Länderberichte
Beide Kandidaten trennten im Endergebnis rund eine Million Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag mit 75,8 Prozent über zwölf Prozent höher als bei der letzten Präsidentschaftswahl 2007. Laut Verfassung beträgt die Amtszeit des südkoreanischen Präsidenten fünf Jahre, wobei eine Wiederwahl nicht zulässig ist. Park wird ihr Amt im Februar 2013 antreten und dann den als Enttäuschung empfundenen Präsidenten Lee Myung-bak, ebenfalls Saenuri-Partei, ablösen.
Park: Ein neues Persönlichkeitsprofil im „Blue House“
Die nächste Präsidentin wird in mehrfacher Hinsicht ein Novum in der südkoreanischen Geschichte sein: nicht nur als erste Frau im höchsten Staatsamt, sondern auch noch als Unverheiratete und Kinderlose, was in der sehr traditionellen, patriarchalisch geprägten Gesellschaft Südkoreas durchaus bemerkenswert ist. Da sie in der zweiten Generation ihrem Vater als Präsidentin nachfolgt, sprechen die Medien des Landes schon von einer „Park-Dynastie“. Familiennachfolgen in hohen politischen Ämtern sind auch in Südkorea neu. Park tritt damit in die Tradition anderer asiatischer Staats- und Regierungschefinnen wie Sirimavo Bandaranaike (Sri Lanka), Corazon Aquino (Philippinen), Indira Gandhi (Indien), Megawati Sukarnoputri (Indonesien) und Benazir Bhutto (Pakistan).
Das „Blue House“, den Amtssitz der südkoreanischen Präsidentin, wird Frau Park nach einer Interimsphase von über 33 Jahren im Februar 2013 erneut beziehen, nachdem sie dort bis zur Ermordung ihres Vaters im Oktober 1979 als First Lady Südkoreas gelebt hatte; Parks Mutter Yuk Young-soo war bereits 1974 einem nordkoreanischen Attentäter zum Opfer gefallen. Vor Park Geun-hye, die Elektrotechnik studiert hat, war noch nie eine Persönlichkeit mit technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung Amtsinhaber. Das neue Staatsoberhaupt stammt, wie die Mehrzahl der Nachkriegspräsidenten des Landes, ebenfalls aus der Provinz Gyeongsang.
Wer wählte Park Geun-hye und warum?
Die Analyse der Wählergruppen und ihrer Wahlentscheidung weist auf traditionelle Konstanten der südkoreanischen Politik, aber auch auf grundlegende demographische Veränderungen hin, die sich in der Gesellschaft vollziehen. Klar ist, dass es eine generationsspezifische Stimmabgabe gegeben hat, die nicht untypisch für viele entwickelte, demokratische Staaten ist. So wählten die über 60-Jährigen zu 67 Prozent konservativ und die 50-Jährigen zu 63 Prozent. Nur in diesen beiden Altersgruppen erhielt Park eine Mehrheit, während Moon bei den drei anderen Altersgruppen (20er inklusive 19-Jährige, 30er und 40er) Mehrheiten zwischen 48 und 59 Prozent erreichen konnte. Dass Park gleichwohl siegreich war, lag an der offensichtlich unverbrüchlichen Treue der Älteren zu ihr: So lag die Wahlbeteiligung der 50-Jährigen bei 90 (!) Prozent, während die entsprechenden Zahlen der jüngeren Altersgruppen niedriger sind. Bemerkenswert hierbei ist das starke Wachstum des Anteils der Gruppe der 50-Jährigen in der Gesellschaft seit der Präsidentschaftswahl 2002 von seinerzeit 29,3 Prozent auf 39,6 Prozent 2012 und damit zur stärksten Altersgruppe.
Auch ein traditionell starker Regionalismus nahm erneut Einfluss auf das Wahlergebnis. Im Vergleich zur letzten Präsidentschaftswahl haben sich bis auf die Hauptstadt Seoul (wo knapp die Hälfte der Bewohner des Landes lebt und wo 2007 die Konservativen die Stimmenmehrheit erhielten, 2012 aber die Linksliberalen) alle Großstädte und Provinzen mit z.T. nur unerheblichen Abweichungen wieder für die gleiche politische Kraft entschieden.
Nicht unwichtig für Parks Wahlerfolg war der laut Medienberichten erstaunliche Faktor, dass besonders ältere Südkoreanerinnen, die als Frauen in dieser traditionellen Gesellschaft jahrzehntelang eine untergeordnete Rolle zu spielen hatten, jetzt den Wunsch hatten, eine Frau an der Spitze des Staates zu sehen und damit den Männern ein Signal zu senden.
