Der Präsident der Unabhängigen Wahlkommission (Commission Electorale Indépendante – CEI), Abbé Apollinaire Malu-Malu, hatte im August 2010 den Wahlkalender für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorgestellt, welcher für die Menschen im Land ein wahrer Wahlmarathon wäre, der erst im August 2013 enden soll. Demnach sollen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen und die nationalen Parlamentswahlen am 27. November 2011 stattfinden. Eine mögliche Stichwahl zwischen den beiden siegreichen Kandidaten der Präsidentschaftswahlen sowie die Wahlen zu den Provinzparlamenten sind für den 26. Februar 2012 vorgesehen. Dem folgen die Wahl der Senatoren am 13. Juni 2012 und der Gouverneure und Vizegouverneure der Provinzen am 12. Juli 2012.
Sektorenräte und Räte der Chefferien werden am 31. Januar 2013 gewählt, gefolgt von den Wahlen der Leiter der Sektoren und Stadträte am 19. Mai 2013. Schließlich wird der Wahlprozess am 08. August 2013 mit der Wahl der Bürgermeister und stellvertretenden Bürgermeister abgeschlossen sein.
Die öffentliche Diskussion kreist derzeit natürlich vorrangig um zwei Fragen: Wer wird die Präsidentschaft gewinnen und wird der Prozess dieses Mal friedlich ablaufen? Nach der heftig geführten Diskussion im Jahr 2009 um mögliche Verfassungsänderungen gab Informationsminister Lambert Mende am 03. Januar 2011 der Debatte neue Nahrung, indem er verkündete, dass die Regierung beabsichtigt, die zweite Runde der Präsidentschaftswahl, die Stichwahl also, abzuschaffen und nur noch in einem einzigen Wahlgang, bei dem dann die relative Mehrheit zum Sieg reicht, den Präsidenten zu bestimmen. Er begründete dieses Vorhaben damit, dass die Wahl in zwei Runden, wie sie 2006 ausprobiert wurde, „nicht den Interessen des kongolesischen Volkes”, entspräche. Nur einen Wahlgang abzuhalten, wäre außerdem billiger und würde der DR Kongo ethnische Spannungen und Konflikte ersparen.
Solch ein Manöver wirkt leicht durchschaubar. Mehr als die Sorge um eine ordnungsgemäße Durchführung, scheint es der Regierung darum zu gehen, einen Sieg des derzeitigen Präsidenten Joseph Kabila nicht zu gefährden. Grund zur Beunruhigung besteht durchaus: Bei den letzten Wahlen 2006 gewann Kabila die Stichwahl mit 58,05 Prozent der Stimmen. Die Ergebnisse zeigten starke regionale Unterschiede - die westlichen Provinzen Équateur, Bas-Congo, Kinshasa und Kasai fielen Bemba zu, der Osten Kabila. Seinerzeit waren die Erwartungen an die Amtsführung Kabilas aber nicht nur bei der internationalen Gemeinschaft sehr hoch – auch viele Kongolesen sahen in dem jungen Präsidenten einen echten Hoffnungsträger für ihr Land.
Vier Jahre später hat sich die Stimmung zu Kabilas Ungunsten verändert. Viele Menschen sind enttäuscht, weil sich ihre Lebensbedingungen kaum verbessert haben. Allgegenwärtige Korruption und staatliche Willkür sind nach wie vor an der Tagesordnung. Auch kommen die vom Präsidenten groß angekündigten sogenannten „fünf Baustellen“, also die Förderung von Bildung, der Bau von Strassen, die Bereitstellung von Wasser und Elektrizität und die Armutsbekämpfung nicht recht voran. In der Praxis erfüllt der Staat, abgesehen von der erfolgreichen Wahl 2006, in keiner Weise die Merkmale einer Demokratie und eines Rechtsstaates. Eine Gewaltenteilung existiert nur in der Theorie, es gibt keine praktisch unabhängige Justiz und Gesetze werden nicht durchgesetzt. Staatliche Institutionen sind unzuverlässig, und es ist wie seit Jahrzehnten noch immer üblich, dass Posten in staatliche Institutionen und Betrieben zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt werden.
Bislang sah es allerdings trotz aller Defizite so aus, als ob kein veritabler Herausforderer in Sicht wäre, der eine reelle Chance hätte, Kabila sein Amt streitig zu machen. Mittlerweile scheint sich jedoch eine politische Gemengelage zu entwickeln, die es dem Amtsinhaber zumindest schwer machen könnte, die schon sicher geglaubte zweite Amtszeit bei den Wahlen zu erringen.
Der ehemalige Präsident der Nationalversammlung Vital Kamerhe ist Anfang Dezember 2010 aus der Regierungskoalition ausgetreten, hat eine neue Oppositionspartei UNC (Union für die Nation) gegründet und seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen erklärt. Kamerhe gilt in der DR Kongo als politisch sehr geschickt und einflussreich.
