Hintergrund
Im Dezember 2021 lancierte die EU die Konnektivitätsstrategie „Global Gateway“. Ziel der Initiative ist, Partnerschaften zu Ländern außerhalb der EU durch gemeinsame infrastrukturelle Projekte zu stärken. Projekte im Rahmen der Strategie sollten hohe Standards in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Nachhaltigkeit respektieren. Damit soll „Global Gateway“ ein Gegenmodell zu der Belt & Road-Initiative (BRI) Chinas bilden: BRI-Projekte wurden oftmals von schweren Korruptionsfällen begleitet, vielfach gerieten teilnehmende Staaten aber auch in Schuldenfallen und somit in eine tiefere Abhängigkeit von China. Eine wichtige Rolle soll bei „Global Gateway“ der Privatsektor einnehmen. Die Initiative soll Investitionen in den Bereichen Transport, Energie und Klima, Forschung und Bildung sowie Digitalisierung tätigen. Die Investitionen sollen dabei prioritär saubere Technologien und saubere Energie fördern. Bis 2027 will die EU rund 300 Milliarden Euro investieren, die Hälfte davon ist für den afrikanischen Kontinent vorgesehen. Zielländer der Initiative sind grundsätzlich Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen.
Bislang hat sich die EU nach Angaben der Europäischen Kommission zu Projekten in Höhe von insgesamt 66 Milliarden Euro verpflichtet. Die Mittel stammen aus unterschiedlichen Töpfen und Instrumenten, darunter aus NDICI (Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit) und Garantien aus dem Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung Plus. Rund die Hälfte der Investitionen soll über die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), die Europäische Investitionsbank (EIB) und durch die EU-Mitgliedstaaten aufgebracht werden.
Bislang zählt die Initiative für das Jahr 2023 87 „Leuchtturmprojekte“ in 54 Ländern. Die bisher in Afrika, Lateinamerika, Asien, dem westlichen Balkan und der europäischen Nachbarschaft identifizierten Leuchtturmprojekte fallen in sehr unterschiedliche Themenbereiche: So geht es in den Projekten sowohl um grüne Wirtschaft, Gesundheit, Digitalisierung, Infrastruktur und kritische Rohstoffe. Der Ehrgeiz der Projekte ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: Es gibt sowohl finanzielle Leichtgewichte, als auch strategische Großprojekte wie das geplante hochmoderne Medusa-Unterwasser-Glasfaserkabel, das Nordafrika und südliche EU-Länder miteinander verbinden soll. Einige Projekte sind wiederum bereits geplante, aber nun „umgewidmete“ Initiativen.
Das Global Gateway Forum am 25. und 26. Oktober war nun eine Gelegenheit, öffentlichkeits- wirksam für die Initiative zu werben und gleichzeitig einige wichtige Abschlüsse neuer Projekte zu verkünden. Bemerkenswert: Das Treffen fand nur eine Woche nach dem dritten von China organisierten Belt & Road Forum für internationale Zusammenarbeit statt.
Teilnehmende Staaten
Insgesamt nahmen 16 Staats- und Regierungschefs aus nicht-europäischen Ländern teil (siehe Karte anbei). Zahlreiche weitere Länder waren durch den stellv. Staats- und Regierungschef oder durch Minister und Staatssekretäre vertreten. Einige Länder reisten sogar mit mehreren Regierungsvertretern an. Aus der EU nahmen 7 Staats- und Regierungschefs teil, mehrere EU-Staaten (v.a. aus Mittelosteuropa, aber auch Italien) waren weder durch einen Minister noch durch einen Staatssekretär vertreten. Aus Deutschland kam die Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik Jennifer Morgan. Insgesamt waren 46 Länder mindestens auf der Staatssekretärsebene vertreten. Auffällig war eine vergleichsweise starke Präsenz von Ländern aus Subsahara-Afrika. Vergleichsweise schwach war die Präsenz aus Lateinamerika – obgleich nicht wenige Global Gateway Projekte dort angesiedelt sind. Bemerkenswert ist vor dem Hintergrund der startenden G20-Präsidentschaft sowie der kürzlich verkündeten Erweiterung des BRICS-Staatenbundes insbesondere die Abwesenheit Brasiliens. Mehrere Länder, die beim Gipfel zugegen waren, sind auch eng in die BRI-Initiative Chinas involviert. Unter den teilnehmenden außereuropäischen Ländern waren sowohl Demokratien, hybride Regime aber auch tief autoritäre Länder.
