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„Strategie“ ist das Wort, das sich wie ein roter Faden durch diesen Vormittag zieht. Nico Lange, stellvertretender Bundesgeschäftsführer der CDU, diskutiert mit mehr als 30 jungen Politikern aus ganz Lateinamerika, wie man als Politiker und Partei langfristig erfolgreich Wahlen bestreitet.
Was zeichnet einen Strategen aus? „Es ist jedenfalls kein weiser Mann mit Rauschebart, der im Fernsehen überzeugend erklärt, warum A passieren muss, um dann im Nachhinein ebenso überzeugend darzulegen, warum B eintreten musste“, warnt Lange die Teilnehmer des Diplomkurses „Politische Kampagnen und Öffentliche Meinung“, den die Konrad-Adenauer-Stiftung Montevideo in Peru ausrichtet. Das Konzept, das Lange nun vorstellt, mag sehr deutsch klingen, wie er selbst augenzwinkernd zugibt. Seine Zuhörer aber stören sich daran wenig.
„Plan beats no plan“ ist die Devise. Ein Politiker mit Strategie ist derjenige, der genau weiß, an welchen Dimensionen seines Profils er arbeiten muss und sich bei allem, was er sagt und tut, an diesem Ziel ausrichtet. Was sind diese Dimensionen?
Erstens: Personalisierung. Es klingt banal, ist aber deshalb nicht weniger wichtig: Damit die Leute eine Person wählen, müssen sie sie erst einmal kennen. Hier kommt die nächste Devise ins Spiel, die Lange immer wieder ausgibt. Nicht auf das Bauchgefühl verlassen, sondern auf wissenschaftliche Daten! Im eigenen Empfinden ist fast jeder Politiker ein Star. Die objektiven Bekanntheitsdaten sind dagegen oft ernüchternd. Wer bereit ist, das anzuerkennen und konsequent an der eigenen Sichtbarkeit zu arbeiten, hat schon den ersten Schritt zum Erfolg getan.
Bekanntheit an sich ist wichtig, aber natürlich nicht alles. Zeit also für die zweite Dimension: Image und Haltung. Wofür steht der Kandidat, wofür steht seine Partei? Das muss in jeder Äußerung, jeder Handlung als Handschrift erkennbar sein – und zwar über einen langen Zeitraum. „Ich kann nicht an einem Tag temperamentvoll auftreten und am nächsten wieder besonders gelassen“, erklärt Lange. Wer dagegen jahrelang glaubwürdig eine bestimmte Haltung und Position vermittelt, kommt beim Wähler an. Ein Beispiel dafür ist Donald Trump. „Man mag seine Handelspolitik für zweifelhaft halten, aber es ist genau die, für die er seit 40 Jahren mit jeder seiner Äußerungen steht.“
Dritter Punkt: Die Themen der Menschen kennen. „Glaubt nicht, dass ihr als Politiker die Themen setzen könnt“, unterstreicht der Dozent aus Deutschland. Und schon gar nicht sollte man davon ausgehen, dass die Menschen sich automatisch für dieselben Fragen interessieren wie man selbst. Auch hier gilt: Fakten, Fakten, Fakten! Mit Umfragen lässt sich leicht herausfinden, was die Wähler bewegt. Warum nicht diese Ressource nutzen?
Wer weiß, welche Probleme die Bürger umtreiben, sollte sich daran machen, diese zu lösen. Problemlösungskompetenz ist die vierte wichtige Dimension für Wahlerfolge. Hier ist im Vorteil, wer bereits in der Regierung ist. Denn Problemlösungskompetenz muss man in der Praxis beweisen, nicht bloß behaupten. Der Politiker, der es schafft, konkrete, lösbare Probleme zu formulieren und vor der nächsten Wahl Ergebnisse zu präsentieren, steht gut da. An diesem Punkt entscheidet sich, wer eine politische Eintagsfliege und wer dauerhaft in Verantwortung bleibt. „Mit Bekanntheit und einem starken Image kann man eine Wahl gewinnen“, unterstreicht Lange, „aber wenn ihr dann eure Ankündigungen nicht wahr macht, bleibt es bei einer Wahl“. Und Vorsicht bei den Versprechungen: Wer den Weltfrieden verheißt oder einfache Lösungen für komplexe Probleme verspricht, kann nur scheitern. „Genau deshalb wollen zum Beispiel die Populisten in Deutschland auch gar nicht wirklich regieren.“
Geduld und Einigkeit ist Regel Nummer fünf. Die Bürger bestrafen Nervosität auf der Zielgeraden einer Wahl. Wer als Partei geschlossen bleibt und auch bei Gegenwind den eingeschlagenen Kurs hält, fährt damit besser. Martin Schulz, Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2017, könne davon ein Lied singen, so Lange. Im Angesicht sinkender Umfragewerte fast schon panisch im Wochentakt neue Themen aufzubringen, sei sein schwerster Fehler gewesen.
