Länderberichte
Während die Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals, Carla Del Ponte, und die Mehrheit der EU-Staaten der kroatischen Regierung vorwerfen, die Auslieferung des flüchtigen Ex-Generals Ante Gotovina an den Haag nicht ausreichend zu unterstützen, beharrt die kroatische Seite darauf, den Aufenthaltsort Gotovinas nicht zu kennen und ihn trotz aller Fahndungsanstrengungen nicht fassen zu können. Die Causa Gotovina ist damit zum allein entscheidenden
Maßstab für die Beurteilung von Kroatiens EU-Mündigkeit geworden. War diese Zuspitzung wirklich nötig und angemessen?
Kroatiens Glaubwürdigkeit
Noch bis vor einigen Monaten schien die seit Dezember 2003 im Amt befindliche Regierung Ivo Sanaders wenig Probleme mit der Anerkennung ihrer ernsthaften Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu haben. Weder das positive Avis der EU-Kommission vom Frühjahr 2004, welches Kroatien prinzipiell die Eignung als EU-Kandidat attestierte, noch der im letzten Sommer folgende Beschluss der EU-Regierungschefs mit der Einladung zu Verhandlungen, wären ohne grünes Licht aus Den Haag zustande gekommen, auch wenn Chefanklägerin Del Ponte stets behauptete, dass Kontakte kroatischer Regierungsstellen beziehungsweise regierungsnaher Milieus zum flüchtigen General Gotovina bestünden. Klare Beweise für diese Behauptung ist sie aber immer schuldig geblieben. Die kroatische Regierung hingegen hatte mit der Überstellung einer ganzen Reihe von Angeklagten nach Den Haag, der Aberkennung der Ehrentitel Gotovinas und weiterer Signale klare Belege uneingeschränkter Kooperationsbereitschaft erbringen können. Wo also liegen die Glaubwürdigkeitsprobleme, denen sich Kroatien gegenüber seinen Kritikern stellen muss?
Viele Beobachter, die Kroatien skeptisch gegenüberstehen, erinnern sich noch gut daran, dass die heute regierende HDZ in ihrer Oppositionszeit zwischen 2000 und 2003 in der innenpolitischen Auseinandersetzung nicht selten die nationale Karte gezogen hatte, wenn es um die Zusammenarbeit mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ging. Auch die sozialdemokratische Regierung unter Ivica Racan hatte im Sommer 2003 nur einen erbärmlichen Nachweis ihrer Fahndungsaktivitäten im Fall Gotovina internationalen Stellen auf Anfrage vorlegen können oder wollen. Währenddessen bezog der flüchtige Ex-General weiterhin seine staatliche Pension und konnte offensichtlich ungehindert noch bis vor kurzem auf seine Vermögenswerte zurückgreifen. Ein kommunikationspolitisches Desaster schließlich, das sämtlichen Zweiflern neue Munition gab, brachte der Präsidentschaftswahlkampf zur Jahreswende 2004-2005: Im Rahmen eines Fernsehduells mit der Frage des Journalisten konfrontiert, wie man reagiere, wenn man dem flüchtigen Ante Gotovina zufällig begegne, antwortete die konservative Herausfordererin und stellvertretende Premierministerin Jadranka Kosor, dass sie diesen nicht mehr wiedererkennen würde und sich die Frage daher nicht stelle. Der amtierende Staatspräsident Stjipe Mesic hatte auch keinen guten Einfall: Er wolle mit Gotovina Kaffee trinken und dabei auf ihn einwirken, sich zu stellen. Auf die Idee, die Polizei mit einem Telefonanruf zu Gotovinas Verhaftung herbeizuzitieren, kam keiner der beiden hohen Staatsrepräsentanten. Die genannten Beispiele sind symptomatisch für eine bestimmte Haltung und Rücksichtnahmen in der kroatischen Öffentlichkeit, die zu einem großen Teil in Gotovina weniger den als Kriegsverbrecher gesuchten Ex-General sondern einen Nationalhelden sieht, den Befreier von serbischen Besatzern in einem von außen aufgezwungenen Befreiungskrieg. Das Problem ist, dass Ante Gotovina möglicherweise sowohl ein Kriegsverbrecher ist, der für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden muss, wie auch ein Mensch, dem die Herzen vieler Kroaten zufliegen, weil er aus ihrer Sicht in einer ausweglos erscheinenden Situation Großes für ihr Land geleistet hat. Diese Ambivalenz macht den Fall Gotovina ungeeignet als Lackmustest für die EU-Fähigkeit der kroatischen Republik. Ob man den Beteuerungen der kroatischen Stellen, Gotovina nicht aufspüren zu können, in der Vergangenheit nun Glauben schenkte oder nicht: die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hatte Kroatien stets den Eindruck vermittelt, dass der Fall Gotovina nicht zur conditio sine qua non für die EU-Beitrittsverhandlungen werden sollte und damit ein gewisses Verständnis für die schwierige Situation der reformorientierten Regierung Sanader vermittelt.
