Länderberichte
Seit kurzem sinken die Anträge asylsuchender Kosovaren wieder – die vielen Rückkehrer, Informationskampagnen der kosovarischen Regierung, abschreckende Maßnahmen wie das vom Bundesinnenministerium im August veröffentlichte „Rückführungsvideo“ und das von BAMF-Präsident Schmidt beschriebene Vorgehen scheinen Wirkung zu zeigen: „Wir brauchen natürlich schnelle Verfahren, dann den schnellen Vollzug der Ausweisung - und schließlich müssen wir auch rechtliche Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel Wiedereinreisesperren …. Am Beispiel Kosovo sehen wir, dass schnelle Verfahren wirken. Im Februar 2015 kamen täglich bis zu 1.600 Menschen von dort hierher. Diese Zahl ist auf unter 60 gesunken.“ Mit 1.205 Erstanträgen liegt die seit 2008 unabhängige Republik Kosovo allerdings auch im Juli weiterhin auf dem dritten Platz der Herkunftsländer aller in Deutschland Asylsuchender.
Die gezielte Aufklärung vor Ort sowie schnellere Verfahren in Deutschland sind hilfreich und notwendig, können aber doch nur kurzfristige Erfolge erzielen und nichts an den Ursachen der massiven illegalen Auswanderung vor Ort ändern. Auch die Klärung zweier in diesem Zusammenhang vorrangig diskutierter Fragen verspricht keine langfristige Lösung: Ist die Republik Kosovo ein sicheres Herkunftsland? Bleibt die letzte Visumspflicht des Westbalkans für Europäer innerhalb Europas bestehen oder wird sie aufgehoben? Eine Einstufung des Kosovo als sicherer Herkunftsstaat wird seitens der kosovarischen Regierung befürwortet, wie Premierministers Isa Mustafa auf Anfrage des Europaabgeordneten David McAllister mitteilte. Auch in der Visafrage wünscht sich die Regierung des Kosovo die Reisefreiheit innerhalb der EU für ihre Staatsangehörigen. Nicht zuletzt kann ein höheres Maß an Reisefreiheit kriminellen Schlepperbanden die Geschäftsgrundlage entziehen. Der vorgezogene Asylgipfel am 9. September in Berlin könnte zumindest die erste Frage klären, wird die Bevölkerung jedoch auch in Zukunft kaum von dem Verlangen abhalten können, den Problemen des Landes zu entfliehen.
Die Beweggründe der Migration der Massen aus dem 1,8 Millionen Einwohner Land mit der jüngsten Bevölkerung Europas sind eine Mischung aus Fehlinformationen und nicht erfüllbaren Hoffnungen, aus purer Verzweiflung und tiefer Perspektivlosigkeit. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziellen Angaben zufolge bei über 35%, unter Jugendlichen sogar bei 60-70%. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut, besonders betroffen sind Angehörige der ethnischen Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter. Zur Finanzierung der Flucht wird das gesamte Hab und Gut verkauft, der Arbeitsplatz wird aufgegeben, sofern man einen hatte, und es werden Schulden gemacht, um den Schlepperbanden bis zu 2.000 Euro für den illegalen Transport nach Deutschland oder in ein anderes EU-Land zahlen zu können. Die Anerkennungsrate für Flüchtlinge aus dem Kosovo lag 2014 bei 1,1%, der Großteil landet also früher oder später wieder in der Heimat und steht nach der unfreiwilligen Rückkehr meist vor noch weniger als dem bisschen, was man vor der Ausreise hatte. Sie werden so zu einer zusätzlichen Belastung für ihre Familien und zur Zerreißprobe für einen Staat, der nicht in der Lage ist, dem Volk eine Perspektive bieten zu können und das Vertrauen seiner Bürger inzwischen offensichtlich vollends verspielt hat. Korruption und Vetternwirtschaft bestimmen auch im achten Jahr nach der Unabhängigkeit den politischen und wirtschaftlichen Alltag. Die etwa zwei Milliarden Euro, die seit 1999 als EU-Aufbauhilfen ins Land geflossen sind, konnten zu keiner grundlegenden Verbesserung der Lebensrealität der Mehrheit beitragen.
Die Reintegration der Rückkehrer stellt das Land vor große Herausforderungen. Die Bundesregierung bietet hierbei Unterstützung an, wie durch das vom BAMF angebotene Kosovo-Rückkehrprojekt „URA2“, welches Beratungsleistungen und Maßnahmen zur Reintegration und Unterstützung anbietet mit dem Ziel, den Menschen eine nachhaltige Wiedereingliederung in ihrer alten Heimat zu ermöglichen. Auch der „Deutsche Informationspunkt für Migration, Ausbildung und Karriere“ (DIMAK) soll hierbei helfen, indem über legale Möglichkeiten zur Einreise nach Deutschland und über Ausbildungsprogramme und Beschäftigungsmöglichkeiten im Kosovo selbst informiert wird. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) baut mit EU-Mitteln Häuser für Rückkehrer. Langfristig kann der Exodus aus dem Kosovo allerdings nur verringert werden, wenn die Debatte um die Ursachenforschung erweitert wird. Es liegt im Eigeninteresse Deutschlands und der gesamten EU, die Rahmenbedingungen innerhalb des Landes zu verbessern. Nicht allein zur Entlastung der eigenen Sozialsysteme oder aus geopolitischen Gründen, sondern auch, um den Gefahren des Nationalismus und Extremismus im Westbalkan entgegenzutreten. Dazu gehört neben politischer Stabilität vor allem der Fokus auf die Schaffung eines wirtschaftlichen Umfelds, welches dauerhafte Perspektiven zur Anhebung des Lebensstandards bietet. Es bedarf außerdem einer innerhalb der EU abgestimmten und einheitlichen Strategie, die u.a. den zukünftigen Status des Landes und die Frage einer weiteren Annäherung an die EU klären muss.