Länderberichte
Ähnliche Probleme, unterschiedliche Rahmenbedingungen
Ägypten 1, Algerien 0. Diese Fußballmetapher verwendete der Karikaturist der algerischen Zeitung „Liberté“ nach dem Abgang Moubaraks, einen Tag vor der Demonstration in Algier. Vor dem Hintergrund der gespannten Beziehungen beider Länder nach den Qualifikationsspielen zur Fußball-WM in Südafrika – welche schließlich Algerien für sich entscheiden konnte – ist diese Karikatur nicht ohne Selbstironie. Weist sie aber auch auf einen wirklichen Willen zur politischen „Ergebniskorrektur“ hin?
Algerien steht, wie fast alle Länder der Region, vor vergleichbaren Problemen wie Tunesien und Ägypten. Die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen, ihr Wunsch, Teil der globalen (Konsum)Gesellschaft zu sein und die gleichzeitige Tristesse des Alltags speisen seit langem eine Ablehnung der regierenden Elite. Hinzu kommt in Algerien, dass sich die meisten Menschen fragen, wo ihr Anteil an den hohen Einnahmen des Landes aus den Erdöl- und Erdgasexporten geblieben ist. Korruption, überbordende Bürokratie, staatssozialistisches Denken und vor allem die große Hypothek der blutigen neunziger Jahre, als sich Armee und Islamisten bis aufs Messer bekämpften, lasten auf Algerien. Auch das politische System Algeriens hat sich bisher nur geringfügig fortentwickelt. Beobachter kritisieren vor allem die herrschende Oligarchie aus Militär und Staatsapparat, eine Ausdifferenzierung der politischen Landschaft fand bisher nicht statt.
Dennoch: Algerien weist auch große Unterschiede zu Tunesien und Ägypten auf. Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika regiert das Land seit 1999, er ist nicht wie Ben Ali in Tunesien und Moubarak in Ägypten bereits seit Jahrzehnten Führer des Landes. Zudem verfügt Bouteflika über einen nicht zu unterschätzenden Kredit als Angehöriger der Generation der Befreiungskämpfer und als Stabilisator des Landes nach dem inneralgerischen Konflikt der neunziger Jahre. Das algerische politische System ist zudem komplex, die Armee spielt dort eine zentrale Rolle, ohne dass man aber von einer Militärdiktatur reden könnte. Die algerische Presselandschaft ist deutlich offener und freier als in den meisten anderen arabischen Staaten. Kritik am Staatspräsidenten und den herrschenden Zuständen in Algerien ist keine Seltenheit. Auch sind vielen Algeriern die blutigen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre, zwischen Militär und Islamisten, die weit über 100 000 Tote forderten, noch sehr präsent. Die Gefahr der Instabilität und des Chaos sind für viele Algerier immer noch ein gutes Argument für einen starken Staat. Auch ist Algerien ein Land, das durchaus über eine Kultur der politischen Diskussion verfügt. Die Algerier heben sich innerhalb der arabischen Welt durch eine direkte Sprache und ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein ab, was sowohl für westliche wie auch arabische Investoren aber auch die eigene Regierung oftmals unangenehm werden kann. Das Aufbegehren ist in Algerien nicht neu. Anders als in Tunesien ist die algerische Führung an offene Kritik und Ablehnung „gewöhnt“.
Großdemonstration in Algier
Via Internet und Medien wurden bereits seit längerem zu einer großen Demonstration am 12. Februar 2011 in Algier aufgerufen: für politische Öffnung und wirtschaftliche Teilhabe, gegen Arbeits- und Perspektivlosigkeit sollte auf die Straße gegangen werden. Bereits vor dem Wandel in Tunesien nach dem 14. Januar war es in Algerien landesweit zu Unruhen gekommen, die sich gegen die hohen Lebenshaltungskosten richteten. Diese Unruhen zeigten allerdings keinen wirklich politischen Charakter und beruhigten sich nach Ankündigungen der Regierung am 8.1. zur Garantie der Preisstabilität für Grundnahrungsmittel wie Öl und Zucker auch wieder. Dennoch gab es in Algerien in den letzten Wochen immer wieder Fälle von Selbstverbrennungen, ähnlich der des Tunesiers Mohamed Bouazizi zu Beginn der tunesischen Revolution.
Bereits an den Tagen vor der Demonstration am 12.Februar 2011 wurden verstärkt Sicherheitskräfte in Algier entfaltet, obwohl die Organisatoren und die Medien in Algerien im Vorfeld stets betont von einer „friedlichen“ Demonstration sprachen. Aufgrund des seit 1992 geltenden Ausnahmezustands in Algerien, sind jedoch Demonstrationen grundsätzlich untersagt. Nach Medienberichten wurden bis zu 30 000 Angehörige der Sicherheitskräfte in Algier zusammengezogen.
Die Demonstration in Algier – rund um den Platz des 1.Mai – wurde dann aber doch nicht die von einigen Beobachtern vermutete Großdemonstration. Nach Augenzeugen- und Medienberichten waren zu keinem Zeitpunkt mehr als 2 000 Demonstranten versammelt (die algerische Zeitung Liberté spricht jedoch von 5 000 Menschen). Die Polizei versuchte während der Demonstration einen Marsch der Demonstranten durch Algier zu verhindern und löste die Demonstration am Nachmittag gewaltsam auf. Einige Demonstranten wurden verhaftet. Die Slogans der Demonstranten richteten sich gegen Staatspräsident Bouteflika sowie den politischen und wirtschaftlichen Stillanstand in Algerien.
Haben wir damit den Beginn einer Revolte in Algerien erlebt? Bis jetzt sieht es nicht danach aus, auch wenn für Zeitungen wie El Watan oder Liberté damit der erste Schritt zum Wandel getan ist. Unter den Demonstranten befanden sich viele altbekannte Oppositionelle. Was jedoch fehlte war eine breite Unterstützung durch die Masse der Algerier. Und damit ist schon der entscheidende Unterschied der algerischen Proteste im Vergleich zu Tunesien und Ägypten benannt. Denn, sollte auch in Algerien ein wirklicher Proteststurm erfolgen, so wird er aus der Mitte des Volkes kommen müssen. Dass die Regierung diese Gefahr sieht, beweist die mit Blick auf die nur 2000 Demonstranten unverhältnismäßig hohe Zahl an Angehörigen der Sicherheitskräfte, die bereits im Vorfeld der Demonstration in Algier zusammengezogen wurden.