Veranstaltungsberichte
Dr. Ali Khashan betonte die Bedeutung einer zukünftigen palästinensischen Verfassung sowohl für die Bevölkerung als auch für die Obrigkeit. Sie sei ein Mittel um Rechte und Freiheiten zu schützen. Besonders im Kontext der aktuellen arabischen Revolutionen sei es eine Chance, existierende Verfassungen richtig anzuwenden bzw. neue Verfassungen zu verabschieden. Er erklärte das bisherige Fehlen einer Verfassung in den Palästinensischen Gebieten mit dem Fehlen eines palästinensischen Staates, da eine Verfassung das Grundgesetz eines Staates sei. Gleichwohl machte er auf die Notwendigkeit aufmerksam, bis September 2011 eine Verfassung auszuarbeiten, da für diesen Zeitpunkt die Ausrufung eines palästinensischen Staates angestrebt werde. Außerdem sprach er sich dafür aus, die palästinensische Bevölkerung bei einem Referendum über einen Verfassungsentwurf abstimmen zu lassen.
Die beiden folgenden Sprecher stimmten der Notwendigkeit einer Verfassung für einen funktionierenden Staat zu, unterstrichen aber auch die Bedeutsamkeit ihrer Anwendung als Prüfstein für neue Gesetze. Pierre Joxe, gelernter Jurist und langjähriges Mitglied des französischen Verfassungsrates, erläuterte, dass die Möglichkeit, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, in Frankreich erst 1958 eingeführt wurde. Es war Präsident de Gaulle, der in diesem Jahr einen 4-köpfigen Verfassungsrat gründete, der 1974 von Präsident Giscard d'Estaing auf 60 Mitglieder vergrößert wurde. Zuletzt wurde 2008 die Anrufung des Verfassungsrates durch jegliche juristische Person ermöglicht. An die palästinensischen Hörer gerichtet, äußerte er seine Hoffnung für die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die Weltöffentlichkeit im Herbst 2011. Zudem würdigte er den Augenblick seiner Reise in die Palästinensischen Gebiete als einen „besonderen Moment“, da das Jahr 2011 einen Wendepunkt für die Freiheiten der arabischen Welt darstelle.
Eric Milliard betonte in seiner Ausführung, dass nicht nur die Existenz eines Verfassungsgerichtes oder –rates wichtig sei, sondern ebenso seine Befugnisse und die Auswahl seiner Mitglieder. Damit sprach er die Problematik der Unabhängigkeit eines solchen Gremiums an. Als Beispiel nannte er dann auch den französischen Verfassungsrat und machte auf den Stand der Ratsmitglieder aufmerksam. Sie bedürfen in Frankreich keinerlei juristischer Ausbildung und werden von den Präsidenten der Republik, der Nationalversammlung und des Senats ernannt. Außerdem betonte Milliard, dass formell alle Entscheidungen des Verfassungsrates mehrheitlich getroffen werden. Er bemängelt dabei aber, dass es für die Minderheiten keine Möglichkeit gäbe ihre Meinungen publik zu machen. Dies hätte, so Milliard, aber den positiven Effekt, dass Entscheidungen gewissenhafter getroffen würden, da jedes Mitglied des Rates mit seinem Namen für seine Meinung stehen müsste und sich nicht mehr hinter der Mehrheit verstecken könnte.
Insgesamt waren sich die Sprecher über die Notwendigkeit einer Verfassung für einen zukünftigen palästinensischen Staat einig. Dennoch hoben sie auch hervor, dass eine Kontrolle der verabschiedeten Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch ein Verfassungsgericht oder –rat unabdinglich sei. Dieser müsse möglichst unabhängig von Exekutive und Legislative sein, nicht nur in seinen Kompetenzen, sondern auch in seiner praktischen Anwendung. Außerdem nannten beide mehrmals das Deutsche Bundesverfassungsgericht als Vorbild für Unabhängigkeit, da die Richter aus dem gesamten politischen Spektrum nominiert würden und auch mit den Entscheidungen nicht übereinstimmende Meinungen veröffentlicht würden. Am Ende der Veranstaltung, beantworteten die Sprecher noch die Fragen der Anwesenden, die mehrheitlich Vergleiche zwischen den Revolutionen in der restlichen arabischen Welt und den Palästinensischen Gebieten betrafen.