Länderberichte
Palastnahe Partei für Authentizität und Modernität (PAM) vorne, aber Frauen siegen
Nach Verkündung der offiziellen Wahlergebnisse erhielt die Partei für Authentizität und Modernität (PAM) des ehemaligen stellvertretenden Innenministers und Königsfreund Fouad Ali El Himma bei den Kommunalwahlen 2009 in Marokko 21,7% der insgesamt 27.795 Sitze. Auf Platz zwei steht die konservative Partei für Unabhängigkeit (PI) des derzeitigen Premierministers Abbas El Fassi mit 19,1% der Mandate, gefolgt von der Nationalen Versammlung der Unabhängigen RNI (14,8%), der sozialistischen Partei (USFP) (11,6%), der Volksbewegung (MP) (8%) und der gemäßigt islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) (5,5%). Somit lässt die Partei für Authentizität und Modernität (PAM), die erst einige Monate vor den Wahlen gegründet wurde, die bereits seit Jahrzehnten fest im politischen System Marokkos verankerten traditionellen Parteien deutlich hinter sich. Insgesamt entfielen auf die ersten acht Parteien 90% der Mandate; die restlichen 10% der Sitze teilen sich die 22 weiteren Parteien.
Als tatsächliche Siegerinnen der Wahlen sind aber parteiübergreifend die Frauen zu nennen. Insgesamt standen 20.458 Frauen zur Wahl, von denen 3.406 ein Mandat erhielten. Die Hälfte von ihnen ist jünger als 35 Jahre und über 70% haben einen Hochschulabschluss. Insgesamt entspricht dies einer Frauenquote von 12,3% und ist um ein Vielfaches höher als bei den Kommunalwahlen 2003, als gerade einmal 127 Frauen in die Kommunalvertretungen einzogen.
Wahlbeteiligung zufriedenstellend, aber Vorwürfe des Stimmenkaufs
Für die Wahlbeteiligung nennen die Behörden einen offiziellen Wert von 52,4%. Dies ist etwas weniger als bei den letzten Kommunalwahlen 2003 (54%) und deutlich weniger als 1997 (75,14%), 1992 (62,75%) und 1983 (71,94%). Trotzdem sprechen zahlreiche marokkanische Zeitungen von einem Erfolg und einem Bekenntnis der Marokkaner zur Demokratie, hatte man doch nach den Parlamentswahlen 2007 mit einer Wahlbeteiligung von 37% befürchtet, dass noch weniger Bürger an die Urne gehen. Allerdings sind in der offiziellen Wahlbeteiligung auch die ungültigen Stimmzettel enthalten, was in Marokko ein Mittel zum Ausdruck politischen Unmuts ist. Insgesamt wurden über 770.000 ungültige Stimmen gezählt, was etwa 11% entspricht und wodurch die tatsächliche Wahlbeteiligung auf ca. 40% sinkt. Zu erwähnen ist auch, dass die Wahlbeteiligung von einer Region zur anderen sehr stark variiert: So haben im Großraum Casablanca gerade einmal 29% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, wohingegen im Süden des Landes, d.h. in den Provinzen der Westsahara, eine Wahlbeteiligung von stellenweise knapp 70% erreicht wurde, was viele Marokkaner als klares Bekenntnis der Bewohner der politisch umstrittenen Westsahara zum Königreich Marokko interpretieren.
