Serbien:
Wirtschaftskonflikt oder politische Einflussnahme vor den Wahlen?
Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen den zwei Telekommunikationsunternehmen Telekom Serbien und United Group, die wiederum eigene Kabelunternehmen wie auch die Mediengruppe „United Media“ betreibt, dominiert seit Tagen die Schlagzeilen in Serbien. Die Kabelanbieter der Marke „Supernova“, die zur Telekom gehören, verlängerten den Vertrag zur Durchleitung der „United Media“-Sender nicht. Deshalb können seit Januar dieses Jahres rund 200 000 Haushalte insgesamt 17 Sender nicht mehr empfangen. Da unter diesen Sendern auch der unabhängige Fernsehsender N1 ist, wird dies als Eingriff in die Medienfreiheit kritisiert. Die Muttergesellschaft von N1, die „United Group“, teilte mit: „Die gescheiterten Verhandlungen mit Telekom sorgen für mehr Dunkelheit in den Medien.“ Die Telekom Serbien dagegen verteidigte sich und begründete das Scheitern mit wirtschaftlichen Argumenten. Die finanziellen Forderungen der United Group, damit die Telekom die Sender in ihren Netzen übertragen darf, hätten deutlich über dem Marktpreis gelegen. Was folgte war ein öffentliches Hin und Her ohne Lösung des Konflikts – inklusive Äußerungen aus der Politik. Premierministerin Ana Brnabić sieht eine politische Kampagne des Senders N1. Die Gegenseite dagegen kritisierte, es handele sich um staatliche Einflussnahme, um unabhängige Stimmen vor den Parlamentswahlen zu reduzieren.
Wer sind die Akteure?
Für Außenstehende ist in der Tat schwer zu verstehen, welche Akteure in diesem Konflikt agieren und wie sie miteinander verbunden sind: Telekom, United Group, United Media, Supernova, SBB, N1. Letztendlich kann man alle Akteure zwei großen Gruppen zuordnen: der United Group und der Telekom Serbien.
Die United Group ist ein Medien- und Telekommunikationsunternehmen registriert in den Niederlanden; deren größter Investitionsanteil jedoch aus Großbritannien kommt. Ihr Gründer ist Dragan Šolak. Er startete das Unternehmen mit der Gründung des Kabelanbieters Serbian Broadband (SBB) und den Kauf zahlreicher anderer Anbieter in Serbien und der Region. SBB stieg schnell zum Marktführer auf. 2007 wurde das Unternehmen von einem Investmentfond aus London „Mid Europa-Partners“ zusammen mit anderen Anbietern (EBWE, Telemach Slowenien und Telemach BiH) gekauft. Kurz darauf wurden alle Kabelnetzbetreiber unter der „United Group“ zusammengefasst.[1] Die „United Group“ ist ein wichtiger Player im Telekommunikationsmarkt, da es Kabelbetreiber nicht nur in Serbien, sondern in der gesamten Region besitzt. Dieses Netz wird gerade weiter ausgebaut. Aktuell wird der Kauf von Vivacom in Bulgarien und von Tele2 in Kroatien finalisiert. Aber die United Group ist nicht nur Telekommunikationsunternehmen, sondern besitzt auch zahlreiche Medien in der gesamten Region. So ist auch die Medienholding „United Media“ Teil der Gruppe. Hierzu zählen wiederum einige beliebte Sportkanäle, wie auch der bereits oben genannte Nachrichtensender N1.
Der zweite Akteur ist die Telekom Serbien, dessen Mehrheitseigner der serbische Staat ist. Die Telekom Serbien geriet im vergangenen Jahr zunehmend in die Kritik, da das Unternehmen seine Marktpräsenz massiv ausbaute, indem es zahlreiche Kabelanbieter in Serbien aufkaufte. So übernahm man Ende 2018 die beiden großen Anbieter Kopernikus Technology und Radijus Vektor. Hinzu kamen zahlreiche kleinere Anbieter wie Avkom und Telemark. All diese Kabelbetreiber hat die Telekom später unter der Marke „Supernova“ zusammengefasst. Diese breite Akquisition geriet unter starke Kritik, da dies als Versuch gewertet wurde, den Telekommunikationsmarkt immer weiter zu konzentrieren und damit besser politisch kontrollieren und beeinflussen zu können. Die Telekom wies diese Anschuldigungen mit dem Argument zurück, man sei trotz der Zukäufe nicht Marktführer in Serbien.
