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Neuer Stellvertreter Zumas ist der Geschäftsmann und frühere Gewerkschaftsführer Cyril Ramaphosa. Der Parteitag ist begleitet von Gerichtsverfahren, einer Bombendrohung und Gerüchten über eine bevorstehende Spaltung des ANC. Die Wahlergebnisse des Top-Personals der Partei lassen den Schluss zu, dass es tatsächlich zu dieser Spaltung kommen könnte.
Im Jahr seines hundertsten Geburtstages ist der African National Congress (ANC) an seine Geburtsstätte zurückgekehrt: Der 53. Parteitag fand unweit von Bloemfontein in Mangaung statt, wo die Partei am 8. Januar 1912 gegründet wurde. Die Eröffnung der Konferenz wurde auf den südafrikanischen Versöhnungstag gelegt, einem Feiertag, der seit dem Ende der Apartheid an die nationale Einheit erinnert. Reichlich Symbolik also für einen Parteitag, den viele Beobachter im Vorfeld als wegweisend für den ANC bezeichnet hatten. 18 Jahre nach den ersten freien Wahlen in Südafrika ist die Partei von Nelson Mandela zwar immer noch relativ unangefochten in Regierungsverantwortung, doch die Bilanz gibt Anlass zur Besorgnis: Die wirtschaftliche Situation der schwarzen Bevölkerung ändert sich - abgesehen von einer kleinen superreichen Elite – nur sehr langsam, Infrastruktur und volkswirtschaftliche Daten befinden sich im Abschwung, zudem häufen sich Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder der Regierung. In der Bevölkerung ist Zuma deswegen umstritten, und auch innerhalb der Partei gibt es Befürchtungen, dass seine erneute Nominierung als Präsidentschaftskandidat für die nationalen Wahlen 2014 zu deutlichen Stimmverlusten führen könnte.
Zuma vs. Motlanthe – ein unerwarteter Showdown
Wie groß die Fraktion der Bedenkenträger ist, lässt sich nach den Wahlen auf dem Parteitag ziemlich genau sagen. Etwa ein Viertel der rund 4.000 Delegierten versagten nicht nur Jacob Zuma, sondern dem gesamten Führungsgremium der Partei ihre Stimme. Dabei hatte insbesondere die Wahl des Parteichefs an Dramatik gewonnen, nachdem der bisherige Stellvertreter Kgalema Motlanthe kurz vor der Eröffnung des Parteitages bekannt gegeben hatte, dass er nicht mehr für die Wahl des Stellvertreters, sondern nur als Parteichef zur Verfügung stehen würde. Damit kam es zum direkten Showdown zwischen ihm und Zuma. Dass Ergebnis blieb allerdings frei von Überraschungen. Amtsinhaber Zuma, der sich in großen Teilen der Parteibasis weiterhin hoher Beliebtheitswerte erfreut, erreichte eine Zustimmung von 75 Prozent. Eine Enttäuschung für die „Kräfte des Wandels“, eine Gruppe von Delegierten, die die Partei mit neuem Personal neu aufstellen wollten.
Nach Motlanthes „politischem Selbstmord“ – so titelte der südafrikanische Mail & Guardian – erlitten diese Kräfte dagegen eine vollständige Niederlage, setzten sich doch auch in den übrigen fünf Wahlen um die einflussreichsten Parteiposten Zumas Vertraute durch. Ein spektakuläres politisches Comeback feierte dabei Cyril Ramaphosa. Dieser hatte nach dem Ende der Apartheid eine wichtige Rolle beim Umbruch gespielt, war ab 1991 Generalsekretär des ANC und 1994 zudem Vorsitzender der Verfassungsversammlung, die eine neue Verfassung für die Post-Apartheid-Ära erarbeitete. 1997 ließ er dann alle politischen Ämter ruhen, um sich auf seine berufliche Karriere zu konzentrie-ren. Als Vorstandsvorsitzender der Investment-Beratung Shanduka Group und Direktor des Minenbetreibers Lonmin hat es der ehemalige Gewerkschaftsführer inzwischen zum mehrfachen Millionär gebracht. Als neuer stellvertretender Parteiführer ist er nun die einzige Alternative zu Jacob Zuma, wenn es um die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten für die nationalen Wahlen 2014 geht.
Der 60-jährige Ramphosa kam bei seiner Wahl auf rund 75 Prozent der Stimmen, genauso wie der alte und neue Generalsekretär Gwede Mantashe, die alte und neue Vorsitzende des Parteivorstands, Baleka Mbete, und der neue Schatzmeister Zweli Mkhize, der auf Mathews Phosa folgt. Ohne Gegenkandidat wurde Jessie Duarte zur neuen stellvertretenden Generalsekretärin gewählt. Die gleichmäßige Stimmverteilung bei den „Top 6“-Wahlen zeigt, wie gespalten der ANC trotz aller Einigkeitsbekundungen auf dem Parteitag tatsächlich ist. Dem Lager der leidenschaftlichen Zuma-Anhänger steht ein kleineres, aber ebenso leidenschaftliches Lager von Zuma-Gegnern gegenüber.
