Länderberichte
Das Youido Institute (YI), hauseigener Think-Tank der südkoreanischen Regierungspartei Saenuri, veröffentlichte vor Kurzem die Ergebnisse einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung geförderten und nach YI-Angaben repräsentativen Studie. Deren Ergebnisse basieren auf einer Umfrage unter 3.390 südkoreanischen College-Studenten an 113 Universitäten zum kollektiven Meinungsbild der akademischen Jugend Südkoreas:
- Was ist deren größte Alltagssorge?
- Wie steht es um die Studienfinanzierung?
- Sieht sie dem Berufseinstieg optimistisch entgegen?
- Welche Position nimmt sie in der Nordkoreafrage ein?
„Uns geht es nicht gut! Wie geht es Ihnen, Frau Präsidentin?“
Im bis in die frühen 1990er Jahre diktatorisch regierten Südkorea waren handgeschriebene politische Plakate, sogenannte Djaebo, allgegenwärtig auf den Campus südkoreanischer Universitäten. Angesichts der damaligen staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen gegen abweichende politische Meinungen, die insbesondere unter der Studentenschaft grassierten, stellten solche Plakate eine der wenigen Möglichkeiten dar, um Gesellschafts- und Regimekritik zum Ausdruck zu bringen. Im Prozess der südkoreanischen Demokratisierung seit dem Ende der 1990er Jahre und der damit einhergehenden Stärkung der Meinungsfreiheit verloren derartige Veröffentlichungen jedoch weitestgehend an gesellschafts-politischer Bedeutung und somit an Beachtung - ein Zustand, der bis kürzlich Bestand hatte.
Zum Jahresende 2013 heftete ein Student der Korea-Universität ein handgeschriebenes Plakat mit der Überschrift „Geht es euch allen gut in diesen Tagen?“ an das schwarze Brett seiner Hochschule. Der Aushang, dessen Gestaltung und Inhalt an eines der guten alten Djaebo erinnerte, wäre vermutlich unbeachtet geblieben, hätte dessen Inhalt nicht einen sensiblen Nerv der akademischen Jugend Südkoreas getroffen: Neben einer Generalkritik an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen äußerte sich der Urheber skeptisch zur Lebenswelt seiner Generation. Dabei bezog er sich insbesondere auf den hohen Wettbewerbsdruck, dem südkoreanische Studenten bei der Studienplatzvergabe und dem Berufs-einstieg ausgesetzt sind. Folgernd stellte der Student am Ende des Plakats abermals die rhetorische Frage nach dem Befinden des Betrachters. Die kollektive Antwort der koreanischen Jugend, landesweit durch Online-Beiträge oder ähnliche Djaebo bekundet, lautete „Uns geht es nicht gut!“.
Vor dem Hintergrund dieses Ausdrucks kollektiver Unzufriedenheit der koreanischen Jugend mit ihrer Lebenswelt erscheint die Analyse der Ergebnisse des YI-Jugendreport (nachfolgend JR) aufschlussreich, ebenso deskriptive Kommentare hinsichtlich aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen Südkoreas.
Bildung in Südkorea
Koreaner werden häufig mit einem großen Enthusiasmus für Bildung assoziiert. Dies mag nicht zuletzt an den sehr guten Resultaten liegen, die südkoreanische Schüler in den bisherigen PISA-Vergleichen erzielten. Dieser Enthusiasmus spiegelt sich auch in den Graduiertenzahlen wider. So hatten im Jahr 2011 63,8 Prozent der 25- bis 34-Jährigen eine Institution des tertiären Bildungssektors besucht. Zum Vergleich: Während der OECD-Durchschnitt bei 38,6 Prozent lag, besuchten in Deutschland 27,7 Prozent derselben Altersgruppe eine tertiäre Bildungseinrichtung.
Der große Stellenwert, der Bildung in Südkorea beigemessen wird, mag insbesondere auf soziokulturelle Faktoren zurückzuführen sein: Zum einen ist die vom Konfuzianismus geprägte Wertvorstellung zu nennen, nach welcher das Streben nach Bildung eine ehrbare Tugend ist. Zum anderen ist das kollektive Gedächtnis der südkoreanischen Generation X, deren Nachwuchs sich nun größtenteils im Studentenalter befindet, geprägt von den Erinnerungen aus den Zeiten des vorindustrialisierten Südkoreas. So führten die von vielen Eltern koreanischer Studenten zu jener Zeit erfahrenen wirtschaftli-chen Entbehrungen zu der weitverbreiteten Ansicht, dass Bildung ein sicherer Garant für einen finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg ihrer Sprösslinge sei. Folglich wurde es für sie zu einer Selbstverständlichkeit, hohe Summen in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren und dabei mitunter ei-gene finanzielle Kapazitäten zu übersteigen.
