Veranstaltungsberichte
„Wo ich her bin“
Gauck begann mit dem ersten Kapitel, in dem er seine Erinnerungen als Kind skizzierte. Er wuchs als Sohn eines Kapitäns mit seiner Familie in Wustrow bei Rostock auf. Als er 11 Jahre alt war, wurde sein Vater von den Sowjets verhaftet und nach Sibirien deportiert. Die Familie musste vier Jahre ohne ihren „Ernährer“ auskommen, erst 1955 konnte der Vater zurückkehren. „Hat man erst die Person, so findet man auch ein Delikt“, kommentierte Gauck diese Zeit, in der er seine Mutter als sehr unglücklich und ängstlich empfand.
„Bleiben oder Gehen?“
Als er später selbst Vater war, sollten seine eigenen Kinder nicht denken, dass sie Gefangene in der DDR waren. Als sie auf der Ostsee ein Schiff Richtung Dänemark beobachteten, sagten die Kinder, dass sie auch gerne auf diesem Schiff mitfahren würden. Gauck musste ihnen erklären, dass dort nur Leute aus dem Westen mitreisen konnten. „Für genauere Erklärungen waren die Kinder damals noch zu jung“, sagte Gauck und ergänzte: „Die DDR ist damals zum Abschiedsland geworden – oder ist sie schon immer eins gewesen?“
Viele junge Menschen verließen in den 80er Jahren die DDR, was auch daran lag, dass der Staat festlegte, wer Abitur machen konnte. „Mein Sohn durfte kein Abi machen, wollte aber Arzt werden“, erläuterte Gauck den Grund, warum seine Kinder später einen Ausreiseantrag stellten. Im November 1987 sollte dann ein neuer Antrag geschrieben werden, dem auch schnell ein positiver Bescheid folgte. Seine beiden Söhne verließen im Winter 1987 die DDR, was besonders Gaucks Frau sehr schwer fiel. „Wenn man doch die Grenze einreißen könnte“, dachte die Familie damals. „Wir waren zwei Mal am Rostocker Hauptbahnhof – im Abstand von einem Tag. 1987 verbrachten wir Weihnachten ohne Christian und Martin“, sagte Gauck und vervollständigte: „Angst, Wut, Trotz, Sehnsucht – all das brach aus Christian heraus. Endlich konnte er seinen eigenen Weg gehen und Medizin studieren.“
1989 verließ dann auch die erste Tochter die DDR gen Bremen, wo sie ihren Mann heiratete. Gauck, von Beruf Pfarrer, traute sie damals. Nach der Rückkehr aus Bremen wurde Gauck Mitglied und später auch Sprecher des Neuen Forums Rostock. Als Pfarrer leitete er die Gottesdienste und organisierte die anschließenden Groß-Demonstrationen. Den Fall der Mauer erlebte er vor dem Fernseher, anschließend wurde er Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Zum Ende der Lesung formulierte Joachim Gauck noch zwei wichtige Sätze, die er vor allem den anwesenden Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg gab. „Freiheit ist das Wichtigste, was es gibt im Leben. Und: Kein System ist so lernfähig, wie die Demokratie.“
Nach der Lesung signierte er noch zahlreiche Bücher und kam mit den Braunschweigern ins Gespräch, die sich für den spannenden Einblick in Gaucks Leben bei ihm bedankten.
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Steffen Lühning