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Länderberichte

Abschluss des Aussöhnungsabkommen zwischen Namibia und Deutschland in Sicht?

von Natalie Russmann

Der lange Weg der Aussöhnung

Die Republik Namibia und die Bundesrepublik Deutschland haben sich nach mehrjährigen Verhandlungen auf ein Abkommen zur Wiedergutmachung über das begangene Unrecht während der deutschen Kolonialzeit verständigt. Das meldete die Deutsche Presse Agentur (dpa) in der vergangenen Woche1. Ein Entwurf für ein Abkommen werde nun beiden Regierungen zur Abnahme vorgelegt. Bis das geschehen ist, haben beide Seiten Stillschweigen über die Details des Abkommens vereinbart. Gegenstand der Verhandlungen ist die Aufarbeitung von Gewaltakten gegenüber den Volksstämmen der Nama und Herero im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“ in den Jahren 1904-1908. Im Jahre 2015 ist die namibische Seite mit einem Forderungskatalog an die Bundesregierung herangetreten und verlangt seitdem Reparationsforderungen verbunden mit einer offiziellen Entschuldigung sowie die juristische Titulierung des Verbrechens als „Genozid.“

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Der Verhandlungsführer auf deutscher Seite ist der ehemalige Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz (CDU) und von namibischer Regierungsseite Dr. Zed Ngavirue (Ex-Diplomat). Deutschland stimmt demnach der Formulierung zu, dass es sich bei den begangenen Handlungen, um Verbrechen handelt, die aus heutiger Sicht als Völkermord zu bewerten sind.[1] Das Abkommen soll im Rahmen eines Besuches hochrangiger Vertreter der Bundesregierung in Windhoek unterzeichnet werden. Ob dies kurzfristig umsetzbar ist, bleibt angesichts der skeptischen Haltung einiger Betroffenenverbände in Namibia fraglich.
​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Historischer Rückblick: Was ist geschehen?

Das Deutsche Reich regierte das heutige Namibia von 1884 bis 1915 als Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“. Die Volksgruppe der Herero erhob sich im Januar 1904 nach 20 Jahren der Unterdrückung und Verdrängung aus ihren angestammten Siedlungsgebieten, welche ihnen zunehmend die Lebensgrundlagen entzogen. Der Aufstand begann mit dem Angriff auf deutsche Einrichtungen und Farmen. Circa 15.000 Soldaten der „Schutztruppe“, wie die Kolonialarmee zu dieser Zeit genannt wurde, unter dem Befehl von Generalleutnant Lothar von Trotha, schlugen den Aufstand gewaltsam nieder[2]. Geschlagen zogen sich die Herero daraufhin in die Omaheke-Wüste zurück. Der Kommandeur Trotha, welcher auch unter seinen Kameraden für seine Gnaden- und Skrupellosigkeit bekannt war, ließ die Wüste abriegeln und Flüchtlinge von den verbliebenen Wasserstellen vertreiben, sodass der Großteil der Herero verdurstete oder an Erschöpfung starb.

Im Angesicht des Herero-Austandes erhob sich im Oktober 1904 auch die Volksgruppe der Nama gegen das Kolonialregime. Sie begannen angesichts der militärischen Übermacht der „Schutztruppe“ einen Guerillakrieg. Durch den Tod ihrer Anführer demoralisiert, fügten sich schließlich fast alle Nama den von der Kolonialverwaltung gestellten Bedingungen zur Unterwerfung, sodass ihr Aufstand im März 1907 für beendet erklärt wurde. Im Anschluss an die Kampfhandlungen wurden die verbliebenen Herero und Nama in Lagern interniert, in denen annähernd jeder zweite Insasse starb. Von den um 1904 auf etwa 60.000 bis 80.000 Personen geschätzten Herero lebten 1911 geschätzt nur noch 20.000 Personen. Die Nama verloren durch Aufstand und Internierung schätzungsweise 10.000 Personen. Diese Art der Kriegsführung, die auf eine vollständige Vernichtung der Herero abzielte, erfüllt gemäß Resolution der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948 den Tatbestand des Völkermordes.

Seit 2014 verhandeln beide Seiten um die Frage der „angemessenen Wiedergutmachung“. Dabei zeigte sich bereits zu Beginn der Verhandlungen, dass derartige Geschehnisse durch finanzielle Entschädigung nur sehr schwer „abzufinden“ sind und eine etwaige Versöhnung einen vielschichtigen Prozess darstellt.
Die Debatte um die deutsche Kolonialgeschichte und deren Bewältigung wurden im deutschen Bundestag in der Vergangenheit mehrfach diskutiert. Dabei ging es stets um die Frage der Wiedergutmachung der betroffenen Bevölkerungsgruppen sowie um die Forderung nach einer offiziellen Entschuldigung seitens der Bundesregierung. Der Umgang mit der deutschen Kolonialzeit, verbunden mit den Rechtsfragen einer angemessenen juristischen Sprachregelung sowie der finanziellen Wiedergutmachung, bilden die entscheidenden Hindernisse für den Deutsch-Namibischen Versöhnungsprozess.