Der Zauber des Neuen – das ist der letzte Punkt, auf den Parteien und Politiker Acht geben müssen. Ein schwieriger Spagat, besonders für Regierungsparteien, wie Lange zugibt. Das Neue gewinnt manchmal ganz einfach nur, weil es neu ist. Als Regierungspolitiker steht man vor der schwierigen Aufgabe, selbst nach Jahren noch neue Akzente zu setzen, ohne die Grundwerte zu verraten, für die man bislang eingetreten ist.
Wer über Jahre jede Woche, jeden Tag auf Grundlage empirischer Daten daran arbeitet, seine Stärken zu halten und in den Dimensionen besser zu werden, in denen der politische Gegner vorne liegt, hat schon halb gewonnen. „Wahlsiege lassen sich planen!“, ruft Lange den jungen lateinamerikanischen Politikern als Fazit zu.
Gleich nach ihm ergreift Dr. Christian Forneck, außenpolitischer Berater der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Wort. Er schließt direkt an seinen Vorredner an. Wenn Problemlösungskompetenz vor allem aus der Regierungsverantwortung heraus zur Geltung kommen kann, so gilt das ganz besonders für die Außenpolitik. „Mit Außenpolitik könnt ihr als Opposition keine Wahl gewinnen“, stellt Forneck klar. In Deutschland beispielweise ist der Außenminister regelmäßig der beliebteste Politiker. Ob er in Wirklichkeit hauptsächlich Floskeln bietet, spielt keine Rolle. Keinen Schaden anzurichten reicht bereits aus, einen Glanz der Beständigkeit und Zuverlässigkeit auf die Regierung zu werfen.
Einen Schwerpunkt legt der Außenpolitikexperte auf einen anderen Aspekt: den Einfluss ausländischer Mächte auf die öffentliche Meinung im Inland. Russland beispielsweise versuche seit Jahren systematisch, über „Trollfabriken“ und seinen Auslandssender Russia Today gezielt Einfluss auf Diskussionen und Wahlen in den USA und Westeuropa zu nehmen und genehme Parteien und Politiker zu stärken.
Und er appelliert an die Gemeinschaft zwischen Europa und Lateinamerika: „Wir sind Wertepartner!“ Genau wie Lange hat auch Forneck den Teilnehmern des Diplomado sechs Punkte mitgebracht – sechs Vorschläge, wie liberale Gesellschaften auf die Herausforderung reagieren sollten.
Erstens müssen auch die freien Gesellschaften mehr Mittel für Auslandsmedien bereitstellen, um ihre Sicht auf die Dinge in die Welt zu tragen. Diese Medien sollten zweitens so ausgestattet sein, dass sie technisch mit ihren russischen Pendants mithalten können. Von diesen sollten sie sich – drittens – dadurch unterscheiden, dass sie stets bei der Wahrheit bleiben. „Keine plumpe Gegenpropaganda!“, warnt Forneck. All dies nützt aber wenig, wenn man nicht – viertens – im eigenen Land die Sensibilität für antiliberale Propaganda schärft. Hierfür ist es fünftens sinnvoll, Portale zu schaffen, die Falsch- und Desinformationen konsequent entlarven, wie es etwa die EU bereits getan hat. Zuletzt ruft der Außenpolitikberater dazu auf, gegenüber solcher Desinformation weniger Toleranz zu zeigen: „Russia Today kann in Europa frei senden. Warum knüpfen wir das nicht an die Bedingung, dass unsere Medien die gleichen Chancen in Russland haben?“ „Die stärkste Waffe aber“, das gibt Forneck den Jungpolitikern am Ende noch mit, „ist nicht die Unterdrückung, sondern die Aufklärung“.