Länderberichte
Etwas mehr als fünf Wochen sind seit der Ankündigung der Verschiebung der ursprünglich für den 14.2. geplanten Wahlen vergangen. Am 28. März, sind nun die Nigerianer aufgerufen den Präsidenten und ein Parlament neu zu wählen. In den vergangenen Wochen wurden in den nationalen Medien verschiedene Theorien zu den „tatsächlichen“ Gründen für die Verlegung der Wahl und deren mögliche Folgen vertreten. Hierbei zeichneten sich zwei Trends ab:
Nicht wenige glauben, Präsident Jonathan und seine Partei, die PDP spielten auf Zeit. Die Verschiebung der Wahlen ist demnach Teil eines Komplotts, das den Machterhalt Jonathans und seiner Gefolgsleute sichern soll. Wie das konkret vonstatten gehen soll, darüber schweigen sich die Ankläger, größtenteils Sympathisanten von Buharis APC, jedoch aus. Die Vorwürfe reichen von geplanter Wahlfälschung, über die kalkulierte Provokation eines Verfassungskonflikts durch neuerliche Verzögerungen und die Einsetzung einer Interimsregierung, bis hin zur absichtlichen Destabilisierung des Landes zum Nutzen der regierenden PDP. Überzeugende Argumente für die in sich nicht selten widersprüchlichen Szenarien hat bisher jedoch noch niemand vorgebracht.
Im Zusammenhang mit diesen Vorwürfen wird immer wieder die angebliche Verschwörung von Jonathans PDP mit dem nigerianischen Militär kolportiert. So gibt die Tageszeitung The Punch am 10. Februar einen Brief wieder, der aus der Feder des nationalen Vorsitzenden der APC, John Odigie Oyegun stammen soll. In dem Schreiben ist von einer angeblichen Verschwörung von PDP und Militär die Rede: „Wir wissen, dass das Büro des Präsidenten eine geheime Mitteilung an die Kommandeure der Divisionen und Bataillone der Streitkräfte Nigerias gesandt hat, in der ein dreitätiges Strategietreffen in Kaduna von heute (Montag) an erwähnt ist. Dieses Treffen dient der Klärung der Frage, inwiefern das Militär genutzt werden kann, die Wähler in den APC dominierten Bundesstaaten einzuschüchtern, um die Wahlen zugunsten des Präsidenten Jonathan zu beeinflussen“.
Der verantwortliche Kampagnenplaner der APC, Garba Shehu stößt in dasselbe Horn. Am 11. Februar erklärte er in der Tageszeitung Daily Sun, er glaube, dass die mangelnde Sicherheit als Begründung zur Verschiebung der Wahl lediglich vorgeschoben sei. Tatsächlich handele es sich um eine Verschwörung der PDP und des Militärs, die bald eine Übergangsregierung einsetzen wollten.
Am 17. Februar behauptete wiederum der Journalist Bello Imam in der Tagezeitung The Nation, sein Blatt habe einen geheimen Plan zwischen PDP und dem nigerianischen Militär zur Manipulation der Wahlen aufgedeckt. Am 9. Februar soll es demnach zu einem Treffen zwischen Vertretern der PDP und dem Militär in Abuja gekommen sein, bei dem geklärt werden sollte, inwiefern das Militär zur Einschüchterung von Wählern der APC genutzt werden könne. Bello gibt in seinem Artikel eine Quelle wieder, die erklärt habe, dass das Militär bestrebt sei, die Lage im Norden weiter zu destabilisieren, um Wahlen dort unmöglich zu machen.
Während Präsident Jonathan diesen Vorwürfen vehement widerspricht und angebliche Pläne für eine weitere Verschiebung der Wahlen als verfassungswidrig zurückweist, berichtete die Tageszeitung The Punch am 10. Februar, Muhammadu Buhari habe davor gewarnt, dass eine weitere Verzögerung zu einem „zivilen und militärischen Coup“ führen würde.
