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IMAGO / ITAR-TASS

Länderberichte

Scheinwahl in Belarus

Machthaber Lukaschenko gönnt sich weitere fünf Jahre

Das am Montag veröffentlichte Ergebnis der “Präsidentschaftswahl” in Belarus mit 86,82 % für den seit 30 Jahren regierenden 70-jährigen Lukaschenko und ungefähr 9 % für die vier Zählkandidaten ist frei erfunden. Experten gehen davon aus, dass Lukaschenko aufgrund der perspektivlosen Lage des Landes im Würgegriff Russlands sowie fehlender echter Alternativen zwar realistisch besser als 2020 abgeschnitten hat, aber doch deutlich unter 50 % der Stimmen geblieben ist. Verifizieren lässt sich das allerdings nicht. Beobachter der OSZE waren zur Wahl nicht zugelassen, Kandidaten oppositioneller Parteien oder unabhängige zivile Wahlbeobachter hatten nicht einmal die Chance bekommen sich aufstellen zu lassen. Ausländische Korrespondenten, die zum Wahltag angereist waren, berichten von leeren Wahllokalen in Minsk, die offiziell verkündete Wahlbeteiligung von 85,7 % habe nichts mit der Realität zu tun. Lukaschenko hatte sich im Rahmen seiner politischen Kampagne als “Garant des Friedens” dargestellt, mit dem es keine Veränderungen geben würde. Eigentlich hätte die “Wahl” erst im Juli 2025 stattfinden sollen, wurde aber während eines Besuchs Lukaschenkos in Russland im Oktober letzten Jahres auf den 26. Januar vorverlegt. Die aktive Phase der Kampagne fiel somit auf den kältesten Monat des Jahres mit vielen Feiertagen, was die Wahrscheinlichkeit von Straßenprotesten verringerte. Auch hätte die sich seit dem 2. Halbjahr 2024 abzeichnende Abschwächung des Wirtschaftswachstums bis Juli 2025 deutlicher auf den Wohlstand der Bevölkerung auswirken können. Das “Wahlergebnis” benötigt Lukaschenko für den Anschein von legitimer Amtsführung und zur Überwindung des Traumas von 2020. Mit einem erneuerten Mandat könnte er sich auch für den Fall von Friedensverhandlungen in der Ukraine als Teilnehmer anbieten. Belarus befindet sich seit den mit größter Brutalität niedergeschlagenen Protesten gegen die Wahlfälschungen 2020 auf dem Weg hin zu einem totalitären Staat, mit enger Anbindung an Russland und vom Westen durch weitgehende Sanktionen isoliert.

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“Generationswechsel” in einem totalitären Umfeld

Wahlmanipulation ist nichts Neues in Belarus. Die OSZE-Berichte stellten das seit 2001 immer wieder hinreichend fest. Relativ neu ist der völlige Ausschluss der demokratischen Opposition.

Die Wahlfarce 2025 ist der derzeitige Schlusspunkt der Transformation von einem autoritären Staat mit kurzen liberalen Phasen hin zu einer totalitären Amtsausübung mit maximaler Annäherung an Russland. Noch im Februar 2022 wurde eine neue Verfassung im Sinne Lukaschenkosverabschiedet. Ein gleichgeschaltetes Parlament sowie die “All-Belarusische Volksversammlung”, welche ungünstig ausfallende Wahlen wieder annullieren und Lukaschenko dereinst die Plattform eines “Führers der Nation” bilden könnte, wurden im Februar und April 2024 besetzt.

Lukaschenko spricht in diesem Zusammenhang seit Ende Dezember 2024 gerne von einem bevorstehenden „Generationswechsel“. Dieser stützt sich mit Abschluss der beschriebenen Transformation auf ein Gerüst aus staatlichen Institutionen und ein System zur Auswahl von Loyalisten, um Ämter zu besetzen und Mandate zu erlangen. Die Voraussetzung für diesen “Generationswechsel“, also die Übertragung der Macht an eine andere Person ohne Gefährdung des etablierten Regimes und der Person Lukaschenko, wurde somit geschaffen. Vor 2030 rechnen Beobachter allerdings nicht damit, dass es planmäßig zu einem Wechsel kommt.

