Ausgangslage - Die nordische Perspektive
Für die fünf nordischen Länder - Finnland, Schweden, Norwegen, Island und Dänemark [mit Grönland und den Färöer-Inseln] – ist das Thema Sicherheit im arktischen Raum von zentraler Bedeutung. Dies unterstreicht auch das Programm Islands für seinen Vorsitz im Nordischen Ministerrat, welchen das Land rotierend 2024 innehat. Island setzt darin auf „Frieden und Sicherheit in der Arktis“, wobei Sicherheit sowohl auf militärische, politische und soziale Aspekte wie auch auf das sich weiter rasant verändernde Klima und dessen Auswirkungen auf Menschen und Natur in den arktischen Gebieten der nordischen Länder verweist.
Nicht zuletzt mit Beginn der Bodenoffensive Russlands in der Ukraine im Februar 2022 rückte der Fokus allerdings auch hier mehr in Richtung militärische Sicherheit.
Geostrategisch dominieren in der Arktis folgende Themenfelder: Die militärische Aufrüstung Russlands und das hieraus resultierende erhöhte Konfliktpotential; ein steigendes Interesse von Nicht-Arktis Staaten wie China und Indien an der Mitgestaltung regionaler Governance-Strukturen und Einflussnahme in der Region; der Schutz kritischer Infrastruktur; die kommerzielle Nutzung von eisfreien Schifffahrtsrouten sowie die Erschließung von Bodenschätzen. Für alle Arktis-Anrainer im Norden Europas hat Russlands Angriffskrieg die Risikowahrnehmung dramatisch verändert. Dies wurde nochmals deutlich, als Anfang 2024 die Verteidigungsminister Norwegens, Schwedens und Dänemarks fast zeitgleich Statements zur Gefährdungslage in Richtung Moskau abgaben. Hiernach sei die Wahrscheinlichkeit einer direkten Auseinandersetzung mit Russland derzeit die größte sicherheitspolitische Herausforderung. Moskau hatte bereits vor 2022 damit begonnen, seine militärischen Stützpunkte in der Arktis, wie die in Murmansk stationierte Nordflotte mit Atom-U-Booten, zahlenmäßig und technologisch aufzustocken. In Norwegen sorgt Moskaus unbehelligte Militarisierung in der Arktis auch auf dem Archipel Svalbard für großes Unbehagen. Dessen strategische Nähe zur russischen Nordflotte hatte Russland bereits 2020, zum Jahrestag des Spitzenbergen-Vertrags, dazu veranlasst, in Frage zu stellen, wer von den Vertragsstaaten eigentlich das Hoheitsrecht über die Fischgründe habe. Zwischen Svalbard und dem norwegischen Festland verlaufen zudem strategisch wichtige Unterseekabel, die bereits 2022 aufgrund bislang nicht eindeutig geklärter Umstände durchtrennt wurden. Diese sind grundsätzlich potenzielle Ziele hybrider russischer Attacken. Neben diesen Konfliktpunkten ist es die nach Februar 2022 erfolgte Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im Arktischen Rat und die damit einhergehenden Einschränkungen des wissenschaftlichen Austausches und vieler grenzüberschreitender Aktivitäten der indigenen Bevölkerung, die sich negativ auf das Gesamtklima auswirken.
Hinzu kommt, dass China sich als Akteur in der Arktis verstehen will, ebenso wie die NATO und die EU. Sieben der acht Arktisanrainer sind nunmehr Mitglieder in der NATO. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hatte im Laufe des Jahres 2023 betont, dass die Arktis kontinuierlich an Bedeutung für das Bündnis gewinnt,. Der EU wird seit vielen Jahren von Russland und Kanada verwehrt, Beobachter im Arktischen Rat zu sein.
Die Folgen des Klimawandels werden es in 30 bis 40 Jahren wahrscheinlich zulassen, dass die Nordostpassage entlang der russischen Küste eine Alternative für den internationalen maritimen Frachtverkehr darstellt. Bislang wird die Route allerdings durchgehend kaum befahren, da die Wetterbedingungen unvorhersehbar sind und Russland hohe Gebühren für die Passage einfordert.[1] Gastransporte vom russischen LNG-Hafen auf der Yamal-Halbinsel werden dagegen für Ausfuhren nach China zunehmend genutzt.
