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Veranstaltungsberichte

Die Auswirkungen der Pandemie auf die indigene Bevölkerung Lateinamerikas und Panamas

von Gordian Kania

Bericht zur ADELA Panamá Digital-Konferenz

Der folgende Bericht fasst die ADELA Panamá Digital-Konferenz vom 29.07.2020 mit dem Thema "Die Auswirkungen der Pandemie auf die indigene Bevölkerung Lateinamerikas und Panamas" zusammen.

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Dr. Georg Dufner

Leiter des Auslandsbüros in Bolivien und des Regionalprogrammes für indigene politische Partizipation (PPI).

Jesús Alemancia

Soziologe, Pädagoge und Forscher. Ehemaliger Direktor des panamaischen Zentrums für Studien und soziale Aktion der CEASPA und des Instituts für die integrale Entwicklung von Guna Yala des Guna Generalkongresses.

Josué Ospina

Berater für den Einbezug indigener Völker in die öffentliche Politik der KAS PPI in Bolivien. Berater für Bürgerbeteiligung, Gemeindeverhandlungen und Krisenmanagement. Unterhändler und Vermittler in Konflikten zwischen Unternehmen, Regierungen und indigenen Völkern.

Moderation:

Alixenia López

Projektkoordinatorin der Konrad-Adenauer-Stiftung ADELA Panamá.

 

Veranstaltungsprogramm

Die Experten analysieren die Auswirkungen der Pandemie auf die indigenen Bevölkerungsgruppen, welche bereits vor Covid-19 geringere Entwicklungsmöglichkeiten und höhere Armut im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung der Länder Lateinamerikas und insbesondere Panamas aufwiesen.

Zusätzlich erfährt die Situation der indigenen Bevölkerungen kaum Aufmerksamkeit. Sie besitzen nur geringen Einfluss auf die Politik, was wiederum zu einem Mangel an öffentlichen Politiken, die auf indigene Völker abzielen, führt. Außerdem stellt sich die Frage, wie sich soziale und kulturelle Vorurteile der nicht-indigenen Bevölkerung auf den Prozess der sozialen, kulturellen und politischen Eingliederung und Integration auswirken.

 

Das Regionalprogramm für indigene politische Partizipation (PPI)

Die Digital-Konferenz des KAS-Regionalprogramms „ADELA („Allianzen für Demokratie und Entwicklung mit lateinamerika“) zum Thema "Die Auswirkungen der Pandemie auf die indigene Bevölkerung Lateinamerikas und Panamas" fand in Zusammenarbeit mit dem Regionalprogramm für indigene politische Partizipation (PPI) der Konrad-Adenauer-Stiftung statt. KAS PPI wurde 2005 gegründet und hat seit 2011 seinen Sitz in La Paz, Bolivien, wobei das Tätigkeitsgebiet ganz Lateinamerika umfasst.

Ziel des Regionalprogrammes ist es, die Politik in Lateinamerika für die Anliegen der indigenen Bevölkerung zu sensibilisieren und die indigenen Bevölkerungsgruppen in die politischen Strukturen der jeweiligen Länder miteinzubeziehen. Zu diesem Zweck fördert das PPI den Dialog zwischen indigener und nicht-indigener Bevölkerung. In einigen Ländern Lateinamerikas ist die demokratische Stabilität abhängig von der Integration der indigenen Bevölkerungsgruppen, daher stellt dies eine zentrale Aufgabe des PPI dar. Um diese Ziele zu erreichen, organisiert das Regionalprogramm Veranstaltungen zur politischen Diskussion mit Meta-Gruppen und arbeitet an wissenschaftlichen Publikationen und Videos, welche sich mit relevanten Themen für die indigenen Bevölkerungsgruppen befassen. Hinzu kommt die interinstitutionelle Kooperation mit anderen KAS Büros, Regierungsinstitutionen und internationalen Organisationen zur Förderung von Multiplikatoren und der Positionierung der Anliegen der indigenen Bevölkerung. Diese Anliegen umfassen in erster Linie Umwelt, Eigentum von Grund, Erhaltung der kulturellen Identität sowie die Erreichung der SDGs der Agenda 2030 in den indigenen Gemeinden. Zu den zentralen Themen des PPI zählen vor allem die Aspekte Migration, traditionelle indigene Politik, gemeinsame Werte zwischen christlicher Demokratie und indigenen Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika sowie Rechtspluralismus.

