Fachkonferenz
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Anlässlich des Besuchs des KAS-Vorsitzenden Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP und des stellvertretenden Generalsekretär der KAS, Dr. Gerhard Wahlers, in Marokko fand am 18. und 19. Juni 2012 unter der Schirmherrschaft S.M. König Mohammed VI. ein hochkarätig besetztes internationales Fachkolloquium zu den europäisch-marokkanischen Beziehungen statt. Das zweitägige Fachkolloquium wurde veranstaltet vom Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Marokko in Partnerschaft mit der Association Ribat Al Fath.
Parallel zum zweitägigen Fachkolloquium traf die deutsche Delegation unter der Leitung von Hans-Gert Pöttering MdEP sich mit verschiedenen marokkanischen Gesprächspartnern darunter Nizar Baraka (marokkanischer Wirtschafts- und Finanzminister), Abbas Al Fassi (Generalsekretär der Istiqlal-Partei), Karim Ghellab (Präsident der Repräsentantenkammer des marokkanischen Parlaments), Abdelwahed Radi (Vorsitzender der USFP-Partei und Parlamentspräsident a.D.) sowie Hassan Aourid (Berater und Schulfreund des Königs Mohammed VI. und Leiter des Centre Tariq Ibn Zyad).
Das 8. Internationale Fachkolloquium trug den Titel „Die EU-Marokko-Beziehungen im Lichte der Transitionsprozesse in der arabischen Welt“.
Nach einleitenden Worten von Abdelkrim Bennani (Vorsitzender der Association Ribat Al-Fath und Direktor des Königlichen Hofes), Danksagungen von Helmut Reifeld (Leiter des KAS-Auslandsbüros in Marokko) sowie einer kurzen Vorstellung des politischen Stiftungswesens durch Sabine Bloch (Chargée d’affaires der Deutschen Botschaft in Rabat), hielt Herr Pöttering MdEP eine Rede zum Status Quo der europäisch-marokkanischen Beziehungen.
Der ehemalige Vorsitzende des Europäischen Parlaments verwies zunächst auf die Bedeutung der Europäischen Union als Wertegemeinschaft. Er betonte das gemeinsame Wertefundament des christlich geprägten Europas und des islamisch geprägten Marokkos (Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Frieden und Solidarität) und forderte dazu auf, die erreichten Errungenschaften im Bereich der Demokratisierung, Modernisierung und Stärkung der Zivilgesellschaft nachhaltig zu etablieren. Die künftige Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Marokko müsse auf dem Grundsatz der Toleranz sowie auf der Grundlage wertebasierter, gemeinsamer Interessen, etwa der sozialen Marktwirtschaft, beruhen. Klare Worte fand der dienstälteste EU-Parlamentarier für die Herausforderungen der marokkanischen Politik in den Bereichen Rechtstaatlichkeit und Religion. Er führte aus, dass in Marokko wie in Europa das Recht die Macht haben müsse, und nicht die Macht das Recht darstellen dürfe. Zudem könne es in Marokko nur eine Politik aus muslimischer Verantwortung geben, keinesfalls eine Politik des Korans. Hans-Gert Pöttering zeigte sich von der pluralistischen Parteienlandschaft in Marokko beeindruckt und lobte die Vorbildfunktion, welche das arabische Land hinsichtlich der wirtschaftlichen Annäherung an die Europäische Union (vgl. Handelsabkommen und Verhandlungen zu erweitertem Status) ausübe. Der KAS-Vorsitzende äußerste den Wunsch nach einer Wiederbelebung der Mittelmeerunion sowie der Identifizierung konkreter Projekte, um den Mittelmeerraum zu einer Region des Friedens und der Stabilität werden zu lassen. Mit einem Zitat von König Hassan II, der Marokko mit einem Baum vergleicht, dessen Wurzeln in Afrika liegen aber dessen Baumkrone nach Europa reicht, schloss Pöttering seine Rede.
Zweiter Ehrengast des Abends war Youssef Amrani, vom König ernannter Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Internationale Kooperation. Amrani akzentuierte die Sonderrolle Marokkos innerhalb der arabischen Welt und sprach sich für eine erweiterte Zusammenarbeit zwischen dem Königreich und der Europäischen Union aus. Er identifizierte vier Bereiche, in denen die Kooperation forciert und Synergien besser genutzt werden sollten: Sicherheit, zivilgesellschaftlicher Austausch, Wirtschaft und Wertekonsens. Auch Amrani benannte die Mittelmeerunion als Katalysator für die politische und sozioökonomische Weiterentwicklung des Mittelmeerraumes. Zudem betonte er die Wiederbelebung der Maghrebunion als wichtiges Instrument für mehr Sicherheit und Stabilität in Nordafrika. Von der Europäischen Union erwartet sich Amrani eine Erneuerung der Europäischen Nachbarschaftspolitik, welche den Umbrüchen in der arabischen Welt stärker als bisher Rechnung trägt. Europa müsse seine Verantwortung in Nordafrika wahrnehmen. Er beendete seine Rede mit der Bemerkung, dass Marokko und die EU erkennen sollten, dass sie miteinander einen Mehrwert erzielen können, der ohne Kooperation zum Nachteil aller Bürgerinnen und Bürger verschenkt werden würde.
