Veranstaltungsberichte
Gleich zu Beginn seines Vortrags warnte Dr. van Hüllen aus aktuellem Anlass davor, die Verfassungsschutzämter der Länder in andere Institutionen einzugliedern oder gar aufzulösen. Trotz der erkannten Mängel bei den Ermittlungen im Bereich des NSU-Terrorismus habe sich die Arbeitsteilung zwischen Polizei und Verfassungschutz durchaus bewährt. Als Voraussetzung erfolgreicher Zusammenarbeit sei vor allem die persönliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit der beteiligten Personen.
Die aktuelle Lage ist durch eine stark angewachsene Zahl unterschiedlichster Protest- und Gewaltmethoden und -formationen gekennzeichnet. Diese Variationsbreite macht eine intensive und genaue Vorfeldaufklärung notwendig, um die Polizei in die Lage zu versetzen, sich gezielt personell und materiell auf die möglichen Szenarien vorzubereiten.
Entscheidend für Strategie und Taktik im Umgang mit gewalttätigen Demonstranten war für die Bundesrepublik 1952 der sog. "Essener Blutsonntag". An jenem Tag wurde bei einer verbotenen KPD-Demonstration ("Friedenskarawane") ein Demonstrant durch den Pistolenschuß eines Polizisten getötet. Als Konsequenz daraus entwickelte die Polizei Führungsgrundsätze und Verfahren, die auf Deeskalation beruhten, aber auch die für solche Einsätze notwendige Ausrüstung forderte (Schutzausrüstung, Wasserwerfer etc.). Damit hob sie sich von Anfang an ab von den in der Weimarer Zeit üblichen Vorgehensweise, die durch offene Konfrontationen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekennzeichnet waren und in der die Polizei oft zwischen die Fronten paramilitärischer Organisationen geriet.
Erst Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts endete eine langjährige Ruhephase mit dem Ausbruch - auch - gewalttätiger Demonstrationen im Zuge der 68er Bewegung (Proteste gegen Notstandsgesetzgebung, Springer-Presse, Vietnam-Krieg etc.) und dem Terrorismus der RAF. In diesem Zusammenhang entstand auch das "Feindbild Polizei". Vor allem die linksextreme Szene betrachtete diese als Vertreter des in ihren Augen "kapitalistischen Systems" der Ausbeutung und Unterdrückung, die man nicht länger als Individuen wahrzunehmen hatte, sondern als Kollektiv (Ulrike Meinhof: "Schweine") und gegen die auch und gerade der Einsatz von Gewalt als legitim erachtet wurde. Heute findet sich diese Haltung in der "ACAB"-Formel wider (all cops are bastards). In den achtziger Jahren eskalierte diese Entwicklung in zahlreichen Demonstrationen europaweit, vor allem in Griechenland, Frankreich und Italien, aber in Deutschland (Anti-AKW-Bewegung, Demonstrationen gegen NATO-Doppelbeschluss, internationale (Regierungs-)Konferenzen).
In seinem zweiten Teil stellte van Hüllen die Typologien rechts- und linksextremer Gewalt vor. So richtet sich rechtsextreme Gewalt vor allem gegen sozial Schwache, die weniger von Angehörigen der eher legalistisch denkenden "alten" NPD-Anhängern ausgeht, sondern vor allem von deren Subkultur, die Gewaltanwendung als "bilogisches Naturgesetz" verbrämen und auch gegen politsche Gegner vorgehen.
Linksextreme dagegen wenden sich vor allem direkt gegen den politischen Gegner bzw. gegen die "Stützen des Systems". Vor allem die Autonomen sehen in der Gewaltanwendung ein "Lebensgfühl ihrer Power". Dabei pflegen sie das Bild einer Idealgesellschaft, die es - auch durch Gewalt - zu erstreben ist, in der alle Menschen gleich und sind und in der es keine Konflikte mehr geben wird. Den Rechtsextremen geht es dagegen um den Aufbau einer "solidarischen Gesellschaft", die nur funktioniert, wenn sie ethnisch homogen sei. Das setzt allerdings die "Vernichtung Volksfremder" ebenso voraus wie die Vernichtung "rassefremder Elemente".
Unabhängig davon, ob die Gewalt von rechts- oder linksextremen verübt wird, hat sich bei beiden inzwischen ein hochprofessionialisiertes Organisationspotenzial herausgebildet. Trotz einiger "Kreativität" der Organisatoren gelingt es der Polizei - auch durch internationalen Erfahrungsaustausch - vergleichsweise schnell, sich auf neue Szenarien und Herausforderungen einzustellen.