Der heimliche Wahlgewinner: Park Chung-hee
Für viele zivilgesellschaftliche Aktivisten des linken politischen Lagers war es lange unvorstellbar, dass mit Park Geun-hye die Tochter Park Chung-hees an die Macht kommen könnte, der in der historischen Betrachtung von diesen Kräften wegen der schlechten Menschenrechtsbilanz seiner Regierung verhasst ist. Auch Moon Jae-in hatte als junger Mann wegen seiner Proteste gegen das Regime des Vaters der neuen Präsidentin im Gefängnis gesessen. Aus diesen Gründen hatte man Park Geun-hye in Verlautbarungen der linken Seite gezielt und konsequent das Stigma „Tochter des früheren Diktators“ angeheftet. Dass sie jetzt ihr politisches Ziel gleichwohl erreicht hat, muss die linken Kräfte maßlos enttäuschen. Damit ist klar, dass die Mehrheit der Südkoreaner geneigt ist, solchen Attributen keine große Bedeutung zuzumessen und den ehemaligen Herrscher vielmehr wegen seines Beitrags zum wirtschaftlichen Aufstieg des Landes in Erinnerung behalten zu wollen. Es ist keine geringe Leistung Parks, sich dieses heißen Themas geschickt entledigt zu haben, auch wenn die von ihr im September 2012 öffentlich geäußerte Entschuldigung für die Untaten des Regimes ihres Vaters vielen nicht wirklich glaubwürdig erschien. Unabhängig davon war die Hoffnung der oppositionellen Demokraten, die Wählerschaft würde ihren Warnungen Glauben schenken, wonach die Tochter ein ähnliches Regime wie der Vater errichten würde, abwegig. Park Geun-hye wurde gewählt, weil sie die Tochter ihres Vaters ist. Aus eben diesem Grund fiel die Kritik an der Vorstellung einer Frau als Staatschefin (auch in ihrer eigenen, stark männerdominierten Partei geäußert) ebenfalls nicht auf fruchtbaren Boden.
Warum hat Moon Jae-in verloren?
In dem an profilierten, integeren politischen Persönlichkeiten armen Südkorea mutet die Wahlniederlage des ehemaligen Präsidentenstabschefs Moon Jae-in fast schon tragisch an. Umfragen bestätigten ihm, dass die Bevölkerung ihn für ehrlich, glaubwürdig und wählbar hielt.
Aber es waren in erster Linie hausgemachte Probleme und Fehler, die ihn den Sieg gekostet haben dürften. An erster Stelle steht die wochenlange Unfähigkeit des linken Lagers, den unabhängigen Kandidaten Ahn Cheol-soo in den eigenen Wahlkampf zu integrieren, wobei Ahn dazu einen Großteil beigetragen hat. Der bei jungen Menschen und Intellektuellen beliebte, ehemalige unabhängige Kandidat hatte sich am 23. November aus dem Rennen um die Präsidentschaft verabschiedet, weil es ihm nach eigener Aussage nicht möglich war, seine eigenen politischen Vorstellungen bei einer Einzelkandidatur Moons angemessen durchzusetzen. Die Wahldaten belegen, dass, wie vorausgesagt, Moon Jae-in tatsächlich den größten Teil der früheren Ahn-Unterstützer für sich gewinnen konnte. Aber auch Park Geun-hye profitierte von Stimmen aus diesem Lager, da nicht alle Ahn-Unterstützer automatisch als links von der politischen Mitte stehend eingeordnet werden dürfen.
Ahn tat sich nach seinem Abgang darüber hinaus sichtbar schwer, Moon seine volle Unterstützung zuzusichern: Die englisch-sprachige Tageszeitung „Korea Times“ bezeichnete seinen Rückhalt für Moon als „lauwarm“. Bezeichnenderweise reiste Ahn unmittelbar nach seiner Stimmabgabe am Wahltag für längere Zeit in die USA; verständlicherweise wird er sich kaum der Lawine von Schuldzuweisungen aus dem linken Lager und Fragen nach seinem Anteil an der Niederlage Moons aussetzen wollen.
Inhaltlich ist es nur schwer nachvollziehbar, warum es Moon nicht gelang, das von seiner Partei vorgeschlagene soziale Siche-rungssystem angemessen zu „verkaufen“, da es erwiesenermaßen der gewünschten Zielgruppe der über 60-Jährigen mehr Nutzen gebracht hätte als die Vorschläge Park Geun-hyes.
