Länderberichte
Deutsche und österreichische KFOR-Soldaten durchbrachen die Barrikaden mit gepanzerten Fahrzeugen, um Busse und Lastwagen aus dem Weg zu räumen, mit denen die Serben die Straße verschanzt hatten. Bei dieser Aktion wurden mehrere Soldaten der internationalen Schutztruppe verletzt. Die Gewaltbereitschaft der Demonstranten scheint zu steigen und die KFOR droht mit einer härteren Gangart.
Im Streit über die seit Monaten umkämpften Grenzübergänge zwischen dem überwiegend von Serben besiedelten Norden des Kosovo (vgl. KAS-Länderberichte) ist es in dieser Woche erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, bei dem 25 Soldaten der KFOR-Schutztruppe verletzt wurden. Die Zahl der verletzten Serben wird von einer Belgrader Nachrichtenagentur mit 40 Verletzten angegeben.
Seit Mitte September blockieren serbische Bewohner wichtige Verkehrswege im Norden des Kosovo, um gegen die Präsenz kosovarischer Zöllner an den Grenzübergängen zu Serbien zu protestieren. Die KFOR-Schutztruppe unter deutschem Kommando hatte bereits mehrfach versucht, die Hindernisse zu entfernen, um die Bewegungsfreiheit wiederherzustellen. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit lokaler serbischer Bevölkerung. So auch am vergangenen Montag, als die KFOR in der Gemeinde Zubin Potok bei Jagnjenica eine Straßenblockade entfernen wollte. Nach Auskunft der KFOR gab es Schusswechsel, bei denen Soldaten und Demonstranten verletzt wurden. In einer Pressemitteilung erklärte die KFOR, dass die Demonstranten, die ihrer Ansicht nach als sehr gewalttätig und kriminell einzustufen sind, Steine, Molotowcocktails und Sprengstoff gegen die Soldaten eingesetzt hätten. Bei den Auseinandersetzungen der letzten Tage ist die Zahl der verletzten Soldaten deutlich gestiegen und deshalb droht die KFOR nun mit einem schärferen Vorgehen. Bisher wurden zur Gegenwehr nur Gummigeschosse, Tränengas und Pfefferspray eingesetzt, doch in lebensbedrohlichen Situationen werde man in Zukunft „mit angemessenen Mitteln“ reagieren.
Die KFOR wird provoziert und die Geduld mit den Serben im Norden erschöpft sich nun zusehends. Die serbische Regierung scheint nur sehr begrenzten Einfluss auf die serbischen Angreifer im Nordkosovo zu haben und beeilte sich zu bekräftigen, dass sie ungeachtet der Ereignisse der vergangenen Tage, am Dialog mit dem Kosovo festhalten wolle. Bei den Verhandlungen zwischen beiden Ländern geht es in erster Linie um die Zusammenarbeit in praktischen Fragen. So einigte man sich bei früheren Treffen, die in Brüssel stattfanden, schon auf Regelungen zur Reisefragen und Standesfragen und jüngst darauf, Hochschulabschlüsse gegenseitig anzuerkennen. Bei der Frage der Grenzkontrollen aber, die seit den ersten gewalttätigen Auseinandersetzung im Sommer diesen Jahres den Hauptkonflikt zwischen beiden Seiten bilden, kam man noch keinen Schritt weiter. Allerdings ist es ein wichtiges Signal, überhaupt im Dialog zu bleiben, nachdem dieser zwischendurch völlig unterbrochen war. Für die serbische Regierung ist der Dialog auch deshalb von Bedeutung, weil für sie viel auf dem Spiel steht, denn eine weitere Eskalation des Konflikts schmälert die Chancen des Landes weiter, von der Europäischen Union den so begehrten Status eines Beitrittskandidaten zu erhalten. Der serbische Präsident Tadic rief zwar die Serben im Nordkosovo auf, die Barrikaden zu entfernen, doch bisher ohne Widerhall, was sicherlich als Zeichen zu bewerten ist, dass extremistische Kräfte immer mehr die Oberhand im Nordkosovo gewinnen. Die Gefahr besteht, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät und sich auf andere Gebiete ausweitet. Nur ob eine militärische Lösung tatsächlich langfristig für Stabilität sorgen kann, bleibt zu bezweifeln. Ebenso wenig hilfreich dürfte dabei auch eine martialische Rhetorik sein, die wieder von serbischer Seite zu vernehmen war.
Die Lage im Nordkosovo bleibt explosiv, so lange keine politische Lösung gefunden ist. Es wird immer deutlicher, dass auch dieser Einsatz für die deutschen Soldaten und ihre Kameraden der internationalen Schutztruppe eine hohe Belastung und schwere Aufgabe darstellt, die in ihrer Leistung nicht zu unterschätzen ist, weil die Soldaten ihren Schutzauftrag so niederschwellig wie möglich ausführen und sich auf der anderen Seite vor Übergriffen schützen müssen ohne eine völlige Eskalation des Konflikts in dieser spannungsgeladenen Region auszulösen.
Die Gefahr, dass sich die Situation weiter zuspitzt ist nicht gebannt. Die Probleme des jungen Staates Kosovo sind noch lange nicht gelöst und die KFOR-Truppen, die derzeit mit rund 5500 Soldaten – davon 1500 Bundeswehrangehörige – vertreten sind, werden wohl auf unabsehbare Zeit zum Schutz des Landes gebraucht. Die explosive Stimmung im Norden lässt einen Abzug nicht zu und die Regierungsvertreter Prishtinas haben im Norden keinerlei Einfluss. Aber auch die EULEX, die EU-Rechtsstaatsmission, bekommt nicht wirklich ein Bein auf die Erde.