Im Jahre 2017 haben Vertreter der Nama und Herero, welche nicht Teil des namibischen Verhandlungsteams waren, unter Führung des Oberhäuptlings der Herero, Vekuii Rukoro, eine Klage auf Entschädigung vor einem US-Gericht gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Ihr Ziel war es, hierdurch direkte Verhandlungen zwischen den Nachfahren der Opfer und den Nachfahren der Täter, d.h. hier der Bundesrepublik Deutschland, zu erzwingen. Das US-Gericht lehnte die Verhandlung jedoch am 07. März 2019 ab. Auch in anderen europäischen Ländern dürfte die Abweisung der Klage vor dem US Gericht mit Erleichterung aufgenommen worden sein. So hätte ein anderslautendes Urteil durchaus auch weitere afrikanische Volksgruppen in ehemaligen Kolonien motivieren können, den Rechtsweg zu beschreiten.

Resonanz in Namibia
Vertreter der Herero und Nama lehnen das Abkommen ab

In den namibischen Medien wurde das Thema der Aussöhnung zunehmend polarisierend, teilweise auch aufgeheizt durch gezielte Falschaussagen über die kursierenden Entschädigungssummen (die Rede war von 1 Milliarde N$, das entspricht rund 60 Millionen Euro), geführt.
In der vergangenen Woche haben lokale Zeitungen in Namibia berichtet, dass ein Abkommenzwischen Namibia und Deutschland erzielt sei: „we had fruitful negotiations“[3], ohne dass weitere Details benannt wurden.
​​​​​​​Bisher sind zum erzielten Abkommen keine Details bekannt. Die namibische Regierung verhält sich vereinbarungsgemäß zurückhaltend, Pressemitteilungen und offizielle Statements sind bisher nicht verlautbart worden. Es bleibt abzuwarten, ob und wann die namibische Regierung, eine offizielle Erklärung über die Details des Abkommens abgeben wird.  Die Vertreter beider Volksstämme der Ovaherero und Nama, die Ovaherero Traditional Authority (OTA) und Nama Traditional Leaders Association (OTA), sind indes scheinbar sehr unzufrieden mit dem Verlauf der Verhandlungen und dem erzielten Ergebnis. Die Summe, über die mangels Offenlegung nur spekuliert werden kann, wird von ihnen als viel zu niedrig angesehen. Die Vertreter der beiden Volksgruppen lehnen das Rahmenabkommen aus diesem Grunde ab und bezeichnen es schlicht als „PR-Coup“: „The so called reconciliation agreement, not reparation agreement, is a public relations coup by Germany and an act of betrayal by the Namibian government.“[4] Im gleichem Atemzug fordern sie die internationale Gemeinschaft (UN und AU) auf, das Abkommen abzulehnen.

Die Vereinigungen sehen sich als „victim communities“ nicht ausreichend durch die Verhandlungsführer der Regierung Namibias vertreten und verlangen eine direkte Beteiligung an den Verhandlungen.

„Es ist klar, dass Deutschland die namibische Regierung erneut hereingelegt und ihr ein Abkommen untergejubelt hat, das einem Ausverkauf gleichkommt,“[5] so lautet die gemeinsame schriftliche Erklärung der Vertreter der genannten Volksstämme, die an den Chefunterhändler, einen Herero, gerichtet war.
​​​​​​​„We want reconciliation, but in a honest way. Our dignity is still down, which money cannot heal,”[6] so die Verlautbarung der namibischen Politikerin Ida Hoffmann.

Aufgrund der schwierigen sozioökonomischen Lage im Land, insbesondere auch der benachteiligten sozialen Bevölkerungsgruppen, stellen Zahlungen einen zentralen kritischen Punkt bei der Debatte um die Entschädigung dar.

Abgeordnete der NUDO Partei (National Unity Democratic Organisation)[7] lehnen das Abkommen ab und beschuldigen die Regierung, das Thema „Genozid“ zu politisieren. Die betroffenen Regionen und Stammesvertreter, die sicher am besten um die Bedürfnisse der Opfergruppen und der vernachlässigten Gemeinden wüssten, seien von der Regierung konsequent ausgeschlossen worden: “How do you conclude a settlement or agreement without involvement of the majority of those who really were killed by von Trotha“[8], so eines der Statements vom Abgeordneten der NUDO Partei Joseph Kauandenge. Solange die Vertreter der Opfergemeinschaften das Abkommen schlussendlich nicht akzeptieren, kann der Konflikt nicht beendet werden. Streitigkeiten, Polarisierung und Politisierung bleiben damit vorprogrammiert. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die Folgen der Apartheidpolitik aus der Zeit als Namibia unter südafrikanischer Verwaltung stand noch nicht gänzlich überwunden sind und Tribalismus weiterhin eine große Rolle spielt. 