Gerade aber die Älteren hielten sich von Moon fern. Landeskenner sehen den Grund dafür in der eigenen Erfahrung des Koreakrieges in dieser Generation, die niemals einen Präsidentschaftskandidaten wählen würde, der, so wie Moon, eine aktive Annäherungspolitik an den Norden betreiben wollte. Umgekehrt sind diese älteren Wähler demnach bereit, nahezu jeden konservativen Kandidaten ohne Rücksicht auf dessen Defizite zu wählen. Verantwortlich dafür ist die in Asien weit verbreitete Personalisierung von Politik zu Lasten des Interesses für Parteiprogramme.
Lee Myung-bak: Das Ende der „lahmen Ente“
Park Geun-hye löst den amtierenden Präsidenten ab, gegen den sie noch vor fünf Jahren in der parteiinternen Vorwahl verloren hatte. Lee Myung-bak, der frühere Bürgermeister von Seoul und ehemalige hohe Manager des Hyundai-Konzerns, der mit Blick auf seine zu Ende gehende Amtszeit seit Jahresbeginn das Etikett „lahme Ente“ von den Medien angeklebt bekam, gilt schon jetzt in der Bewertung der Beobachter als Präsident der „verschwendeten Periode 2008-2012“.
Angetreten war er mit großen Ambitionen und wollte Südkorea zur „747-Nation“ machen (sieben Prozent Wachstum, 40.000 US-Dollar Pro-Kopf-Einkommen und siebtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt). Nichts davon wurde erreicht. Zu seinen Leistungen zählen die Erhöhung der südkoreanischen „Soft Power“ (durch Kulturexport sowie Engagement in der internationalen Gemeinschaft, z.B. bei UN-Friedensmissionen) und die globale Spitzenstellung des Landes beim „grünen Wachstum“ der Wirtschaft in umweltnahen Bereichen. Kritiker kreiden ihm aber auch massive Fehlschläge an, z.B. die wachsenden Einkommensunterschiede in der Gesellschaft, eine erfolglose, weil ausgebliebene Wachstumspolitik und eine gescheiterte Nordkoreapolitik.
Lee hatte die als „Sonnenscheinpolitik“ bekannte Annäherungspolitik seiner beiden linksliberalen Amtsvorgänger Kim Dae-jung und Roh Moo-hyun gegenüber Nordkorea zugunsten einer Politik der „Reziprozität und Konditionalität“ aufgegeben. Nordkorea-Experten halten diesen Schritt für die Ursache einer heute ungleich stärkeren Anlehnung an bzw. Abhängigkeit Pjöngjangs von der Volksrepublik China und eine deutlich stärkere militärische Aufstellung des Nordens als noch vor fünf Jahren. In den bilateralen Beziehungen herrscht weitgehende Eiszeit.
Vor allem aber wird Lee Myung-bak als derjenige Präsident in Erinnerung bleiben, während dessen Amtszeit eine bis dahin ungekannte Fülle von Korruptionsfällen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auftraten, viele der Täter aber ein Pardon aus dem Palast erhielten. Dieser sichtbare Anstieg der Korruption wurde von der Öffentlichkeit der Saenuri-Partei angelastet und Park damit ungewollt in Mithaftung für die Fehler ihres Vorgängers genommen.
Was sind die ersten Aufgaben und Herausforderungen der neuen Präsidentin?
Innerparteilich und organisatorisch
Am Tag nach der Wahl sind es vor allem parteiinterne und organisatorische Maßnahmen, die wichtig erscheinen, um der gewählten Präsidentin einen guten Start zu ermöglichen.
Da geht es zunächst darum, ihre eigene Partei erneut einem inneren „Reinigungsprozess“ zu unterziehen. Die Saenuri-Partei gilt nicht zu Unrecht als korrupteste politische Kraft des Landes und erleidet deswegen regelmäßig Imageschäden in der Bevölkerung. Schon Ende 2011 war die Partei nach der verlorenen Bürgermeisterwahl in Seoul am Rand der Auflösung, und es gilt allgemein als Park Geun-hyes Verdienst, dies als Interimsvorsitzende nicht nur verhindert, sondern die Partei in diesem Restrukturierungsprozess so gut aufgestellt zu haben, dass es der Saenuri entgegen allen Prognosen gelang, bei den Parlamentswahlen am 11. April 2012 ihre absolute Mandatsmehrheit zu verteidigen. Allerdings haben die Monate danach mit weiteren internen Skandalen bewiesen, dass jetzt erneut eine innere „Reinigung“ angezeigt ist, bevor die gewählte Präsidentin ihr Amt antritt.
Sinnvoll und ein weithin sichtbares, positives Zeichen Parks an Jüngere, bei denen ihre Partei nicht gut dasteht, wäre es auch, nicht nur wie bisher 70-Jährige in ihren Beraterkreis aufzunehmen, sondern jüngere Politiker und auch mehr Frauen.
