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Länderberichte

Mexiko-Ausblick 2023

Alte und neue Herausforderungen für die Demokratie

Eine für die mexikanische Demokratie bedenkliche Wahlreform, Korruptions- und Plagiatsskandale sowie Personalerneuerung innerhalb des Obersten Gerichtshofs, die weiter anhaltenden Angriffe gegen das Nationale Wahlinstitut und die letzten Landtagswahlen vor den Präsidentschaftswahlen 2024: Der Start ins neue Jahr ist reich an Ereignissen, die die Zukunft des Landes auf die eine oder andere Weise prägen werden. Unverändert bleibt auch in diesem Jahr eine sehr polarisierte Stimmung in der mexikanischen Gesellschaft und eine von starker Inflation und anhaltender Konjunkturschwäche geprägte wirtschaftliche Situation, die laut Prognosen nicht vor 2026 auf ein Prä-Pandemie-Niveau zurückkehren wird. Auch die innere Sicherheit bleibt gekennzeichnet von historisch hohen Mordraten, bedenklicher Präsenz der organisierten Kriminalität und einer immer stärker erkennbaren Militarisierung des Landes. Außenpolitisch stehen die Beziehungen zu den USA weiter im Mittelpunkt, im Süden des Kontinents hat Mexiko seine traditionelle Position der Nichteinmischung mindestens im Falle Perus aufgegeben und für erhebliche Irritationen gesorgt.

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Eine Wahlreform, die bedenklich stimmt

Das Nationale Wahlinstitut (INE) war auch im Jahr 2022 Gegenstand permanenter Kritik und Attacken des mexikanischen Staatspräsidenten Andres Manuel Lopez Obrador (AMLO).[1] Er argumentierte in den letzten Monaten wiederholt, dass das INE zu einer aufgeblähten, teuren Institution geworden sei, die von politischen Interessen durchdrungen sei. Die Ankündigung einer diesbezüglichen Verfassungsreform löste im November 2022 die größte öffentliche Gegenreaktion seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren aus. Bundesweit haben Berichten zufolge Hunderttausende Menschen in Mexiko-Stadt und zahlreichen Landeshauptstädten gegen die geplante Wahlreform unter dem Motto #ElINEnosetoca (auf Deutsch: Das INE wird nicht angetastet) demonstriert. Hiergegen konterte die Regierung wenige Tage später mit einer von der Regierung und MORENA-Gouverneuren organisierten Gegendemonstration (kritische Stimmen sprechen von einer orchestrierten Aktion, wie die zahlreichen dafür bereitgestellten Busse, finanziellen Anreize und Verpflegung aus öffentlichen Mitteln suggerieren). Nachdem dann der Versuch einer Verfassungsreform des geltenden Wahlrechts mit einer de facto Auflösung des INE noch an der geschlossenen Haltung der Opposition im Herbst 2022 gescheitert war, setzte die MORENA-Regierungsmehrheit auf Veranlassung des Präsidenten ihren sog. “Plan B“ um[2]:  Mitte Dezember verabschiedete die Abgeordnetenkammer im „fast track“-Verfahren mehrere sog. „sekundäre Gesetze“ mit einfacher Mehrheit, die erhebliche Auswirkungen auf zukünftige Wahlverfahren und vor allem auf das INE selbst haben werden. Wenn man bedenkt, dass das INE sowohl in Mexiko (immerhin bescheinigten in Umfragen 68 % der Mexikaner dem INE im November 2022 eine gute bis sehr gute Arbeit) wie auch im Ausland eine sehr hohe Reputation genießt, stimmt es mehr als bedenklich, dass die in diesen Gesetzen vorgesehenen erheblichen Mittelkürzungen und Beschneidungen der Kompetenzen[3] des INE und des Obersten Wahlgerichts Tribunal Electoral del Poder Judicial de la Nación (TEPJ) deren Fähigkeit, reibungslose, transparente nationale Wahlen im Jahr 2024 durchzuführen, stark beeinträchtigen würden[4]. Die gesetzliche Ratifizierung durch den Senat steht noch aus (auch dort verfügt MORENA allerdings über die notwendige einfache Mehrheit). Die Opposition hat bereits Verfassungsklage gegen mehrere Aspekte dieser Gesetze angekündigt.
Lorenzo Cordova, Präsident des INE bis April dieses Jahres[5], betonte zudem mehrmals, dass die Reform die Qualität der Wahlen drastisch reduzieren und damit die demokratische Regierungsführung des Landes gefährden und schwächen würde. Es wird geschätzt, dass die Reform zum Verlust von fast 85 % der Berufsbeamten der Agentur führen wird.