 

Indigene Bevölkerungsgruppen in Panama

In der Republik Panama sind sieben indigene Bevölkerungsgruppen ansässig: Die Ngäbe, Buglé, Guna, Emberá, Wounaan, Bri bri, und die Naso. Im Osten des Landes, an der Grenze zu Kolumbien, befinden sich die indigenen Gebiete ("Comarcas") der Guna, der Wounaan und die sogenannten Tierras Colectivas. Im Westen Panamas, an der Grenze zu Costa Rica, liegen die Comarcas der Buglé, der Naso, der Bri Bri sowie der Ngäbe, welche die größte indigene Bevölkerungsgruppe des Landes darstellen. 2010 wurden in einer Volkszählung insgesamt 417.559 Personen erfasst, welche der indigenen Bevölkerung angehören. 2015 schätzten Regierungsorganisationen, dass die indigenen Völker in Panama etwa eine halbe Million Menschen umfassen. Demnach bilden die indigenen Bevölkerungsgruppen einen Anteil von 12 Prozent der 4,18 Millionen Panamaer.

Die sogenannten Comarcas sind in erster Linie ein geografisches Konzept, besitzen in Panama aber auch eine juristische Konnotation. Sie erkennen die indigenen Territorien als Eigentum der indigenen Bevölkerungsgruppen an und erlauben ihnen die eigenständige Verwaltung dieser Gebiete. Der Hoheitsanspruch auf diese Gebiete führte in der Vergangenheit zu mehreren Konflikten. Ein maßgeblicher Auslöser für die Gebietsanerkennung war dabei ein Aufstand der indigenen Bevölkerung 1925. Im Fall der Ngäbe waren außerdem die 1960er Jahre von entscheidender Bedeutung. 1961 entstand dort die Religion Mama Tada, als eine Frau der Ngäbe berichtete, ihr sei die Jungfrau Maria erschienen und hätte ihr Anweisungen für das Volk der Ngäbe aufgetragen. Im Zuge dieser Entwicklung kam es u.a. zu einem Rückzug der Ngäbe aus der lateinamerikanischen Gesellschaft. Dies führte dazu, dass die Ngäbe ihren Anspruch auf ein eigenes Land und eine eigene Verwaltung stärker zur Geltung brachten. In den 90er Jahren wurden eine Mehrheit der Regelungen in Kraft gesetzt, welche die territoriale und administrative Selbstverwaltung der indigenen Bevölkerungen anerkennen. Kontrovers ist jedoch das Gesetz der Tierras Colectivas, da die davon betroffenen Gebiete nicht den Status einer autonomen Region besitzen.

Ein zentraler Faktor für die heutige Situation der indigenen Bevölkerungsgruppen in Panama ist zudem das Thema Migration. Diese Entwicklung begann in den 1930er Jahren, als vor allem immer mehr Guna in die Städte zogen. Die Konsequenz dieser indigenen Migration war die Entstehung indigener Viertel in den Städten sowie ein Austausch zwischen den urbanen indigenen Bevölkerungsgruppen und ihren Angehörigen in den Comarcas. Diese Tendenz wurde durch die Öffnung des Bildungssystems in den 1960er Jahren verstärkt. Da die indigene Bevölkerung in der Folge einen besseren Zugang zu Bildungseinrichtungen erhielt, entstand erstmals ein Pool indigener Fachkräfte, die in den Städten Arbeit fanden. Gleichzeitig veränderte sich dadurch auch die öffentliche Verwaltung, da plötzlich auch hier regionale Führungspositionen von Indigenen besetzt wurden. Aufgrund der Beziehung zwischen der indigenen Bevölkerung in den Comarcas und in den Städten kam es außerdem zu Investitionen in Geschäfte und in das Transportwesen der Comarcas. Diese Entwicklung muss auch in Zusammenhang mit dem Bau der Autobahnen und Straßen gesehen werden, welche den Zugang zu den autonomen Gebieten aus der Stadt ermöglichten. Dies führte wiederum zu einer Neuausrichtung der Wirtschaft, vor allem in Hinsicht auf den Tourismus und den Transportsektor. Heutzutage gibt es tägliche Transportmöglichkeiten in die Comarcas, und die Kommunikation mit dem Rest des Landes wurde durch neue Technologien wie dem Mobiltelefon begünstigt.