Politische Propaganda
Sätze wie diese aus dem Mund des ehemaligen Militärherrschers Buhari sind Wasser auf die Mühlen der Propagandisten aus dem gegnerischen Lager. Seit Wochen bereits ist das Wahlkampfbüro der PDP, eine Abteilung mit dem sperrigen Namen Media and Publicity of the Peoples Democratic Party Presidential Campaign Organisation (PDPPCO), unter Jonathans Chef-Propagandisten Femi Fani Kayode sichtlich darum bemüht, die Vergangenheit Buharis als Militärherrscher (1983-85) in den schwärzesten Farben zu zeichnen. Im Programm des Staatsenders National Television Authority (NTA) lief eine entsprechende „Dokumentation“ der Vergehen Buharis mehrfach. In den großen Tageszeitungen des Landes schalten die PDP oder deren Sympathisanten regelmäßig ganzseitige Anzeigen, die Buhari in früheren Fotografien als General und Militärherrscher zeigen. Garniert sind diese Bilder mit aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen Buharis, die seine besondere Brutalität hervorheben und ihn als Anti-Demokraten ausweisen sollen.
Andererseits lässt das Wahlkampfbüro der APC mit dem nicht weniger sperrigen Namen All Progressives Congress Presidential Campaign Organisation (APCPCO) unter Garba Shehu keine Möglichkeit ungenutzt verstreichen, Präsident Jonathan und die PDP verschiedener Komplotte und antidemokratischer Umtriebe mit dem nigerianischen Militär zu bezichtigen. Wo die PDP als regierende Partei jedoch auf größere Ressourcen zur Finanzierung eines um sechs Wochen verlängerten Wahlkampfes zurückgreifen kann, ist die APC gezwungen, ihre Mittel zu strecken und eine Art Guerilla-Marketing für sich und gegen ihren erklärten Hauptfeind, die PDP, zu betreiben.
Nach seinem Auftritt am 7. Februar ist auch der Leiter der Wahlkommission INEC Attahiru Jega in den Fokus der Propaganda der PDP geraten. Bereits unmittelbar nach seiner Erklärung wurden Stimmen laut, die seine Absetzung als Leiter der Wahlkommission verlangten. Am 10. Februar berichtete The Punch, dass eine der führenden Lobbygruppen im Süden Nigerias, das Southern Nigerian Peoples Assembly, geführt von dem PDP-Mitglied Edwin Clark, Jegas Rücktritt gefordert habe. Clark wirft Jega vor, mehr Wahlkarten im muslimischen Norden des Landes, der Hochburg Buharis, als im Lager Jonathans, dem überwiegend christlichen Süden, verteilt zu haben.
Jegas Amtszeit begann im Juni 2010. Zum Leiter der Wahlkommission wurde er damals von Goodluck Jonathan ernannt, der gerade als Präsident Nigerias vereidigt worden war. Am 30. Juni 2015 würde Jega sein Amt turnusgemäß niederlegen. Nun fordert aber neben Clark eine Reihe weiterer nigerianischer Politiker aus dem Umkreis der PDP Jegas vorzeitige Entlassung in den Ruhestand und bemüht dafür eine Regelung des öffentlichen Dienstes, die eine dreimonatige Übergangsfrist vorsieht. Jegas Befürworter wittern einen Plot der PDP gegen den als nicht korrumpierbar geltenden Jega.
In der Tat ist die Propaganda der PDP gegen Jega kaum geeignet, die Vorwürfe der Verschwörung zu entkräften. Der Spitze von Jonathans Partei war vor allem die Begründung Jegas zur Verschiebung der Wahlen aufgestoßen. Die nigerianische Öffentlichkeit hatte die angeführte fehlende Sicherheit als Versagen der amtierenden Regierung interpretiert. Nun wirft die PDP, allen voran deren Chef-Propagandist Femi Fani Kayode dem Leiter der Wahlkommission vor, ein Parteigänger Buharis und der APC zu sein.