Die Ergebnissen des JR stützen diese Ausführungen: So kommt mehr als die Hälfte (57,4 Prozent) der südkoreanischen Eltern für die, nach deutschem Maßstab, horrenden Studiengebühren (durchschnittlich 6.000 US-Dollar pro Studienjahr) ihrer Kinder auf. Darüber hinaus gab ein Großteil der Befragten (64,7 Prozent) an, die anfallenden Wohn- und Verpflegungskosten komplett durch die finanzielle Unterstüt-zung der Eltern zu decken. In Anbetracht stark steigender Mietpreise, vor allem im Ballungsgebiet Seoul, sind es somit insbesondere die Kostenblöcke „Studiengebühren“ und „Lebensunterhalt“, welche die Ausbildungszeit der Kinder zu einer starken finanziellen Belastung der Eltern werden lassen.
Diese Problematik wurde mittlerweile auch von der Politik erkannt. So gab Präsidentin Park noch während ihres Wahlkampfes im Jahr 2012 das Versprechen, die Studiengebühren zu halbieren. Ein konkretes Konzept, wie ein solches Vorhaben angesichts der schwächelnden koreanischen Wirtschaft zu finanzieren ist, wurde bis dato noch nicht präsentiert. Im Raum stehende Alternativmaßnahmen wie beispielsweise ein Ausbau des Stipendiensystems, Erhöhung der Kapazitäten in den Studentenwohnheimen oder die Einführung eines BAföG zur Bezuschussung der Lebensunterhaltskosten, sind jedoch vielversprechende Ansätze, um die finanzielle Bürde südkoreanischer Studenten (und Eltern) zu reduzieren.
Traumarbeitgeber KMU: Ein Paradigmenwechsel?
Der Betrag von 880.000 südkoreanischen Won (ca. 609 Euro) entspricht dem geschätzten durchschnittlichen Gehalt einer Teilzeitfachkraft in ihren 20ern und ist Namensgeber für eine ganze Generation junger Koreaner, die jährlich auf den hoch kompetitiven koreanischen Arbeitsmarkt strömt und trotz solider Ausbildung Schwierigkeiten hat, eine angemessen vergütete Vollzeit-Anstellung zu finden. Den Ergebnissen des JR zufolge stellt der Berufseinstieg (37,5 Prozent) die größte Sorge koreanischer Studenten dar. Gefragt was die Ursache für die relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit sei, gaben 32,4 Prozent der Befragten an, dass sich die Unternehmen zu sehr auf die sogenannten „Specs“ (englische Abkürzung für „specifications“, ein ins Umgangskoreanisch integrierter Begriff, der für individuelle Sonderqualifikationen steht) konzentrieren würden. Weitere 28,5 Prozent meinten, dass die hohen Absolventenzahlen und das damit einhergehende Überangebot am Arbeitsmarkt ursächlich seien. Stellenabbau (27,1 Prozent) sowie ein Mangel an qualifizierten Fachkräften (8 Prozent) wurden zudem genannt.
Die Frage, welche Maßnahme zielfüh-rend zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sei, zeigte folgende Trends auf: 31,7 Prozent sprachen sich für eine Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aus, um deren Attraktivität als Arbeitgeber zu erhöhen; 27,8 Prozent für einen erleichterten Zugang zu den Bildungsangeboten zum „Spec“-Aufbau; 23,6 Prozent für die Schaffung von Arbeitsplätzen; 11,9 Prozent für eine Einstellungsänderung der Jugendlichen und 3,7 Prozent für mehr Unterstützung bei der Unternehmensgründung. Insbesondere die häufige Nennung der Antwort bezüglich der Stärkung der mittelständischen Wirtschaft lässt aufhorchen, da die landläufige Meinung besagt, dass insbesondere die großen koreanischen Konglomerate (Chaebol) wie beispielsweise Samsung oder Hyundai eine große Anziehungskraft auf koreanische Hochschulabsolventen ausüben, da eine Anstellung dort nicht nur ein hohes Maß an gesellschaftlichem Prestige, sondern auch den Zugang zu den firmeneigenen Sozialprogrammen sichert.
In dieser Hinsicht scheint auch die Antwortverteilung zu einer Anschlussfrage einen gegenläufigen Trend aufzuzeigen: Gefragt ob man sich einen Einstieg bei einem Klein- oder mittleren Unternehmen vorstellen könne, antworteten 70,4 Prozent mit „Ja“ und lediglich 29,6 Prozent mit „Nein“. Diejenigen, die mit nein antworteten, gaben als Grund ein niedriges Gehalt (31,1 Prozent), schlechte Arbeitsbedingungen (27,1 Prozent), schlechte Sozialleistungen (16,9 Prozent) sowie gesellschaftliche Vorurteile gegenüber Arbeitnehmern, die nicht für eines der reputierlichen Chaebols arbeiten (11,6 Prozent), an.
Sollte die vom YI reklamierte Umfragerepräsentativität des JR annähernd gegeben sein, könnten die Umfrageergebnisse demnach einen Paradigmenwechsel unter koreanischen Studenten andeuten: Die von vielen Politikern und Arbeitsmarktexperten eingeforderte Flexibilität der Absolventen, sich nicht nur mit der Einstellung bei einer der großen Chaebol zufrieden zu geben, sondern auch eine Bewerbung bei einem KMU in Erwägung zu ziehen, scheint sich unter der akademischen Jugend zu verbreiten.
Den kompletten Länderbericht finden Sie oben als PDF-Dokument zum Download.