Daneben nahmen auch Leiter und Leiterinnen internationaler Organisationen teil, u.a. von der Europäischen Investitionsbank (EIB), der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), der Weltbank, der Weltgesundheits- und Welthandelsorganisation sowie die stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen.
Agenda des ersten Global Gateway Forums 2023 und Resultate
In ihrer Eingangsrede porträtierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Initiative als neuen Ansatz für große Infrastrukturprojekte in einer immer schwierigeren globalen Großwetterlage. Gleichzeitig machte von der Leyen gleich mehrere Seitenhiebe gegen die Schwächen und Schattenseiten der BRI:
„Was für uns zählt, ist, dass Global Gateway den Ländern Wahlmöglichkeiten lässt, bessere Wahlmöglichkeiten. Denn für viele Länder weltweit sind Investitionsoptionen nicht nur begrenzt, sondern mit viel Kleingedrucktem und einem mitunter sehr hohen Preis verbunden. Manchmal zahlt die Umwelt diesen Preis. Manchmal die Arbeitskräfte, die ihrer Rechte beraubt werden. Manchmal werden ausländische Arbeitskräfte ins Land geholt. Und manchmal ist gar die nationale Souveränität gefährdet. Kein Land sollte je gezwungen sein, seine Zukunft zu verkaufen, um seine Infrastruktur finanzieren zu können.“
Der Fokus von Präsidentin von der Leyen auf den „Green Deal“, Europas Unterstützung für Länder wie Indien bei den Herausforderungen durch den Klimawandel, wurde ebenfalls deutlich und spiegelt sich auch in den diversen Projekten mit Klimabezug in Lateinamerika oder Asien wider6. Neben den diversen Verlautbarungen wurden am Rande des Gipfels auch zahlreiche neue Projekte, teils in niedrigerer zwei-, teils aber auch in dreistelliger Millionenhöhe signiert.
In Südostasien lag der Fokus beim Global Gateway Forum insbesondere auf Vietnam und den Philippinen und konzentrierte sich auf klimapolitische Initiativen in beiden Ländern. So haben Vietnam und die Europäische Investitionsbank (EIB) eine Absichtserklärung unterzeichnet, um die Umsetzung der Just Energy Transition Partnership (JETP) in Vietnam zu unterstützen. Darin verpflichten sich beide Seiten, eine Kreditfazilität im Umfang von 500 Millionen Euro einzurichten. Damit unterstützt die EU insbesondere die Reformen im Energiesektor.
Auf den Philippinen liegt der Schwerpunkt auf einem Finanzierungsabkommen über 60 Milli- onen Euro für grüne Wirtschaft. Mit diesem Programm soll die Inselgruppe im westlichen Pazifik bei der nachhaltigen Wirtschaftsreform unterstützt werden. Dazu gehört beispielsweise die Implementierung einer Kreislaufwirtschaft, um die Auswirkungen der Klimakrise zu bewältigen. Anfang dieses Jahres unterzeichneten von der Leyen, und der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr. bereits ein Abkommen im Rahmen von Global Gateway mit einem Finanzvolumen von 466 Millionen Euro für grüne Wirtschaft. In Zentralasien wurden insbesondere Projekte mit Fokus auf den globalen Handel unterzeichnet. In Usbekistan wurde die Ausarbeitung einer Absichtserklärung im Bereich der nachhaltigen kritischen Rohstoffe (CRM) priorisiert, während mit Turkmenistan ein Abkommen zur Unterstützung des WTO-Beitritts im Vordergrund stand. In Tadschikistan und Kirgisistan wurde der Schwerpunkt auf Bildungsund digitale Infrastrukturprojekte gelegt. Mit Bangladesch unterzeichnete die EU ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zum Ausbau und zur Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen. Bei dieser Gelegenheit unterzeichneten die EU, die Europäische Investitionsbank (EIB) und Bangladesch Vereinbarungen über 400 Millionen Euro für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, die zur Erreichung der Klimaschutzziele des Landes beitragen sollen.