 

Die Auswirkungen von Covid-19 auf die Indigene Bevölkerung

Als es Anfang März zu den ersten Infektionen in Panama kam, entschieden sich viele indigene Familien aus den Städten in die Comarcas zurückzukehren. Das hatte zur Folge, dass bereits infizierte Personen das Virus in diese Gebiete trugen und sich die Pandemie dort rasch verbreitete. Während Covid-19 sich in den Comarcas ausbreitete, versuchten die indigenen Gemeinden, Maßnahmen zum Umgang mit der Pandemie zu vereinheitlichen. Aufgrund der Abstimmung zwischen lokalen Behörden, Regierungsinstitutionen und Gesundheitsbehörden verging zu Beginn der Krise viel Zeit, bis schließlich eine allgemeingültige Herangehensweise gefunden wurde. Diese späte Reaktion sorgte dafür, dass die Comarcas besonders vom Virus betroffen sind.

Hinzu kamen sozioökonomische Probleme in den indigenen Gebieten, die bereits vor Covid-19 bestanden und welche sich durch die Pandemie noch verschlimmert haben. Der Index der menschlichen Entwicklung (HDI), welcher u.a. die Lebenserwartung bei der Geburt, das Bildungsniveau sowie das Pro-Kopf-Einkommen berücksichtigt, lag in den Comarcas zuletzt bei 0.44. Im Rest des Landes liegt der Index zum Vergleich bei etwa 0.8. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass die indigene Bevölkerung in den Comarcas über einen schlechteren Lebensstandard verfügt als Afrika südlich der Sahara (0.5). Konkret drückt sich das z.B. darin aus, dass in Schulen meist ein Lehrer alle Fächer unterrichtet; Häuser besitzen oft nur Strohdächer und es gibt zum Teil kein fließendes Wasser oder Elektrizität. In nahezu allen Comarcas fehlt es den traditionellen Verwaltungsstrukturen an Unterstützung durch den Staat. Die einzigen Formen staatlicher Hilfe sind häufig eine Schule oder eine medizinische Einrichtung, welche in manchen Fällen von der Regierung außer Betrieb gesetzt wurden.

Covid-19 verschlimmerte die gesundheitliche und wirtschaftliche Situation der indigenen Gebiete noch weiter. Da die Comarcas eine starke ökonomische Abhängigkeit vom Tourismus und Transportwesen besitzen, wirkt sich Covid-19 besonders schwerwiegend auf die dortige ökomische Lage aus. Der panamaische Staat hat zwar einen Plan vorgestellt, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, allerdings basiert dieser in erster Linie auf Fördermitteln für kleine und mittelständische Unternehmen, für Banken und das Baugewerbe. Keine dieser Maßnahmen ist jedoch für die Förderung der indigenen Gebiete ausgelegt. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es in den Comarcas bislang nur Lebensmittelhilfen, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken.

Experten befürchten außerdem, dass der Staat versuchen wird, neue Rohstoffe zu erschließen, um die Wirtschaft nach der Krise anzutreiben. Wie nahezu alle Länder in Südamerika verfügt auch Panama über umfangreiche Bodenschätze. Die meisten der bislang nicht genutzten Ressourcen befinden sich jedoch in den Comarcas, da der autonome Status dieser Regionen ihren Abbau bisher verhindert hat. Doch die aktuelle Situation könnte dazu führen, dass die Erschließung mit stärkerem Nachdruck vorangetrieben wird und es zu Konflikten mit der indigenen Bevölkerung kommt.

