Länderberichte
Mazedonien, ein Land, in dem die Kriminalitätsrate eher niedrig ist, wurde von diesem Ereignis am höchsten Festtag der orthodoxen Kirche erschüttert. Nach dem Fund der Leichen kam es zu spontanen Protesten gegen Gewalt und Nationalismus in Mazedonien. Die Polizei verstärkte mit Sondereinheiten ihre Präsenz und das Innenministerium sowie weitere staatliche Stellen beeilten sich, Spekulationen zum Tathergang nicht weiter anzuheizen, um ethnische Spannungen zu vermeiden, die in den letzten Wochen in Mazedonien verstärkt aufgetreten waren.
Nach den Morden an fünf slawischen Männern in dem Stadtteil Butel der Hauptstadt Skopje wächst in Mazedonien die Angst vor weiteren ethnischen Konflikten. Vorfälle, die für Spannungen zwischen der slawischen und albanischen Bevölkerung in Mazedonien sorgten, sind seit Beginn diesen Jahres zahlreicher geworden und hatten für erhebliche Unruhe im Land gesorgt, da seit dem Ende des ethnischen Konfliktes im Jahre 2001 nicht mehr so viele Zwischenfälle verzeichnet wurden.
Wie groß die Sorge vor einer Eskalation ist, war an diesem Osterwochenende in Mazedonien deutlich zu spüren. In dem kleinen Balkanland, das seit 2005 Beitritts-kandidat für die Europäische Union ist, stellt die Bevölkerung mit slawischem Hintergrund die Mehrheit der rund zwei Millionen Einwohner. Die Albaner sind die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe. Zwischen beiden Gruppen gibt es seit vielen Jahren Spannungen, die ihren letzten großen, traurigen Höhepunkt im Jahr 2001 hatte, als es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam. In einem bewaffneten Konflikt setzten sich damals Vertreter der albanischen Bevölkerung für eine stärkere Einbindung in die politische und gesellschaftliche Sphäre ein. Dieser Konflikt konnte relativ schnell mit Hilfe des so genannten Ohrider Rahmenabkommens, einem Vertragswerk das Minderheitenrechte sicher stellt, beigelegt werden (vgl. KAS-Länderbericht August 2011 und KAS-Auslandsinformationen Nr. 11/2011)
Das Abkommen hat die Gesamtsituation zwar befrieden, aber offensichtlich bisher nicht vollständig dazu beitragen können, dass Zusammenleben zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in Mazedonien dauerhaft so zu gestalten, dass sie nicht nebeneinander, sondern miteinander leben.
Nach den Ereignissen an diesem Osterwochenende beeilten sich die Innenministerin des Landes, Gordana Jankulovska (VMRO-DPMNE), und Staatspräsident Georgi Ivanov sowie auch die EU und OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit) Missionen und die US-Botschaft die Bevölkerung aufzufordern, nicht voreilig Schlüsse über die Todesumstände der fünf gewaltsam ermordeten Männer zu ziehen, sondern die Ergebnisse der Ermittlungsbehörden abzuwarten und Ruhe zu bewahren. Es wurde vermeldet, es gäbe bisher keinen Hinweis auf einen ethnischen Tat-hintergrund. Die Innenministerin berichtete lediglich, dass es sich um mehr als einen Täter gehandelt habe, da Schüsse auf die ermordeten Männer aus drei verschiedenen Pistolen abgegeben worden seien. Man habe die Profile der Täter erstellen können, aber noch nicht ihre Identität geklärt.
Die Angst ist nun groß, dass diese Morde Ausgangspunkt für neue ethnische Spannungen in Mazedonien werden könnten. Seit Ende Januar häuften sich im Land gewaltsame Zusammenstöße zwischen jungen Mazedoniern und Albanern. Neu daran war, dass sie eher unorganisiert entstanden waren und somit schwerer zu kontrollieren sind. So verkleideten sich beispielsweise im Umfeld der Stadt Struga im Südwesten des Landes Mazedonier bei einem Karnevalsumzug mit Burkas und verhöhnten islamische Kleidervorschriften. Daraufhin kam es in Struga zu Demonstrationen von aufgebrachten Albanern. Nach diesen Ereignissen beim Karneval wurden auf Kirchen Brandanschläge verübt. Politiker und auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften in Mazedonien wirkten mit ihren Statements beruhigend auf die jeweiligen Volksgruppen ein und trugen dazu bei, dass der Konflikt sich nicht ausdehnte. Ende Februar kam es aber dann erneut zu einem Zwischenfall, als ein mazedonischer Polizist in Gostivar außerhalb seiner Dienstzeit zwei unbewaffnete Albaner erschoss. Eine Tat, die starke Proteste der albanischen Seite hervorrief, bei denen es zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen gegen Geschäfte von slawischen Mazedoniern kam.
Anfang März folgte ein Zwischenfall in Skopje, bei dem maskierte Männer mit Schlagstöcken bewaffnet einen Bus bestiegen und Jugendliche verprügelten. Im Nachgang zu dieser Tat kam es zu Racheakten in Skopje und der mehrheitlich von Albanern bewohnten Stadt Tetovo, bei denen weitere Jugendliche verletzt wurden.
Die Form der Gewalt, die jetzt in Mazedonien ausgebrochen ist, stellt die Regierungskoalition aus VMRO-DPMNE und der albanischen Partei DUI vor besondere Herausforderungen und zeigt, dass man gemeinsam daran arbeiten muss, dass gelebte Miteinander in Mazedonien als Gemeinschaft mit Engagement zu fördern. Die Regierung verurteilte die Gewalttaten der ersten Monate dieses Jahres aufs Schärfste und rief Lehrer und Eltern aller Volksgruppen dazu auf, sich für ein friedliches Zusammenleben der Jugendlichen einzusetzen. Die Ereignisse in Mazedonien machen aber deutlich, dass dies nur möglich wird, wenn auch Rahmenbedingungen verändert werden und z. B. über ein integratives Bildungssystem nachgedacht wird. Die Diskussion um die Gefahr neuer ethnischer Spannungen zeigt, dass die Umsetzung des Ohrider Rahmenabkommens ein kontinuierlicher Prozess ist, bei dem auch Schwachstellen ausgebessert werden müssen, die seit 2001 erkannt wurden. Aber durch Gesetzesbestimmungen formeller Theorie allein lassen sich in der Praxis große Hürden nicht überwinden. Nur durch mehr interkulturellen und interethnischen Austausch und Dialog ist es zu erreichen, dass slawische und albanische Mazedonier ihr Land als gemeinsames Haus mit gemeinsamen Werten und Zielen verstehen und dabei stehen alle Politiker, Regierung und Opposition, und Zivilgesellschaft gleichermaßen in der Verantwortung und vor der wichtigen Aufgabe, konstruktiv mitzugestalten.