Zuma benennt innerparteiliche Probleme
Der alte und neue Parteichef weiß um dieses Problem. Zwar gab er sich in seiner 90-minütigen Eröffnungsrede, die von zahlreichen Fernsehsendern und Radiostationen live übertragen wurde, zunächst selbstbewusst. Er berichtete von der Verdopplung der ANC-Mitglieder seit dem letzten Parteitag vor fünf Jahren auf insgesamt 1,2 Millionen Menschen. Zugleich, so sagte er, bewahre der ANC die südafrikanische Demokratie und sei auch weiterhin die einzige Hoffnung für die Armen und Benachteiligten im Land. Dann aber mahnte er die Partei zur Einigkeit und zählte dabei zahlreiche Missstände auf. Unter anderem sprach er über den Kauf von Delegiertenstimmen, gegenseitige Schmutzkampagnen in den Medien, zahlreiche innerparteiliche Gerichtsverfahren und sogar die Ausübung von Waffengewalt innerhalb einzelner Zweige des ANC. Dabei bezog er sich nicht zuletzt auf seine Heimatprovinz KwaZulu-Natal, wo im Vorfeld des Parteitages zwei lokale ANC-Vorsitzende ermordet wurden. Noch während des Parteitages entschied das Verfassungsgericht über die rechtmäßige Zusammensetzung der Delegation aus der Provinz Free State, nachdem sich einige Parteimitglieder von dort mit Klagen Zugang zum Parteitag verschaffen wollten.
Für zusätzliche Unruhe sorgte am ersten Tag der Konferenz die Festnahme von vier weißen Rechtsextremisten in drei verschiedenen Provinzen, die offensichtlich ein Bombenattentat auf den Parteitag geplant hatten. Die Ermittlungen gegen die Männer hatten bereits mehrere Wochen angedauert und waren sowohl von der Spezialeinheit für organisiertes Verbrechen als auch durch den Geheimdienst der südafrikanischen Polizei geführt worden. Mindestens zwei der vier Verdächtigen sollen demnach Mitglieder der Federale Vryheids Party (FVP) sein, die sich für mehr föderale Unabhängigkeit der Buren innerhalb Südafrikas einsetzt. Den Männern droht nun eine Anklage wegen Hochverrats.
Ein bisschen Einigkeit
Direkt nach den „Top 6“-Wahlen gaben sich führende Anhänger aus den Lagern Zumas und Motlanthes größte Mühe, Einigkeit zu demonstrieren. Der wiedergewählte Parteichef selbst sagte in seiner Dankesrede: „Wichtiger als wir alle ist der ANC. Nun, da der ANC gewählt hat, müssen wir darauf achten, wie wir miteinander umgehen. Ich möchte nicht, dass sich Kameraden nach diesen Wahlen als Außenseiter in unserer Organisation fühlen.“
In einem überraschenden und nicht dem Protokoll entsprechenden Schritt durfte auch der unterlegene Motlanthe zu den Delegierten sprechen, um sich nach 15 Jahren in der Parteispitze angemessen zu verabschieden. Unter lautem Applaus sagte er, dass er für diese Zeit sehr dankbar sei. „Ich wünsche euch die Kraft und die Weisheit, um die Einigung des ANC und seiner Untergruppierungen voranzutreiben und so die Einigkeit Südafrikas voranzubringen“, rief er den Delegierten zu.
Gleichzeitig äußerten mehrere Partei-Insider die Vermutung, dass diese Einigkeits-Schwüre von eher kurzer Dauer sein würden. „Es wird das passieren, was bisher nach jedem Parteitag passiert ist: ein personeller Reinigungsprozess“, sagte ein nicht namentlich genannter Zuma-Anhänger dem Mail & Guardian. Aus dem Umfeld des Präsidenten sei zu vernehmen, dass er nach Motlanthes Parteikarriere auch möglichst schnell dessen politische Karriere beenden wolle, berichtet die Zeitung weiter. Noch fungiert Motlanthe als südafrikanischer Vizepräsident.
Streiks der Minenarbeiter und Farmer
Dabei liegen nicht nur innerparteilich, sondern auch innenpolitisch einige schwierige Monate hinter dem ANC. Noch immer werden nahezu wöchentlich neue Details zu dem Zwischenfall an der Platinmine in Marikana veröffentlicht, bei dem Mitte August 34 streikende Minenarbeiter ihr Leben durch Polizeikugeln verloren haben. Hatte die Polizei die Schüsse in die Menge zunächst noch mit Selbstverteidigung gegen die bewaffneten Streikenden verteidigt, so bringt die inzwischen eingesetzte Untersuchungskommission immer neue erschreckende Details ans Licht. Einige der Toten weisen Einschusswunden am Rücken auf, sind also auf der Flucht erschossen worden. Zudem hat die Polizei offensichtlich Beweise gefälscht und im Nachhinein Macheten und ähnliche Waffen neben die Toten gelegt.