Im Bereich Rechtsstaat startete das Jahr 2023 mit einem regelrechten Paukenschlag. Turnusgemäß endete am 31.12.2022 die Amtszeit des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs (Suprema Corte de Justicia de la Nación – SCJN), Arturo Zaldívar, dem in der Vergangenheit immer wieder eine mangelnde Unabhängigkeit von der Regierung AMLO vorgeworfen wurden. Die 11 Richter und Richterinnen des Obersten Gerichtshofs wählen eigenständig unter ihren Mitgliedern den Vorsitz, die Debatte im Vorfeld war aber von handfesten Kontroversen gekennzeichnet. Nachdem AMLO öffentlich seine Präferenz für eine Kandidatin, Yasmín Esquivel, verkündet hatte, wurde diese des Plagiats ihrer juristischen Abschlussarbeit an der UNAM (Universidad Nacional Autonoma de México) beschuldigt, was eine Aberkennung ihres Berufsabschlusses als Juristin und damit ihrer Befähigung als Richterin tätig sein zu können, zur Folge haben würde. AMLO bemühte sich, die Angelegenheit herunterzuspielen (es sei „nur eine Jugendsünde“ die vor 40 Jahren passiert sei) und beschuldigte Journalisten, Akademiker und Oppositionelle, die Karriere von Yasmín Esquivel zerstören zu wollen. Die Frage steht weiter in der Schwebe, da die UNAM zwar mitteilte, dass erhebliche Übereinstimmungen zwischen der Abschlussarbeit von Frau Esquivel und einer anderen, zwei Jahre vorher erstellten Arbeit mit dem gleichen Titel (!) bestünden und damit ein Plagiat sehr wahrscheinlich sei, dementsprechende weitere Schritte und Konsequenzen aber vertagte.

Bei der Wahl am 2. Januar 2023 konnten sich aber weder Richterin Esquivel noch andere AMLO affine Richter durchsetzen. Erstmals wurde mit Richterin Norma Piña eine Frau zur Präsidentin des Obersten Gerichtshofs gewählt, die dort nun vier Jahre lang den Vorsitz führen wird. Bei ihren bisherigen gerichtlichen Entscheidungen im Obersten Gerichtshof zeichnete sie sich mehrfach durch Positionen aus, die konträr zu Ansinnen der AMLO-Regierung standen. AMLO kommentierte diese Entscheidung entsprechend zurückhaltend und äußerte Skepsis, ob mit dieser neuen Vorsitzenden die seiner Meinung nach notwenige umfassende Reform des gesamten Justizapparates umgesetzt werden könne. Neutrale Beobachter werteten die Wahl Norma Piñas zur Präsidentin des Obersten Gerichtshofs jedoch eher als krachende Niederlage des Präsidenten zu Beginn des Jahres 2023.

 

Eine schleppende wirtschaftliche Erholung

Das wirtschaftliche Wachstum des Landes war in den vergangenen Jahren mäßig und lag bei durchschnittlich 2 %. Zweieinhalb Jahre Pandemie hinterlassen jedoch im Bereich der Wirtschaft tiefgreifende Spuren. In nun mehr als der Halbzeit des sog. sexenio des Präsidenten, stehen die Versprechungen von Veränderungen der „Vierten Transformation (4T)“ in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Mexikos im Gegensatz zur Realität. Das Bruttoinlandsprodukts (BIP) schrumpfte um -3,7 %, und die mexikanische Inflation für das Jahr 2022 stieg um 7,82 %, was dem höchsten Anstieg der letzten 20 Jahre entspricht. Auch die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Mexikaner ist im Zuge der Pandemie zwischen 2018 und 2020 um weitere knapp vier Millionen Personen gestiegen, wie der eigene Sozialbericht der staatlichen Behörde CONEVAL zeigt[6]. Die Privatwirtschaft hat zudem in den letzten Jahren eindringlich vor den Folgen von Initiativen wie der Elektrizitätsreform und dem angekündigten Präsidialdekret rund um die „strategisch wichtigen“ öffentlichen Infrastrukturprojekte gewarnt, bei der die von der Regierung AMLO betreuten Prestige-Projekte zum nationalen Interesse erklärt werden und sich damit den sonst durchaus strengen Auflagen der Auftragsvergabe, Wettbewerb und Transparenz entziehen. Solche Maßnahmen bergen zunehmend Korruptionsverdacht, bringen hohe Unsicherheit und wirtschaftliche Risiken mit sich und entmutigen letztlich auch ausländische Investitionen in Mexiko, die das Land eigentlich dringend nötig hätte.

