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Ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl in Russland, das diesjährige Partnerland der Hannover Messe, will Präsident Vladimir Putin sein Land politisch neu ordnen. Eine Ankündigung, die bei der Opposition die Alarmglocken klingeln lässt.
Um die politische Situation sowie die Denkweisen der russischen Gesellschaft zu verstehen, beschrieb Boris Reitschuster sie als „stark traumatisiert“ und durch eine „tiefsitzende Angst“ gekennzeichnet; verursacht durch die nicht endenden Katastrophen des 20. Jahrhunderts – z.B. Niederlage des 1. Weltkrieges, die Hungerkatastrophe anlässlich der Zwangskollektivierung der Kulaken in den 20er Jahren, die Stalinschen Säuberungswellen und die materiellen und personellen Verluste im Zweiten Weltkrieg. Selbst die Reformen Michail Gorbatschows mit Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) empfanden die meisten Russen als Desaster, weil sie mit der Auflösung des Sowjetimperiums und dem Verlust der Weltmachtstellung gleichgesetzt wurden. Wegen dieser schrecklichen Vergangenheit sei „Stabilität“ das entscheidende Schlüsselwort, für das Vladimir Putin stehe, weshalb sich auch die Mehrheit der Menschen an der Wahlurne für ihn entscheiden würden.
Reitschuster verwies auch auf die Kontinuität „sowjetischer Machtstrukturen“ im Herrschaftsapparat des Kreml, die von Putin als „starker Präsident“ meisterhaft genutzt und in einer spezifischen Weise umgebaut würden. Dazu zählt er die „vertikale Verteilung der Macht“, d.h. einen allmächtigen Staatsapparat und nationalistische Parolen. Die Medien würden gezielt manipuliert und als Instrument der Desinformation benutzt. Die wenigen kritischen Magazine würden erst um zwei oder drei Uhr Nachts im Fernsehen ausgestrahlt. Zudem kontrolliere Putin das Parlament. Hierzu zitierte er den Fraktionsvorsitzenden der Regierungspartei „Einiges Russland“, Boris Gryslow, der erklärte, „das Parlament sei kein Ort für Diskussionen“, sondern habe allein die Aufgabe, die Regierung zu stützen.
Das Wirtschaftssystem Russlands sei hingegen als „manchester-kapitalistisch“ zu charakterisieren. Dies zeige sich z.B. in der ungezügelten Bereicherung einiger weniger Oligarchen bzw. Multimillionäre wie z.B. Roman Abramovitch, der sogar einen eigenen Fußballclub besitzt. Dadurch sind spezifische Verknüpfungen von Regierungs- und Wirtschafsmagnaten Russlands entstanden, wie z.B. die Freundschaften Putins mit seinen Judoka-Freunden, die gleichzeitig Lieferanten von Gazprom sind.
Trotz allem erfreut sich Putin einer großen Wertschätzung in Russland. Dies ist zum einen auf den Wirtschaftsaufschwung der letzten 12 Jahre unter seiner Präsidentschaft zurückzuführen. In dieser Zeit stiegen die Durchschnittseinkommen von 60 auf 420 Euro, also um das Siebenfache. Zum anderen empfänden die Menschen diese Zeit im Vergleich zu den vergangenen durch ein hohes Maß an Kontinuität und vor allem Stabilität gekennzeichnet.
Ein weiterer Grund für die - zumindest nach außen erscheinende - unangefochtene Machtstellung Putins sei im äußerst geschickten Einsatz von „Gewalt“ zu sehen, die im Gegensatz zu früher eher psychischer als physischer Natur sei. Präsident Putin sei ein „Meister der Psychologie“, der Methoden des KGB (Kommunistischer Geheimdienst) geschickt um moderne „Varianten“ der Einschüchterung ergänzt habe.
Ob sich Putin und seine Gefolgsleute auch mittelfristig an der Macht halten können, sei allerdings nicht sicher. In den putinschen „Seilschaften“ machten sich erhebliche Widerstände breit, die sich dagegen wehren, die Auslandsguthaben in Milliardenhöhe wieder nach Russland zurückzutransferieren. Auch die oppositionellen Kräfte seien nicht zu unterschätzen.
Jan-Niklas Kuhfahl (FSJ Politik Niedersachsen)