Die schlimmste Gefahr für die indigene Bevölkerung ist jedoch, dass ihr immaterielles Erbe verloren geht. Aufgrund der prekären wirtschaftlichen Situation in den Comarcas verlassen immer mehr Jugendliche die indigenen Gebiete in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen in den Städten. Diese Migration führt dazu, dass die neue Generation sich "latinisiert" und ihre Kultur und die Verbindung zu ihren Traditionen verliert. Daher ist die wichtigste Herausforderung der Schutz der zukünftigen Generationen. Wenn es nicht gelingt, den durch Covid-19 verstärkten Kreis der Armut und des wirtschaftlichen Drucks zu durchbrechen, könnten die indigenen Bevölkerungsgruppen bald mit dem Verlust ihrer kulturellen Identität konfrontiert werden.

 

Empfehlungen an den Staat

Aus Sicht der Experten sollte der Staat die menschliche Entwicklung über wirtschaftliches Wachstum stellen. Damit ist gemeint, dass das Wirtschaftswachstum dafür genutzt werden sollte, die Kluft der wirtschaftlichen Ungleichheit zu überbrücken, von der ein Großteil der Bevölkerung Panamas und vor allem die indigenen Bevölkerungen betroffen sind.

Es ist außerdem notwendig, dass Regierung und indigene Bevölkerung Entscheidungen im Konsens treffen. Auf der einen Seite müssen Investitionen geschaffen werden, um die Wirtschaft in den Comarcas zu fördern, auf der anderen Seite darf in diesem Zug nicht das Recht auf Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerungen verletzt werden. Zudem darf der Staat sich nicht wie bisher aus den indigenen Gebieten zurückziehen, da die staatliche Präsenz die Einhaltung der Gesetze gewährleistet und soziale Unruhe vermeidet.

Des Weiteren muss die Einhaltung der Consulta Previa garantiert werden. Sie ist das Grundrecht und Instrument, das indigenen Völkern und anderen ethnischen Gruppen zur Verfügung steht, wenn Maßnahmen, Projekte, Arbeiten oder Aktivitäten auf ihrem Territorium durchgeführt werden sollen, um so ihre kulturelle Integrität zu schützen. Die Consulta Previa ist also ein Mechanismus des Konsenses, damit einerseits die Rechte der indigenen Völker respektiert werden und andererseits eine gerechtere Entwicklung möglich ist. Im Falle Panamas wurde jedoch immer noch nicht die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ratifiziert. Das IAO-Übereinkommen 169 postuliert das Recht der indigenen Völker, über ihre Prioritäten im Entwicklungsprozess zu entscheiden, da dies ihre Lebensweise, ihren Glauben, ihre Institutionen und ihr spirituelles Wohlergehen sowie das Land, das sie besitzen oder nutzen, beeinflusst. Indigene Völker sollen somit in die Lage versetzt werden, ihre eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung so weit wie möglich zu bestimmen und zu kontrollieren. Nichtsdestotrotz gibt es in Panama seit 2016 ein eigenständiges Gesetz zur Consulta Previa und damit auch keine Entschuldigung dafür, dass die Consulta Previa bislang zum Teil nicht durchgeführt wird.

Zuletzt müssen Programme zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in den Comarcas geschaffen werden, um den dort lebenden Menschen zu ermöglichen, sich aus der Armut zu befreien. Subventionen helfen nur dann weiter, wenn in Abstimmung mit den lokalen Behörden unterstützende Strukturen in den indigenen Gebieten geschaffen werden. Dabei muss jedoch auch die Identität der indigenen Bevölkerung respektiert werden. Wie die Vergangenheit zeigt, ist es kontraproduktiv, den indigenen Bevölkerungsgruppen "latinisierte" Entwicklungsmethoden aufzuzwingen.

Aktuell befinden sich der Staat Panama und die indigenen Bevölkerungen des Landes vor einer enormen Herausforderung, welche gleichzeitig aber auch mit großen Chancen verbunden ist, um neue Strukturen der Kooperation zu schaffen, die Ungleichheit im Land zu verringern und die Integration der indigenen Bevölkerungsgruppen zu fördern.

 

 

 

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Gordian Kania

Praktikant im RP ADELA, KAS-Büro Panama

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