Zudem wird damit gerechnet, dass eine wirtschaftliche Erholung auf einem Prä-Pandemie-Niveau frühestens zwischen 2023-2026 zu erreichen sein wird, wobei auch hier erwartet wird, dass hohe Inflation, höhere Zinsen und geringeres Wachstum in den USA das Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 in Mexiko bremsen werden. In dem Zusammenhang sei allerdings erwähnt, dass zumindest im Bereich der internationalen Wirtschaft und insbesondere mit Blick auf das T-MEC-Abkommen die Nachfrage in den letzten Monaten langsam wieder anzieht und die mexikanische Wirtschaft sich allmählich erholt, nachdem zu Beginn der Pandemie ein starker Nachfrageeinbruch immense negative Folgen für den mexikanischen Absatz hatte. Auch der mexikanische Peso verzeichnet im internationalen Währungsvergleich eine bemerkenswerte Stabilität über das ganze Jahr 2022, was allerdings eher dem hohen Zinsniveau der mexikanischen Zentralbank BANXICO und dem erheblichen Zufluss an US-Devisen aus den Rücküberweisungen der Auslandsmexikaner (remesas)[7] und den Geldern des Drogenhandels resultiert.

Angetrieben von López Obradors Ziel, die Partizipation von Privatunternehmen im Energiesektor drastisch zu reduzieren, damit staatliche Unternehmen wie die Comisión Federal de Electricidad CFE ihr Monopol sichern können, untergräbt die Regierung die Bemühungen zum Ausbau erneuerbarer Energien und konzentriert die Zukunft des Landes auf fossile Brennstoffe. Fossile Energien und der staatliche Ölkonzern PEMEX stehen mittlerweile wieder fast ausschließlich im Mittelpunkt des Energieportfolios der Regierung, auch wenn vereinzelte Bundesstaaten (Yucatán, Guanajuato) weiterhin versuchen, eigene Akzente bei erneuerbaren Energien zu setzen.
 

Eskalation der Gewalt: kein Ende in Sicht

Mexiko erlebt derzeit eine Eskalation der Gewalt in einer ohnehin problematischen Situation der inneren Sicherheit. Die Antworten der Regierung auf diese Problematik, bei der die Kartelle der organisierten Kriminalität ihre territoriale Präsenz und Machtdemonstrationen permanent ausbauen und ihre Geschäftsmodelle und Einkommensquellen diversifizieren, sind unzureichend und strategisch zweifelhaft.

Zwischen dem Leitmotiv der Regierung „abrazos no balazos“ (Umarmungen statt Schüsse) und einer auffälligen Militarisierung im Kampfes gegen die öffentliche Unsicherheit wird auch im neuen Jahr die innere Sicherheit eines der kritischsten Themen bleiben.