Neben Kenia (EU-Beitrag von 72 Mio. EUR für Kenia im Rahmen der jährlichen EU-Aktionspläne 2023 und 2024) wurden am Rande des Forums mit Angola, der DR Kongo und Sambia „stra- tegische Partnerschaften“ zu Lieferketten für kritische Rohstoffe abgeschlossen sowie – zusammen mit den USA – ein Ausbau des für den regionalen Handel strategisch wichtigen Lobito-Korridors vereinbart.
Ein besonderer Schwerpunkt der Initiative, der auch durch von der Leyen in ihrer Eingangsrede mehrfach hervorgehoben wurde, ist eine engere Zusammenarbeit insbesondere mit afrikanischen Ländern im Gesundheitsbereich und beispielsweise bei der Förderung von lokaler Produktion für mRNA – Vakzine, einem für viele afrikanische Länder sehr wichtigen Thema.
Analyse
Einige Beobachter bemängeln die noch fehlende strategische Klarheit darüber, ob es sich bei „Global Gateway“ nun vor allem um eine entwicklungspolitisch orientierte Strategie handelt oder aber doch um ein klar geopolitisches Projekt. Auch wenn einige hochrangige Offizielle der Europäischen Kommission letzteres mehrfach verneint haben, so lassen die Rede der Kommissionspräsidentin beim Global Gateway Forum, die teilnehmenden Länder und einiger Flaggschiffprojekte wenig Zweifel daran, dass es sich doch um eine geostrategische Initiative handelt. Die geweckte Erwartungshaltung mit Blick auf die Resultate ist mithin enorm.
Gleichzeitig hatte die Initiative allerdings mit einigen Hürden zu kämpfen, die den Start erschwerten: Ende 2021 stand der Finanzrahmen der EU bis 2027 bereits fest. Entsprechend viele Mittel waren mithin bereits gebunden. Auch die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine bindet seither einige Ressourcen. Entsprechend verwundert es wenig, dass es sich bei vielen Global Gateway-Initiativen um bereits geplante Projekte handelt, die lediglich umgewidmet wurden. Noch liegen die Investitionssummen meist nicht in einer mit dem BRI konkurrenzfähigen Höhe. Eher holprig verläuft bislang auch noch die Kommunikation der Strategie an potenzielle Partner. Ein Beispiel: Obwohl der Einbezug privater Partner ein zentraler Baustein der Strategie ist, verkündete die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften Jutta Urpilainen erst im September 2023 die Schaffung eines Beratungsgremiums mit Unternehmervertretern. Über das Forum selbst erfuhren wichtige Wirtschaftsakteure und Verbände zum Teil nur sehr kurzfristig.
Ganz grundsätzlich steht die EU vor der Herausforderung, einen sehr schwierigen Balanceakt zwischen mehreren Zielen vollführen zu müssen: Erstens soll die Strategie eine mit Hinblick auf Governance, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Nachhaltigkeit „sauberere“ Alternative zur BRI darstellen und demokratische Werte weltweit fördern. Zweitens soll sie Projekte mit einem Umfang und einer strategischen Bedeutung beinhalten. Drittens will sie trotz (noch) begrenzter finanzieller Mittel strategische Projekte mit möglichst vielen wichtigen Partnern abschließen. Diesen Zielen in gleichem Masse gerecht zu werden, wird eine Herausforderung. Umstritten ist zwischen Brüsseler Akteuren, wie streng demokratische Konditionalität oder zumindest Rechenschaftspflicht bei der Durchführung der Projekte gehandhabt werden soll.
Trotz aller Hindernisse und Startschwierigkeiten sollte die Initiative nicht zu früh abgetan werden. Eine wirkliche Alternative zur BRI ist dringend notwendig und überfällig und verdient die volle Unterstützung der Mitgliedstaaten. Oder um es mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, David McAllister zu sagen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“.
Gleichzeitig wird die Initiative nur an Fahrt aufnehmen können, wenn sie nach schleppendem Beginn beharrlich fortgeführt und mit den nötigen Mitteln ausgestaltet wird. Wichtig ist auch eine Klärung ihrer strategischen Ausrichtung und Handlungslogik (geopolitisch oder entwicklungspolitisch). Um sich zu einer wirklichen und nachhaltigen Alternative zur BRI zu entwickeln, muss sie einen wichtigen Pfeiler in der Arbeit der nächsten Europäischen Kommission bilden und auch im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU (ab 2028) einen zentralen Platz einnehmen.
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