Ein entscheidender Indikator für den Erfolg ihrer Präsidentschaft ist die Besetzung von Schlüsselpositionen in ihrem Transitionsteam und ihrem Kabinett. Die Öffentlichkeit wird sehr aufmerksam beobachten, ob und, wenn ja, wie viele der bekannten Saenuri-„Cronies“ dazu gehören. Ob ihr Transitionsteam hinreichende Unterstützung der ausgehenden Lee-Administration erhält, bleibt abzuwarten. Schließlich sind sich Park Geun-hye und Lee Myung-bak bekanntermaßen in tiefer wechselseitiger Abneigung verbunden.
Inhaltlich
•Beobachter sehen die Hauptaufgabe Parks zunächst in dem Zusammenführen der in vieler Hinsicht gespaltenen bzw. polarisierten südkoreanischen Gesellschaft. Park muss alsbald von „Wahlkämpferin“ auf „Präsidentin für alle“ umschalten und das ganze Land ansprechen, nicht nur ihre eigenen Anhänger.
•Park hat versprochen, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der Reform des politischen Systems beschäftigen soll. Viele Südkoreaner wünschen einen klaren Durchgriff bei den derzeitigen Machtstrukturen, so dass dieses Thema ein wichtiger Indikator für die Leistungsmessung der neuen Regierung sein wird.
•Die neue Präsidentin hat angesichts der heruntergesetzten Wachstumsprognosen und der in Aussicht stehenden schlechten Wachstumszahlen der nächsten Quartale eine dringende finanzpolitische Agenda. Fraglich ist, wer ihr dabei als Finanzminister dienen könnte. Selbst Experten mit jahrelanger Erfahrung und Kenntnissen von Personen und Zusammenhängen fällt hier kein sich aufdrängender Name ein.
•Der wirtschaftspolitische Visionär im abgelaufenen Wahlkampf war Ahn Cheol-soo. Es ist zu hoffen, dass die Park-Administration wenigstens einige seiner innovativen Ideen einer genauen Prüfung unterzieht, z.B. eine Zutrittsbeschränkung der großen Industriekonglomerate für Bereiche, in denen die in Südkorea vergleichsweise schwach ausgeprägten Klein- und Mittelunternehmen tätig sind. Zu Ahns Ideen gehörte auch die verstärkte Technologieförderung zur Verringerung der Abhängigkeit des Landes von der Nuklearenergie.
•In der Sozialpolitik wäre eine genaue Prüfung der zur Verfügung stehenden Optionen nötig mit dem Ziel, vor allem die Generation der „Wachstumsopfer“, d.h. die heute 60-Jährigen, mit einer Grundversorgung auszustatten, die wahrscheinlich nur aus Transferzahlungen finanziert werden könnte.
•In der Außenpolitik sieht sich Südkorea seit dieser Woche mit einer rechtsnationalen japanischen Regierung konfrontiert. Probleme sind nicht nur die Inselstreitigkeiten beider Länder, sondern auch die wahrscheinliche Wirtschafts- und Finanzpolitik der neuen Abe-Regierung, von der südkoreanische Experten befürchten, dass sie die Exporte ihres Landes empfindlich treffen könnte.
•Nicht wenige Beobachter in Seoul halten Park Geun-hye wegen ihres im Vergleich zu Moon Jae-in vorsichtigeren Ansatzes bei der Annäherung an Nordkorea für die geeignetere Persönlichkeit, um Fortschritte in d iesem Politikbereich zu erzielen. Park ist schon 2002 mit dem damaligen Herrscher Kim Jong-il in Pjöngjang zusammengetroffen und könnte jetzt gegenüber seinem Sohn als “elder stateswoman“ auftreten. Auf Grund ihrer Herkunft wird man ihren Aussagen in Japan und China Aufmerksamkeit widmen.
•Das dürfte auch hilfreich sein, um eine neue Außenpolitik in Nordostasien in Gang zu bringen, die mehr auf Kooperation als auf Konfrontation ausgerichtet ist. Park sollte insbesondere die Rolle Südkoreas zwischen dem langjährigen Alliierten Washington und dem wichtigsten Wirtschaftspartner Peking neu und nachhaltig definieren.
Park Geun-hye ist am Ziel ihres politischen Lebens angekommen. Sie hat ihren Wählern einen „mitfühlenden Konservatismus“ versprochen sowie die Schaffung des „Landes der Träume der Bevölkerung“. An diesen Zusagen wird man sie messen müssen.