Am 11. Februar gab die Daily Sun Kayode mit der Erklärung wieder, die Verschiebung der Wahlen sei nicht aus Sicherheitsgründen erfolgt, sondern aufgrund der Probleme der Wahlkommission bei der Verteilung der Wahlkarten. Jega habe das mit seiner Erklärung lediglich verschleiern und der PDP schaden wollen, erklärte Kayode gegenüber der Daily Sun. Die PDP-Spitze wirft der Wahlkommission darüber hinaus vor, nicht genügend auf die Wahlen vorbereitet zu sein. So sei die Qualität der Wahlurnen nicht gewährleistet und das Personal der Kommission nur ungenügend ausgebildet. Bereits einen Tag zuvor hatte die Zeitung The Punch berichtet, innerhalb der PDP arbeite man bereits an einer Liste mit den „Sünden“ Jegas, die zu seiner vorzeitigen Entlassung führen sollten. Am 12. Februar berichtete ebenfalls The Punch, Kayode habe Jega vorgeworfen, sich mit Mitgliedern der APC in Dubai getroffen zu haben, um sicherzustellen, dass 23 Millionen nigerianische Wähler, die ihre Wahlkarten noch nicht erhalten hätten, diese auch nicht mehr bekommen würden.
Seit einiger Zeit schalten die PDP und deren Sympathisanten nun auch ganzseitige Anzeigen in den großen Nachrichtenblättern, um Jega zu diskreditieren. Einige dieser Anzeigen zeigen Jega auf der Toilette, andere vor einem Computer sitzend. Kombiniert sind die Karikaturen mit Vorwürfen und Unterstellungen, die zum Teil als Fragen formuliert sind. Im Kern betreffen diese die angeblich ungleichmäßige Verteilung der Wahlkarten, die unterstellte Manipulation der Kartenleser, die schlechte Ausbildung des Wahlpersonals, die Zurückhaltung von mehreren Millionen Karten an einer ihrer Produktionsstätten in China sowie angeblich fehlende Wahlurnen. Die Anzeigen sollen klar erkennbar den Ruf der Wahlkommission und ihres Vorsitzenden schädigen.
Eine dritte Form politischer Propaganda, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Wahlen gesehen werden kann, betrifft die nicht unabhängig überprüfbaren Erfolge des nigerianischen Militärs und seiner Verbündeten im Kampf gegen Boko Haram. Während Journalisten der Zugang zu den Kampfgebieten im Nordosten weiterhin verwehrt ist, erscheinen in den größten Tageszeitungen regelmäßig Erfolgsmeldungen und zuletzt auch ganzseitige Anzeigen der PDP oder ihrer Sympathisanten, die einen Zusammenhang zwischen den Wahlen, den angeblichen Erfolgen des Militärs und der regierenden PDP herstellen sollen. Am 20. Februar meldete die Daily Sun unter Berufung auf Angaben aus Militärkreisen, nigerianische Truppen durchkämmten den Sambisa Forest, ein Waldgebiet im Norden an der Grenze zu Tschad und Kamerun und Rückzugsort der Boko Haram. 300 Kämpfer der Terrorgruppe seien bereits getötet und 11 Kommunen im Bundesstaat Borno durch nigerianische Einheiten zurückerobert worden.
Gleichzeitig melden die Tageszeitungen jedoch auch einen Anstieg der Sprengstoffanschläge, zumeist Selbstmordattentate. So kam es am 24. Februar zu mehreren Anschlägen an Busstationen in Kano, die insgesamt 30 Menschen das Leben kosteten und 72 verletzt zurückließen.
Rechtliche Differenzen
Ebenfalls beschäftigt die nigerianische Öffentlichkeit die Verschiebung der Wahlen im Hinblick auf einen möglichen Verfassungskonflikt. Juristen und Verfassungsrechtler weisen darauf hin, dass die nigerianische Verfassung die Wahl des Präsidenten nicht eher als 60 und nicht später als 30 Tage vor dem Ende der offiziellen Amtszeit seines Vorgängers vorschreibe. Goodluck Jonathan war am 29. Mai 2011 als Präsident Nigerias vereidigt worden. Am 29. Mai dieses Jahres muss Jonathan demnach entweder an seinen Nachfolger übergeben oder die Wahl für sich entschieden haben. Sollte es zu einer weiteren Verschiebung der Wahlen, etwa aus Sicherheitsgründen, kommen, bestünde theoretisch die Möglichkeit einer Verletzung der durch die Verfassung gesetzten Fristen. Das Gleiche gilt für das im April 2011 gewählte Parlament. Die nigerianische Verfassung kennt für diesen Fall keine Regelung.