Nach dem Amtsantritt von López Obrador wurde 2019 die Nationalgarde (Guardia Nacional) ins Leben gerufen, eine unter zivilem Kommando mit militärischen Elementen geschaffene Truppe, die beauftragt wurde, staatliche und lokale Behörden bei Aufgaben der öffentlichen Sicherheit bis 2024 zu unterstützen. Zeitgleich wurde die bis dahin bestehende Bundespolizei (Policia Federal) aufgelöst. Anfang Oktober 2022 entschied AMLO allerdings nicht nur, dass er der Guardia Nacional Aufgaben der öffentlichen Sicherheit nicht entziehen würde (wie er es vor seiner Amtsübernahme wiederholt vorgeschlagen hatte), sondern dass das Zivilkommando sogar an das Verteidigungsministerium (Secretaría de Defensa Nacional - SEDENA) übertragen werde, ein Schritt, der von vielen als eine klare und fortschreitende Militarisierung des Landes interpretiert wurde. Damit einhergehend haben die Streitkräfte zunehmend eindeutig zivile öffentliche Aufgaben übernommen wie den Bau von Eisenbahnen, Verwaltung von Zoll und Häfen, etc. Detaillierte Einblicke in die Verquickungen von Militärs, Regierung und organisierter Kriminalität verschaffte ein verblüffendes Durchsickern von mehr als vier Millionen Dokumenten aus dem Inneren des mexikanischen Militärs mit Informationen über geheime Absprachen zwischen hochrangigen Militärbeamten und den Kartellen des Landes. Das von der Hackergruppe „Guacamaya“ veröffentlichte Material zeigte, wie Militärbeamte Waffen, technische Ausrüstung und wichtige Informationen über rivalisierende Banden an Drogenkartelle verkauften. Die Dokumente verdeutlichten auch, wie Beamte Journalisten und Aktivisten mit Pegasus-Spyware überwachten und sich der Zusammenarbeit bei der Untersuchung des berüchtigten Falls von 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa entzogen.

Ein spektakulärer Zwischenfall war Anfang 2023 zu vermelden: Wenige Tage vor dem Besuch des amerikanischen Präsidenten Joe Biden in Mexiko wurde im Rahmen einer konzertierten Aktion lokaler und nationaler Behörden in Sinaloa, Ovidio Guzman, der Sohn des berüchtigten und derzeit in den USA vor Gericht stehenden Chefs des Sinaloa-Kartels, „Chapo“ Guzman, nach einem Feuergefecht gefasst, bei dem knapp 30 Menschen ums Leben kamen und in dessen Folge in der Landeshauptstadt Culiacán der Ausnahmezustand herrschte: Straßenblockaden, Flughafensperre, Schüsse auf eine Linienmaschine der  Aeroméxico  und allgemeines Chaos. Anders als noch beim fehlgeschlagenen Versuch 2019, als Ovidio Guzman schon einmal gefasst wurde und in den nachfolgenden brutalen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Sinaloa-Kartell auf direkte Anweisung des Präsidenten wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, gelang es diesmal den Sicherheitskräften, ihren prominenten Gefangenen sofort nach Mexiko-Stadt auszufliegen und in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verlegen. Die unmittelbare zeitliche Nähe zum Biden-Besuch und die diffuse Informationslage um dieses Ereignis nähren allerdings auch erhebliche Spekulationen, inwieweit die amerikanischen Sicherheitskräfte ebenso involviert waren. Gegen Ovidio Guzman liegt bezeichnenderweise in Mexiko selbst gar kein Haftbefehl vor, wohl aber in den USA. Ob ein angekündigtes Auslieferungsverfahren Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Ohne Auslieferung an die USA oder Strafprozess in Mexiko wäre Ovidio Guzman in wenigen Wochen wieder auf freiem Fuß.

In dem Zusammenhang zeigt die allgemeine Sicherheitslage im Land keine Anzeichen einer Verbesserung, im Gegenteil, sie scheint sich rasant zu verschlechtern. Schon jetzt sind in der Amtszeit von AMLO knapp 140.000 Morde[8] zu verzeichnen, was die entsprechenden Raten in allen Vorgängerregierungen deutlich übersteigt. Ein Anerkennen des Scheiterns seiner bisherigen Strategie ist dem Präsidenten bisher aber nicht zu entlocken. Mit diesen offiziellen Zahlen seiner eigenen Behörden konfrontiert, verweist er vielmehr im Rahmen seiner morgendlichen Pressekonferenzen (mañaneras) immer wieder auf „eigene Daten“ oder andere Lesarten eben dieser Statistiken. [9]

Blickt man auf die Pressefreiheit, so haben seit Anfang des Jahres 2022 bereits sechszehn Journalisten ihr Leben verloren. Mexiko gilt laut Reporter ohne Grenzen mittlerweile als das gefährlichste Land für Journalisten weltweit.