Schlussfolgerungen für das Regionalprogramm Nordische Länder (KAS Stockholm)
Die Relevanz der Sicherheitslage in der Arktis für die nordischen Länder ist unumstritten, die außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen der fünf Länder, welche das KAS Regionalprogramm Nordische Länder abdeckt, werden in den nächsten Jahren Teil der NATO-Agenda sein. Diese Entwicklung, neben der fortbestehenden Bedeutung der Region für die EU, ist ein gewichtiger Grund für die KAS, das Programm an die aktuellen Herausforderungen anzupassen.
In den letzten Jahren konnte ein Netzwerk von Partnerorganisationen zu Arktis-Fragen aufgebaut werden, welche sich durch teils jahrzehntelange strategische Expertise auszeichnen.
Es ist beabsichtigt, die Kooperation mit entsprechenden Partnerorganisationen fortzuführen und weiter zu vertiefen. Die KAS Nordische Länder verfügt somit über ein breites Spektrum an Arktis-Expertise und trägt folglich zur Beratungskompetenz der Stiftung beim Themenfeld Arktis bei. Für deutsche Institutionen und politische Entscheidungsträger mit Interesse an der Entwicklung der arktischen Region stellt das Büro Nordische Länder eine konkrete Anlaufstelle dar.
KAS in der Arktis - Schwerpunkte des Regionalprogramms
Das Regionalprogramm Nordische Länder der KAS hat in den vergangenen Jahren die Debatte über Sicherheitspolitik in der Arktis aktiv mitgestaltet. Dazu zählen Publikationen wie „Looking North“[2], „Stronger Together“ oder „China’s Polar Silk Road Revisited“, welche thematisch-relevante Aspekte der größeren Debatte über arktische Sicherheitspolitik genauer unter die Lupe nahmen. Zusätzlich setzt das Projekt auf die Durchführung von außen- und sicherheitspolitischen Meinungsumfragen, welche die Wahrnehmung der lokalen Bevölkerung darstellen. Im Zuge der jährlich in Reykjavik stattfindenden Arctic Circle Assembly haben wir im letzten Jahr die neueste Umfrage aus Island vorgestellt. Eine Weitere ist derzeit auf Grönland in Vorbereitung, die Präsentation der Ergebnisse soll im September 2024 erfolgen. Inhaltlich wird es um die sicherheitspolitisch exponierte Lage von Grönland und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Wahrnehmung der Bevölkerung gehen. Ende Januar 2024 war die KAS zudem das erste Mal als Teilnehmer bei der Arctic Frontiers Konferenz in Tromsø dabei.
Im Oktober wird sich das Stockholmer Büro wieder an der Arctic Circle Assembly auf Island beteiligen. Vorangegangene Veranstaltungen befassten sich mit Themen wie der EU als Arktis-Akteur oder der Rolle internationaler Beobachter in der Region. Im April 2024 erwägt das Büro gemeinsam mit schwedischen Sicherheitsexperten eine Informationsreise nach Svalbard/Norwegen zu unternehmen. Der Besuch zielt darauf ab, den Teilnehmern einen direkten Einblick in die Lage auf Svalbard zu ermöglichen, insbesondere vor dem Hintergrund des sich veränderten geopolitischen Umfeldes und der strategischen Lage des Archipels. Basierend auf einem Besuch der Arctic Frontiers Konferenz 2024 wird das Büro in diesem Jahr wieder mit dem Fridtjof-Nansen-Institut (FNI) zum Thema Sicherheit in der Arktis bei einem Workshop in Bodø, Norwegen zusammenarbeiten. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Perspektiven der nordischen Länder zur Arktis allgemein, hauptsächlich jedoch im Bereich Sicherheit sowie in strategischen Fragen, zu skizzieren und sie für ein breiteres Publikum sichtbarer zu machen.
[1] Wahlers, Dr. Gerhard (2023): Auslandsinformationen: Die Arktis. Zwischen Konflikt und Kooperation, Nr. 1
[2] Østhagen, Andreas; Raspotnik, Andreas (Hg.): Looking North. The European Union and Arctic Security from a Nordic and German Perspective, Stockholm 2021