Ein weiterer Streitpunkt ist der Einsatz des Militärs bei der Absicherung der Wahlen. Der Vorsitzende der Wahlkommission Jega hatte die Erklärung des Sicherheitsberaters des Präsidenten Dasuki, nach der das Militär während der Operationen gegen Boko Haram im Norden nicht die „traditionelle Unterstützung für Polizei und andere Sicherheitskräfte im Zuge von Wahlen gewährleisten könne“ zum Anlass genommen, die Wahlen zu verschieben.
Eine Folge dieser Begründung ist der wieder neu entflammte Streit, ob das Militär überhaupt zur Absicherung der Wahlen eingesetzt werden darf. Während die regierende PDP und ihre Sympathisanten auf dem Einsatz der Streitkräfte bestehen, um Ordnung und Sicherheit während der Wahlen zu gewährleisten und damit argumentieren, dass Polizei und andere Sicherheitskräfte mit dieser Aufgabe allein überfordert seien, befürchten die Gegner eines Militäreinsatzes die Einmischung der Streitkräfte in den demokratischen Prozess. Sie fordern eine konsequente Entflechtung der Gewalten im Staat und den Einsatz der Streitkräfte ausschließlich zur Verteidigung des Landes gegen äußere Aggressoren. Das Misstrauen der Nigerianer gegenüber dem Militär ist historisch begründet. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 haben mit kurzen Unterbrechungen 39 Jahre lang verschiedene Militärregierungen das Zepter geführt.
Beflügelt in ihrer Argumentation werden die Vertreter einer konsequenten Demokratisierung des Landes nun durch eine Entscheidung des Berufungsgerichtes in Abuja. Das Gericht hatte in einem Urteil am 16. Februar die Entsendung des Militärs zur Sicherung von Wahlen grundsätzlich für unrechtmäßig erklärt. Zum Hintergrund: Während der Gouverneurswahlen in Ekiti im Juni 2014 hatte die Regierung Jonathan Truppen in den südwestlichen Bundesstaat Ekiti entsandt, um dort für Sicherheit zu sorgen. Später waren angebliche Beweise aufgetaucht, die eine Zusammenarbeit des Kandidaten der PDP mit dem Militär zur Fälschung der Wahlen belegen sollen. Das Gericht in Abuja nahm diesen Fall zum Anlass, die Entsendung von Truppen zur Absicherung von Wahlen generell als unrechtmäßig zu verurteilen. Kein Präsident könne das Militär ermächtigen, im Zuge von Wahlen im Landesinneren aktiv zu werden, ohne vorher die Zustimmung des Parlaments einzuholen, erklärte der zuständige Richter. Mit diesem Urteil gerät nun auch der geplante Einsatz der Streitkräfte für die kommenden Präsidentenwahlen auf den Prüfstand.
Für weitere Unstimmigkeiten sorgen die Versuche von Mitgliedern der beiden großen politischen Lager PDP und APC, die Kandidatur von Goodluck Jonathan und Muhammadu Buhari juristisch anzufechten. Mindestens vier Klagen sind dabei gegen den amtierenden Präsidenten anhängig. Im Kern beziehen sie sich auf den Verfassungsgrundsatz, dass kein Präsident Nigerias länger als acht Jahre im Amt sein darf. Goodluck Jonathan war jedoch als Vizepräsident bereits im Februar 2009 für das schwer erkrankte Staatsoberhaupt Umara Yar’Adua eingesprungen und kurz nach dessen Tod zum ersten Mal als Präsident Nigerias vereidigt worden. Sollte Jonathan die kommenden Wahlen wiederum für sich entscheiden, würde das bedeuten, dass er zusammen mit seiner letzten Amtszeit am Ende der nächsten Legislaturperiode insgesamt länger als die acht nach der Verfassung zulässigen Jahre im Amt wäre.
