Nachdem das Parlament am 8. Juni die Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Zinaida Greceanii, zur Präsidentin der Legislative wählte, votierten die Abgeordneten von ACUM und PSRM gemeinsam für das Kabinett unter Premierministerin Maia Sandu (zugleich PAS-Vorsitzende). Stellvertretender Premierminister und Innenminister wurde Andrei Nastase (zugleich PDA-Vorsitzender). Mit Ausnahme von zwei technokratischen Kabinettsmitgliedern, die von der PSRM für die Portfolien Reintegration (mit Zuständigkeit für die abtrünnige Region Transnistrien) und Verteidigung nominiert wurden, besteht die neue Regierung aus Vertretern von ACUM bzw. von ACUM unterstützten Technokraten. Die Regierung Sandu wurde von 61 von 101 Abgeordneten im Moldauischen Parlament und damit mit allen Stimmen von ACUM und PSRM gewählt.
ACUM und PSRM sind an sich sehr gegensätzliche politische Kräfte. Sie trennen nicht nur unterschiedliche außen- und entwicklungspolitische Präferenzen zwischen der pro-europäischen Ausrichtung von ACUM und der stärker pro-russischen Orientierung der PSRM - auch wenn Präsident Dodon sich inzwischen zum Assoziationsabkommen mit der EU bekennt. Aufgrund dieser antagonistischen Positionen und des gegenseitigen Misstrauens hatten sich auch die Verhandlungen über eine mögliche Regierungsbildung zunächst lange hingezogen. Noch am vergangenen Montag besuchte EU-Nachbarschafts- und Erweiterungskommissar Johannes Hahn Chişinău. Erst danach kamen substantielle Verhandlungen in Gang. Der gemeinsame Nenner zwischen ACUM und PSRM besteht in der Ablehnung des von Vlad Plahotniuc, dem mächtigsten Mann in der Moldau und Vorsitzenden der bislang regierenden Demokratischen Partei (PDM), aufgebauten Machtsystems. Die erste gemeinsame Resolution des Parlaments rief demgemäß zur Befreiung von einer oligarchischen Usurpation des Staates auf. Dies betonte Sandu auch bei der am 10. Juni abgehaltenen ersten Kabinettssitzung. Dass die Moldau unter der früheren Regierung sehr deutliche Rückschritte hinsichtlich Demokratie und Rechtstaat gemacht hat, hatten insbesondere in den vergangenen zwei Jahren das Europäische Parlament und die Kommission zunehmend schärfer kritisiert und mit der Einschränkung von Finanzhilfen und Kontakten sanktioniert. Sowohl ACUM wie auch die PSRM sahen sich von dieser Entwicklung immer stärker bedroht. Russland hatte unabhängig davon auf die PSRM eingewirkt, die Koalitionsangebote der PDM abzulehnen. Moskaus Sorge bestand wohl darin, dass auch die PSRM damit in Abhängigkeit von einer übermächtigen PDM gelangen würde. Bei ACUM kam hinzu, dass sich das Oppositionsbündnis einem zunehmenden und unerwartet starken Druck aus der moldauischen Zivilgesellschaft und der eigenen Anhängerschaft ausgesetzt sah, auch mit der PSRM zusammenzuarbeiten, um einen Machtwechsel zu ermöglichen.
Die Ablehnung der früheren Regierung hat so die bisher dominierenden geopolitischen Gegensätze der moldauischen Politik erst einmal in den Hintergrund treten lassen. Dabei bleibt das Assoziierungsabkommen mit der EU ohnehin Geschäftsgrundlage für das neue Kabinett, sodass die Zusammenarbeit mit der PSRM keinen geopolitischen Kurswechsel einläutet. Ohnehin wird sich das neue Kabinett zunächst ganz auf die innenpolitische Agenda konzentrieren müssen - und damit auf die Selbstbehauptung und Reformen zentraler staatlicher Behörden, die ein Mindestmaß an Sicherheit sowie an fairen und berechenbaren Standards für den politischen Wettbewerb herstellen würden.
Die PDM akzeptiert derweil den Regierungswechsel nicht und beruft sich dabei auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, das aber als von ihr selbst kontrolliert gilt. Hintergrund ist: Die Verfassung sieht zur Regierungsbildung eine Frist von zunächst drei Monaten nach der Validierung einer Parlamentswahl vor. Diese Validierung war am 9.3. erfolgt. Nach der Verfassung kann der Präsident nach dem Ablauf dieser Frist Neuwahlen anordnen, wenn keine Regierungsbildung erfolgt ist. Das Verfassungsgericht hat nun just am 7.06., als sich eine Einigung von ACUM und PSRM abzeichnete, in einer Blitzentscheidung verkündet, die Drei-Monatsfrist laufe nicht nach drei Kalendermonaten, also am 9.6. ab – wie von allen erwartet – sondern sei als Frist von 90 Tagen zu verstehen und damit am 7.6. abgelaufen. Daher müsse der Präsident das Parlament sofort auflösen, alle weiteren Beschlüsse seien unwirksam. Offenbar aufgrund dieser Widersprüche sprach der
Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, in einer ersten Reaktion von „schwer zu verstehenden“ Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die „vor dem Hintergrund des Textes der Verfassung und internationaler Rechtsstandards willkürlich erscheinen“. Er bat zugleich die Venedig-Kommission um eine Stellungnahme, die am 21. Juni vorliegen soll.
In einer Folgeentscheidung erklärte das Verfassungsgericht dann am 9. Juni, Präsident Dodon zu suspendieren und den früheren Premierminister Pavel Filip (PDM) zum amtierenden Staatsoberhaupt einzusetzen, der daraufhin die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen für den 6. September ankündigte – was Präsident, Parlamentsmehrheit und Regierung wiederum als illegal und unwirksam betrachten. Vor diesem Hintergrund musste am 10. Juni die erste Regierungssitzung unter der Leitung von Sandu im Parlament stattfinden, während am selben Tag Filip parallel dazu im Regierungsgebäude eine Sitzung des früheren Kabinetts abhielt. Der Zugang zu Regierungsgebäuden blieb den Vertretern des neuen Kabinetts verwehrt.
Für die EU haben die Hohe Vertreterin für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini und Nachbarschaftskommissar Hahn die Zusammenarbeit mit der Regierung Sandu als der demokratisch legitimen Regierung angekündigt. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen und Schweden erklärt, dass sie in der gegenwärtigen Verfassungskrise das Parlament – und damit indirekt auch die durch das Parlament gewählte Regierung – unterstützen. Die USA haben ebenfalls die Regierungsbildung im Parlament in einer ersten Stellungnahme unterstützt. Nach anfänglichem Zögern hat auch die rumänische Regierung erklärt, das Parlament als demokratisch legitimierte Instanz – und damit auch implizit die dadurch gewählte Regierung – zu unterstützen sowie die Notwendigkeit eines friedlichen Übergangs angemahnt.