Der Vorgang, der in Südafrika dunkle Erinnerungen an das Massaker von Sharpeville weckte, hatte bisher noch keine personellen Konsequenzen. Präsident Zuma will den Abschlussbericht der Untersuchungskommission abwarten, ehe er weitere Schritte unternimmt. Doch schon jetzt steht Polizeipräsidentin Mangwashi Phiyega unter schwerer Kritik. Zuma hatte sie zwei Monate vor dem Zwischenfall als Nachfolgerin des korrupten Bheki Cele ins Amt gehoben, obwohl sie zuvor noch nie im Polizeisektor beschäftigt war. Für die Opposition ein weiterer Beweis dafür, dass gute Kontakte im Zweifelsfall wichtiger sind als Kompetenz, um im ANC-regierten Südafrika eine verantwortungsvolle Regierungsposition zu bekommen.
Neben den politischen sind auch die wirtschaftlichen Folgen von Marikana bisher kaum abzuschätzen. Dem britischen Minenbetreiber Lonmin sind durch den wilden Streik Kosten in Höhe von über 400 Millio-nen Euro entstanden. Zugleich wird das Land seit August immer wieder von gewalttätigen Streiks gelähmt, nach Marikana zunächst in weiteren Platinminen, dann in Gold- und Kohlebergwerken. Im November folgte dann auch eine Streikwelle in der Landwirtschaft, bei der die Streikenden in manchen Gegenden erhebliche Teile der Ernte verbrannten. Sowohl Bergbau als auch Landwirtschaft sind Schlüsselindustrien für Südafrika. Präsident Zuma wird in diesem Zusammenhang immer wieder schlechtes Krisenmanagement und zögerliches Handeln vorgeworfen. Ausländische Investoren ziehen sich teilweise zurück, die südafrikanischen Ratingnoten verschlechtern sich. Nach Einschätzung der Rating-Agentur Moody’s hat die südafrikanische Regierung „geminderte Fähigkeiten“, die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern.
Parallel zu den Streiks gibt es ein weiteres Thema, das die Schlagzeilen in Südafrika seit Wochen beherrscht: Der Ausbau von Zumas privater Wohnanlage in Nkandla – und auch hierbei handelt es sich nicht um positive Meldungen für den Präsidenten. Für den südafrikanischen Steuerzahler schlägt der Umbau mit rund 25 Millionen Euro zu Buche, hinzu kommen über 50 Millionen Euro für die Erneuerung von Straßen rund um Zumas Heimatgemeinde. Demgegenüber stehen laut offiziellen Vorschriften rund 10.000 Euro, die in die Sicherheit der Präsidentenwohnung investiert werden dürfen. Die Opposition hat das Schlagwort Nkandlagate geprägt, der Mail & Guardian schreibt über Nkandla Palace. Nach Umfragen schadet der Vorgang vor allem Zumas Ansehen bei jungen Wählern, während sich die ANC-Delegierten in Mangaung davon offensichtlich nicht irritieren ließen.
Kommt die Spaltung?
Es wird spannend bleiben, die Entwicklung der Partei in den kommenden Monaten zu verfolgen. Bei den letzten Umfragen vor dem Parteitag zeigten sich nur 52 Prozent der Südafrikaner zufrieden mit der Arbeit ihres Präsidenten. Demgegenüber liegt die Zufriedenheit mit Vize Motlanthe bei 70 Prozent. „Wenn alle Südafrikaner in Mangaung gewählt hätten, wäre Motlanthe der neue ANC-Chef“, ist sich Neil Higgs vom Umfrageinstitut TNS sicher.
Bei den letzten nationalen Wahlen im Jahr 2009 konnte der ANC noch 65,9 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen, zuletzt kassierte die Partei bei lokalen Wahlen in Zumas Heimatprovinz KwaZulu-Natal jedoch eine unerwartete Niederlage gegen die Inkartha Freedom Party. Mit Blick auf die nationalen Wahlen 2014 zweifelt trotz der erstarkten Opposition unter der Führung der Democratic Alliance kaum jemand daran, dass der ANC aus der Regierungsverantwortung gedrängt werden kann. Viele Beobachter erwarten jedoch, dass ein Spitzenkandidat Zuma zu deutlichen Stimmverlusten im Vergleich zu 2009 beitragen könnte.
So bleibt es abzuwarten, wie ernst es das Lager von Kgalema Motlanthe mit der Erneuerung der südafrikanischen Politik nach Mangaung meint. Auf dem Papier gehen die „Kräfte des Wandels“ deutlich geschwächt aus dem Parteitag hervor, so dass innerparteiliche Veränderungen kaum zu erwarten sind. Bliebe die Abspaltung. Ob diese aber wirklich kommt, wird sich wohl erst im Frühjahr 2013 herausstellen. Spätestens dann müsste sich eine neue Partei gründen, um im Hinblick auf die nationalen Wahlen 2014 wettbewerbsfähig zu sein.