Die Vorwürfe gegen Buhari hingegen beziehen sich auf dessen Qualifikation für das Präsidentenamt. Mindestens drei der Kläger argumentieren mit dem Verfassungsgrundsatz, dass ein Kandidat für das Präsidentenamt zumindest einen Schulabschluss vorweisen muss – eine Bedingung, die Buhari angeblich nicht erfüllt. Die Tageszeitung Leadership berichtete am 24. Februar, dass mehr als fünfzehn Klagen gegen den Kandidaten der APC wegen der Fälschung von Urkunden und Zertifikaten anhängig seien.
Politische Lagerwechsel
Wechsel von Personal in das gegnerische politische Lager sind in Nigeria keine Ereignisse, die der besonderen Erwähnung bedürfen, so alltäglich kommen sie vor. Dabei finden die Wechsel zwischen den beiden größten Konkurrenten um die politische Macht PDP und APC durchaus in beide Richtungen statt. Erwähnenswert in diese m Zusammenhang ist, dass die PDP in den letzten Monaten stärker durch den Verlust von Personal betroffen war als die APC. Die Tageszeitung The Punch meldete am 18. Februar den neuerlichen Wechsel von drei Mitgliedern der PDP in das Lager der APC. Damit ist nun die APC im House of Representatives, dem Unterhaus des nigerianischen Parlaments, endgültig in der Mehrheit und beansprucht nun auch Schlüsselpositionen wie den Posten des Mehrheitsführers, den bis jetzt Mulikat Akande-Adeola (PDP) besetzt hält, für sich.
Alles andere als alltäglich war jedoch die theatralische Abrechnung des zweimaligen Staatspräsidenten und PDP-Mitglieds Olusegun Obasanjo (1966-79, 1999-2007) mit seiner Partei. Obasanjo inszenierte den Bruch sorgfältig und besonders öffentlichkeitswirksam. Zunächst verlieh er anlässlich der Vorstellung seiner Autobiographie „My watch“ am 9. Februar in Kenia seiner Sympathie für Muhammadu Buhari Ausdruck, was in der politischen Landschaft Nigerias bereits als kleines Erdbeben wahrgenommen wurde. Obasanjo erklärte vor laufender Kamera, er glaube Buhari werde gegen die Korruption in Nigeria vorgehen und auch die Sicherheitsprobleme des Landes lösen können. Am 16. Februar schließlich ließ Obasanjo auf einem Treffen von PDP-Führern in Abeokuta, der Hauptstadt des Bundesstaates Ogun, seinen PDP-Mitgliedsausweis von einem seiner Gefolgsleute vor laufender Kamera und einem laut jubelnden Publikum zerreißen.
Immense Herausforderungen und gegenseitige Lähmung
Die Verschiebung der Wahlen zieht auch Nigerias Wirtschaft mehr und mehr in Mitleidenschaft. Investoren im In- und Ausland zeigen sich verunsichert wegen der Verzögerung und den damit einhergehenden unkalkulierbaren Risiken.
Zur Verschlechterung des Klimas trägt eine veritable Finanzkrise aufgrund des seit Monaten auf niedrigem Niveau stagnierenden Ölpreises bei. Nigeria, dessen Wirtschaft von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport abhängig ist, gerät dadurch zunehmend finanziell unter Druck.
Zuletzt sorgte die schnelle Entwertung des Naira für Sorgen bei Nigerias Finanzwächtern. Am 12. Februar durchbrach die Landeswährung die kritische Grenze im Verhältnis zum Dollar, der schließlich mehr als 200 Naira kostete. Damit rutschte die Währung Nigerias innerhalb von drei Monaten um 25 Prozent im Verhältnis zum Dollar ab. Nur eine Intervention der Staatsbank konnte den Naira stabilisieren.
Die Verschiebung der Wahlen hat zudem das Ansehen Nigerias international beschädigt. Kritik äußerten vor allem die USA, die auf eine schnelle und transparente Durchführung der Wahlen drängen.