Das Regime kontrolliert mithilfe einer verschärften Strafgesetzordnung[1] und ausufernden Russifizierung[2] fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere die Ausübung von Religion[3], schulische und universitäre Bildung, Geschichtsverständnis und Kultur. Tausende Informationsprodukte, Organisationen und Personen, die dem Regime nicht ins Konzept passen, wurden für “extremistisch“ oder gar „terroristisch” erklärt und kriminalisiert bzw. hart bestraft, ebenso deren Umfeld. Die Repressionen hatten sich in der Vorwahlperiode nochmals verschärft. Bis November 2024 waren 22.500 Strafverfahren wegen angeblich “extremistischer Ausrichtung” eingeleitet worden. Die seit Juli 2024 in mehreren Gruppen erfolgte Begnadigung und Freilassung von insgesamt 258 politischen Gefangenen stand daher auch in krassem Gegensatz zu weiteren 1721 politisch motivierten Urteilen allein im Jahr 2024. Aktuell sind 1245 Menschen aus politischen Gründen in Belarus unter menschenverachtenden Bedingungen in Haft.

Experten halten es für ausgeschlossen, dass es zu weiteren Protesten aus der Gesellschaft heraus aufgrund der neuerlich manipulierten “Wahl” kommt. Zu groß ist die Angst vor immer neuen Repressionen. Die Zielgruppen dafür wurden im Jahr 2024 auf Solidaritätsnetzwerke und Familien von politischen Gefangenen ausgedehnt. Angesichts dieser permanenten Atmosphäre der Angst vor Repressionen können die noch im Land verbliebenen demokratischen Kräfte weder eine reale strategische Alternative anbieten noch eine systematische unabhängige Beobachtung organisieren. Daher lässt sich nicht feststellen, wie viele Belarusen tatsächlich an der Abstimmung am Sonntag teilgenommen haben. Das Regime hatte zudem Wahlurnen im Ausland nicht zugelassen, so dass einige Hunderttausend Belarusen im Exil keine Möglichkeit hatten, ihre Stimme abzugeben.

 

Die vier Zählkandidaten

Für die „alternativen“ Kandidaten hatte Lukaschenko noch Ende Oktober 2024 deren Rolle vorgegeben: Sie würden kandidieren, „um den Präsidenten zu flankieren und zu schützen“.[4] Im Einklang mit dieser Vorgabe überboten sie sich dann auch in ihrem Lob des amtierenden Staatsoberhaupts: Oleg Gaidukewitsch, der Vorsitzende der “Liberaldemokratischen Partei”, Alexander Chischniak, der Vorsitzende der “Republikanischen Partei für Arbeit und Gerechtigkeit“,[5] Sergej Syrankow, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, der ins Rennen gar mit dem Slogan ”Nicht anstatt, sondern zusammen mit dem Präsidenten!” ging.[6] Die Partei „Belaja Rus“, die als Präsidentenpartei gilt, wollte logischerweise keine Alternative zu Lukaschenko aufstellen.

Der vierten „Alternative“ zu Lukaschenko, Anna Kanopatskaja, einer von zwei vom Regime 2016-2019 zugelassenen demokratischen Parlamentsabgeordneten sowie systemtreue Präsidentschaftskandidatin 2020, war die Rolle der konstruktiven Oppositionellen zugewiesen worden.

Der „liberale Demokrat“ Gaidukewitsch durfte Lukaschenkos antiwestliche Rhetorik radikal zuspitzen; Der Kommunist Syrankow war dazu auserwählt worden, als ”linker Patriot” Nostalgiker der Sowjetzeit aufzufangen und als stalinistischer Hardliner aufzutreten; der „Sozialdemokrat“Chischniak durfte Lukaschenkas Ideen für den Arbeitsmarkt und Soziales weiterentwickeln.

Ohne die Ursachen der jeweiligen Probleme zu benennen, setzte Kanopatskajas Programm auf die Überwindung der Entvölkerung des Landes aufgrund von Abwanderung und fehlenden Perspektiven, die Gewährung von Rechten und Freiheiten für den Bürger sowie die Versöhnung in der Gesellschaft. Sie schlug die Normalisierung der Beziehungen zur EU vor, eine Verkürzung der präsidialen Amtszeit von 5 auf 4 Jahre sowie die Transformation zur parlamentarischen Regierungsform. Sie versprach sogar, sich für die Personen einzusetzen, „die für die Ereignisse des vorangegangenen Wahlzyklus zur Verantwortung gezogen wurden“, d.h. für die politischen Gefangenen.[7]

Die vorgebliche politische Vielfalt der Kandidaten sollte in erster Linie nach innen und außen Pluralismus der politischen Meinung demonstrieren. Ein echter Wettbewerb von Personen und Ideen war natürlich zu keinem Zeitpunkt vorgesehen.