Von internationalen Wahlbeobachtern wurden die Wahlen durchweg als fair und frei bewertet. So ist beispielsweise im Bericht der amerikanischen International Strategic Studies Association (ISSA) von guter Planung, Professionalität, einem hohen Maß an Transparenz, sowie großem Verantwortungsbewusstsein seitens der offiziellen und freiwilligen Wahlhelfer zu lesen. Allerdings wurde in zahlreichen marokkanischen Medien beklagt, dass abermals Wähler „gekauft“ worden seien. Zweifellos ist es aus demokratischer Sicht ein Paradoxon, dass eine erst wenige Monate existierende Partei ein solch hohes Wahlergebnis einfahren kann. Dies hat die Partei für Authentizität und Modernität (PAM) erreicht durch weitreichende (unrealistische) Versprechungen im Vorfeld der Wahlen, eine groß angelegte Wahlkampagne, aber auch durch das gezielte Anwerben von Wählern. Die französischsprachige marokkanische Tageszeitung Libération meldet aus Tafraoute im Antiatlas, dass Wahlkandidaten und Parteihelfer am Tag der Wahl gezielt durch die Straßen fuhren, um potenzielle Wähler vor dem Gang zur Urne abzufangen. Je nachdem wurden 100-400 marokkanische Dirhams (umgerechnet 9-36 Euro) pro Stimme gezahlt, Abholservice zu Hause und Fahrt in die meist weit entfernten Wahllokale inklusive. Die örtlichen Behörden seien hierbei durch eine ausgesprochen „negative Neutralität“ aufgefallen, Beschwerden wurden meist gleichgültig entgegen genommen und die Aussicht, dies gegebenenfalls vor Gericht zu bringen, besteht so gut wie nicht.
Trotzdem bleibt Marokko im Vergleich zu anderen Staaten der Region ein Leuchtturm politischer Freiheiten, und die Kommunalwahlen sind ein wesentlicher Bestandteil des eingeleiteten Dezentralisierungsprozess zur Stärkung lokaler und regionaler Entscheidungsträger. Man vergleiche dies nur mit der Situation nach den Präsidentschaftswahlen im Iran, dessen Führung die europäischen Staaten Wahlbetrug im großen Stil vorwerfen. Allerdings bleibt Marokkos Weg der Demokratisierung weiterhin beschwerlich, denn viele Marokkaner haben den Glauben in die Politik verloren und sehen keinen Sinn darin, in einer Monarchie, in der der König nahezu absolutistische Macht genießt, politische Repräsentanten zu wählen. Insofern sind auch die hohe Anzahl der Nichtwähler gerade in den Städten sowie viele Botschaften auf den falsch ausgefüllten Wahlzettel nachvollziehbar. Laut der französischsprachigen marokkanischen Tageszeitung Le Soir waren hier u.a. „Vive Hassan II.“, „Dieu, la Patrie, le Roi“ sowie zahlreiche Liebeserklärungen und Drohungen zu finden.
Wahlen der kommunalen Exekutive
Wichtiger noch als der Urnengang selbst waren die im Nachgang stattfindenden Wahlen der kommunalen Exekutive.
In Rabat konnte sich Fathallah Oualalou von der sozialistischen Partei (USFP) gegen seinen Vorgänger Omar Bahraoui von der Volksbewegung (MP) durchsetzen. Das Zustandekommen einer Koalition zwischen der sozialistischen Partei (USFP) und der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), das die Wahl Oualalous erst möglich machte, da die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) ihren Kandidaten zurückzog, erklärt sich nicht aus ideologischen Schnittmengen, sondern aus der Tatsache, dass beide die Partei für Authentizität und Modernität (PAM) als ihren gemeinsamen politischen Feind ansehen. Nach dem schlechten Ergebnis der Sozialisten bei den Kommunalwahlen können sie somit zumindest das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt besetzen.
In Tanger hingegen wurde der Kandidat der Partei für Authentizität und Entwicklung (PAM) Samir Abdelmonda mit 40 von 63 Stimmen ins Amt gewählt, in Casablanca ist sie immerhin Teil der Koalition zusammen mit der Konstitutionellen Union (UC), der Unabhängigkeitspartei (PI), der Volksbewegung (MP) und der Nationalen Versammlung der Unabhängigen (RNI). Der Bürgermeister Mohamed Sajid wird von der Konstitutionellen Union (UC) gestellt.
In Marrakesch konnte ebenfalls die Kandidatin der Partei für Authentizität und Modernität (PAM) gewinnen. Mit Fatima Zahra Mansouri, einer 33-jährigen Anwältin, stellt erst zum zweiten Mal in der Geschichte Marokkos eine Frau das Amt der Bürgermeisterin. Sie gewann mit 54 Stimmen gegenüber dem Vorgänger Omar Jazouli von der Konstitutionellen Union (UC), der 35 Stimmen erhielt. Zuvor gelang dies nur Asmaa Chaâbi, die von 2003 bis 2009 Bürgermeisterin von Essaouira war.