 

Außenpolitische Agenda und Irritationen

Das Jahr 2022 endete mit bemerkenswerten außenpolitischen Spannungen, ausgelöst durch politische Positionierungen des Präsidenten. Im Zuge der politischen Krise in Peru, welche die Absetzung und Inhaftierung von Pedro Castillo nach seinem gescheiterten Selbstputsch zur Folge hatte[10], kam es zu einem diplomatischen Eklat zwischen Mexiko und Peru. Auf offensichtliche Anweisung des Präsidenten intervenierte einerseits der mexikanische Botschafter in Lima mit außergewöhnlicher Intensität, um Castillo ein Exil in Mexiko zu ermöglichen. Außerdem zögerte AMLO nicht, in seinen morgendlichen Pressekonferenzen die Verhaftung Castillos und Ernennung der Vizepräsidentin Dina Boluarte als Putsch anzuprangern und in einem gemeinsamen Schreiben der Staatspräsidenten aus Argentinien, Bolivien und Kolumbien zu verurteilen. Dass er damit das immer wieder betonte Prinzip der mexikanischen Außenpolitik der Nichteinmischung und der Selbstbestimmung der Völker konterkarierte, begründete er damit, dass die wahren Gründe der Absetzung seines (ehemaligen) Amtskollegen Castillo in der Korruption der dortigen Regierungselite (welche er ebenfalls als rassistisch bezeichnete) und dessen wirtschaftlichen Interesse sehe. Eine Anerkennung der Präsidentin Boluarte erfolgte seitens AMLO nicht. Auch nahm er nicht zur Kenntnis[11], dass Castillo von seinem eigenen Kabinett und dem Großteil seiner Abgeordneten die Gefolgschaft verweigerte wurde.  Weiterhin erkannte AMLO das verfassungsrechtlich einwandfreie Prozedere der peruanischen Institutionen nicht als legitim an, die Verhaftung Castillos durch die Staatsanwaltschaft nach offensichtlichem Rechtsbruch vorzunehmen. Die Ausweisung des mexikanischen Botschafters durch die peruanische Regierung war die logische Konsequenz. Der Familie von Castillo wurde allerdings mit Zustimmung der peruanischen Behörden bereits politisches Asyl in Mexiko gewährt.

All dem war die Absage des Pazifik-Allianz-Gipfels Ende November in Mexiko durch AMLO vorausgegangen, da Pedro Castillo vom eigenen Kongress die Reisegenehmigung nach Mexiko verweigert wurde. Der Gipfel wurde dementsprechend auf Mitte Dezember in Peru verlegt, weil das Land die Präsidentschaft der Allianz für 2023 übernehmen sollte. Die endgültige Absetzung des peruanischen Präsidenten hatte schlussendlich zur Folge, dass der mexikanische Außenminister, Marcelo Ebrard, die Aussetzung des Gipfels bis auf Weiteres verkündete.

Ein früher außenpolitischer Höhepunkt des Jahres 2023 ist der Gipfel der nordamerikanischen Staats- und Regierungschefs aus Kanada, den Vereinigten Staaten und Mexiko vom 9. bis zum 11. Januar in Mexiko-Stadt. Eine komplexe Agenda aus Fragen des Handels, der Wirtschaft, Migration und inneren Sicherheit steht im Programm. Die Hauptsorge AMLOs schien im Vorfeld aber einer logistischen Natur zu sein: Sowohl Trudeau wie auch Biden werden auf expliziten Wusch AMLOs jeweils auf dem neuen und umstrittenen Flughafen AIFA landen, was im Vorfeld vor allem von der US-amerikanischen Delegation abgelehnt wurde, unmittelbar nach der oben erwähnten Verhaftung von Ovidio Guzman aber dann doch konzediert wurde. Für Mexiko steht bei diesem Gipfel viel auf dem Spiel: die wirtschaftlichen Verflechtungen im Kontext des Handelsbündnisses T-MEC sind erheblich, die Anforderungen der US-Amerikaner, was Migrationskontrolle angeht aber auch. Was da jeweils an konkreten Vereinbarungen erreicht werden kann, bleibt abzuwarten.