Als früherer Generalsekretär der Kabila-Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie) galt er als der Mann, der die Fäden in der Wahlkampagne Kabilas zog. Im Dezember 2007 zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt, fiel er ein Jahr später einer politischen Intrige zum Opfer und musste von diesem Amt zurücktreten. Seiner Beliebtheit hat dieser Schritt jedoch nicht geschadet. Darüber hinaus stammt er aus der östlichen Provinz Süd-Kivu, die Kabila unbedingt für einen Wahlsieg benötigt.
Galt Kamerhe bis dato als einziger ernsthafter Herausforderer Kabilas, so hat Ende 2010 ein weiterer Akteur die politische Bühne (wieder) betreten. Der Präsident der Union pour la démocratie et le progrès social (UDPS), Etienne Tshisekedi, ist nach längerem Auslandsaufenthalt nach Kinshasa zurückgekehrt, um gegen Kabila bei den Präsidentschaftswahlen 2011 zu kandidieren. Tshisekedi, legendärer Oppositionsführer aus der Zeit des Widerstandes gegen die Mobutu-Diktatur, wurde bei seiner Ankunft in der DR Kongo von zehntausenden jubelnden Menschen begrüßt. "Tshisekedi Präsident" riefen die Menschen lautstark bis in die späte Nacht.
Seine Partei, die UDPS, stark vor allem in den Kasai-Provinzen sowie Teilen Kinshasas, boykottierte die Wahlen 2006 und verschwand danach fast in der Versenkung. Heute sieht sie sich als die große demokratische Kraft des Landes, die sich als natürlichen Führer der Opposition gegen Kabila positionieren will. Tshisekedi selbst ist mit seinen 78 Jahren zwar sehr alt, seine Popularität und vor allem das Potential, besonders in der Mitte und im Westen des Landes – wo Kabila nie besonders beliebt war – Unterstützer um sich zu scharen, sollte jedoch nicht unterschätzt werden.
Kamerhe, Tshisekedi und auch die Partei des in Europa inhaftierten Oppositionellen Jean-Pierre Bemba – die MLC - machen sich Hoffnungen darauf, gemeinsam Kabila im ersten Wahlgang unter 50 Prozent zu drücken, wie es bereits 2006 der Fall war, und ihn dann in einer Stichwahl schlagen, wenn sie ihre Kräfte bündeln. Obwohl die MLC noch keinen eigenen Kandidaten hat, wäre dies insbesondere angesichts der schwindenden Popularität Kabilas und der taktisch vorteilhaften regionalen Stärke seiner Herausforderer (Kamerhe im Osten, Tshisekedi im Westen und in der Mitte, die MLC im Norden) ein durchaus realistisches Szenario. Und Grund genug für die Regierung, jetzt alle Register zu ziehen, um eine echte Bedrohung ihres Machtanspruchs schon im Vorfeld zu verhindern. So wehrt sich die Opposition heftig gegen den geplanten Wegfall des zweiten Wahlganges. Vital Kamerhe, nannte den Vorschlag der Regierung in einer eilig einberufenen Pressekonferenz unverantwortlich und an Betrug grenzend. Francois Muamba von der MLC sagte, dass eine solche Entscheidung die Demokratie verachte und zur Gewalt einlade. „Dies würde heißen, Kabila könnte die Wahlen mit 20 bis 25 Prozent der Stimmen gewinnen – er hätte keine Legitimität und riskierte den Ausbruch von Unruhen“ so Muamba.
Um die Wahlen auf einen Urnengang zu begrenzen, ist jedoch eine Verfassungsänderung nötig, denn die Präsidentschaftswahl in zwei Runden ist in Artikel 71 der geltenden Verfassung festgeschrieben. Ändern kann dies nur eine Drei-Fünftel-Mehrheit in beiden Häusern des Parlamentes. Ob es Kabilas Unterstützer gelingt, diese zu beschaffen, ist jedoch zumindest fraglich.
Fakt ist, dass nach monatelanger Lähmung und Unsicherheit nunmehr Bewegung in den politischen Prozess gekommen ist. Klar ist auch, dass der Wahlkampf schnell in Unruhen ausarten kann – und zwar von beiden Seiten. Kabilas Günstlinge, die er mit einflussreichen Posten im Staatsapparat versorgt hat, dürften kaum bereit sein, kampflos das Feld zu räumen während die oppositionellen Kräfte taktische Tricks im Sinne des Machterhaltes der Regierung vermutlich nicht ohne Weiteres hinnehmen werden.
Von zentraler Bedeutung sind daher auch bei den kommenden Urnengängen Transparenz und Überwachung des Wahlprozesses, auch wiederum von internationaler Seite. Die erhebliche Unterstützung der Wahlvorbereitungen durch die Vereinten Nationen und das große Engagement der internationalen Gebergemeinschaft zum Wiederaufbau des Landes sollte sich auch manifestieren in einer klaren Haltung gegenüber der Regierung mit Blick auf faire und demokratisch einwandfreie Wahlen.