Die Bevölkerungsmehrheit der Ovambo, die die Regierungspartei SWAPO dominiert, war und ist von den Folgen der deutschen Kolonisierung weniger betroffen als die Vertreter der Herero und Nama. Die benachteiligten Gruppen sehen in dieser Tatsache ein zentrales Problem des gesamten Verhandlungsprozesses und fühlen sich nicht repräsentiert. Die erhofften Reparationszahlungen aus Deutschland könnten, so die Befürchtung der Nachfahren der Herero und Nama, von der Regierung vor allem dazu genutzt werden, den eigenen Machterhalt zu sichern. Eine gelungene historische Aufarbeitung kann nur mit der Akzeptanz dieser benachteiligten sozialen Gruppen gelingen.

Wie geht es nun weiter?

Die offiziellen Verhandlungen dauern nun schon mehr als fünf Jahre an und beide Verhandlungspartner wünschen sich einen baldigen erfolgreichen Abschluss. Seitens der Bundesregierung ist ein Abschluss der Verhandlungen vor Ende der aktuellen Legislaturperiode im September 2021 wünschenswert.

Die Frage bleibt, ob finanzielle Zahlungen jemals ausreichend sein können, entstandenes Unrecht und dessen Folgen wiedergutzumachen. Es geht um menschliches Leid, Verlust von Land, Heimat und kulturellem Erbe. Die Frage ist, an welcher Stelle die materielle

Messlatte angelegt werden muss?  Ein „zu viel“ oder „zu wenig“ wird es je nach Perspektive immer geben. Letztlich geht es um die Anerkennung des erlittenen Leids und Übernahme der historischen Verantwortung.

Es ist vermutlich erst der Beginn eines langen Prozesses. Zur objektiven Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit werden sicher auch die Aufklärung in den Schulen (auch in Deutschland) und offene gesellschaftliche Debatten gehören. Das Abkommen sollte die nationale Identität und Solidarität unter den verschiedenen Volksgruppen in Namibia fördern und auf diese Weise zum sozialen Frieden beitragen. Das Gedenken an die Opfer zu fördern, kulturelle Einrichtungen wie Museen zu schaffen und eine unverklärte Aufarbeitung der historischen Kolonialvergangenheit voranzubringen, sind Schritte, denen das Abkommen den Weg bereiten kann.

Deutschland hat aus den Erfahrungen seiner Geschichte gelernt und eine Kultur der Erinnerung geschaffen, welche die dunklen Seiten der eigenen Historie nicht ausspart, sondern sie als mahnendes Beispiel für künftige Generationen bewahrt. Mit Blick auf die Geschehnisse während der Kolonialherrschaft in Namibia, kann dieser Weg ebenso beschritten werden. Dies liegt im beidseitigen Interesse beider Länder zur Entwicklung freundschaftlicher bilateraler Beziehungen und dient insbesondere der nachhaltigen Entwicklung Namibias.


[1] Prof. Dr. Lammert bezeichnete die Kolonialverbrechen im heutigen Namibia als einer der ersten deutschen Politiker als Völkermord und forderte ein deutliches Bekenntnis, siehe Beitrag der ZEIT vom 08.Juli 2015: Bundestagspräsident Lammert nennt Massaker an Herero Völkermord

[2] Die „Schlacht am Waterberg“ (ca. 250 km von Windhoek entfernt) fand am 11. August 1904 statt

[3] The Namibian vom 17.05.2021, Ngavirue confirms “fruitful” genocide talks

[4] The Namibian vom 17.05.2021, Ngavirue confirms “fruitful” genocide talks

[5] Allgemeine Zeitung Namibia vom 18.05.2021, Genozid – Abkommen abgelehnt

[6] Namibian Sun vom 17.05.2021, Govt silent on reparation deal

[7] Die National Unity Democratic Organisation of Namibia ist eine politische Partei in Namibia. Sie gilt als ethnische Partei der Herero. Bei der letzten Parlamentswahl schnitt sie mit 1,96% Stimmanteilen ab und konnte zwei Sitze im namibischen Parlament erringen.

[8] The Namibian Sun vom 20.04.2021, Government politicized genocide matter - Nudo

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Natalie Russman (2021)

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