 

Innenpolitischer Kontext 2023: Wahlen und Kandidaturen

Am 4. Juni 2023 werden Landtagswahlen in den Bundesstaaten Coahuila und Estado de México (EdoMex) - beide momentan von der PRI (Partido Revolucionario Institucional) regiert – stattfinden. Letzterer ist von enormer Symbolkraft und mit rund 17 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Staat des Landes. Es ist zudem die letzte große Bastion der PRI (die derzeit nur noch in Durango, Coahuila und Edomex regiert) und somit für die territoriale Präsenz dieser vormals allmächtigen Partei von größter Relevanz. In beiden Fällen hat die Opposition nur eine Chance weitere Siege von MORENA zu verhindern, wenn sie gemeinsam antritt. Dies bedingt aber auch die Definition eines gemeinsamen Kandidaten, was weder im Falle Coahuilas noch EdoMex bisher formal erfolgt ist. In Coahuila liegt nach jüngsten Umfragen die Opposition erstmals mit 51 % vor MORENA mit 42 %[12]. Im EdoMex konkurrieren die PRI-Kandidatin Paulina Alejandra del Moral und der PAN (Partido Acción Nacional) Kandidat Enrique Vargas del Villar auf Seiten der Opposition um die Kandidatur. In Umfragen liegt MORENA mit der designierten Kandidatin Delfina Gómez Álvarez bisher deutlich mit  52 % vor dem Oppositionsbündnis mit 38 %[13].

Sollte MORENA auch „nur“ den EdoMex für sich entscheiden und damit seine territoriale Dominanz von derzeit 22 auf 23 regierte Bundestaaten[14] ausweiten, würde dies ihre Ausgangslage für die Präsidentschaftswahlen noch einmal deutlich verbessern.

Spätestens nach den Landtagswahlen im Juni wird die politische Agenda für den Rest des Jahres von der Vorwahlzeit zu den Präsidentschaftswahlen am 2. Juni 2024 geprägt sein[15]. Seitens der Regierungspartei hat sich die Definition des „Spitzenkandidaten“ bereits zugespitzt. Hier liegen der Außenminister Marcelo Ebrard und die Hauptstadtbürgermeisterin Claudia Scheinbaum bisher Kopf an Kopf, mit etwas Abstand der amtierende Innenminister Adán Augusto López dahinter. Wer die Präferenz des amtierenden Staatspräsidenten AMLO hat, ist nicht offiziell, alles deutet aber darauf hin, dass bis dato zumindest Claudia Scheinbaum bei dieser Frage die Nase vorn hat. Von daher ist wenig verwunderlich, dass Außenminister Ebrard Anfang des Jahres ankündigte, dass er das Land 2023 bereisen werde, um die MORENA-Umfrage zu Präsidentschaftskandidatur 2024 für sich zu entscheiden und so Punkte im Konkurrenzkampf zu sammeln. Seine Hauptkonkurrentin Sheinbaum machte vor allem durch die Verwendung des Hashtags „#EsClaudia“ in den sozialen Medien sowie eines Werbesongs, landesweiter Plakatierung und Präsenzauftritte auf sich aufmerksam, was eindeutig gegen bestehendes Wahlrecht verstößt, da die Wahlkampagne offiziell noch gar nicht gestartet ist und die Finanzierung dieser (kostspieligen) Aktionen berechtigte Fragen nach Ursprung und Legitimität aufwerfen. 

Anfang 2023 wurde erneut heftige Kritik an Claudia Scheinbaums Hauptstadtmanagement laut, als bei einem weiteren Unfall[16] des städtischen Metro-Netzes mehr als 50 Verletzte und ein Todesopfer zu beklagen waren, während sie selbst einen Vortrag über ihr „erfolgreiches  Stadtmanagement“ in Morelia,  Michoacán hielt.

Die MORENA-interne Entscheidung für die Präsidentschaftskandidatur verspricht 2023 weiter an Schärfe und Intensität zuzunehmen, das Ergebnis ist derzeit noch völlig offen. Bisher ist es auf Seiten der Oppositionskoalition nicht gelungen, sich sowohl personell wie auch inhaltlich als Regierungsalternative für das Jahr 2024 zu profilieren. Keine der bestehenden Umfragen gibt auch nur annähernd Grund für diesbezügliche Erwartungen oder Hoffnungen her.