Der Aufschub der Verhandlungen ist unnötig und unangemessen
Dem fast einhelligen Verständnis in der deutschsprachigen veröffentlichten Meinung für die Aussetzung des Verhandlungsbeginns mit Kroatien kann man auch Fragen entgegen stellen. Niemand stellt z.B. die Frage nach der rechtstaatlichen Ambivalenz des Beschlusses. Dieser setzt Kroatien auf die Anklagebank, während über die Gründe der Anklage nur spekuliert werden kann. Die Chefanklägerin Del Ponte bleibt die konkreten Beweise für die angeblich nicht ausreichende Zusammenarbeit mit dem Tribunal schuldig und weist im Verein mit der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten die Beweisführungspflicht Kroatien zu. Ist das ein Rechtstaatsverständnis mit Vorbildcharakter? Das Aussetzen der Verhandlungen ist auch keine konsequente Fortführung der bisherigen Mehrheitspolitik der EU im Falle Kroatiens. Konsequent wäre vielmehr gewesen, die Verhandlung wie vereinbart zu beginnen, Kroatien eine klare Pflichtenagenda für den Fall Gotovina mit auf den Weg zu geben und deren Nichterfüllung mit einem Aussetzen der Verhandlungen zu verbinden.
Dabei hätten auch die Pflichten anderer Staaten im Rahmen internationaler Zusammenarbeit klar definiert werden müssen. Bekanntlich ist Gotovina auch Staatsbürger Frankreichs.
Steht zu finden?
Die Entscheidung des EU-Ministerrats lässt ferner die Vermutung zu, dass Kroatien gegenüber wesentlich härtere Maßstäbe bei der Bewältigung seiner Vergangenheit angelegt werden sollen als anderen Beitrittskandidaten, z.B. Rumänien, dem eine Aufarbeitung seiner blutigen Vergangenheit weitgehend erspart bleibt. Auch scheinen Zweifel dahingehend angebracht, ob es legitim, moralisch vertretbar und in der Schadensabwägung letztlich zielführend sein kann, mit dem Verhandlungsaufschub über Kroatien ein Signal nach Belgrad zu senden. Ohnehin setzt sich bei vielen Beobachtern, in Kroatien und auch anderswo, zunehmend der Eindruck fest, dass der internationale Gerichtshof in Den Haag Fehlschläge und nicht genutzte Gelegenheiten zur Festnahme der mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic bei weitem nicht mit der gleichen Hartnäckigkeit verfolgt wie den Fall Gotovina. Wenig hilfreich ist der Aufschubbeschluss
auch für die innenpolitische Entwicklung in Kroatien. Eine der großartigen Leistungen des Regierungschefs Sanader in den vergangenen Monaten war es, dass er alle im kroatischen Parlament vertretenen Parteien auf einen nationalen Konsens pro EU-Beitritt hat verpflichten können. Auch ist der pro-europäische Reformkurs, den er seiner eigenen Partei HDZ verordnet hat und der bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, inzwischen auch zum Vorbild für andere politische Gruppierungen in Kroatien geworden. Diesen Errungenschaften droht nun angesichts wachsender Europaskepsis erheblicher Schaden. Eine erste Schadensbilanz wird man ziehen können, wenn Premierminister Ivo Sanader mit seiner HDZ einen Einbruch bei den im Mai bevorstehenden landesweiten Kommunalwahlen erleidet und seine fragile Koalitionsmehrheit bei einem deutlich schlechten Ergebnis in Bedrohung gerät. Vielleicht war es ja ein Fehler von ihm, das politische Kalkül zu stark auf den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen am 17. März zu fokussieren. Das Verhalten der Mehrheit seiner europäischen Partner hat ihn aber stets in dieser Haltung bestärkt.
Fazit
Es sind Zweifel angebracht, ob der EU-Ministerrat am 16. März 2005 tatsächlich eine gute, zukunftsweisende und Kroatien angemessene Entscheidung getroffen hat.
Besser wäre es, wenn die Europäische Union sich nicht dauerhaft hinter der Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verschanzte und die Unklarheiten um angebliche Beweise und Erwartungen im Fall Gotovina ein Ende hätten. Beweise, so vorhanden, müssen auf den Tisch und die Erwartungen gegenüber der kroatischen Seite gehören klar formuliert, ebenso wie konzertierte Maßnahmen internationaler Zusammenarbeit bei der Fahndung nach dem flüchtigen Ex-General.
Kroatien hat Anspruch auf eine klare und kurzfristige zeitliche Perspektive für einen neuen Verhandlungsbeginn. Die „causa Gotovina„ ist nicht nur ein kroatisches, sie ist auch ein europäisches Problem.