Aufgrund der öffentlich ausgetragenen Machtkämpfe und Propagandaschlachten, den unverhohlen geäußerten Drohungen und der Zunahme politischer motivierter Gewalt, ist es derzeit unmöglich, eine zuverlässige Prognose für die nächsten Wochen und die Zeit nach der Abstimmung abzugeben. Die politischen Lager um PDP und APC haben mit ihrer Wahlpropaganda einen solchen Nebel erzeugt, dass es kaum möglich ist, verlässliche Informationen von gezielter Beeinflussung zu unterscheiden. Durch ihre gegenseitige Verunglimpfung sind PDP und APC im Begriff, dem ohnehin labilen demokratischen Prozess in Nigeria einen Bärendienst zu erweisen.
Es bleibt zudem fraglich, ob die derzeitige Operation gegen Boko Haram, so wie sie durchgeführt wird, dem Land nicht eher schadet als nützt. In einer im September 2014 veröffentlichten Studie für das Chatham House London zeigt deren Autor Marc-Antoine Pérouse de Montclos, Professor am französischen Institut für Geopolitik, dass sich die zunächst lokal begrenzte und überwiegend politisch agierende Jama atu Ahlis-Sunnah Lidda awati Wal Jihad, wie der vollständige Name der Boko Haram (etwa: westliche Bildung ist verboten) lautet, erst vor dem Hintergrund militärischer Gewalt und der außergerichtlichen Hinrichtung ihres Gründers Mohammed Yusuf im Polizeigewahrsam im Juni 2009 zur konsequent mordenden, bestialischen Terrorsekte gewandelt hat.
Pérouse de Montclos warnt vor einem einseitig militärischen Vorgehen gegen Boko Haram. Wenn die nigerianische Regierung es versäume, die Zivilbevölkerung des Nordens vor Übergriffen generell zu schützen – gemeint sind auch die regelmäßigen Gewalttaten der staatlichen Sicherheitskräfte –, werde die Terrorgruppe weiteren Zulauf erhalten und sich radikalisieren. Sie könnte dann ihre bisher nur losen Verbindungen etwa zu Al Qaida oder dem Islamischen Staat (IS) ausbauen und festigen. Anzeichen, dass sich die Beziehungen von Boko Haram zu anderen Terrorgruppen etwa der Al Qaida im Maghreb, den Al Shabaab-Milizen in Somalia und zum IS in Irak und Syrien vertiefen, existieren bereits.
Ähnlich wie Pérouse de Montclos äußerte sich auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in einer Stellungnahme zu Boko Haram am 2. März in New York. Ban Ki-Moon erklärte, dass der militärische Ansatz allein nicht ausreiche, um Boko Haram erfolgreich zu bekämpfen. Vielmehr wollten die Vereinten Nationen ihre humanitären Missionen in der Region verstärken. Dazu gehöre auch die Überwachung der Einhaltung von Menschenrechten.
Dazu kommt, dass allein mit einer militärischen Verdrängung von Boko Haram aus ihren Hochburgen im Nordosten keine dauerhafte Beruhigung der Region zu erreichen ist. Wenn es der Regierung nicht gelingt, die aufgegebenen militärischen Stützpunkte neu zu etablieren, zu versorgen und die dort Dienst leistenden Soldaten angemessen zu bezahlen, wird der Erfolg lediglich von kurzer Dauer sein. Kontinuität und die Gewährleistung ziviler Unterstützung, die Durchsetzung von Recht und Ordnung sowie der Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung sind der Schlüssel zum Erfolg in Nordnigeria. Die Ergebnisse einer mit brachialer Gewalt geführten Militäroffensive könnten sich sehr bald gegen Nigeria selbst wenden.
Sollten die genannten Voraussetzungen weiterhin fehlen, kann sich der kurzfristige Erfolg im Kampf gegen Boko Haram in einen Pyrrhussieg verwandeln. Dann drohen ähnliche Szenen wie in Irak und Afghanistan. Für jede zukünftige nigerianische Regierung, ganz gleich ob sie durch einen Jonathan oder Buhari geführt wird, könnte sich dies als zentnerschwere, nicht zu bewältigende Last erweisen. Ein Scheitern Nigerias ist dann nicht ausgeschlossen.
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