Die Überraschung des Abends war die unerwartete Konferenzteilnahme des marokkanischen Regierungschefs und Generalsekretärs der PJD (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung), Abdelilah Benkirane, der mit einem spontanen Redebeitrag begeisterte und das Engagement der KAS lobte. Der im November 2011 von König Mohammed VI. ernannte gemäßigt-islamistische Regierungschef unterstrich die Unterschiedlichkeit der arabischen Länder und die stetige Fortentwicklung Marokkos auf politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene. Das Königreich dürfe nicht durch zu hohe Forderungen und das Insistieren auf schnellen Erfolgen überfordert und vor den Kopf gestoßen werden. Vielmehr sollte der anhaltende Fortschritt gewürdigt und damit die Motivation der Bürgerinnen und Bürger, ein modernes, demokratisches, rechtstaatliches Marokko mit religiösen und kulturellen Traditionen zu schaffen, weiter gestärkt werden. Die letzten Parlamentswahlen vom November 2011 seien ein Beweis für ein offenes, transparentes, werteorientiertes Marokko, dass sich Demokratie und Rechtstaatlichkeit als zentralen Prinzipien des Regierens verschrieben habe.
Am zweiten Konferenztag sprachen Eneko Landaburu (EU-Botschafter in Marokko), Tawfik Mouline (Generaldirektor des Königlichen Instituts für Strategische Studien, IRES) sowie Rachid El Houdaigui (Univ.-Professor, Universität Tanger).
Eneko Landaburu würdigte Marokkos Einzigartigkeit in der arabischen Welt, indem er auf die demokratische Lebenswirklichkeit, den Parteienpluralismus sowie die Reformen im Bereich der sozialen Marktwirtschaft verwies. Die Europäische Union müsse gegenüber Marokko im Speziellen sowie gegenüber der arabischen Welt im Allgemeinen einen neuen strategischen Ansatz verfolgen, um die Weiterentwicklung der Maghrebregion aktiv zu begleiten. Eine klare Positionierung der EU-Mitglieder sowie eine substanzielle Unterstützung der Länder des Arabischen Frühlings sei vor allem in folgenden vier Bereichen von großer Bedeutung: zivilgesellschaftliches Engagement und partizipative Demokratie, Regionalisierung, Wirtschaftswachstum und Schaffung integrierter Märkte, Umgang mit illegaler und legaler Migration nach Europa. Trotz der anhaltenden Finanzkrise dürfe die Europäische Union ihr Engagement in Afrika nicht verringern, sondern müsse im Bereich der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (EASP) verstärkt mit Partnern im Maghreb zusammenarbeiten, um Terrorismus und Schmuggel, etwa in der Sahelzone, zu bekämpfen. Zudem könne die EU hinsichtlich der regionalen Integration arabischer Staaten deutlich mehr Expertise einbringen als bisher. So sei etwa eine dauerhafte Präsenz der EU in einer wiederbelebten Maghrebunion, einer kohärenteren Arabischen Liga sowie einer konkret ausgestalteten Union des Banques Maghrébines (UBM)denkbar.
Tawfik Mouline (IRES) betonte in seinem sehr ausführlichen und mit zahlreichen Schaubildern illustrierten Vortrag zur Regionalentwicklung in Nordafrika besonders die ökonomische Komponente der europäisch-marokkanischen Zusammenarbeit. Er warnte vor einem zu starken Rückgang europäischer Investitionen und Wirtschaftstätigkeiten in der MENA-Region (Naher Osten und Nordafrika) im Zuge der Umbrüche in der arabischen Welt. Sowohl im Reise-, Bekleidungs- und Nahrungsmittelsektor seien Einbrüche in der wirtschaftlichen Kooperation zu verzeichnen. Die Europäische Union müsse einer Schwächung der Wirtschaftsleistung der arabischen Staaten durch eine Aufrechterhaltung der ökonomischen Kooperation entgegentreten. Dies sei im europäischen Interesse, da gezielt bestehende Probleme wie Arbeitslosigkeit und Korruption, soziale Ungleichheit und geschlossene Märkte adressiert werden, die sich auf eine künftige Partnerschaft – etwa im Energiebereich – negativ auswirken könnten.
Rachid El Houdaigui, Professor der Universität Tanger, verwies in seinen wissenschaftlichen Ausführungen zur europäisch-marokkanischen Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik auf das erfolgreiche Voranschreiben der bilateralen Kooperation zwischen Marokko und der EU. Gleichzeitig merkte er Mängel in der multilateralen Zusammenarbeit mit den Staaten des Maghreb an. Die Europäische Union brauche eine neue Strategie, um regionale Integration und damit Sicherheit und Stabilität in Nordafrika zu fördern. Sie könne dazu beitragen, den Dialog in der Maghrebregion wiederzubeleben und einen Kompromiss hinsichtlich strategischer Interessen zu finden. Houdaigui identifizierte verschiedene Felder der Zusammenarbeit, welche sich durch ein gemeinsames Interesse vonseiten der Europäischen Union und der Maghrebstaaten auszeichneten und damit für eine gemeinsam gestaltete Außenpolitik fruchtbar seien, etwa Krisenprävention und Krisenbekämpfung in der Sahelzone, maritime Sicherheit (vgl. Schmuggel und illegale Migration), und legale Migration (vgl. Visa-Erleichterungen für Dozenten und Studierende).
Ein ausführlicher Bericht (auf Französisch) zum 8. Internationalen Fachkolloquium steht als Download zur Verfügung.