 

Die Opposition im Exil

Die belarusische Opposition im Exil – das Büro von Svetlana Tichanowskaja, das Vereinigte Übergangskabinett sowie der Koordinierungsrat – einigten sich noch im August 2024 mehrheitlich auf eine Kampagne zur Delegitimierung der „Wahl“ und ihrer Ergebnisse[8] sowohl international als auch in Belarus. Später riefen sie die Bevölkerung im Land auf, gegen alle zu stimmen, sollte man gezwungen werden, sich ins Wahllokal zu begeben.  Im Ergebnis wurde die ”Wahl” im Westen lange vor seinem Höhepunkt am 26. Januar 2025 als eine Farce betrachtet. Die exilierte Opposition, wenn auch gegenwärtig mit kaum politischem Spielraum innerhalb des Landes, bleibt dennoch für ihr Land ein wichtiger politischer Akteur, der die Legitimation des Lukaschenko-Regimes international, aber auch in Belarus selber effektiv hinterfragt, und, sobald sich ein Fenster der Möglichkeiten öffnet, eine wichtige Rolle in der Transformation des Landes in Richtung Demokratie spielen kann.

 

Fazit

Außenpolitisch konnte Lukaschenko durch die „Wiederwahl“ seine Position nicht verbessern, obwohl es sein offensichtlicher Wunsch war, seinem Amt wieder den Anschein von Legitimität im Westen zu geben.

Es geht ihm auch darum, angesichts der voranschreitenden Annexion[9] von Belarus durch Russland, mehr Distanz und Spielraum zu seinem großen Nachbarn zu gewinnen. Belarus steht und fällt mit Russland, ist es doch Ko-Aggressor im Krieg gegen die Ukraine und auch wirtschaftlich komplett von Russland abhängig. Das Regime hat in dieser politischen Kampagne Angst vor der eigenen Bevölkerung gezeigt, der Einsatz von Sicherheitskräften auch am ”Wahltag” war unverhältnismäßig hoch. Lukaschenko hat seiner Bevölkerung nichts anzubieten außer das freudlose Leben auf einer vermeintlich friedlichen Insel. Er wiederholte in den letzten Wochen häufig, wie schwierig das Jahr 2025 für alle Belarusen werden würde.

 

 


 

[1]https://www.euronews.com/2021/06/08/belarus-toughens-laws-against-protesters-and-extremism, https://www.osce.org/files/f/documents/d/5/543240.pdf, https://reliefweb.int/report/belarus/belarus-misuses-counter-terrorism-and-anti-extremism-legislation-stifle-dissent-un-expert

[2]https://penbelarus.org/en/2023/12/26/rusifikaczyya-belarusi-sfera-kultury.html, https://bellit.info/manitorynh/ahljad-parushennja-mounykh-pravou-u-bjelarusi-z-1-lipjenja-pa-31-snjezhnja-2024-hoda.html

[3]https://apnews.com/article/belarus-lukashenko-religion-repression-dissent-58428374005dd0da383fbac7ad2c5d57

[4]https://belta.by/president/view/hotjat-menja-flankami-okruzhit-lukashenko-vyskazalsja-ob-alternativnyh-vydvizhentsah-v-prezidenty-672368-2024/

[5]https://news.zerkalo.io/economics/82174.html?c, https://www.dw.com/ru/cetverka-dla-bita-kto-sostavit-kompaniu-lukasenko-na-vyborah2025-v-belarusi/a-71145688

[6]https://nashaniva.com/ru/354475

[7]https://ru.belsat.eu/84312580/pragrama-kanapackaj, https://t.me/annakanopatskaya/147, https://t.me/annakanopatskaya/143

[8]https://tsikhanouskaya.org/platforma_2025_en.pdf

[9]https://www.understandingwar.org/backgrounder/russias-quiet-conquest-belarus

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Kontakt

Gabriele Baumann

Gabriele Baumann

Leiterin des Auslandsbüro Belarus

gabriele.baumann@kas.de 0046 8 6117000

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