Länderberichte
Nastase wurde als gemeinsamer Kandidat der moldauischen EVP-Parteien auch von der Partei Aktion und Solidarität (PAS) der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin und Bildungsministerin Maia Sandu und von der Liberaldemokratischen der Moldau (PLDM) getragen. Er erhielt 52,57 Prozent der Stimmen, während Ceban lediglich auf 47,43 Prozent kam.
Die Wahlbeteiligung blieb auch beim zweiten Urnengang mit 39,12 Prozent relativ niedrig, lag aber höher als in der ersten Runde vor zwei Wochen, als gut 35 Prozent der registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben hatten. Die relativ höhere Mobilisierung dürfte zumindest teilweise zum Ergebnis von Nastase beigetragen haben. Dabei hatten viele moldauische wie internationale Beobachter bereits an Nastases Einzug in die zweite Wahlrunde gezweifelt. Zu diesem Eindruck hatten auch Angriffe gegen Nastase in den meisten Massenmedien beigetragen, die durch den Vorsitzenden der Demokratischen Partei (PDM) und stärksten Mann in der Moldau, Vlad Plahotniuc, kontrolliert werden.
Das Ergebnis zeigt einerseits, dass die breite Wählerschaft die Herrschaft der PDM weiterhin ablehnt. Die PDM hatte bei den letzten Parlamentswahlen im November 2014 16% der Stimmen erhalten, kontrolliert aber mittlerweile neben den meisten Medien Regierung und Parlamentsmehrheit sowie die ganz überwiegende Zahl der lokalen Verwaltungen. Dabei wird die PDM weithin verantwortlich gemacht für die wirtschaftliche Misere und die systemische Korruption, auf die in der Bevölkerung auch der sogenannte „Jahrhundertraub“ 2014 zurückgeführt wird, als aus dem ohnehin von verbreiteter Armut geprägten Land durch die Vergabe von faulen Krediten durch drei Banken ca. 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – 1 Mrd. US-Dollar – veruntreut wurden. Insofern war die Kommunalwahl in Chisinau in erster Linie eine Protestwahl gegen die Regierung. Diese Tatsache wird auch dadurch unterstrichen, dass mit Andrei Nastase der deutlichste Gegner von V. Plahotniuc zum Bürgermeister gewählt wurde. Da sich aber die pro-russische PSRM ebenfalls gegen die PDM positioniert, haben bereits in der ersten Runde etwa 80 % der Wähler gegen die Regierungsmehrheit votiert.
Andererseits zeigt das Ergebnis auch eine ungebrochene Unterstützung der pro-europäisch ausgerichteten Wähler für PAS und PDA. Die niedrige Wahlbeteiligung verweist zwar generell auf Resignationstendenzen innerhalb der Wählerschaft. Allerdings begünstigte der hohe Anteil älterer Wähler grundsätzlich die PSRM und deutet darauf hin, dass die pro-europäische Opposition ihr Potential bei der Wahl in Chisinau noch nicht ausgeschöpft hat. Entscheidender Faktor war zudem offenbar die Geschlossenheit der pro-europäischen Opposition - wie schon bei der Präsidentschaftswahl von 2016, als Maia Sandu als gemeinsame Kandidatin von PAS und PDA gegen PSRM und PDM, nahezu ohne eigene Ressourcen und fast aus dem Stehgreif 48 % erhielt. Trotz anfänglicher Differenzen um die gemeinsame Kandidatur bei der Bürgermeisterwahl fanden PAS, PDA und PLDM zu einer gemeinsamen Strategie. Die entschiedene und klare Unterstützung von Sandu trug maßgeblich mit zu dem guten Ergebnis von Nastase bei.
Für die Regierung und die sie tragende PDM hat sich das Ergebnis hingegen in doppelter Hinsicht als Rückschlag erwiesen. Einerseits hat sich durch die Wahl von Nastase das auch im westlichen Ausland kolportierte Narrativ der PDM, der einzige starke politische Akteur zu sein, der den europäischen Kurs der Republik Moldau gegen pro-russische Kräfte gewährleisten kann, als fragwürdig erwiesen. In dieser Hinsicht scheint die Strategie der PDM darauf abzuzielen, durch eine Marginalisierung der pro-europäischen Opposition sich der westlich ausgerichteten Wählerschaft als einzige verbleibende Alternative zu empfehlen. Doch die Tatsache, dass PAS und PDA von Zugang zu Medien und finanziellen Ressourcen sehr weitgehend abgeschnitten sind, hat ihre Zustimmung in der Bevölkerung offenbar nicht zu schwächen und zugleich die Akzeptanz der PDM nicht zu stärken vermocht. Dabei verlor das geopolitische Narrativ der PDM auch dadurch an Glaubwürdigkeit, dass viele pro-europäische Wähler mittlerweile den Eindruck haben, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen PSRM und PDM gibt. Beide haben u.a. bei der Verabschiedung eines neuen Wahlrechts zusammengearbeitet, und die der PDM nahestehenden Massenmedien hatten im Präsidentschaftswahlkampf 2016 Angriffe gegen Maia Sandu verbreitet. In einer aus der Zeit des Wahlkampf stammenden Aussage des Generalsekretärs der PDM, die vor zwei Wochen an die Öffentlichkeit gelangte, hatte dieser Parteifunktionären erklärt, entgegen der offiziellen Position der Partei, sei Sandu und nicht der pro-russische Kandidat und spätere Präsident Dodon der eigentliche Gegner.