 

Ausblick

Zu Beginn des neuen Jahres stehen viele und entscheidende Fragen im Raum: Wer wird der Präsidentschaftskandidat bei MORENA für die nationalen Wahlen 2024? Wie wird sich die Oppositionskoalition personell aufstellen und mit welchen Argumenten und Inhalten kann sie der allmächtigen Regierungspartei Paroli bieten? Wie erfolgreich kann sich MORENA auch ohne den Gründer und zentrale Figur AMLO als Option für die Zukunft profilieren? Und auch wenn die Wahlen 2024 bei allen Debatten schon fast vor der Tür zu stehen scheinen, sollte man nicht unterschätzen, was die Regierung und AMLO höchstpersönlich in der verbleibenden Amtszeit noch festzurren und etablieren werden, um das Land politisch, wirtschaftlich und sozial seinem Idealbild der 4T soweit wie möglich anzupassen.

 


 

[1] Siehe Länderbericht Februar 2022 – „Mexiko 2022: Kein Ausweg aus der Krise

[2] Ähnlich war die Regierung schon im Falle der gescheiterten Energiereform mit Verfassungsrang im Sommer verfahren, in deren Folge dann ein ähnlich umfassendes Energiegesetz mit einfacher Mehrheit verabschiedet wurde

[3] So z.B. bei Sanktionierungen von Kandidaten und Parteien, die gegen das Wahlrecht verstoßen.

[4] Details siehe: https://elpais.com/mexico/2022-12-07/el-plan-b-de-lopez-obrador-acota-al-ine-y-le-quita-atribuciones-como-arbitro-electoral.html

[5] Am 3. April werden der Vorsitzende des INE Lorenzo Córdova sowie weitere Vorstandsmitglieder (Consejeros) Adriana Favela, Ciro Murayama und José Roberto Ruiz ihre Amtszeit beim INE turnusgemäß beenden. Nach dem von den Abgeordneten vereinbarten Zeitplan müssen im März die Ernennungen derjenigen feststehen, die sie ablösen werden, wobei ein weiterer Streitpunkt in der aktuellen Diskussion wer diese Nachfolger vorschlägt und mittels welchem Verfahren sie ernannt werden.

[6] https://www.coneval.org.mx/Medicion/Paginas/PobrezaInicio.aspx

[7] Allein 2022 waren dies über 48 Mrd. US Dollar und damit knapp 15 % mehr als im Vorjahr: https://www.forbes.com.mx/remesas-a-mexico-acumulan-alza-de-14-62-de-enero-a-octubre-de-2022-suman-30-meses-de-incrementos/

[8] Details siehe: El sexenio de AMLO se perfila como el más violento en la historia de México (expansion.mx)

[9] Aumentan reportes de desapariciones con AMLO (eleconomista.com.mx)

[10] Details siehe: https://www.kas.de/de/web/peru/laenderberichte/detail/-/content/staatskrise-und-amtsenthebung-des-praesidenten-in-peru

[11] Bezeichnenderweise folgten die ebenfalls linken Präsidenten Boric in Chile und Lula in Brasilien dieser Linie nicht.

[12] Aktuelle Umfragen Poll of Polls: https://polls.mx/elecciones/2023/estado/coahuila/

[13] Poll of Polls aktuell: https://polls.mx/elecciones/2023/estado/estado-de-mexico/

[14] Folgende Bundesstaaten werden derzeit noch von Oppositionsparteien regiert: PAN (Guanajuato, Queretaro, Aguascalientes, Chihuahua, Yucatan), Movimiento Ciudadano (Jalisco und Nuevo Leon) und PRI (Durango, Coahuila und EdoMex)

[15] Bei den Wahlen am 2.6.2024 werden neben dem Staatspräsidenten auch der gesamte Kongress (128 Senatoren und 500 Abgeordnete), 9 Gouverneursposten und 30 Landtage neu gewählt

[16] Bereits im Mai 2021 war es zu einem schweren Unfall der städtischen Metro bekommen, als bei einem Zusammenbruch der Hochbahn 29 Tote und 80 Verletzte zu beklagen waren. Auch damals wies die Hauptstadtbürgermeisterin jede Verantwortung von sich.

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Kontakt

Ing. Hans-Hartwig Blomeier

Hans Blomeier

Leiter des Auslandsbüros Mexiko

hans.blomeier@kas.de +52 55 55664599

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