Worum kämpfen die Akteure?
Der Konflikt kann in zwei Ebenen geteilt werden – auf der einen Seite wirtschaftliche Interessen, auf der anderen Seite politische. Doch um beide Ebenen vollständig verstehen zu können, muss man sich zunächst eine Übersicht über den Fernsehmarkt verschaffen.
Frei über Antenne (DVB-T2) und Satellit empfangbar sind der öffentlich-rechtliche Sender RTS und die privaten Sender Pink, Happy TV, O2 und Prva. All diese Kanäle gelten als regierungsnah. Unabhängige Sender können meist nicht frei empfangen werden. Wenn also Haushalte mehr Sender schauen möchten, müssen sie auf andere Übertragungswege zurückgreifen. Davon machen 1,92 Millionen Haushalte in Serbien Gebrauch und bezahlen dafür. Die meisten nutzen hierfür Kabelfernsehen (mehr als 60 Prozent), gefolgt von Internetfernsehen (IPTV) mit 25 Prozent und 12 Prozent bezahlten Satellitenempfang.[2] Diese Zahlen machen deutlich, dass der Kabelfernseh-Markt sehr bedeutend ist, denn 1,15 Millionen Haushalte nutzen Kabelfernsehen. Der größte Kabelnetzbetreiber ist die Serbian Broadband (SBB) der United Group. Sie dominiert fast die Hälfte des Marktes (49 Prozent). Ihr folgt das eigene Kabelnetz der Telekom Serbien mit 26 Prozent. Hier muss man jedoch noch die kleineren Kabelbetreiber der Supernova-Gruppe, die von der Telekom kontrolliert wird, hinzuzählen.
Der wirtschaftliche Aspekt des Konflikts: Die Telekom (bzw. konkret deren Tochter Supernova) muss durchaus ein Interesse an der United-Sendergruppe haben, weil deren Sportsender (Sport Klub) wiederum die lukrativen Fußball-Rechte an der englischen Premier League sowie der Euro- und der Weltmeisterschaft hat. Nachdem der Vertrag nun auslief, können die Supernova-Kunden diese Spiele nicht mehr schauen. Damit muss die Telekom befürchten, Kunden zu verlieren. Bisher jedoch – so die Aussage der Telekom – ist der Preis für die Übernahme der United-Sender zu hoch.
Der politische Aspekt ist – wie bereits oben beschrieben – der Nachrichtensender N1 im Paket der „United Media“, das die staatliche Telekom derzeit nicht mehr über ihre Kabelbetreiber überträgt. Und die Regierung dürfte – gerade vor den anstehenden Parlamentswahlen – kein großes Interesse daran haben, dass der Vertrag verlängert wird; trotz drohender wirtschaftlicher Einbußen für die Telekom.
Es ist eine öffentliche Auseinandersetzung, die sich alle Beteiligten hier liefern – und sie geht auf Kosten der Zuschauer, der Meinungspluralität und am Ende der Demokratie. Die Reihe der Vorwürfe, Angebote und Ablehnungen, die sich Telekom und United Group gegenseitig machen, ist lang und sorgt fast täglich für Schlagzeilen. Vor wenigen Tagen kam es sogar zu einem Cyber-Angriff auf die Server von N1, sodass deren Internetseite für Stunden nicht erreichbar war. Am 1. Februar demonstrierten Vertreter aus Medien, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bürger in Belgrad und forderten, dass der Streit beendet wird und N1 wieder über die staatlichen Kabelbetreiber empfangbar ist.