Hingegen scheint die erklärtermaßen pro-europäische Ausrichtung der von der PDM getragenen Regierung – wie auch die Zusammenarbeit der EU mit ihr – die pro-russischen Kräfte nur weiter zu stärken. Dies kann besonders auch für die Auswirkungen des neuen, von PDM und PSRM gemeinsam verabschiedeten Wahlrechts auf den Ausgang der Ende des Jahres anstehenden Parlamentswahlen gelten. Künftig soll danach die Hälfte der Abgeordnete direkt nach relativem Mehrheitswahlrecht in Einzelwahlkreisen gewählt werden. Insbesondere Vertreter der PDM wiesen dabei oft darauf hin, so würden viele unabhängige Kandidaten gewählt werden, die eine pro-russische Mehrheit im Parlament verhindern würden. Die Venedig-Kommission und die EU hatten sich explizit gegen das neue Wahlrecht ausgesprochen, u.a. mit dem Argument, vermeintlich unabhängige Abgeordnete könnten tatsächlich unter dem Einfluss mächtiger Geschäftspersonen stehen; tatsächlich ist bereits schwer anzunehmen, dass wirklich unabhängige Kandidaten auch nur die Ressourcen für einen erfolgreichen individuellen Wahlkampf aufbringen könnten.
Das Ergebnis der Bürgermeisterwahl in Chisinau stellt allerdings in Frage, ob die Strategie der PDM aufgehen kann. So schied die als unabhängige und technokratische Kandidatin präsentierte, aber inoffiziell von der PDM mit großem Medienaufwand unterstützte Silvia Radu bereits in der ersten Runde mit nur 17,5 % aus. Offenbar hatte die PDM – wie u.a. die Berichterstattung der ihr nahe stehenden Medien nahelegt – wie auch viele andere Beobachter ein weitaus höheres Ergebnis und zumindest den Einzug in die zweite Runde erwartet. Würden die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Chisinau das Resultat der Bürgermeisterwahl widerspiegeln, wären aber 9 der 11 Wahlkreise in der Hauptstadt an die PSRM gefallen. Eine zweite Runde sieht das neue Wahlrecht nicht vor – wohl deshalb, weil „unabhängige“ Kandidaten in aller Regel allenfalls mit relativer Mehrheit gewinnen könnten. Dieses Beispiel demonstriert, dass das neue Wahlrecht tatsächlich vor allem die pro-europäischen Parteien benachteiligt, die zwar zahlreiche Wahlkreise mit absoluter Mehrheit in einer Stichwahl gewinnen könnten, aber weitaus weniger Wahlkreise in nur einer Runde gegen die PSRM und Unabhängige. Sollten die Erwartungen der PDM und die tatsächlichen Ergebnisse bei den Parlamentswahlen auch außerhalb Chisinaus so weit auseinanderfallen wie dies bei der Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt der Fall war, würden vielfach die Kandidaten der PSRM gewinnen. Das neue Wahlrecht würde dann zu einer Mehrheit für die pro-russischen Kräfte führen, den sie nach dem bislang geltenden Verhältniswahlrecht nicht hätten erringen können. Wie die Parlamentswahl tatsächlich ausgeht, ist so nicht vorherzusagen, zumal sich die Verhältnisse zwischen Chisinau und dem übrigen Land deutlich unterscheiden. Die Ergebnisse sind aber offenbar nicht so zu steuern, wie von der PDM erhofft. Fest steht nur, dass die demokratischen und prowestlichen Parteien deutlich weniger Mandate erlangen dürften als ihrem relativen Stimmenanteil entspricht.
Nicht die geopolitische Ausrichtung, sondern ein glaubwürdiges Eintreten für europäische Werte hat bei der Wahl in Chisinau den Ausschlag gegeben. Die Herausforderungen vor denen die Opposition steht, u.a. im Hinblick auf Zugang zu Medien und Finanzen sowie die starke Abwanderung prowestlicher Eliten in einem kleinen Land, können die dauerhafte Behauptung demokratischer Kräfte aber durchaus in Frage stellen. Insofern zeigt das Ergebnis von Chisinau, dass die pro-europäische Ausrichtung der Moldau nicht durch Kompromisse bei demokratischen und rechtstaatlichen Standards gewährleistet werden kann. Sie wird vielmehr von der Überzeugung der Wähler und damit von den Chancen der pro-europäischen Oppositionsparteien abhängen.