Montenegro / Bosnien und Herzegowina: Ähnliches Spiel wie in Serbien
Von einer vergleichbaren Situation sind auch die Menschen in Bosnien und Herzegowina wie auch in Montenegro betroffen. Seit Januar dieses Jahres können zahlreiche bosnische Haushalte den TV-Sender Nova BH nicht mehr empfangen. Zum Hintergrund: 2018 kaufte United Media die Sender Pink BH (in Bosnien) und Pink M (in Montenegro), die beide zur serbischen Mediengruppe Pink gehörten. Nach der Übernahme wurden diese jedoch in Nova BH und Nova M umbenannt. Schnell stiegen die Einschaltquoten für Nova BH, da es zahlreiche beliebte Entertainment-Programme und Sportveranstaltungen übertrug. Im Januar dieses Jahres allerdings nahmen zahlreiche Kabelanbieter, die teilweise zur Telekom Serbien gehören, den Sender aus ihrem Portfolio – mit der Begründung, der Preis für die Durchleitung sei zu hoch. Hier zeigt sich, dass Telekom Serbien und United Group ihren Konflikt auch im Nachbarland Bosnien austragen. Allerdings muss hinzugefügt werden: Nova BH ist nicht von den Kabelbetreibern abhängig, da es auch frei über Antenne empfangbar ist.
Ein ähnliches Bild bietet sich in Montenegro, wo der Konflikt zwischen den auch dort agierenden Unternehmen Telekom Serbien und United Media bereits im März vergangenen Jahres begann – zwischen den jeweiligen Tochterfirmen: dem Kabelbetreiber Mtel Montenegro (51 Prozent Telekom Serbien/49 Prozent Telekom Srpska in Bosnien) und dem TV-Sender Nova M. Beide konnten sich nicht auf einen Preis für die Durchleitung einigen und der Vertrag wurde nicht verlängert. Nova M sagt, man habe allen Kabelbetreibern den selben Preis angeboten, Mtel habe jedoch abgelehnt. Interessant daran ist, dass Mtel für den selben Preis den serbischen, regierungsnahen öffentlich-rechtlichen Sender RTS überträgt.
Bessere Regelungen, um Medienvielfalt zu garantieren
In allen drei Ländern wurden die nationalen Regulierungsagenturen gebeten, die Konflikte zu schlichten. Sie handelten jedoch nicht, da sie nicht die Befugnisse haben, sich in Preisverhandlungen einzumischen. Jede Mediengruppe kann für die Übertragung ihrer Sender im Kabelnetz einen Preis verlangen. Die Kabelbetreiber sind allerdings nicht gezwungen diesen anzunehmen oder die Sender zu übertragen.
In Deutschland bspw. werden Kabelbetreiber stärker in die Pflicht genommen. Bestimmte Sender wie die Öffentlich-rechtlichen und die wichtigsten Privatsender müssen verbreitet werden. Diese Sender gelten als Must-Carry-Programme und sind eine Maßnahme zur Sicherung der Programmvielfalt. Zudem sorgen die Landesmedienanstalten dafür, dass für alle Fernsehsender die gleichen wirtschaftlichen Zugangsbedingungen zu den Kabelanbietern gelten. Zudem bezahlen in Deutschland - anders als in Südosteuropa - die TV-Sender die Kabelbetreiber, damit diese ihr Programm durchleiten.
Gerade in Ländern, wo die Medienfreiheit in Gefahr ist, sind solche Konflikte zwischen Medien und Kabelanbietern gefährlich. Hier bräuchte es gesetzliche Regelungen, die die Programmvielfalt ähnlich wie in Deutschland sichern. Im Konflikt zwischen der United Group und der Telekom Serbien ist es wichtig, dass beide gewillt sind, eine Lösung im Sinne der Medienvielfalt zu finden. Bürger in der Demokratie müssen sich auch auf dem Fernsehmarkt eine unabhängige Meinung bilden können. Das KAS-Medienprogramm Südosteuropa unterstützt deshalb überall in der Region ein pluralistisches Mediensystem und setzt sich dafür ein, dass unabhängige Sender empfangbar sind. Unabhängiger Journalismus ist wichtig in einer Demokratie; Politik und Wirtschaft dürfen diesen nicht behindern.
[1] Seit März 2019 sind BC Partners aus Großbritannien der größte Investitionsgeber.
[2] Ratel (2019) Überblick über den elektronischen Kommunikationsmarkt in Serbien, https://www.ratel.rs/uploads/documents/empire_plugin/5ddbd6acc771c.pdf.
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